Samstag, 27. Juli 2019

Ist Volk als Begriff rechts, links oder neutral?

Wenn ein Richter sein Urteil "im Namen des Volkes" spricht, ist damit gemeint, dass er nicht aufgrund seines privaten Standpunktes, auch nicht aufgrund seiner Ideologie oder Gruppenzugehörigkeit, sondern aufgrund der staatlichen Gesetzgebung im Sinne der Gesamtgesellschaft urteilt.
Ähnlich ist es bei der Verpflichtung von Regierenden auf das Wohl des Volkes (nicht "der Wirtschaft", nicht "der Arbeiterklasse").
Dagegen wird beim Begriff "Volksverräter" unterstellt, dass es Verpflichtungen gegenüber einem Teil der Bevölkerung gebe, die über die rechtlichen Verpflichtungen und die politische Verantwortung der Gesamtgesellschaft hinaus gingen.*
Das widerspricht dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes und setzt somit einen "Volksbegriff" voraus, der dem des GG widerspricht.
Volk ist gewiss kein "linker" Begriff, aber gewiss auch kein "rechter", sondern seine Bedeutung wechselt im inhaltlichen Zusammenhang. Das wird ganz deutlich bei dem Gebrauch des Slogans "Wir sind das Volk" 1989 und 2015.
1989 war damit gemeint: Nicht die Partei, sondern die Gesamtheit der Bevölkerung soll entscheiden. Die Partei ist verpflichtet, zu deren Wohl zu entscheiden. Wenn sie das nicht tut, hat sie den Anspruch auf Regierungsgewalt verwirkt.
2015 war damit gemeint: Wir treten dafür ein, dass wir gegenüber anderen Vorrechte haben. Wer für gleiche Rechte für alle Menschen eintritt, handelt gegen den Willen unseres Volkes. Nicht die Regierung, sondern nur die, die sich unserer Meinung anschließen, haben einen Anspruch, im Namen des Volkes zu sprechen und zu handeln.
In beiden Fällen ist der Begriff nicht "neutral", sondern er steht für eine spezifische politische Auffassung. Wie die sich auswirkt, haben wir 1989 erlebt und erleben wir heute.

* Im frühen 19. Jahrhundert war damit meist der abhängig arbeitende Teil der Bevölkerung gemeint im Unterschied zu den reichen Besitzenden.  
Nach dem 1. Weltkrieg wurde im Zusammenhang mit der Dolchstoßlegende den Vertretern der Revolution vom November 1918 und im Gefolge davon den Unterzeichnern des Versailler Vertrags unterstellt, sie hätten einen möglichen Siegfrieden des Deutschen Reiches verhindert. In diesem Sinne wurde der Begriff Volksverräter von der Rechten aufgegriffen und während der NS-Herrschaft dann für alle Gegner des Regimes verwendet. 

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