Samstag, 22. Mai 2021

Totgeburt schließt Frauen aus der Gesellschaft aus

 Es sind etwa zwei Millionen Frauen. Nur der Zufall unserer Geburt unterscheidet uns von ihnen. Stellen Sie sich vor:

"Sie wären früh verheiratet worden. In einem Alter, in dem Ihr Körper noch nicht ausgebildet ist, um ein Kind zu gebären. Oder vielleicht doch ausgebildet, aber Sie sind unterernährt. Oder man hat Sie beschnitten, Ihnen die Schamlippen zugenäht, und das Gewebe in Ihrem Inneren ist vernarbt und reißt schnell. 
 Sie werden schwanger. In Ihrer Nähe gibt es keine Praxis und keine Klinik für Geburtsvorsorge. Sie hätten ohnehin keine Zeit für Vorsorge, weil Sie bis zum Tag der Wehen auf einem Feld arbeiten müssten. Dann setzen die Wehen ein, aber das Kind steckt im Geburtskanal fest. Sein Kopf drückt auf das Gewebe Ihrer Vagina, auf jene Wand, die die Vagina von der Blase und vom Rektum trennt. Drückt so lange, bis das Gewebe abstirbt und nun Löcher in ihrer Vaginawand entstehen. [...]  in eine Klinik zu bringen, wo man Sie vom Körper des toten Kindes befreit und Ihnen sagt, von nun an seien Sie inkontinent. Urin, im schlimmsten Fall auch Fäkalien, werden aus Ihrem Körper laufen. Unaufhaltsam, Tag und Nacht. Sie werden schlecht riechen. Das Fleisch an Ihren Oberschenkelinnenseiten wird sich vom Urin entzünden. 
Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach dieser Tortur nach Hause und Ihre Familie oder Ihr Ehemann sagt Ihnen, in diesem Haus sei nun kein Platz mehr für Sie. Weil Sie stinken. Weil Sie keinen Wert mehr haben. Sie können in Ihrem Zustand keine Arbeit finden, denn wo immer Sie hingehen, umweht Sie der Geruch. Also gehen Sie irgendwohin, wo Sie wenigstens Schutz finden. In eine Höhle. Oder in ein verlassenes Haus. Dort leben sie im Verborgenen wie ein Tier und hoffen auf barmherzige Seelen, die ihnen Essen bringen. Wenn Sie das nicht mehr aushalten, töten Sie sich selbst. [...]"

Eine Operation würde etwa 2 Stunden dauern. Aber wer bezahlt die?

Wikipedia: Geburtsfistel

"In den Industrieländern sind vesikovaginale Fisteln selten und in der Regel Folge von Operationskomplikationen; z. B. durch Verletzung der Blasenwand. Meist beginnen die Beschwerden ca. 5 bis 10 Tage nach einer Unterleibsoperation.

In den Entwicklungsländern, vor allem in Zentralafrika, sind vesikovaginale und andere Unterleibsfisteln vielfach häufiger. Die dort verbreitete Ursache ist die verlängerte, schwere Geburt, bei der es zu Drucknekrosen der Scheiden- und Harnblasenwand kommen kann. Risikofaktoren sind die schlechte medizinische Versorgung und das junge Alter vieler Gebärender. In Westafrika wird eine Inzidenz von 3–4 Vesikovaginalfisteln / 1000 Geburten angegeben.[1] Weltweit sollen ca. 500.000[2] bis 2 Millionen Frauen mit bisher nicht behandelten vesikovaginalen Fisteln leben.[3] Auch Vergewaltigungen und Genitalverstümmelung können zu Fisteln führen.[3]"

Corona

 "Nun ist es also passiert - 2 meiner SuS sind positiv getestet worden, 1 mit starken Symptomen mittlerweile. Die andere Schülerin hat eine kleine, an Leukämie erkrankte Schwester. Sie hat auch bereits ihre Mutter angesteckt.

