Montag, 25. März 2019

Martin Lindner: Die Bildung und das Netz: Bildung - Begriffsklärung


"Bildung ist nicht zeitlos, und ist sie auch keine individuelle Angelegenheit. Hier entfalten sich nicht einfach verschiedene Persönlichkeiten, entsprechend ihren natürlichen Anlagen. Die Persönlichkeiten werden entfaltet, geprägt und geformt im kulturellen, politischen und eben auch technischen Systemen. Scheinbar ganz persönliche Bildungserlebnisse sind von Anfang an geprägt durch die gesellschaftliche Situation. Bildung zur Zeit Humboldts war ganz anders als Bildung um 1900 oder Bildung um 1935. Und die Bildung, die ich selbst in den 1970er Jahren erfahren habe, ist eine ganz andere als die Bildung, die meine Tochter 35 Jahre später erfährt.
Das Schlagwort Digitale Bildung meint immer: erneuerte Bildung. Bildung unter den Bedingungen des großen Umbruchs seit etwa 1990, der alle westlichen Gesellschaften betrifft. Das ist auch, aber eben nicht nur ein technologischer Umbruch. Vielleicht noch nicht einmal in erster Linie.
Wie haben sich die grundsätzlichen Bedingungen verändert, die unser lebenslanges Lernen, unser Wissenwollen und Wissenmüssen prägen? Was hat das zu tun mit dem epochalen Change, der seit den 1990er Jahren überall ausgerufen wird? Es gibt keinen passgenauen Überbegriff dafür, aber so ungefähr weiß man, wovon die Rede ist, wenn die bekannten Schlagworte fallen: Globalisierung, Automatisierung, Individualisierung, Ökonomisierung, Wissensgesellschaft. Neoliberalismus und Prekariat gehören auch dazu. All diese Schlagworte beschreiben Aspekte des globalen Wandels, der zeitlich zusammenfällt mit der Digitalisierung [...]
Mir gefällt die eingängige und vieldeutige Metapher am besten, die Thomas Friedman als roten Faden für sein bekanntes Buch über die Globalisierung benutzt hat: "Die Welt ist flach". Der New York Times-Chefkolumnist ist berüchtigt dafür, komplexe Entwicklungen auf allzu simple, allzu einleuchtende Formeln zu reduzieren. Natürlich ist das zu simpel. Aber wenn man das Schlagwort wertfrei nimmt, bietet "Verflachung der Welt" einen nützlichen Blickwinkel, gerade weil es so umfassend und vage ist. Vor allem passt es gut auf die digitalen Informationsströme, die immer schneller, breiter und weltumspannender werden. Mit der Netz hat sich die digitale Sphäre um die Welt gelegt, die jederzeit alles mit allem in Verbindung setzen kann. Das betrifft Geld und Kapital, Produktions- und Logistikketten, wissenschaftliche Daten und Ideen, die Pop-Kultur und sogar die globalisierungsfeindlichen Ideologien der Islamisten und rechtsextremen Nationalisten.

Flach bedeutet: Schützende Grenzen und Einigungen werden brüchig – wirtschaftlich, gesellschaftlich und technologisch. Unsere Lebenswelt fühlt sich offener und unsicherer an. Das gilt nicht nur global, sondern auch regional, bis hinein in die tiefste Provinz. [...]

Im Blog des Weltwirtschaftsforums wurde gerade wieder prophezeit, das größte Unternehmen des Jahres 2030 werde ein Bildungstechnologie-Unternehmen sein. Weltweite Massenkurse, aber die Lehrenden werden keine Professoren-auf-Videos mehr sein, sondern künstlich-intelligente Bots. Sie personalisieren jeden Lehrplan für jede einzelne Person, und die Lernenden werden dann viermal oder gar zehnmal so schnell lernen. Das sagt ein weißbärtiger Thinktank-Futurist voraus, von dem man praktisch ausschließen kann, dass er selbst nennenswerte Erfahrungen mit dem Lernen im Netz gesammelt hat."

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