Montag, 24. August 2015

Europa-Presseschau: Terrorismus, Hilfe für Bürgerkriegsflüchtlinge, Tsipras und EU


Kritik an Schengen nach Attacke im Thalys 
Nach dem offenbar vereitelten Anschlag in einem französischen Zug am Freitagabend gehen die Behörden von einem radikal-islamischen Hintergrund des mutmaßlichen Täters aus. Belgiens Premier forderte daraufhin eine Veränderung der Schengen-Regeln. Die offenen Grenzen Europas begünstigen Anschlagspläne, meinen auch einige Kommentatoren. Andere betonen, dass Europa nur mit einer gemeinsamen Sicherheitspolitik den Terror bekämpfen kann. 


De Standaard - Belgien
Mehr Europa ist Antwort auf Terrorismus 
Nach dem vereitelten Anschlag wird der Ruf nach Aufhebung des Schengen-Abkommens lauter. Doch das ist der falsche Weg, mahnt die liberale Tageszeitung De Standaard: "Ein Abbau der europäischen Errungenschaften wäre die falsche Antwort. Wenn wir Schengen aufgeben, fällt ein Grundstein des gesamten europäischen Projekts weg. Wenn wir unsere Grenzen erneut systematisch schließen, dann werden wir weder die Terroristen abwehren, noch die Asylkrise lösen. Dafür sind die Ursachen der heutigen Probleme zu komplex und zu global. ... Die Antwort muss nicht weniger, sondern gerade mehr Europa sein. Noch nie war die Notwendigkeit einer gemeinsamen Außenpolitik, einer gemeinsamen Migrationspolitik und einer gemeinsamen Sicherheitspolitik so groß. Die Ansätze dazu gibt es bereits. Die müssen wir weiter vertiefen und verstärken. Es gibt keinen Weg zurück." (24.08.2015) 

The Guardian - Großbritannien
Zivilcourage kann Unheil verhindern 
Das vereitelte Attentat im Thalys wird die Angst vor islamistischem Terror im Westen vergrößern, fürchtet die linksliberale Tageszeitung The Guardian, lobt aber zugleich die Zivilcourage der Fahrgäste: "Jeder Angriff dieser Art erschüttert die Zivilgesellschaft aufs Neue. Das Vertrauen der Reisenden zueinander wird etwas schwächer werden. Die Sicherheitsvorkehrungen auf Bahnhöfen werden möglicherweise erhöht. Geheimdienste sollten - wieder einmal - die Lehren daraus ziehen, dass es einer als potenzielles Risiko bekannten Person möglich war, sich Waffen für einen Angriff zu beschaffen. Denn Ayoub El Khazzani war als radikaler Islamist identifiziert worden, und unbestätigten Berichten zufolge war er kürzlich nach Syrien gereist. Doch noch wichtiger ist womöglich der neue Beweis dafür, dass der Einsatz von ein paar Menschen Unheil verhindern und Gutes tun kann." (23.08.2015) 

Corriere della Sera - Italien
Furchtlosigkeit ist besser als Angst 
Weder verschärfte Kontrollen an Bahnhöfen noch lange Geheimdienstlisten bringen mehr Sicherheit, meint die liberal-konservative Tageszeitung Corriere della Sera: "Überwachen und auf der Hut sein ist richtig, doch wir dürfen nicht glauben, wir könnten Orte absichern, die von tausenden Menschen besucht werden. Eine Person als verdächtig zu registrieren, genügt heute ebenfalls nicht mehr. Die berühmten schwarzen Listen sind voller Namen. ... Was uns Bürger betrifft, ist die beste Antwort die Normalität. Wir wissen, dass es eine Gefahr gibt (nicht die einzige und auch nicht die größte), doch wir müssen sie überwinden, indem wir leben. Der Terrorist will uns unseren Lebensraum wegnehmen, indem er öffentliche Verkehrsmittel, Lokale und Straßen mit Blut tränkt. ... Er will töten, die Gesellschaft spalten. ... Der wirkungsvollste Gegenschlag ist es, Furchtlosigkeit zu demonstrieren." (24.08.2015) 