Nun hocken wir alle in Quarantäne, bangen und hoffen, & bedanken uns derweil bei unserer ach so kompetenten Landesregierung, für den überaus wichtigen Unterricht in Präsenz Face with symbols over mouthPouting face Leute, ich könnte vor Wut alles kurz und klein hacken!!"


Es liegt nicht immer an Uneinsichtigkeit auf beiden Seiten, wenn in dieser Krise die Gesellschaft auseinander driftet. Es gibt auch sehr unterschiedliche Erfahrungen, die nahezu notwendig zu unterschiedlichen Erfahrungen führen. 

Freitag, 21. Mai 2021

Neudeutsch, Schein-Englisch oder nur Bedeutungsvariante?

"Übrigens sind folgende Wörter Denglisch, es gibt sie im Englischen nicht: Barkeeper, Hometrainer, Handy, Public Viewing, Messie, Talkmaster, Twen, Oldtimer."

 https://twitter.com/herrlarbig/status/1395492604985360391

Dienstag, 18. Mai 2021

Israel: Der Unterschied zwischen legitimer Kritik und Antisemitismus

"Das Besondere am Verhältnis zu Israel zu wahren, ohne beim Umgang mit seiner Politik allgemeine ethische Maßstäbe aufzugeben – das erfordert mehr als noch so berechtigte Empörung über offenen Antisemitismus. [...]" Stephan Hebel, FR 17.5.21 (Druckausgabe: 18.5.)

Dabei formuliert Hebel folgende notwendige Voraussetzungen legitimer Israelkritik:

"Erstens: Die Existenz Israels hat mit den historischen Verbrechen Deutschlands so viel zu tun, dass wir kein Recht besitzen, sie infrage zu stellen. Genauso wenig wie das Recht dieses Landes, sich gegen Terror zu verteidigen. [...]

Zweitens: Auch wenn Jerusalem die Bevölkerung in den besetzten Gebieten auf höchst kritikwürdige Weise abwertet und entsprechend behandelt: Es sind nicht „die Juden“, die das tun, es ist die Regierung des Staates Israel. [...]

Drittens: Zu den Grenzüberschreitungen zwischen Kritik an Israel gehört das sogenannte Anlegen doppelter Standards: Israel wird oft in einer Weise geschmäht, die in Bezug auf Raketen aus Gaza oder auch auf Terrorregime anderswo in der Welt unterbleibt. Nur wer überall gleiche Maßstäbe anlegt, kann mit Kritik überzeugen. Nur wer nicht so tut, als sei der Palästina-Konflikt eindeutig einer Seite anzulasten, wird dem Thema gerecht. [...]"

Diese ausgezeichnete, differenzierte Unterscheidung zwischen Antisemitismus und legitimer Kritik habe ich mir schon lange gewünscht, hätte sie aber in dieser Klarheit nicht formulieren können. Es lohnt sich unbedingt, den vollständigen Beitrag nachzulesen, ob in der Druckausgabe der Frankfurter Rundschau vom 18.5.21 oder den obigen Link.

Ich möchte hinzufügen: Der Anspruch, den Hebel hier ansetzt, ist sehr hoch. Manche kürzere Formulierung kann dabei Antisemitismus zugeordnet werden, obwohl sie nicht so gemeint ist. Andererseits kann auch bei formaler Erfüllung der Forderung Hebels ein Text geeignet sein, von Antisemiten in ihrem Sinne missbraucht zu werden, wenn er verkürzt wiedergegeben wird. Insofern sollte man beachten, dass in einer aufgeheizten Situation ein Text als antisemitisch verstanden werden kann, der Hebels Kriterien genügt.

Hinzufügen möchte ich: Es macht einen großen Unterschied, wer einen Text formuliert. 

Wenn ein Deutscher an der Politik des Staates Israel übt, darf man verlangen, dass er streng im Sinne von Hebel formuliert. Jemandem, der die Vorgeschichte des Staates Israel nicht kennt, sollte man nachsehen, wenn er gelegentlich missverständlich formuliert. Umso wichtiger ist es, dass man antisemitischen Vorurteilen, die in einer Konfliktsituation mit dem Staat Israel im Nahen Osten entstanden sind, in aller Deutlichkeit entgegentritt und mithilft, sie abzubauen. 

