Samstag, 30. November 2019

Klimaprognosen und Genauigkeit

Prognosen sind nur dann mit geringen Unsicherheiten verbunden, wenn bei einem Experiment alle Begleitumstände gleich gehalten werden können, die den naturgesetzlichen Ablauf eines Vorgangs stören könnten.
Deshalb sind sind Prognosen für das Weltklima äußerst unsicher, weil die beeinflussenden Faktoren und ihre Wechselwirkungen extrem hoch sind.

Dazu hat hat Hans Jonas in "Das Prinzip Verantwortung" schon 1979 formuliert:
  • "Eben diese Ungewißheit (..) muß selber in die ethische Theorie einbezogen und ihr zum Anlaß eines neuen Grundsatzes genommen werden (..). Es ist die Vorschrift, primitiv gesagt, daß der Unheilsprophezeiung mehr Gehör zu geben ist als der Heilsprophezeiung." S. 70
  • „'Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden'; oder negativ ausgedrückt: 'Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens'; oder einfach: 'Gefährde nicht die Bedingungen für den indefiniten Fortbestand der Menschheit auf Erden';

Dabei hat er von den Kippelementen im Bereich der Klimaentwicklung noch gar nichts gewusst. 

Der Wissenschaftsjournalist Axel Bojanowski weiß über Kippelemente Bescheid, dennoch ist er sich nicht zu gut, noch im Herbst 2019 Folgendes zu formulieren: "Dabei würde es nur eine genaue Kenntnis der Fakten der Bevölkerung ermöglichen, sich vernünftig auf den Klimawandel vorzubereiten." (Journalisten im Klimakrieg, S.38)

Dazu vgl. auch: Komplexe Wahrheiten - Die Homogenisierung der Klima-Berichterstattung ist ein Problem Kommentar Axel Bojanowski Übermedien 20. September 2019
Dort hatte er freilich noch deutlich vorsichtiger formuliert: "Nur wenn wissenschaftliche Daten weder verfälscht noch verleugnet werden, wird sich die Gesellschaft vernünftig auf den Klimawandel vorbereiten können."
Weshalb hat er sich jetzt für eine so viel fragwürdigere Formulierung entschlossen? Weil gegenwärtig die Bereitschaft, den menschengemachten Klimawandel abzubremsen zugenommen hat?

Zur Geschichte der Klimadebatte

"[...] im Kalten Krieg zählte jeder Winkel des Planeten. Das hatte Folgen für die mentalen Landschaften. Man musste erst einmal auf die Idee kommen, den Planeten als Ganzes in den Blick zu nehmen, damit ein Phänomen wie die globale Erwärmung überhaupt denkbar wurde. Bis dahin hatten Wissenschaftler über Veränderungen des Klimas als regionale und lokale Phänomene nachgedacht, und "Klima" war ein Begriff für die typischen meteorologischen Bedingungen in einem begrenzten geografischen Raum. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir heute Klima global denken, ist das Produkt einer mentalen Revolution, die nur ein paar Jahrzehnte zurückreicht. [...]
Die heutige Klimaforschung profitiert von internationalen Gemeinschaftsprojekten, die es ohne den Kalten Krieg vielleicht gar nicht gegeben hätte. Die berühmte Keeling-Kurve, die den Anstieg der CO2-Konzentration in der globalen Atmosphäre zeigt, ging zum Beispiel auf das Internationale Geophysikalische Jahr 1957/58 zurück, das auch gemeinsames Forschen in einer geteilten Welt symbolisierte. Seither werden auf dem Mauna Loa Vulkan auf Hawaii regelmäßig Messungen vorgenommen, die bei der Entwicklung der Klimawandel-Hypothese eine zentrale Rolle spielten. Das Messprogramm wäre wohl nach ein paar Jahren eingegangen, wenn die US-amerikanische National Science Foundation nicht nach dem Sputnik-Schock 1957 eine kräftige Finanzspritze zur Förderung der wissenschaftlichen Grundlagenforschung bekommen hätte. In der Nähe der Wostok-Forschungsstation bohrten französische und sowjetische Wissenschaftler in den 1980er Jahren gemeinsam im Eis der Antarktis. Die Wostok-Eisbohrkerne wurden zu einer Berühmtheit der Klimadebatte, weil es durch die im Eis eingeschlossenen Gasbläschen möglich wurde, die Zusammensetzung der Atmosphäre über 420.000 Jahre hinweg zu rekonstruieren.[...] 
Die "Kampf dem Atomtod"-Kampagne, die die betuliche Adenauer-Republik der 1950er Jahre erschütterte, war Teil einer globalen Protestbewegung, die von einem Amalgam pazifistischer und ökologischer Motive getrieben wurde. Frieden war bereits zuvor ein politisches Thema gewesen, und das gleiche galt für die Probleme der natürlichen Umwelt, aber die Kombination beider Anliegen war neu, und daraus erwuchs eine Tradition, die in der heutigen Klimadebatte weiterlebt. Seit den 1970er Jahren gab es in den Ländern des Westens agile Umweltbewegungen, und in den 1980er Jahren interessierten sich auch die Dissidenten Osteuropas für Umweltprobleme. Ohne eine ökologisch sensibilisierte Öffentlichkeit ist die Klimadebatte der vergangenen Jahrzehnte kaum zu denken.[...]
Die politischen Ressourcen der Umweltverbände waren stets überschaubar, und mit den Lobbyisten, die große Energiekonzerne finanzierten, konnten sie nicht einmal ansatzweise mithalten. Eindrücklich zeigte sich dies in den Vereinigten Staaten, wo es auf der einen Seite ein Netzwerk von Umweltverbänden gab, das Anfang der 1980er Jahre weltweit führend war und in den folgenden Jahrzehnten kräftigen Rückenwind aus der internationalen Klimaforschung erfuhr, und auf der anderen Seite die Milliarden der konservativen Koch-Brüder standen, die im großen Stil in Klimaskepsis investiert wurden. [...]
Die Illusion der nationalstaatlichen Verfügungsmacht wurde jedoch tief in die globale Klimapolitik eingeschrieben. Mit der Klimarahmenkonvention, die 1992 auf dem Erdgipfel von Rio de Janeiro unterzeichnet wurde, wurden die Nationalstaaten zu entscheidenden Akteuren, deren Regierungen sich alljährlich zu Klimakonferenzen mit fünfstelliger Teilnehmerzahl treffen. Klimapolitik ist seither automatisch Klimadiplomatie, auch wenn das von der Sache her nicht unbedingt zwingend war. Man hätte auch die multinationalen Energiekonzerne ins Visier nehmen können oder auch das Anspruchsdenken westlicher Konsumbürger.[...]
 Es ist durchaus offen, ob die heutigen Regierungen die politischen Mittel zum drastischen Umsteuern besäßen, selbst wenn sie einen solchen Kurswechsel tatsächlich wollten. Die Macht der Nationalstaaten erodiert in vielfältigen Formen, unterdessen ächzen die Wohlfahrtsstaaten des Westens unter Schuldenbergen, einem Gewirr von rechtlichen und finanziellen Verpflichtungen und apathischen Bürgern, die sich für große politische Programme nicht mehr begeistern lassen. [...]
"Grenzen des Wachstums" des Club of Rome konnte nur deshalb 1972 zum Weltbestseller werden, weil die meisten Menschen bei aller Wachstumseuphorie nie darüber nachgedacht hatten, dass exponentielle Wachstumsraten auf einem begrenzten Planeten früher oder später in einer Katastrophe enden mussten.
Das Jahr 1945 gilt inzwischen als umwelthistorische Epochenschwelle erster Güte. [...] 
Nahezu alle Parameter, die den Einfluss des Menschen auf seine natürliche Umwelt maßen, schnellten mit beängstigender Geschwindigkeit und Stetigkeit nach oben.[7] Die Folgen sind nicht nur in dem beständig steigenden CO2-Gehalt der globalen Atmosphäre zu erkennen. Sie stecken gleichermaßen in Siedlungsstrukturen und gesellschaftlichen Leitbildern, Ernährungsgewohnheiten und Mobilitätsansprüchen, elektrischen Küchengeräten und Düsenflugzeugen, und all dies erwies sich als ausgesprochen resistent gegenüber den moralischen Appellen, die ab den 1980er Jahren zur transnationalen Klimadebatte gehörten. Einige zentrale Entwicklungen fallen sogar in die Zeit nach dem Erdgipfel von Rio 1992, so etwa der Boom der Billigflieger oder der globale Siegeszug der Klimaanlage. [...]
 Ein Team um den Wissenschaftssoziologen Peter Weingart ging davon aus, dass die Klimadebatte auf ewig in einem Dreieck von Wissenschaft, Medien und politischen Entscheidungsträgern pendeln würde, weil die Akteure im Umgang mit Unsicherheit ganz unterschiedlich gepolt waren. Für Journalisten sei Unsicherheit eine Neuigkeit, für Wissenschaftler Ausgangspunkt für Forschungsprojekte, und die Politik lege am liebsten die Hände in den Schoß, solange nicht alles klar ist. [...]
Der globale Kampf gegen die Wüstenbildung, der ebenfalls auf einer Rio-Konvention basiert, blieb notorisch unterfinanziert, und es ist offen, ob die geplanten Hilfsprogramme für Klimaadaption daran etwas ändern werden. [...]"
(Frank Uekötter: Kleine Geschichte der Klimadebatte, 2019) (Hervorhebungen von Fotanefan)

