Sonntag, 22. Januar 2023

Weshalb einmal erworbenes Kapital so beständig erhalten bleibt oder: Was Boris Becker nicht beherzigt hat

 Katharina Pistor: 

Der Code des Kapitals  - Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft

"[...] Tatsächlich ist die Abschirmung von Gütern und Vermögenswerten vor der Steuer eine der unter ihren Besitzern gefragtesten Codierungsstrategien. Und Rechtsanwälten, den Herren des Codes, werden außergewöhnlich hohe Honorare dafür gezahlt, dass sie solche Werte mithilfe der Gesetze derselben Staaten aus dem Zugriffsbereich der Gläubiger herausschaffen, einschließlich der Steuerbehörden."

"Die Wohlhabenden führen oft besondere Fähigkeiten, die harte Arbeit und die persönlichen Opfer, die sie selbst oder ihre Eltern oder Vorfahren erbracht haben, als Rechtfertigung für das Vermögen an, das sie heute besitzen. Gewiss mögen diese Faktoren zur Entstehung ihrer Reichtümer beigetragen haben. Doch ohne rechtliche Codierung hätten die meisten davon nur kurze Zeit überdauert. Über lange Zeiträume hinweg Reichtum anzuhäufen erfordert eine zusätzliche Absicherung, die nur ein von den Zwangsbefugnissen des Staates gestützter Code bieten kann. Es wird oft als Zufall betrachtet, dass der ökonomische Erfolg, der die modernen Volkswirtschaften von früheren Zeiten mit viel geringeren Wachstumsraten und einer viel höheren Volatilität des Reichtums trennt, eng mit dem Aufstieg der Nationalstaaten verknüpft ist, die sich auf das Recht als das primäre Mittel zur Herstellung sozialer Ordnung stützen. Viele Kommentatoren führen das Aufkommen privater Eigentumsrechte, verstanden als wesentliche Begrenzungen der Macht des Staates, als die entscheidende Erklärung für den Aufstieg des Westens an. Dennoch ist es möglicherweise zutreffender, diesen Aufstieg auf die Bereitschaft des Staates zurückzuführen, die private Codierung von Gütern im Recht zu unterstützen, und zwar nicht nur in Form von Eigentumsrechten im engeren Sinne, sondern auch von anderen rechtlichen Privilegien, die einem Gut Priorität, Beständigkeit, Konvertierbarkeit und Universalität verleihen. Tatsächlich wird die Tatsache, dass das Kapital mit der Macht des Staates verbunden und von ihr abhängig ist, in den Debatten über Marktwirtschaften häufig außer Acht gelassen. Verträge und Eigentumsrechte schützen zwar freie Märkte, doch der Kapitalismus braucht noch mehr – nämlich die rechtliche Privilegierung mancher Güter, die ihren Inhabern einen komparativen Vorteil gegenüber anderen bei der Anhäufung von Vermögen verschafft. Die Offenlegung der rechtlichen Struktur des Kapitals trägt zudem zur Lösung des Rätsels bei, das Thomas Piketty in seinem bahnbrechenden Buch Das Kapital im 20. Jahrhundert präsentiert hat. Wie er dort zeigt, liegt die durchschnittliche Kapitalrendite in den entwickelten Volkswirtschaften über der durchschnittlichen gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrate (r >g). Piketty hat dieses Rätsel nicht aufgeklärt, sondern sich damit begnügt, sein bemerkenswert regelmäßiges empirisches Auftreten zu dokumentieren. Doch seine eigenen Daten liefern wichtige Hinweise für seine Lösung. [...]"

http://fontanefan3.blogspot.com/2021/03/pistor-der-code-des-kapitals.html

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