"[...] im Kalten Krieg zählte jeder Winkel des Planeten. Das hatte Folgen für die mentalen Landschaften. Man musste erst einmal auf die Idee kommen, den Planeten als Ganzes in den Blick zu nehmen, damit ein Phänomen wie die globale Erwärmung überhaupt denkbar wurde. Bis dahin hatten Wissenschaftler über Veränderungen des Klimas als regionale und lokale Phänomene nachgedacht, und "Klima" war ein Begriff für die typischen meteorologischen Bedingungen in einem begrenzten geografischen Raum. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir heute Klima global denken, ist das Produkt einer mentalen Revolution, die nur ein paar Jahrzehnte zurückreicht. [...]
Die heutige Klimaforschung profitiert von internationalen Gemeinschaftsprojekten, die es ohne den Kalten Krieg vielleicht gar nicht gegeben hätte. Die berühmte Keeling-Kurve, die den Anstieg der CO2-Konzentration in der globalen Atmosphäre zeigt, ging zum Beispiel auf das Internationale Geophysikalische Jahr 1957/58 zurück, das auch gemeinsames Forschen in einer geteilten Welt symbolisierte. Seither werden auf dem Mauna Loa Vulkan auf Hawaii regelmäßig Messungen vorgenommen, die bei der Entwicklung der Klimawandel-Hypothese eine zentrale Rolle spielten. Das Messprogramm wäre wohl nach ein paar Jahren eingegangen, wenn die US-amerikanische National Science Foundation nicht nach dem Sputnik-Schock 1957 eine kräftige Finanzspritze zur Förderung der wissenschaftlichen Grundlagenforschung bekommen hätte. In der Nähe der Wostok-Forschungsstation bohrten französische und sowjetische Wissenschaftler in den 1980er Jahren gemeinsam im Eis der Antarktis. Die Wostok-Eisbohrkerne wurden zu einer Berühmtheit der Klimadebatte, weil es durch die im Eis eingeschlossenen Gasbläschen möglich wurde, die Zusammensetzung der Atmosphäre über 420.000 Jahre hinweg zu rekonstruieren.[...]
Die "Kampf dem Atomtod"-Kampagne, die die betuliche Adenauer-Republik der 1950er Jahre erschütterte, war Teil einer globalen Protestbewegung, die von einem Amalgam pazifistischer und ökologischer Motive getrieben wurde. Frieden war bereits zuvor ein politisches Thema gewesen, und das gleiche galt für die Probleme der natürlichen Umwelt, aber die Kombination beider Anliegen war neu, und daraus erwuchs eine Tradition, die in der heutigen Klimadebatte weiterlebt. Seit den 1970er Jahren gab es in den Ländern des Westens agile Umweltbewegungen, und in den 1980er Jahren interessierten sich auch die Dissidenten Osteuropas für Umweltprobleme. Ohne eine ökologisch sensibilisierte Öffentlichkeit ist die Klimadebatte der vergangenen Jahrzehnte kaum zu denken.[...]
Die politischen Ressourcen der Umweltverbände waren stets überschaubar, und mit den Lobbyisten, die große Energiekonzerne finanzierten, konnten sie nicht einmal ansatzweise mithalten. Eindrücklich zeigte sich dies in den Vereinigten Staaten, wo es auf der einen Seite ein Netzwerk von Umweltverbänden gab, das Anfang der 1980er Jahre weltweit führend war und in den folgenden Jahrzehnten kräftigen Rückenwind aus der internationalen Klimaforschung erfuhr, und auf der anderen Seite die Milliarden der konservativen Koch-Brüder standen, die im großen Stil in Klimaskepsis investiert wurden. [...]
Die Illusion der nationalstaatlichen Verfügungsmacht wurde jedoch tief in die globale Klimapolitik eingeschrieben. Mit der Klimarahmenkonvention, die 1992 auf dem Erdgipfel von Rio de Janeiro unterzeichnet wurde, wurden die Nationalstaaten zu entscheidenden Akteuren, deren Regierungen sich alljährlich zu Klimakonferenzen mit fünfstelliger Teilnehmerzahl treffen. Klimapolitik ist seither automatisch Klimadiplomatie, auch wenn das von der Sache her nicht unbedingt zwingend war. Man hätte auch die multinationalen Energiekonzerne ins Visier nehmen können oder auch das Anspruchsdenken westlicher Konsumbürger.[...]
Es ist durchaus offen, ob die heutigen Regierungen die politischen Mittel zum drastischen Umsteuern besäßen, selbst wenn sie einen solchen Kurswechsel tatsächlich wollten. Die Macht der Nationalstaaten erodiert in vielfältigen Formen, unterdessen ächzen die Wohlfahrtsstaaten des Westens unter Schuldenbergen, einem Gewirr von rechtlichen und finanziellen Verpflichtungen und apathischen Bürgern, die sich für große politische Programme nicht mehr begeistern lassen. [...]
"Grenzen des Wachstums" des Club of Rome konnte nur deshalb 1972 zum Weltbestseller werden, weil die meisten Menschen bei aller Wachstumseuphorie nie darüber nachgedacht hatten, dass exponentielle Wachstumsraten auf einem begrenzten Planeten früher oder später in einer Katastrophe enden mussten.
Das Jahr 1945 gilt inzwischen als umwelthistorische Epochenschwelle erster Güte. [...]
Nahezu alle Parameter, die den Einfluss des Menschen auf seine natürliche Umwelt maßen, schnellten mit beängstigender Geschwindigkeit und Stetigkeit nach oben.[7] Die Folgen sind nicht nur in dem beständig steigenden CO2-Gehalt der globalen Atmosphäre zu erkennen. Sie stecken gleichermaßen in Siedlungsstrukturen und gesellschaftlichen Leitbildern, Ernährungsgewohnheiten und Mobilitätsansprüchen, elektrischen Küchengeräten und Düsenflugzeugen, und all dies erwies sich als ausgesprochen resistent gegenüber den moralischen Appellen, die ab den 1980er Jahren zur transnationalen Klimadebatte gehörten. Einige zentrale Entwicklungen fallen sogar in die Zeit nach dem Erdgipfel von Rio 1992, so etwa der Boom der Billigflieger oder der globale Siegeszug der Klimaanlage. [...]
Ein Team um den Wissenschaftssoziologen Peter Weingart ging davon aus, dass die Klimadebatte auf ewig in einem Dreieck von Wissenschaft, Medien und politischen Entscheidungsträgern pendeln würde, weil die Akteure im Umgang mit Unsicherheit ganz unterschiedlich gepolt waren. Für Journalisten sei Unsicherheit eine Neuigkeit, für Wissenschaftler Ausgangspunkt für Forschungsprojekte, und die Politik lege am liebsten die Hände in den Schoß, solange nicht alles klar ist. [...]
Der globale Kampf gegen die Wüstenbildung, der ebenfalls auf einer Rio-Konvention basiert, blieb notorisch unterfinanziert, und es ist offen, ob die geplanten Hilfsprogramme für Klimaadaption daran etwas ändern werden. [...]"
(Frank Uekötter: Kleine Geschichte der Klimadebatte, 2019) (Hervorhebungen von Fotanefan)
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