Freitag, 29. November 2019

Fridays for Future an der Bergstraße und in Berlin

Impressionen





















"What do we want?
When do we want it?

Aus der Rede des 37-jährigen Sebastian:
Ich habe, als beim Warten auf das Fußballspiel im Fernsehen ein Kriegsbericht kam, ausgeschaltet, um meinen 11-jährigen Sohn nicht zu belasten. Aber am Abend fragte er mich: "Wenn das Klima sich um drei Grad erwärmt, kommen dann nicht weit mehr Menschen um als im Krieg?
Wir haben unsere Lebensweise dann völlig umgestellt. Aber: Selbst wenn wir unseren CO2-Ausstoß auf 0 reduzieren könnten, könnten wir eine Klimakatastrophe nicht verhindern. Die Politik muss handeln! Und das heißt auch, dass sie Regelungen trifft.
Beim Rauchen hat sie auch nicht den Bürgern überlassen, auszudiskutieren, in welchen Gastwirtschaften geraucht werden darf.

Diese Rede war seine erste öffentliche Rede. Am Schluss ging er in Publikum zurück, und sein Sohn klatschte mit ihm ab. 

"Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!" Dabei denkt dieser Sohn nicht mehr an seinen Vater. 













Demo am 29.11. in Berlin

Flipped Classroom: Erklärvideos ais Unterrichtsvoraussetzung

Erklärvideos als Unterrichtsvoraussetzung, SZ 28.11.19

"[...] Von Amsberg ist Deutschlehrer, in seinen Videos erklärt er etwa, wie man in einem Satz das Akkusativobjekt findet. Grammatikthemen, sagt er, eigneten sich hervorragend für Videos. 
Doch bevor seine Schüler sie zu sehen bekommen, müssen sie lernen, dass Lernvideos kein Netflix für die Schule sind. Deshalb zeigt er am Anfang ein Video, das erklärt, wie man einen Papierflieger baut, stoppt aber zwischendurch nicht. "Nach 1:26 Minuten ist der letzte ausgestiegen", sagt von Amsberg. Dann erklärt er den Schülern, wie es richtig geht: Alleine sollen sie schauen, nicht zu zweit oder dritt. Sie sollen immer wieder anhalten. Und sie sollen sich nicht berieseln lassen, sondern mitschreiben. Die Notizen kontrolliert von Amsberg. [...]
Die Methode klappt nicht sofort, gibt er zu. Manche Schüler überfordert die Verantwortung, die sie plötzlich erhalten. Mit den Eltern müsse er deshalb viele Überzeugungsgespräche führen. Sein Argument: Statt die Kinder fremdgesteuert durch die Schule zu schleusen, lässt man sie besser am Anfang einmal an die Wand fahren - und zeigt ihnen dann, wie selbständiges Lernen geht. Für von Amsberg heißt das auch: Videos gucken. Aber richtig."

Donnerstag, 28. November 2019

Paul Vallely: Papst Franziskus

Paul Vallely: Papst Franziskus. Vom Reaktionär zum Revolutionär

(sieh engl. Wikipedia: "Vallely concluded that Bergoglio did not actively betray two Jesuit priests, Franz Jalics and Orlando Yorio, into the hands of a military death squad, as some critics had alleged. But he did conclude that with regard to the two priests "Bergoglio behaved recklessly and has been trying to atone for his behaviour ever since.".[7] "Vallely produces evidence to show that Bergoglio, in those years, did set up an escape route for those escaping the military death squads which saved a significant number of people.")