Sehr wertvoll ist da die Arbeit, die Daniel Barenboim mit seinem Symphonieorchester leistet, das zu gleichen Teilen aus israelischen und arabischen Musikern besteht. (West-Eastern Divan Orchestra)

Zum Zusammenhang, in dem Antisemitismus gegenwärtig in den USA auftritt:

Saul FriedländerEin fundamentales Verbrechen Die ZEIT 7.7.21 



Dienstag, 11. Mai 2021

Bedeutet eine starke Impfreaktion auch besseren Impfschutz?

 "[...] Die gute Nachricht ist: auch wenn man keine oder nur sehr milde Impfreaktion hat, ist man mit der gleichen Wahrscheinlichkeit geschützt. Das kann man schon daran erkennen, dass laut den Impfstudien viel mehr Leute geschützt sind, als Nebenwirkungen kriegen. [...]"

  • Lars Fischer erklärt aber auch, dass es deutlich komplexer ist, als dass es sich mit einem Satz erläutern ließe: Mehr dazu

Schwierige Kinder - Sytemsprenger

 Filmempfehlung:

"Sie hält sich ein Küchenmesser an den Hals, so eins mit schwarzem Griff, groß, scharf, gefährlich. Sie droht damit, sich umzubringen, denn sie will nicht in die Schule. In der Küche des Pflegeheims reden Erzieher und Kinder auf sie ein, rufen den Krankenwagen. Kurze Zeit später liegt sie in einem Krankenbett unter grellem Licht, gefesselt, damit sie weder sich noch jemand anderem etwas antun kann.

„Systemsprenger“ nennt man Kinder, die im deutschen Hilfesystem eine Station nach der anderen hinter sich lassen. Hilfesystem – das bedeutet: Schulen, Jugendämter, Heime, Wohngruppen, Erzieher:innen und Schulbegleiter:innen. Eben alle, die versuchen, verhaltensauffälligen Kindern zu helfen. „Systemsprenger“ heißt auch der deutsche Vorschlag für die Kategorie „Bester internationaler Film“ bei der Oscarverleihung 2020. Meine Einstiegsszene mit dem Messer stammt aus diesem Film. Er zeigt einem eine Welt, die es so in Deutschland gibt, von der die meisten Erwachsenen aber nichts mitbekommen.

Die neunjährige Hauptperson Benni durchläuft in dem Drama einen Kreislauf, den nicht viele Kinder in Deutschland durchlaufen. Benni fliegt aus Heimen, Schulen suspendieren sie dauerhaft, Pflegefamilien geben sie wieder ab. Sie weiß nicht, wohin mit ihrer Wut, aber die Wut findet ihren Weg: Benni schreit, prügelt und schlägt.

Kurz vor der Szene mit dem Messer wird sie von ihrer Mutter versetzt, sie sollte Benni eigentlich abholen und übers Wochenende mit nach Hause nehmen. Bennis Teufels-Kreislauf: Sie ist einsam und sucht eine Familie. Durch ihre Aggressivität können andere Kinder und Erzieher:innen aber nicht mit ihr umgehen. Dadurch bleibt sie allein, was sie noch aggressiver macht.

Laut Studien gelten etwa fünf bis sieben Prozent aller Heimkinder in Deutschland als Systemsprenger. Menno Baumann, Professor für Intensivpädagogik, hat den Film wissenschaftlich begleitet und dafür gesorgt, dass der Film – obwohl keine Doku – realistisch ist. Er sagt in einem Vortrag (zu sehen auf Youtube): „Das Thema dieser Kinder ist das Thema Brüche.“ Damit meint er vor allem Beziehungen, die zerbrechen. Oftmals zu allererst: die Beziehung zu den Eltern. In Bennis Fall, die Beziehung zur Mutter, die überfordert ist.

