"Er konnte witzig und traurig sein wie kein Zweiter. Zum Tod des Autors und Übersetzers Harry Rowohlt. [...]
Harry Rowohlt, der damals schon ein bisschen so aussah wie der Penner, den er mehr als zehn Jahre lang in der Lindenstraße spielte, hatte mich mit seinem tadellosen Typoskript überrascht. Ich hatte mit irgendetwas Chaotischem gerechnet, und meine erste Reaktion war: "Sauber getippt!" Wann immer er später seine legendäre Kolumne Pooh ’ s Corner brachte, fragte er mich spöttisch, ob sie auch sauber getippt sei. [...]
Dass er, dem flüchtigen ersten Eindruck zum Trotz, ein überaus penibler und gewissenhafter Mensch gewesen ist, hing natürlich damit zusammen, dass er übersetzt hat, und wer beim Übersetzen ungenau ist, sollte es lassen. Ihm verdanken wir zum Beispiel die erste wirklich präzise Übersetzung des großen Iren Flann O’Brien. Dessen Roman At Swim-Two-Birds hieß zunächst Zwei Vögel beim Schwimmen, was irgendwie gut klingt, aber leider falsch ist. Es handelt sich nämlich um eine Ortsangabe: Auf Schwimmen-zwei-Vögel. [...]
Übersetzen konnte er wie kein Zweiter. Er hat etwas geschafft, was vor ihm keiner geschafft hat: dass der Name des Übersetzers (sein Name!) auf den Titel eines Buches gedruckt wird, um damit zu werben. Ähnlich wie Marcel Reich-Ranicki es dahin gebracht hat, dass jeder Tankwart in Deutschland (um in seiner Sprache zu reden) wusste, was Literaturkritik ist, hat Harry Rowohlt es erreicht, dass jeder Kneipenwirt in Deutschland wusste, was literarische Übersetzung ist und dass der größte Übersetzer Harry Rowohlt heißt.
Wer weiß, ob Harry Rowohlt die Stationen seiner Lesereisen jemals gezählt hat. Jedenfalls gibt es keine nennenswerte Buchhandlung in Deutschland, die ihn nicht schon zu Gast gehabt hätte. Er füllte nicht nur Buchhandlungen, sondern auch ganze Kulturfabriken. Seine Fähigkeit zur Stimmenimitation, zur Nachahmung von Dialekten, zum theatralischen Vortrag literarischer Texte – das alles ist legendär. Wer je seine Hörbücher über A. A. Milne (Winnie-the-Pooh)gehört hat, dem gehen sie ewig im Kopf herum. [...]
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