Zitate:
"Er ist nach Rom gegangen, doch immerhin [...] Er trägt den Schlamm der Elendsviertel an seinen Schuhen mit sich." (S.140)

Humberto Miguel Yáñez: "Wenn ich ihn heute sehe, erkenne ich denselben Menschen; er war von jeher eine starke Autorität. Doch seine Beziehung zu den Armen ist tieder geworden." (S.142)

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion konnte er "die Ausbeutung der Armen oder ihre bewusste Marginalisierung als Tatsachen" anerkennen, weil er dabei nicht mehr "mit den Kräften des antireligiösen Marxismus in eine Ecke gestellt zu werden" befürchten musste. (S.144)
Er bemühte sich um die Wiederbelebung der Volksfrömmigkeit im Sinne der Formulierung des Slumpriesters Pater Pepe "Die Befreiung muss bei den Menschen beginnen; sie kann nur von ihnen ausgehen, nicht von einer Ideologie und auch nicht von der Wohltätigkeit" (S.151)
Schon als Bergoglio formulierte Franziskus in "El Jesuita" Im Gebet "ereignet sich dann der Dialog, das Hören und die Verwandlung. Man schaut Gott an, aber vor allem spürt man, dass man von Ihm angeschaut wird. [...] Ich fühle mich, [...] als würde Gott mich an der Hand nehmen." (Vallely: Papst Franziskus, S.159)
"sein Entschluss, sich in kompromissloser Bescheidenheit zu üben, [hatte] etwas von einer Kampfansage gegen seine eigene Persönlichkeit mit ihren dogmatischen und autoritären Charakterzügen" (S.158)

Rabbi Abraham Skorka: "Er ist sich völlig im Klaren darüber, dass er in gewissem Sinn ein revolutionärer Papst sein muss - nicht nur für die katholische Kirche, sondern für die ganze Menschheit" (S.201)
Franziskus zu den Insassen des Jugendgefängnisses, denen er die Füße wusch: "Lasst euch nicht die Hoffnung nehmen." (S.201)

Sieh auch:
Papst Franziskus zu Atomwaffen

Montag, 25. November 2019

Organspende freiwillig oder per Widerspruchsregelung?

"[...] Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat im ZDF heute journal ihren Vorschlag zur Organspende verteidigt. Man müsse erreichen, dass die 84 Prozent, die spenden wollen, am Ende auch spenden können und sich deswegen einfach und unbürokratisch registrieren können, sagte die Grünen-Chefin im ZDF. "Deswegen haben wir den Vorschlag gemacht, dass man das jederzeit auf dem Meldeamt tun kann."
Gemeinsam mit etwa zehn Bundestagsabgeordneten aus allen Parteien hat Baerbock einen Gesetzesantrag erarbeitet, durch den die Organspende weiterhin freiwillig bleiben soll. Dieser Vorschlag steht dem von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn entgegen, der zusammen mit anderen Abgeordneten eine Widersprichslösung fordert: Jeder Bürger soll Organspender sein und wer das nicht möchte, muss aktiv widersprechen. [...]"
zdf.de 1.4.2019

Umfrageergebnis für Wagenknecht und ihr Kommentar

"Meine Regionalzeitung schreibt am 22. November auf der ersten Seite: „Wagenknecht löst Merkel ab“. Das wäre ja ganz toll, wenn es um die Kanzlerschaft ginge. Es geht aber um eine Umfrage, wie die NachDenkSeiten am 21.11. schon berichtet haben. Dass Sie auf der Beliebtheitsskala dieser Umfrage Angela Merkel überholt haben, ist bemerkenswert und erfreulich. Aber: Was ist das wert? Was machen Sie aus diesem Potenzial? [...]
Aufgabe einer linken Partei ist es, die zu vertreten, die um ihren Wohlstand immer härter kämpfen müssen, also die Leidtragenden der neoliberalen Globalisierung, nicht die Gewinner. [...]
Die urbanen Besserverdiener sind heute die wichtigste Wählergruppe der Grünen, aber in zunehmendem Maße auch von SPD und Linken. Es ist die Denkweise und Lebenswelt dieses sozialen Milieus, ihre Sicht auf die Globalisierung, die Zuwanderung, die EU und den Nationalstaat, die heute als „links“ gelten, während Ansichten, die früher sozialdemokratischer Mainstream waren, plötzlich unter Nationalismus- oder gar Rassismusverdacht stehen. Im Ergebnis hält die Mehrheit der Arbeiterschaft und der Ärmeren „links“ heute für eine Ideologie der Herrschenden, der Profiteure der neoliberalen Globalisierung, und hat damit nicht ganz unrecht. Das ist eine gravierende Fehlentwicklung. Eine Linke, die sich von den benachteiligten Schichten und deren Interessen entfernt, trägt damit auch Mitverantwortung für den Aufstieg der Rechten. Gleichzeitig zeigt beispielsweise der letzte Wahlkampf der dänischen Sozialdemokratie, dass die Linke mit einer populären und an den Wünschen der Mehrheit orientierten Strategie die Rechtsparteien erstaunlich schnell wieder kleinmachen kann. Das wäre auch in Deutschland möglich. [...]"
https://www.nachdenkseiten.de/?p=56623

Angeeignete Stimmen

Afrikanische Musik: Geraubte Stimmen Von Ronald Radano
Vor dem Ersten Weltkrieg nahmen Feldforscher in den deutschen Kolonien rund 2500 Wachswalzen mit afrikanischer Musik auf. Von Historikern kaum beachtet, liegen die Tonträger seither im Berliner Phonogramm-Archiv. Gespeichert ist auf ihnen mehr als nur Gesang. [...]

"Die beiden "Schönen", wie Weule sie nennt, ein Geograf, Philologe und Mitarbeiter des Berliner Museums für Völkerkunde, seien an den Trichter des Phonographen herangetreten [...] Zuerst habe die eine "vor dem Apparat einen tadellosen Hofknicks" gemacht und gesprochen: "Kwa heri, sauti yangu, Lebe wohl, meine Stimme!" Sodann habe die andere die Prozedur wiederholt. [...]"
https://www.zeit.de/2019/48/afrikanische-musik-kolonialzeit-wachswalzen-aufnahmen-karl-weule/komplettansicht

Für mich schwingt in dem "Lebe wohl, meine Stimme!" etwas von Benjamins "Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit" mit und - deutlich weniger -von "Open Source". Denn es wird ja nicht freiwillig und bewusst eine Lizenz zur Weiterverwendung gegeben.
Aber aus der deutschen Fassung der afrikanische Aussage lässt sich zweierlei herauslesen: Der Verlust der Aura und der Abschiedssegen vor der Reise in die ferne Welt, fern durch Raum und Zeit.
Radano bemüht sich, den Indigenen gerecht zu werden, indem er die kolonialisierenden Weißen kritisiert. Aber die historisch erstmalige Situation, dass diese Stimmen über Zeit und Raum hinweg (natürlich unter Verlust eines erheblichen Anteils ihrer Authentizität!) transportiert werden können und dass dies - aufgrund der damaligen technischen Gegebenheiten - nur über die Ausrichtung der Stimme auf den Schalltrichter möglich war, stellt er zwar dar, bringt es aber nicht zur Sprache.
Wie der einmal der Fall, dass uns ein historischer Vorgang aufgrund seines zeitlichen Abstands unsere Gegenwart besser verstehen lehrt. 
Ronald Radano hat ja Recht, aber die unberechtigte Aneignung wird zum Geschenk für die Nachwelt. Der "Stimmenraub" ist wie eine Verfremdung der archäologischen "Grabräuber", denen wir so viel unserer Kenntnis der Vorgeschichte und Selbsterkenntnis unser eigenen Zeit verdanken.



