Samstag, 9. März 2024

Navid Kermani über die Nuba

 Navid Kermani : Am Rand der Welt (Eine Reise zu den Nuba) Zeit Magazin 7.3.2024 S.19/22 (im Sudan)

Das eigentliche Leben der Nuba spielt sich entlang der Hänge und in den Hochebenen des Gebirges ab, die nur zu Fuß zu erreichen sind. Mehr als 50 verschiedene Sprachen werden dort auf engstem Raum gesprochen, die oft nicht einmal ein Wort gemeinsam haben. Die Nuba erklären sich die Vielzahl ihrer Volksgruppen damit, dass sie als Schwarzafrikaner einst aus allen Richtungen vor den arabischen Kolonisatoren und Sklavenhändlern hierher geflohen sind.

Nicht nur konnten die Rebellen die Kontrolle über ihr Land behaupten; seit sich im Sudan die beiden Generäle gegenseitig bekämpfen, weitet die SPLM-N die Grenzen des quasi autonomen Gebietes Dorf um Dorf aus, während sie mit nichts in der Hand einen Staat aufbaut, Krankenhäuser, Verwaltung, Schulen, in denen Englisch statt Arabisch gelehrt wird, damit sich die nachfolgende Generation endgültig von der kolonialen Vergangenheit [der Herrschaft der Araber] löst.

Ich frage den Stammeschef der Lomon, Apanjo Mohammed, wann die moderne Zivilisation hier oben Einzug hielt, die Bekleidung, die ersten Schulen, Ärzte – kamen sie mit den Arabern oder zuvor schon mit den europäischen Missionaren? Nein, erst mit der SPLM-N, antwortet Apanjo mit Mudschahids Vater. Die Araber – weder die räuberische Nomaden noch die Beamten der sudanesischen Staats - seien nie bis in die Hochebene vorgedrungen. Und die Missionare? Die Missionare schon, sagt er, aber die Lomon hätten sie wegen ihrer helleren Holzfarbe für Araber / gehalten und sich deshalb vor ihnen versteckt. Aber die Rebellen sprachen doch ebenfalls Arabisch, sagte ich: wie haben Sie sich mit ihnen überhaupt verständigt?

Unter ihnen waren Lomon, die in die Städte gezogen waren; die kannten wir, und wir haben ihnen vertraut.

Und das Arabische haben sie ebenfalls von der SPLM-N? Ja, in deren Schulen gelernt.

Das heißt, die Welt der Lomon hat sich ausgerechnet mit denen verändert, die für ihren Erhalt kämpften? Ja, so könnte man es sagen. Aber wir finden die Veränderungen gut." (S. 19/22)

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