Montag, 18. März 2024

Ein Rückblick auf die Corona-Maßnahmen in der Pandemie

 Kanzlerin Angela Merkel erklärte den Deutschen am 18. März 2020, was in der Pandemie auf sie zukommen werde. [FR 17.3. 2024]

"Es war der Moment, als alle die Luft anhielten. Am Abend des 18. März 2020 trat die Bundeskanzlerin vor die Kameras. Angela Merkel hatte Bedeutendes zu sagen. Die Bilder aus der Tagesschau kannte man bereits: Lkws, die beladen mit vielen Toten die italienische Stadt Bergamo verließen. Alles in der Dunkelheit, möglichst wenige sollten aufmerksam werden, doch gesehen hatte es die ganze Welt. Und auch die Regierenden in Berlin.

„Es ist ernst“, sagte Kanzlerin Angela Merkel im Ersten, ZDF und anderen Fernsehsendern zu den Deutschen. „Nehmen Sie es auch ernst.“ Ein klitzekleines Virus hatte die Welt im Griff. Schon im Dezember hatte man aus China beunruhigende Nachrichten vernommen, dass dort eine Epidemie ausgebrochen sei. Einige warnten bereits eindringlich, hier gehe eine Gefahr für die ganze Welt aus. Meldungen über eine Corona-Epedimie die meisten Zeitungen auf ihren Panorama-Seiten. Erst einige Wochen später sollte es zu einem weltpolitischen Gegenstand werden – und auf die Politikstrecke und die Titelseiten vorrücken. Doch bis dahin herrschte fast überall Business as usual.

In Deutschland erwachte man erst am 9. März aus dem selbstgerechten Schlummer. In Heinsberg hatten sich in einer Karnevalssitzung einige Menschen mit dem Corona-Virus infiziert. An dem Tag wurde der Tod von zwei Menschen gemeldet. Deutschland hatte die ersten Corona-Toten zu beklagen. Einige Teilnehmer hatten sich zuvor beim Skifahren in Österreich mit dem Virus infiziert. Zugleich gab es immer mehr Bilder aus Bergamo, wo gespenstische Verhältnisse herrschten. Viele fragten sich, wann reagiert die deutsche Regierung auf die bedrohliche Situation. Doch hierzulande herrschte eiserne Zuversicht. Man habe alles im Griff, hieß es. Bis Merkel im TV auftrat. Die Corona-Pandemie sei die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg, erklärte sie dem sichtlich erstaunten Publikum. „Wir müssen aus Rücksicht voneinander Abstand halten.“ Es sei „existenziell“, das öffentliche Leben so weit es geht herunterzufahren. [...]

Doch nun war konkrete Politik gefordert. Sie fordert Bürgerinnen und Bürger auf, sich an die Regeln und Einschränkungen zu halten, die der Staat ihnen auferlegt. Alles, was Menschen gefährden könnte, müsse reduziert werden, sagte sie. Es gehe darum, „Zeit zu gewinnen“. Die Ausbreitung des Virus müsse verlangsamt werden. Und das hänge maßgeblich davon ab, wie diszipliniert jeder und jede die Regeln befolge und umsetze, betont Merkel. Disziplin, das Zauberwort der Deutschen. Merkel schob nach: „Es kommt ohne Ausnahme auf jeden Einzelnen und damit auf uns alle an.“ Die Alternative lautete nun: entweder Lockdown oder eine hohe Zahl an Pandemieopfern. Letzteres war aus Sicht der Bundesregierung ausgeschlossen. Die Bilder aus Bergamo hatten ihre Wirkung gezeigt. Nun zeigte der Staat, zu was er in der Lage ist. Man wollte in der Regierung unbedingt verhindern, dass es zu sogenannten Triage-Entscheidungen in Krankenhäusern kommt, dass Ärzte wählen müssten, wer am Leben bleibt und wer sterben müsse. [...]

Öffentliche Ängste sind immer eine Bedrohung für Institutionen. Sie erlauben es dem Staat, seinen Bürgern weitreichende Rechte aus Gründen der Sicherheit zu entziehen. Die ab dem 22. März 2020 in Deutschland praktizierte Form der sozialen Distanz und des Verbleibens in den eigenen vier Wänden erschien richtig. Doch es folgt ein großes Aber. Alle politischen Monster des 20. Jahrhunderts hebelten die Demokratie aus, weil sie sich auf die Furcht der Menschen stützen konnten. Solche Krisen erzeugen Tyrannen. Und auch dieses Mal war es die Angst vor dem unbekannten, das die entscheidende Rolle spielte. Müssen wir also nicht sehr achtsam sein? Das fragten sich einige. Sie gingen wenige Monate später auf die Straße, um für die Wiedereinsetzung ihrer Grundrechte zu demonstrieren. Die anderen hielten ihnen vor, Vernunftverzicht zu üben. Die Risse in der Gesellschaft waren unverkennbar.  [...]

Im Blick zurück wähnte sich der Wissenschaftler Armin Nassehi in einem soziologischen Hauptseminar. Der Modus der Ununterscheidbarkeit der Deutschen war nämlich schnell verloren. Man habe beim ersten Lockdown „zu drastischen Maßnahmen gegriffen, das war ja schon ein Durchregieren, wenn man so will“, sagte er der FR zwei Jahre später. Man habe die „Wahl zwischen Pest und Cholera“ gehabt. Nicht alles lief so glatt, wie es zunächst den Anschein hatte. Die Länder in der Europäischen Union schotteten sich ab. Es gab Lieferengpässe, Gereiztheiten, Verteilungskämpfe. Die Deutschen horteten Klopapier, die Franzosen Rotwein. Masseneinkäufe waren angesagt.

In den USA häuften sich indes die Todeszahlen. Das Land wurde von Donald Trump regiert, und der war sichtlich überfordert. Den staunenden Amerikanern erklärte er: „Das Virus wird einfach verschwinden, wie durch ein Wunder.“ Doch das ließ auf sich warten. Dafür trat es in Deutschland ein. Vor dem Sommer gab es erste Lockerungen des Lockdowns. Man war hervorragend durch die Zeit gekommen. So schien es zunächst. Und es gab neue öffentliche Intellektuelle, die den Menschen erklärten, wo es langgeht. Wofür früher Philosophen wie Jürgen Habermas oder Schriftsteller wie Günter Grass standen, da fanden sich nun Virologen wie Christian Drosten oder auch Ugur Sahin, dem Gründer von Biontech, der den Impfstoff gegen das Virus entwickelte.

Dem Rechtsphilosophen Reinhard Merkel schwante nichts Gutes: „Man muss sich bei der Abwägung ökonomischer und pandemischer Folgen darüber klar sein, dass auf beiden Seiten die Risiken exorbitant sind. Vielleicht kommen wir mit den ökonomischen Kollateralschäden halbwegs glimpflich davon“, er glaubte jedoch im Jahr 2020: „Das wird globale Erschütterungen und Verwerfungen nach sich ziehen“, sagte er in einem Interview mit der FR. Aber könnte es nicht sein, dass die Nach-Krisen-Gesellschaft solidarischer sein wird? „Manche Ethiker glauben das. Ich nicht. Ich halte das für blauäugig, um nicht zu sagen kindlich. Moralisch hochlobenswert, sicher, aber im realistischen Blick naiv. Wir werden harte Verteilungskämpfe kriegen nach dem Ende dieser Krise. Auch die AfD wird wieder aus ihrem eigenen politischen Lockdown herauskommen“, sagte Rechtsphilosoph Merkel. Er sollte recht behalten."

Sine ira et studio

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