Zu den öffentlichen Impeachment-Anhörungen

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/impeachment-anhoerung-adam-schiff-gegen-jim-jordan-16500525.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

Mittwoch, 20. November 2019

Bernd Ulrich: Alles wird anders. Das Zeitalter der Ökologie

Bernd Ulrich: Alles wird anders, 2019

Zitate:

"Nur 16 der 197 Länder, die das Pariser Abkommen unterzeichnet haben, haben überhaupt einen nationalen Klimaaktionsplan definiert, um die Zusagen zu erfüllen. Dies geht aus einer Studie vor, die im Vorfeld der UN-Klimakonferenz COP24 im polnischen Kattowitz
Im November 2018 veröffentlicht wurde. [...]
Man darf die Größe der politischen Leistung von Paris gleichwohl nicht unterschätzen. Pathetisch gesprochen: So viel Menschheit waren noch nie. Unglücklicherweise steht die Natur nun nicht etwa staunend daneben und beklatscht dieses komische Ding namens Mensch, das sich da in ihr gebildet hat." (S.35/36)


Ist es Zufall oder Notwendigkeit, dass es die westlichen weißen Demokratie ihren bisher nie ohne Ausbeutung anderer Länder, andere Ethnien, der Frauen – und eben der Natur gegeben hat? Kann unser liberales Gesellschaftsmodell existieren, ohne sich mehr Ressourcen zu nehmen als andere und die Erde und die Atmosphäre mehr zu verschmutzen als andere und mehr, als es verantwortbar ist? [...]
 sollten sich westliche Demokratie und Ausbeutung als siamesische Zwillinge erweisen, dann liest sich auch das vergangene Jahrhundert künftig anders." (S.87/88)


Was die heutigen Regierungen sich weltweit leisten, ist "die Verwandlung der Freiheit in Zwänge". (S.157)

"Niemand weiß zurzeit, wie lange diese Zeitzone der Freiheit dauert, aber man weiß, dass es sie gibt. Freiheit hat neuerdings ein Verfallsdatum." (S.160)

"Das Insistieren auf überkommenen Privilegien ist jedoch nicht freiheitlich, es ist feudal." (S.163)
(Anmerkung Fontanefan: Das Wort libertas bedeutete im frühen Mittelalter noch Vorrecht. - Das steht leider noch nicht in der Wikipedia.)

S.165 schreibt Ulrich dem Sinne nach: Alles, was wir heute falsch machen, ist eine Chance, es besser zu machen. Es gibt Tausende von Chancen für jeden einzelnen.

"Die Klassenkämpfe konnten den Kapitalismus nicht brechen, die Klimakämpfe könnten ihn dagegen aus seinem Wahn befreien." (S.182)
(sieh: Naomi Klein: Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima)

"Die autoritären Bewegungen [...] sind auch schon Vorboten einer aggressiven Antiklima-Bewegung" (S.194)



Ich parke hier mal einen Twitter-thread über Klimaleugner.

Montag, 18. November 2019

Ojo Publico: Geschichten, die andere nicht erzählen wollen

Ojo Publico ist ein venezolanisches Internetmagazin, das es unternimmt, Machtmissbrauch aufzudecken, den andere Medien nicht zu benennen wagen. Oder, für die andere Medien sich nicht engagieren, indem sie gar nicht erst versuchen, genauer zu recherchieren. Denn solche Recherchen sind natürlich nie ganz ungefährlich.
Ob es sich um staatliche Macht handelt, mafiöse Strukturen oder um offen kriminelle Banden, wer Macht hat, hat auch die Chance, das Aufdecken seiner Methoden zu "bestrafen".
In Kooperation mit Ojo Publico arbeitet Ojobionico, das auf Faktencheck spezialisiert ist.

Sonntag, 17. November 2019

Stiftungen zur Förderung von Studierenden und soziale Ungleichheit

https://taz.de/Stiftungen-foerdern-soziale-Ungleichheit/!5637088/

Strategiepapier elektrische Pkws

Ich verlinke mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass ich die Korrektheit der Informationen nicht beurteilen kann. 
"[...]In anderen Ländern, deren Stromproduktion weniger als bei uns von Kohlekraftwerken abhängig ist, zum Beispiel in der Schweiz, Österreich, Norwegen oder Frankreich, haben die Diskussionen über Strompreise und CO2-Emissionen für die Zukunftstechnologie von Pkws weit geringere Relevanz. Dort sind die Marktanteile von Elektroautos bereits deutlich höher als hierzulande.[...]"
http://www.eti.kit.edu/img/content/Strategiepapier%20Elektroautos%20Stand%202019-10%20V1.5.pdf

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Martin Doppelbauer, Professur für Hybridelektrische Fahrzeuge, ist eindeutig Partei; aber andererseits vermutlich auch sachkundig.

Freitag, 15. November 2019

Klimaschutz ist bezahlbar

"[...] Die Nationen könnten den Klimawandel nach wie vor noch rechtzeitig bewältigen und auch ihren Wohlstand erhalten – ja sogar steigern. Allerdings dürfen sie sich dabei nicht mehr viele Fehler erlauben. Vor allem Europa nicht, das seit der Erfindung der Dampfmaschine im 18. Jahrhundert sämtliche Vorteile der Treibhauswirtschaft genossen und deren Kosten auf dem Planeten abgeladen hat. Die Europäer waren es, die jenes verheerende Produktions- und Konsummodell schufen, das die anderen Nationen verführte. Anders als die Vereinigten Staaten fördern sie heute kaum noch Öl und Gas und haben daher auf dem Weg zu einer klimaschonenden Wirtschaft weniger zu verlieren. Egal also, ob man es moralisch oder pragmatisch betrachtet: Wenn Europa nicht bald demonstriert, dass es auch anders geht, dann wird es niemand tun. Von hier aus muss das neue Denken wie eine Welle um die Erde gehen.
Warum auch nicht? Alles noch (!) denkbar, machbar, bezahlbar – und glücklicherweise ziehen die Jugendlichen von "Fridays for Future" und die neuesten Umweltkatastrophen alle Aufmerksamkeit aufs Klima. Ein historischer Moment, keine Frage. [...]

Der Kapitalismus war zum Beispiel in der Lage, die ganze Erde binnen weniger Jahre mit einem Netz von Milliarden Smartphones zu überziehen und damit die Kommunikation der Menschen, ihr soziales und politisches Leben neu zu definieren. Warum sollte er das mit dem Klima nicht können?
 Tatsächlich arbeiten schon heute unzählige Unternehmer und Forscher an Lösungen für die große Null, die am Ende überall stehen muss. Sie entwickeln Elektro- oder Wasserstoffantriebe für Schiffe und basteln an klimaneutralen Flugzeugen. Sie lassen im Kleinen schon die Null in der Landwirtschaft oder am Bau wahr werden. Oder sie versuchen, die Erde abzukühlen, und düngen beispielsweise das Meer mit Eisen, damit das Plankton rasend wächst und mehr CO2 aufnimmt. Andere wollen mit riesigen Staubsaugern ungeheure Mengen Luft von Treibhausgasen reinigen. Ja, auch dieser gefährliche Zauber gehört zur Klimarettung: Geoengineering nennt sich die Disziplin.
 Verteilt über die Kontinente ist eine kleine Forscher-Armee dabei, die Blaupausen für die Klimarettung zu entwerfen. Was sie brauchen, ist ein fairer Wettbewerb mit den herkömmlichen und schädlichen Techniken, die vielfach – auch in Deutschland – noch subventioniert oder von starken Lobbyisten und ihren Lieblingspolitikern gehätschelt werden. Und dann brauchen sie die Null! Also die klare Vorgabe, dass ab einem bestimmten Datum kein Treibhausgas mehr Fabriken und Autos, Landflächen und Flugzeuge verlassen darf. [...]