In einer Szene sagt die Mutter: „Wenn nicht einmal die Profis mit ihr klarkommen, wie soll ich das dann schaffen? Ich habe manchmal richtig Angst vor ihr.“

In einer anderen Szene sagt Benni: „Mama hasst mich.“ [...]" (Der Film „Systemsprenger“ tut weh – aber das muss er auch)

Montag, 10. Mai 2021

Wikipedialehrbuch von Ziko van Dijk

Titelseite mit direkter Anwahl von allen 196 Seiten

Inhalt:

Inhaltsverzeichnis auf den pdf-Seiten 5-7 (bei der Navigation jeweils + 2 , d.h. 7-10)

Vorwort 9 

1 Grundlagen 13 

1.1 Wiki . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 

1.2 Wikipedia und Wikimedia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 

1.3 Schwesterprojekte der Wikipedia . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 

1.4 Freie Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 

1.5 Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 

1.6 Wikipedia-Jargon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 

2 Gemeinschaft 25 

2.1 Wikipedianer werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 

2.1.1 Wikipedia-Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 

2.1.2 Anonymität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 

2.1.3 Registrierung und Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . 30 

2.2 Hierarchie – das Oben und Unten . . . . . . . . . . . . . . . .31 

2.3 Fachbezogene Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 

2.4 Kommunikation unter Wikipedianern . . . . . . . . . . . . . . . 35 

2.4.1 Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 

2.4.2 Wo man kommuniziert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 

2.4.3 Edit Wars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 

3 Aufbau und Wesen der Wikipedia 43 

3.1 Namensräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 

3.1.1 Artikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 

3.1.2 Wikipedia- und Hilfe-Seiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 

usw. sieh S.6ff (Navigation 8ff)

Werkzeug der Unbequemlichkeit

 So hat Fontane in "Vor dem Sturm" die Zuckerzange genannt.

Was hätte er über die neusten Handys/Smartphones gesagt? Oder hätten die selbst ihm die Sprache verschlagen?

Wo es Hunderte (oder sind es Tausende?) von Tipps gibt, wie man was mit einem Handy machen kann, wo aber andererseits die Benutzung nicht nur von Marke zu Marke, sondern auch von Modell zu Modell sich unterscheidet, wo aber andererseits die Modellbezeichnung so sinnreich versteckt ist, dass - wenn man einen Nutzer derselben Marke fragt - man den Weg zur Modellbezeichnung kennen muss, um zu wissen, ob dieser Nutzer wissen kann, wie das eigene Modell bedient wird.

Was für eine stolze Erfahrung, wenn man einmal einen Tipp zu Ende nachvollzogen hat und dann erfahrenen Benutzern etwas erklären kann, was sie trotz Experimentierfreude noch nie entdeckt haben. 

Wenn sich über 90-Jährige im Internet zur Impfung anmelden sollen und dann per SMS über den Erfolg informiert bzw. gerade nicht informiert werden.

Samstag, 8. Mai 2021

Ein neuer Gedanke?

 Ein neuer Gedanke (freilich stammt er von 1990), doch wenn ich ihn auch schon mehrmals gelesen haben sollte:

Wenn ich über Identitätspolitik lese, habe ich ihn meist nicht parat.

Geschlechtsidentität und Identität allgemein wird von Anfang an dem Einzelnen aufgedrängt. Freiheit besteht darin, sich von dieser von außen vorgegebenen Identität - in gewissem Umfang - zu befreien
Wenn Personen darauf bestehen, dass Identitäten akzeptiert werden, ist das fundamentalistisch, denn jeder kann - im Prinzip - seine eigene Identität bestimmen. 
Der Gedanke stammt von Judith Butler, die insofern Simone de Beauvoir kritisiert. 

https://www.youtube.com/watch?v=zmlwM0i1yCw (ein Film von knapp 10 Minuten)