Der Standard - Österreich
Syriens Nachbarländer brauchen Milliarden 
Mit einer großzügigen Unterstützung der Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, die verzweifelt in den Nachbarländern ausharren, könnte Europa die Migration aus der Region eindämmen, glaubt die linksliberale Tageszeitung Der Standard: "[A]uch jetzt noch wäre es etwa möglich, ein Abkommen mit der Türkei zu schließen, bei der die EU-Staaten mehrere Milliarden im Jahr zur Verfügung stellen, damit aus Lagern Ortschaften entstehen, in denen ein menschenwürdiges Leben nahe der alten Heimat möglich ist. ... Auch Optionen für eine legale Einwanderung könnten den illegalen Flüchtlingsstrom in die EU dämpfen. ... Auch dann würden noch Tausende die Fahrt nach Norden wagen, und jedes Land wäre weiterhin verpflichtet, die Ankommenden menschenwürdig zu behandeln. Aber bei großzügigerer Hilfe könnte man mit mehr Berechtigung an die Fluchtwilligen appellieren, dort noch zu bleiben, wo sie sind." (24.08.2015) 
Dnevnik - Slowenien
Tsipras ist Garant für Stabilität 
Alexis Tsipras hat gute Chancen, bei den vorgezogenen Wahlen in Griechenland wie angestrebt ein starkes Regierungsmandat zu erhalten, meint die linksliberale Tageszeitung Dnevnik: "Paradoxerweise hat das Volk Tsipras nach wie vor gern und unterstützt ihn. Obwohl Tsipras den Staat auf ein Karussell der Ungewissheit gesetzt hat, ist er dennoch ein Garant für Stabilität - und zwar für die Griechen wie für die EU. Die heftigen Sparmaßnahmen des dritten Hilfsprogramms hat er zu Hause als Beginn tiefgreifender Veränderungen bezeichnet; dem Klientelismus soll endgültig die letzte Stunde schlagen. So hat der 'Teflon-Premier' Tsipras bei den vorgezogenen Wahlen gute Aussichten, seine Macht zu konsolidieren. Die EU hat sich einen den Volksmassen gefälligen 'Reformisten' herangezüchtet, zu dem es auf dem politischen Parkett in Griechenland bisher keine Alternative gibt." (24.08.2015) 

Právo - Tschechien
Migrantendrama in Mazedonien Schande für Europa 
Mazedonien hat wegen der Einreise tausender Flüchtlinge den Ausnahmezustand ausgerufen. Zuvor hatte es die Grenze zu Griechenland tagelang blockiert und dann doch wieder geöffnet. Die Situation dürfte nur das Vorspiel für weitere Dramen sein, klagt die linke Tageszeitung Právo: "Es ist nicht gewiss, dass der an Europa gerichtete Appell des mazedonischen Regierungschefs Nikola Gruevski, sich endlich zu kümmern, in Brüssel, wo sie Ferien machen, gehört wird. Im Angesicht der Flüchtlinge zeigt sich, dass die europäischen Nationalstaaten, anders als in der Vergangenheit, nicht mehr in der Lage sind, die Sicherheit ihres Territoriums und ihrer Einwohner zu garantieren. Verzweifelte Aktionen wie der Zaun an der ungarischen Grenzelösen das Problem aber ganz sicher nicht. Bislang haben die EU-Kommission und Europas Spitzenpolitiker keine Schritte zu einer gemeinsamen Migrationspolitik und zur gemeinsamen Sicherung der EU-Außengrenze initiiert. Dabei ist es womöglich fünf vor zwölf. Es ist eine Schande für Europa, dass darauf der Premier des kleinen Mazedonien hinweisen muss." (24.08.2015) 

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