Klima könnte das größte Geschäft des 21. Jahrhunderts werden – gerade für die Deutschen, die vor 20 Jahren schon einmal führend waren bei der Umwelttechnik und der Umweltpolitik und die dann abkamen vom grünen Weg. Das Land der Ingenieure und Exporteure, der Mülltrenner und Waldschützer muss diesmal vorneweg laufen. Nach dem Silicon Valley darf nicht auch noch das Climate Valley weit weg am Pazifik entstehen."
(Klimaschutz ist bezahlbar ZEIT 36/2019 29.8.19)

Wenn die Chinesen Rügen kaufen

"Parag Khannas Buch beginnt mit einer Erinnerung an den Mai 2017. Damals trafen sich in Peking Vertreter aus 68 Ländern, die Hälfte des weltweiten Bruttoinlandsprodukts, zum ersten Gipfel der chinesischen Belt and Road Initiative, zum Start der Neuen Seidenstraße also. Beginnen wir mit Delius. Sein Roman ist das 2017/18 spielende Tagebuch eines entlassenen Redakteurs, der sich Gedanken über den Weltlauf macht. Um ihre Großbanken zu retten, notiert er, treiben die Europäer Griechenland in den Ruin. Das Land muss u.a. den Hafen von Piräus verkaufen und begibt sich damit auch politisch in Abhängigkeit des den Weltmarkt erobernden China. [...]"

https://www.fr.de/kultur/parag-khanna-friedrich-christian-delius-wenn-chinesen-ruegen-kaufen-13220635.html

Friedrich Christian Delius: Wenn die Chinesen Rügen kaufen, dann denkt an mich, 2019

 Parag Khanna: Unsere asiatische Zukunft, 2019

Yanis Varoufakis: „Die ganze Geschichte“

Donnerstag, 14. November 2019

Jeremy Rifkin ein Vorreiter bei der Reflexion über die Folgen von Klimawandel und künstlicher Intelligenz

"Viele Deutsche fühlen sich vom Klimaschutz bedroht. Kein Wunder, meint der US-Vordenker Jeremy Rifkin: Ihnen fehlt eine kluge Erzählung.

Man kann sich Jeremy Rifkin vorstellen wie den Igel im Märchen Der Hase und der Igel, in dem das Stacheltier immer schon am Ziel steht, wenn der Hase heraneilt. Der 74-jährige Vordenker aus dem US-Staat Colorado ist immer schon da. Internet? Sharing-Ökonomie? Grundeinkommen und digitale Arbeit? Fleischloses Essen? Klimawende und Wasserstoffrevolution? Rifkin hat all die Trendthemen längst in Büchern beschrieben, in Reden beschworen, in Beratung von Firmen und Staaten umgesetzt. [...] 
Wenn alle Veränderung Stückwerk bleibt und nicht von einer gemeinsamen Story zusammengehalten wird, ist jeder Schritt ein Grund zur Sorge. Der Umgang mit dem Internet und seinen Daten zum Beispiel. Auch der Ausbau der Netze, die Einführung einer CO₂-Steuer. Und selbst Technikträume wie selbstfahrende Autos und selbstfliegende Taxis. In einer solchen Stimmung wird mehr reguliert als reformiert, mehr debattiert als innoviert. [...] 
Deutsche Firmen starteten einst mit der Produktion von Solarpanels, dann haben die Chinesen die Kosten radikal vermindert. Was die hiesigen Hersteller Dumping nennen, trieb eine Preisrevolution voran. In nicht allzu ferner Zukunft könnten die fossilen Brennstoffe schon deshalb ihre Bedeutung verlieren. "Gas", sagt Rifkin trocken, "lohnt sich bald nicht mehr." 
Eigentlich erfreulich, aber hier beginnt Rifkins Horrorszenario: Die fossile Welt löst sich aus Preisgründen auf, Pipelines werden geschlossen, alte Energieleitungen werden obsolet. Und es gibt keine Neuen! 
Man stelle sich also vor, die Revolution, auf die alle Klimaschützer gewartet haben, kommt, und die Infrastruktur ist nicht da. Laut Rifkin muss der Staat sie bauen, schnell und entschlossen. Überlässt man dagegen alles dem Markt, kommt die Wende zu spät oder wird durch Monopolfirmen ausgebeutet. Damit das Projekt gelingen kann, bedarf es eben der großen Erzählung, sonst verliert man erstens die Menschen und vermasselt zweitens die Ökowende. [...] 
In Deutschland herrschte vor 20 Jahren schon einmal die Überzeugung, dass nicht nur die Welt dringend ohne das Klimagift CO₂ auskommen muss, sondern die Pioniere dieser Bewegung auch neuen Wohlstand und neue Jobs schaffen. Auf wen also soll Angela Merkels Nachfolger(in) nun hören, um diesen Pioniergeist wieder zu beleben? Nur auf die heimischen Klimaexperten. Vielleicht bedarf es neben schlimmer Prognosen, neben neuer Steuern und Förderkonzepte wirklich einer Story. Vielleicht braucht es einen Rifkin. Der beendet das Treffen in Berlin fast lakonisch. "Wir haben 20 Jahre, um diesen schönen Planeten zu retten", sagt er leise lächelnd. "Ich hoffe, es gelingt." "
(Klimaschutz : So sieht die Zukunft aus Von Uwe Jean Heuser, ZEIT 47/2019, 14.11.19)

Jeremy Rifkin: Der globale Green New Deal, 2019


In der Wikipedia:
"[...] In 1989, Rifkin brought together climate scientists and environmental activists from 35 nations in Washington, D.C. for the first meeting of the Global Greenhouse Network.[18] In the same year, Rifkin did a series of Hollywood lectures on global warming and related environmental issues for a diverse assortment of film, television and music industry leaders, with the goal of organizing the Hollywood community for a campaign. Shortly thereafter, two Hollywood environmental organizations, Earth Communications Office (ECO) and Environmental Media Association, were formed.[19]

In 1993, Rifkin launched the Beyond Beef Campaign, a coalition of six environmental groups including Greenpeace, Rainforest Action Network, and Public Citizen, with the goal of encouraging a 50% reduction in the consumption of beef, arguing that methane emissions from cattle has a warming effect 23 times greater than carbon dioxide.[20][21][22]

