Donnerstag, 18. Juli 2019

Über die (fehlende) Öffentlichkeit bei Gerichtsverhandlungen

oder: ein Lob auf Gerhard Richter


"[...] Die Entkopplung unserer Gerichtssäle von den diversen Resonanzsystemen ist dennoch ein kultureller Verlust. Für die Rechtsprechung aber ist sie dramatisch: Denn manchmal, gar nicht so selten, verhängen die Strafgerichte harte Strafen vorrangig nach dem Kriterium der sogenannten Generalprävention. Dies mit Abschreckung zu übersetzen wird in der Juristerei nicht so gern gehört, geht aber am Kern der Sache kaum vorbei. Wenn eine bestimmte Deliktart – zum Beispiel Wohnungseinbrüche – zu einer gesellschaftlichen Seuche wird, ist es an den Gerichten, hierauf wirksam zu reagieren. Das kann dazu führen, dass der einzelne Täter vielleicht nur deshalb keine milde Strafe bekommt, weil diese aus generalpräventiver Sicht – von den in den Startlöchern stehenden weiteren Wohnungsdieben – als Freibrief verstanden werden könnte. Bloß – wie funktioniert das mit der Abschreckung, wenn von den harten Strafen mangels Öffentlichkeit keiner was erfährt? Wie rechtsstaatlich oder redlich ist es, eine unbedingte Freiheitsstrafe in der mündlichen Urteilsbegründung primär mit der erforderlichen Generalprävention zu begründen, wenn im Gerichtssaal kein Reporter und kein Zuschauer sitzt, der tragende Strafzumessungsgrund also offensichtlich auf eine Fiktion baut? [...]
(Thomas Melzer, ZEIT 17.7.19)
https://www.zeit.de/2019/30/oeffentliche-gerichtsverhandlungen-besucher-aufmerksamkeit-generalpraevention/komplettansicht

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen