Ich danke Theo Byland für die Empfehlung des folgenden Artikels:
Neue Zürcher Zeitung 30.1.2016
Der Philosoph Slavoj Žižek im Gespräch
In der neuen Weltunordnung will Slavoj Žižek die Übersicht bewahren. Der Solitär von Ljubljana arbeitet manisch an seinem Werk. René Scheu hat den slowenischen Philosophen besucht.
Slavoj Žižek:
Ich
habe kürzlich in allen möglichen Weltsprachen einen längeren Essay
zur Flüchtlingsfrage publiziert – und wurde von «politisch
korrekten» Linken mit viel «Shit» beworfen. Unter Bezugnahme auf
ein paar jüngere Ideen meines amerikanischen Freundes Fredric
Jameson habe ich dafür plädiert, die Armee in der Flüchtlingskrise
zum Einsatz zu bringen – nicht um die EU-Aussengrenzen unter
Androhung von Waffengewalt zu schützen, sondern um im Innern für
geordnete Verhältnisse zu sorgen und um Camps in Nordafrika und im
Nahen Osten einzurichten, in denen die Flüchtlinge begrüsst,
registriert werden und ihr Status abgeklärt wird. Anerkannte
Flüchtlinge könnten dann risikolos mit dem Flugzeug nach Europa
gebracht und möglichst schnell in den Arbeitsprozess integriert
werden.
Was
soll daran skandalös sein?
Militarisierung!
Die besagten Kollegen wollen stattdessen alle Grenzen öffnen – wer
das infrage stellt, ist in ihren Augen ein Unmensch. In Wirklichkeit
führte diese Art der Pseudowillkommenskultur zu einer chaotischen
Situation im Innern – und die wiederum spielt bloss den
Kapitalisten in die Hände.
Ha,
endlich, die bösen Kapitalisten. Klären Sie mich auf: Was ist genau
Ihr Punkt?
Wir
sollten nicht Unordnung importieren, sondern Ordnung exportieren!
Schön
gesagt. Aber was bedeutet das konkret?
Schauen
Sie sich den Nahen Osten an. Der Irak ist heute, dank der
Intervention der Amerikaner, zur Hälfte ein gescheiterter Staat und
grossteils in den Händen des IS. Dasselbe gilt für Libyen – der
Staat ist inexistent, Chaos herrscht. Syrien liegt darnieder,
Amerikaner und Russen bekämpfen sich hier indirekt. Alle diese
Staaten sind mit Blick auf die Rohstoffe perfekt in die
Weltwirtschaft integriert, aber sie sind politisch der Anarchie
anheimgefallen. Genau das ist mein Punkt: Diese beiden Pole
schliessen sich nicht aus, sondern ergänzen sich perfekt. Wir haben
dort grosses Unheil angerichtet – und wir sollten nun nicht auch
noch bei uns grosses Unheil anrichten. Ist das klar genug?
[...]
Was
halten Sie von Angela Merkel?
Als
Angela Merkel den Flüchtlingen aus dem Osten und Süden zu verstehen
gab: Kommt nur, wir schaffen das!, fand ich ihren Entscheid mutig.
Und ich hätte an ihrer Stelle wohl gleich gehandelt. Doch zuvor
hätte ich mir überlegt, wie ein realistischer Plan aussehen müsste,
der ein geordnetes Verfahren erlaubt. In Deutschland sieht es doch
wie folgt aus: Chaos im Innern – aber die Kapitalisten freuen sich
schon auf die billigen neuen Arbeitskräfte! Ein Paranoiker könnte
meinen, Merkel habe allein im Dienste der deutschen Industrie
gehandelt. [mehr]
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