His 1995 book, The End of Work, is credited by some with helping shape the current global debate on automation, technology displacement, corporate downsizing and the future of jobs. Reporting on the growing controversy over automation and technology displacement in 2011, The Economist pointed out that Rifkin drew attention to the trend back in 1996 with the publication of his book The End of WorkThe Economist asked "what happens... when machines are smart enough to become workers? In other words, when capital becomes labor." The Economist noted that "this is what Jeremy Rifkin, a social critic, was driving at in his book, "The End of Work," published in 1996... Mr. Rifkin argued prophetically that society was entering a new phase, one in which fewer and fewer workers would be needed to produce all the goods and services consumed. 'In the years ahead,' he wrote, 'more sophisticated software technologies are going to bring civilisation ever closer to a near-workerless world. The process has already begun."[23]" (engl. Wikipedia)

"The Age of Access (2000; deutsch Access) beschäftigt sich mit dem Einfluss der Globalisierung auf die kulturelle Identität und warnt vor der vollständigen Ökonomisierung unseres Lebens. Kernthese: Das Industriezeitalter sei endgültig vorüber, der Kapitalismus ändere sich radikal. „Access“, der rasche Zugang und Zugriff auf Ideen, Güter und Dienstleistungen zähle in der bereits sich heute herausbildenden Zugangsgesellschaft mehr als dauerhafter und schwerfälliger Besitz. Rifkin entwirft das Bild vom „Zeitalter des Zugangs“.[17] Er verwendet außerdem den Begriff Proteische Persönlichkeit, mit dem er durch moderne Kommunikationsmittel sozial vernetzte Personen bezeichnet, die auf dem Weg zu einer Entindividualisierung sind, und bezieht sich dabei auf Jean Baudrillard.[18]
Rifkin verwendet den Begriff Zugangsgesellschaft (englisch access society) in einer anderen Bedeutung als Jonathan Simon.[19] Er bezeichnete damit einen gesellschaftlichen Wandel, der unter anderem durch das Internet ausgelöst wurde.[20] Der Zugang zu Angeboten bzw. Ressourcen lässt sich in zwei Gruppen unterteilen:
  • Kommerzielle Angebote, die durch Unternehmen oder Privatpersonen zur Verfügung gestellt werden. Hauptmotivation ist hier das Geldverdienen. Kommerzielle Angebote können nur von Menschen genutzt werden, die sich das leisten können. Im Fall von Arbeitslosigkeit ist das nur noch eingeschränkt möglich. Ein Beispiel ist das Carsharing.[6]
  • Kostenlose und freie Angebote, die der Einzelne oder eine Gemeinschaft erstellt haben. Die Hauptmotivation geht hier in Richtung Schenken, Teilen, Sich-Ausdrücken, Kreativität. Im Umfeld digitaler Produkte insbesondere auch im Zusammenspiel mit dem Internet ist hier von Bedeutung, dass durch das Teilen oder Kopieren keine zusätzlichen Kosten neben der Herstellung entstehen (Null-Grenzkosten). Beispiele sind Diskussionsforen im InternetWikisOpen Source-Produkte." (deutsche Wikipedia)

Datenschutz

"[...] für Erwachsene ist Datenschutz, Persönliches vor dem Staat und Unternehmen verbergen zu können. Für Kinder und Jugendliche aber bedeutet Datenschutz, Persönliches vor den Eltern verbergen zu können. Während Apps wie WhatsApp bei vielen Kindern kontrolliert werden, bleibt der Chat im Comic-haften Spiel Clash of Clans vor den elterlichen Augen geschützt. 2019 ist bei vielen amerikanischen Teenagern der beliebteste Chat der von Google Docs, der Plattform für Textverarbeitung von Google. Der lässt sich nämlich auch vom Laptop aus ansteuern, zum Beispiel bei den Hausaufgaben oder im Unterricht. Oder wenn man Social-Media-Verbot hat." (Sascha LoboRealitätsschock, S.374/75) 

Ähnliches gibt es freilich auch bei Erwachsenen. Wie viele Eheschwierigkeiten haben sich dadurch ergeben, weil der Datenschutz gegenüber der PartnerIn nicht funktioniert hat?


Reaktion von Bildungsinstitutionen auf die Digitalisierung

"Angesichts des mittlerweile über Jahrzehnte andauernden Versagens der Bildungsinstitutionen, im Rahmen der formalen Bildung, einen angemessenen Umgang mit der Digitalisierung auf Basis professionellen Verstehens der Digitalisierung für den Bildungskontext zu entwickeln und zu leben, verlieren die öffentlichen Bildungsinstitutionen schleichend an Wert für die zentralen Aufgaben, die sie eigentlich erfüllen sollten. [...]
Übertriebene politische Korrektheit verbunden mit dem Wegbrechen einer nicht populistischen Debattenkultur sollte eigentlich nicht möglich sein, wenn Schulen Menschen zu mündigen Bürger*innen erziehen." (Herr Larbig: Versuch über das Versagen von Bildungspolitik und Schule angesichts der Digitalisierung der Welt, Oktober 2019)

Mittwoch, 13. November 2019

Sascha Lobo zur Plattform-Ökonomie

Die Plattform-Ökonomie zieht herauf, und  Kylie Jenner zeigt, welche Marktmacht sich damit freisetzen lässt, welche Konsumkraft so entfaltet werden kann. Eine Plattform ist technisch gesehen eine digitale Infrastruktur, auf der zwei oder mehr Gruppen interagieren können. Man muss sie als neue Unternehmensform verstehen,  die überhaupt erst mit dem Internet möglich geworden ist. Dabei entstehen digitale Ökosysteme, das heißt, nicht nur die Plattform profitiert wirtschaftlich, sondern auch eine größere Zahl von Kooperationspartnern. [...] Uber funktioniert auch nach dem Plattform-Prinzip und attackiert seine Konkurrenten so aggressiv, als wolle es sie vernichten." (Sascha Lobo: Realitätsschock, S.338)
"Der Realitätsschock der Ökonomie hat mehrere Dimensionen. Digitale Plattformen erobern mit großer Radikalität einen Markt und eine Branche nach der anderen. Viele ökonomische und gesellschaftliche Probleme beruhen darauf, dass wir bis heute nicht herausgefunden haben, wie Plattformen richtig reguliert werden können." (S.340)
"Facebook hat 2017 in Großbritannien Einnahmen von etwa anderthalb Milliarden Euro erzielen können und davon rund neun Millionen  Euro  Steuern gezahlt. Das ist nicht einmal ein Prozent. Amazon hat 2018 auf über elf Milliarden Dollar Gewinn in den USA null Dollar 'federal taxes' gezahlt und 129 Millionen Dollar Erstattungen bekommen. Ähnliche Zahlen sind von fast allen großen Digitalunternehmen bekannt. Das Problem ist, dass solche Tricks zumeist legal sind. Das liegt neben politischen Versäumnissen auch daran, dass das Steuerrecht in seinen Grundzügen noch auf der alten Wirtschaft mit dinglichen Produkten und klassischen Dienstleistungen beruht." (S. 341)
Bei Plattformen greifen die klassischen Konsumtheorien von der Bedürfnisbefriedigung nicht mehr:
 "Digitale Plattformen haben eine katalytische Funktion, sie verwandeln ganze Märkte in Gefühlslandschaften. Drei Gefühle sind dabei ausschlaggebend:
  • Begeisterung
  • Ungeduld
  • Bequemlichkeit 
(S. 347)