Donnerstag, 6. Mai 2021

Sophie und Hans Scholl

ichbinsophiescholl :
 Hab mir nochmal Gedanken gemacht zu dem Freund/ Freundin-Thema bei Hans. 
Das war damals schon schwierig für die Familie, als er vor Gericht stand. Er war angeklagt wegen angeblicher sexueller Handlungen zwischen ihm und einem anderen Mann. 
Naja "Mann" ... Hans war zum Zeitpunkt der sogenannten Tat gerade mal 16 oder 17 und der andere noch jünger. Er hats vor Gericht auch zugegeben. Hans musste sich dann fast ein halbes Jahr mit diesem verdammten Paragraphen 175 rumschlagen, bis die Anklage fallengelassen wurde. Ich hab mit Hans nie drüber gesprochen. Kam nie dazu. 
Trotzdem: Kein Wunder, dass er damals das Vertrauen in den Staat verloren hat. 

COVID-19 aus der Armutsperspektive

Aus einem Artikel  von Magda von Garrel  auf den Nachdenkseiten möchte ich folgende Gesichtspunkte hervorheben:

"Wegen der bis heute andauernden Ausblendung der sozialen Komponente sind die unterschiedlichen Voraussetzungen auch im Privatbereich nie ernsthaft berücksichtigt worden. Dabei bedarf es keiner allzu großen Fantasie, um sich vorstellen zu können, welche Folgen zu erwarten sind, wenn häusliche Quarantäne, Homeschooling und Ausgangssperren in einem dafür völlig ungeeigneten Umfeld zusammenkommen.

Menschen, die in ohnehin viel zu kleinen Wohnungen leben, müssen in Befolgung der Maßnahmen ziemlich lange und in noch größerer Zahl als zuvor aufeinander hocken und sind somit einer erhöhten Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Trotzdem ist es bei dieser Art von “Vorsorge” auch dann noch geblieben, als eine Gruppe von Aerosolforschern darauf aufmerksam gemacht hat, dass ein Aufenthalt in Innenräumen weitaus riskanter als ein Aufenthalt im Freien ist.

Als genau so kontraproduktiv haben sich die in den Alten- und Pflegeheimen praktizierten monatelangen Zwangsisolierungen erwiesen und zwar vor allem dann, wenn es sich um “kostengünstige” Alten- und Pflegeheime handelte, denen schon allein aus zeitlichen Gründen keine Alternativen zur Verhinderung der aus Einsamkeit und Bewegungsmangel resultierenden Schwächung des Immunsystems der Bewohner*innen zur Verfügung standen. Das bedeutet, dass im Namen des Gesundheitsschutzes die Krankheitsanfälligkeit der unter solchen Bedingungen eingekerkerten und darunter schwer leidenden alten Menschen sogar noch erhöht worden ist. [...]

Eine auf Armutsbekämpfung bedachte Politik, die nicht mit der jetzt angelaufenen Impfkampagne in den so genannten sozialen Brennpunkten verwechselt werden darf, sondern stattdessen auf eine baldige Beendigung der Ausbeutung von Mensch und Natur ausgerichtet ist, liegt in unser aller Interesse."

 https://www.nachdenkseiten.de/?p=72180

Die mit diesen Hinweisen verbundene Polemik mache ich mir ausdrücklich nicht zu eigen.

Mittwoch, 5. Mai 2021

Moralische Verletzung in der Pflege

"Eine Impfpflicht für Pflegepersonal? So etwas kann nur fordern, wer keinen Schimmer davon hat, wie tief die moralischen Verletzungen sind, unter denen diese Berufsgruppe schon seit Langem leidet.

Wenn er höre, so Bayerns Ministerpräsident Markus Söder Anfang dieser Woche, "dass sehr wenige Pflegekräfte sich impfen lassen", dann müsse man über eine Impfpflicht für diesen Berufsstand nachdenken. Das ist eine bemerkenswerte Ansage, und zwar nicht nur, weil die Datenlage über die Impfverweigerer im Pflegewesen unklar ist. Bemerkenswert ist sie vor allem, weil sie erneut zeigt, wie wenig darüber nachgedacht wird, warum es diese Zögerlichkeit unter Pflegenden gibt. Aus meiner Sicht und nach dem Austausch mit vielen beruflich Pflegenden hat dies weniger medizinische als vielmehr politisch-moralische Gründe.