Begeisterung: "Nutzungsfreude" tritt an die Stelle von Zweckmäßigkeit.
Ungeduld: "Wenn im Plattform–Kapitalismus das Ziel nur einen einzigen Klick oder Touch entfernt ist – dann ist der beste Weg dorthin, impulsive Gefühle der Verlockung zu erwecken." (S.352/53) Das gelingt den großen Plattformen vorzüglich. Was einmal das Kaufhaus Harrods in London war, ist jetzt Amazon. Und zwar zu Hause. Man kann sofort alles kaufen. (Bei Harrods hieß es: sogar Elefanten.) Das führt zum Aspekt:
Bequemlichkeit: "[...] die Beqemlichkeit des Menschen ist zuverlässiger und wirksamer als die Schwerkraft" (S.354) Interessanterweise gelingt es dabei trotzdem, dem Kunden jede Menge Arbeit anzuhängen, die früher der Verkäufer leistete: Beratung, Heraussuchen des Produkts aus der Fülle des Angebots, Zusammenstellung aller Daten für die Rechnung und Überweisung auf das Konto des Verkäufers. Auch wenn die Kunden dabei fluchen. Sie nehmen dem Verkäufer die Arbeit ab. Es treibt sie die Ungeduld (s.o.).*

"In anderthalb Jahren haben zwei große Plattformen den Werbemarkt halb leer gesaugt. Geld, das zuvor in der Regel bei Medienunternehmen ausgegeben wurde – nur dass Google und Facebook selbst keine Inhalte produzieren. Selbst die lange resistent scheinende Fernsehwerbung beginnt zu schwächeln. Wachstum im Werbemarkt findet etwa seit 2016 weitgehend auf Plattformen statt, alle anderen befinden sich entweder noch im Sink- oder schon im Sturzflug.
Diese Marktbeherrschung und das aggressive Gebaren der Plattformen haben eine merkwürdige Volte der Kapitalismuskritik hervorgebracht: Großkonzerne des 20. Jahrhunderts plädieren traurig-trotzig für Gerechtigkeit, vor allem ihnen selbst gegenüber. Sie fanden wenig regulierte Märkte so lange gut, wie sie davon profitierten. Nun schreien sie nach der Politik weil sie von Google, Facebook, Amazon selbst eine Lektion in neoliberaler Marktkunde erhalten haben.
Auf der anderen Seite findet man einen Teil der Zivilgesellschaft, der aus schwer nachvollziehbaren Gründen bereit ist, Digitalkonzernen fast alles durchgehen zu lassen."

*(s.o.)
(Sascha Lobo: Realitätsschock, S.358/59)

Sieh auch:
Sascha Lobo über Kylie Jenner

Kylie Jenner, die jüngste Selfmade-Milliardärin

"Kylie Jenner ist nicht nur die jüngste Selfmade-Milliardärin, sondern auch, wie Forbes bemerkt, die erste Selfie-made-Milliardärin – im Wortsinn, denn Jenner ist selbst ihr häufigstes Bildmotiv auf Instagram." (Sascha Lobo: Realitätsschock, S.335)

"Ende 2016 hat Kylie Jenner nach nicht einmal einem Jahr über 300 Millionen Dollar Umsatz gemacht. Sie eröffnet einige Pop-up-Stores, Kurzzeit-Läden, in Los Angeles, die in wenigen Tagen Zehntausende Kundinnen anziehen. Aber diese Form des Handels dient eher als Event denn als Marketingmaßnahme. Das Internet, die sozialen Medien bleiben Jenners Heimat." (S.337)

"Viele gewöhnliche Nutzer fühlen sich einer Plattform gegenüber regelrecht ausgeliefert, aber das gilt nicht mehr auf der Ebene von Kylie Jenner. Dort kann  sich das Machtverhältnis umdrehen. Als Jenner twittert, dass sie den Instagram-Konkurrenten Snapchat wegen eines Updates nicht mehr nutzen wolle, fällt der Aktienkurs des Unternehmens um acht Prozent. Und erholt sich wieder, als sie nachschiebt, dass sie Snapchat trotzdem nicht verlassen wollte. Das Update wird rasch angepasst." (S.338)

Query-Realität

Michael Seemann hat herausgefunden, dass über das Internet eine neue Art von Öffentlichkeit entsteht:

"Eine dritte Form von Öffentlichkeit hat sich längst parallel gebildet. Nur war sie mit herkömmlichen Denkungsarten des Medienverständnisses nicht beobachtbar.

  • Die Öffentlichkeit der Google-Suche: Egal, ob ein Blog 3 oder 300.000 Leser am Tag hat. Wenn es über mich schreibt, wird derjenige, der nach meinem Namen sucht, den Eintrag finden. Denn die Kombination seiner Suchworte bestimmt diese Öffentlichkeit. 
  • Die Öffentlichkeit der eigenen Twitter-Timeline. Es lesen nicht viele Menschen, was ich twittere, das ist auch nicht nötig. Es abonnieren sich meinen Twitter-Stream nämlich nur diejenigen, die sich wirklich dafür interessieren, was ich schreibe. Die Öffentlichkeit meiner Twitter-Nachrichten strukturiert sich aus der Konfiguration ihrer Abonnemententscheidungen. 
  • Die Öffentlichkeit des Data-Minings. Auch das gehört dazu, dass die Daten, die ich preisgebe, nicht nur in der Weise genutzt werden, wie ich es mir im Vorhinein vorstelle. Sondern dass sie angereichert werden mit anderen Daten und dass darauf Anfragen getätigt werden, von denen ich heute keine Vorstellung habe. 

Die Öffentlichkeit meiner Daten bestimmt sich aus der Geschicklichkeit der verknüpfenden Algorithmen solcher Dienste. Kurz: Man muss im Internet die Öffentlichkeit von der anderen Seite, der Seite des Empfängers, aus neu denken. «Query» bezeichnet in der Datenbanktechnik eine Anfrage beliebiger Komplexität an einen Datensatz. Die neue Struktur von Öffentlichkeit nenne ich deswegen «Query-Öffentlichkeit»."
(Seemann: Vom Kontrollverlust zur Filtersouveränität In: #public_life: Digitale Intimität, die Privatsphäre und das Netz Heinrich-Böll-Stiftung Berlin 2011. S. 74–79)

Dazu schreibt Sascha Lobo in "Realitätsschock":
"Das bedeutet, dass quer durch die sozialen Medien ein gigantischer Sturm der Empörung gehen kann – von dem die meisten Nutzer nichts mitbekommen. Bis sie auf ein Stichwort klicken oder zufällig jemanden abonniert haben, der sich an der Empörung beteiligt. Enge Kontakte und Freunde können in einem zerstörerischen Sturm der Empörung stehen, ohne dass man es zwingend bemerken muss, obwohl man zur gleichen Zeit auf demselben Netzwerk unterwegs ist." (S. 312/313)

Das mag bei Empörungsstürmen nicht einmal so problematisch zu sein. Ganz gefährlich wird es, wenn Netzteilnehmer bösartigen Pranks (sieh auch:  Pranknetund Swatting ausgesetzt sind.*

Aber auch bei Empörungsstürmen, die sinnvoll und moralisch gerechtfertigt erscheinen, kann leicht eine Grenze überschritten werden denn "Zwischentöne funktionieren auf Twitter so gut wie Schwimmflügel bei einem Eisenbahnunfall." (Lobo in "Realitätsschock", S.315)

*Dabei ist zu beachten: 
"[...] für Erwachsene ist Datenschutz, Persönliches vor dem Staat und Unternehmen verbergen zu können. Für Kinder und Jugendliche aber bedeutet Datenschutz, Persönliches vor den Eltern verbergen zu können." (Sascha Lobo in "Realitätsschock", S.374)
Zum Beispiel, wenn man Social-Media-Verbot hat. Dann kann es passieren, dass das Kind Belastungen ausgesetzt ist, die die Eltern ihrem Kind unbedingt ersparen wollen. Aber sie erfahren nichts darüber.

Montag, 11. November 2019

Wenn man nachts aufwacht ...

5 Tipps

https://www.helios-gesundheit.de/magazin/gesunder-schlaf/news/5-tipps-vom-experten-fuer-besseres-durchschlafen-in-der-nacht/

Mit dem Ökosystem lässt sich nicht reden

Das Ökosystem der Erde hat sei über 2 Millionen Jahren so stabile Bedingungen geschaffen, dass sich die Menschheit entwickeln konnte. 
Seit 10 000 ist das Klima noch einheitlicher und es haben sich viele Hochkulturen entwickelt. Manche sind zusammengebrochen, nicht selten, weil sie vorhandene Ressourcen übernutzt haben, aber ebenso auch, weil eine neue herrschende Schicht sich nicht darauf verstand, die komplexen gesellschaftlichen Voraussetzungen zu bewahren. 
Gegenwärtig ist die Weltgesellschaft so eng vernetzt, dass es zwar viele politische Gegensätze, aber für über 99% der Weltbevölkerung nur noch eine gemeinsame  Reproduktionsgrundlage gibt. 
In dieser Situation wird erkennbar, dass diese Grundlage von der Menschheit insgesamt übernutzt wird. Die Auseinandersetzung geht jetzt darum, wer wie viel dazu beitragen soll, dass die Folgen nicht für alle unerträglich werden.
Dazu einige Anmerkungen:
"Ein gefährliches Täuschungsmanöver besteht darin, dass so getan wird, als gelte es, einen künftigen Klimawandel zu verhindern. Die Wahrheit ist, dass der Klimawandel längst da ist. Neue wissenschaftliche Daten zeigen, dass sich der Golfstrom seit Mitte des 20. Jahrhunderts um 15 Prozent verlangsamt hat mit großen Auswirkungen auf das Klima.
Gleichzeitig beobachten wir ein rapides Abschmelzen des arktischen Meereises und des Grönlandeises. Damit verbunden ist ein kontinuierlicher Anstieg des Meeresspiegels mit existenziellen Bedrohungen für niedrig gelegene Inseln und für die zahlreichen Megastädte an Meeresküsten. Unübersehbar ist die Zunahme verheerender Wirbelstürme in der Karibik und im nördlichen Pazifik. Der Bericht der World Meteorological Organization (WMO) von 2018 besagt, dass die 20 heißesten Jahre weltweit in den letzten 22 Jahren waren. Die vergangenen vier Jahre waren zudem die vier wärmsten, seit gemessen wird. [...]"
Wir wissen heute, dass die Kosten für die Reparatur von Umweltschäden um ein Vielfaches höher sind als die Kosten der Schadensvermeidung. Das Umweltbundesamt hat errechnet, dass die durch den deutschen CO2-Ausstoß verursachten Umweltschäden allein im Jahr 2016 satte 164 Milliarden Euro betragen. Noch schlimmer sind Klimaschäden, denn sie sind praktisch irreparabel. Der Weltklimarat warnt eindringlich, dass wir vor einem planetaren Notstand stehen, weil sich das Zeitfenster für Gegenmaßnahmen schnell schließt. Die Experten sagen außerdem, dass die Kosten weiterer Untätigkeit katastrophal sein werde.
Die Erkenntnis hieraus lautet: Wachstumsphantasien, kurzatmige Konjunkturprogramme und populistische Wohlstandsversprechen sind ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können. [...]
Wenn Klimaschutz ernst gemeint ist, warum nicht gesetzliche Regelungen, die den Erholungsurlaub in Mecklenburg-Vorpommern oder das Bergwandern im Allgäu attraktiver machen? Wirksame Abhilfe wäre so einfach: Verbot von Inlandsflügen, Tempolimit auf Autobahnen, kostenloser öffentlicher Nahverkehr, Abschaltung der veralteten Kohlekraftwerke. Mit ein paar Federstrichen könnte sehr viel für das Klima getan werden.
Unbezahlbar?? Nein! Die langfristigen (Umwelt- und Klima-) Schäden der CO2-Wirtschaft sind ungleich teurer. Die Idee, mit neuer Technik die negativen Folgen alter Technik zu beseitigen, ist problematisch. [...]"
Zitate sieh: Peter Vonnahme: Nichts wird so bleiben wie es ist, heise.de 29. Oktober 2019
Peter Vonnahme war bis zu seiner Ruhestandsversetzung 2007 Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München.

"Alle sind so daran gewöhnt, dass sich alles ihren eigenen Bedürfnissen anpasst. Die Menschen sind wie kleine, verwöhnte Kinder. Und mit uns Kindern wird gemeckert, weil wir angeblich faul und verwöhnt sind. Ich weiß, dass wir, die wir Asperger haben, nicht fähig sind, Ironie zu verstehen, weil es so in allen Beschreibungen steht, die irgendwelche alten Leute über Menschen wie mich verfasst haben. Und trotzdem glaube ich, dass man Ironie nicht viel besser beschreiben kann als damit." (Greta Thunberg in: Szenen aus dem HerzenS.136)

"Wir werden niemals aufhören, für diesen Planeten und für uns selbst, unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder und Enkel zu kämpfen." (Greta Thunberg, zitiert nach Realitätsschock, S.390)

Auswahl aus der Literatur:
Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie, 2011
Jorgen Randers2052. Der neue Bericht an den Club of Rome, 2012
Naomi Klein: Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima, 2015
G. & S. Thunberg / B. & M. Ernmann: Szenen aus dem Herzen. Unser Leben für das Klima, 2018
Bernd Ulrich: Alles wird anders. Das Zeitalter der Ökologie, 2019 
Sascha Lobo: Realitätsschock, 2019, insbesondere S.17-58 und S.365-390