 Schon seit Jahren herrscht ein Missverhältnis zwischen den Risiken und Zumutungen, die dieses Land beruflich Pflegenden aufbürdet, und der Anerkennung, die sie dafür zurückbekommen. Aus einem solchen Missverhältnis kann eine gefährliche Entfremdung wachsen. Niemand sollte sich wundern, wenn dieser Wertschätzungsmangel unter anderem umschlägt in den Gedanken: "Nein, impfen lasse ich mich für euch nicht auch noch!"

 Völlig selbstverständlich scheinen Bevölkerung und Politik davon auszugehen, dass es die Pflicht der Pflegenden sei, sich als Erste gegen Corona impfen zu lassen. Menschen, die sich nicht impfen lassen wollten, hätten am Pflegebett nichts zu suchen, heißt es in einem Kommentar des Spiegels: "Für sie gilt dasselbe wie für eine Soldatin, die nicht kämpfen möchte: Beruf verfehlt." Die Kriegsmetapher ist in der Tat treffend – allerdings auf eine ganz andere Art, als der Autor dieses Satzes denkt. [...]"

Von Monja Schünemann,  Die ZEIT 13.1.21

Franziska Böhler: Krankenschwester über Intensivzeit: „Schaue, dass am Ende des Tages alle noch leben“,  Focus 6.12.2020

 13 Jahre lang arbeitete Franziska Böhler als Intensiv-Krankenschwester. Mit Leidenschaft und am Limit. Sie wechselte wegen ihrer Familie. Wegen Corona-Überlastung werden viele Kollegen gehen, ist sie sich sicher. Dann haben wir nächstes Jahr ein gravierendes Problem. [...]

 Ich bin mit einem blutenden Herz gegangen. Denn ich war von Herzen gern Intensivkrankenschwester.

Doch mein kleiner Sohn fragte eines Tages: Mama, warum bist du eigentlich immer weg? Als er zu mir sagte, er möchte am Wochenende nicht immer nur mit der Oma oder dem Papa allein sein, habe ich entschieden, dass sich etwas ändern muss. Denn mein Mann ist Arzt, hatte viele Wochenendschichten. Ich als Intensivkrankenschwester ebenso. Also hatten wir kaum Zeit als Familie mit den beiden Kindern. Das wollte ich so nicht mehr. [...]"


https://www.springermedizin.de/komplexitaet-komplizitaet-und-moralischer-stress-in-der-pflege/17319116

Samstag, 1. Mai 2021

Taschenrechner und A. Ries

 Immer wieder werden in der Sprache Tätigkeiten durch Produkt- oder Markengezeichnungen ersetzt. Wir recherchieren nicht mehr, wir "googeln". Wir fangen nicht mehr an zu rechnen, wir holen den Taschenrechner raus.

So hat der Taschenrechner auch den guten alten Adam Riese ersetzt. Wann haben Sie das letzte Mal gehört, dass jemand bevor er ein Rechenergebnis nennt, sagte: "Das sind nach Adam Riese ..." ?

Wenn ich an diese Redeweise denke, habe ich die Stimme meines Onkels, eines Baustatikers im Ohr.  

Bildung

 Baden-Badener Dispute

Theodor Litt über Bildung:"Die Verfassung, die den Menschen instand setzt, sich selbst und seine Beziehung zur Welt in Ordnung zu bringen."
Bildung ist oft Gruppenbildung. Die Bildungsballons sollte herrschen zwischen Bildungseitelkeit und Bildungsdemut Demut "Auf den Knien des Verstehens vor dem Text", freilich sollte es auch kein Masochismus sein. Bildung als symbolisches Immunsystem (Sloterdijk)l)