"[...] Von einem Urlaub zurückgekehrt nach Poddembice, seinem Dienstort, notiert Hohenstein: »Das Unglaubliche ist Tatsache geworden. Während meiner Ferien vollzog sich die Ausmerzung der Juden von Poddembice. Ich und meine Familie danken unserem Herrgott von ganzem Herzen, daß er es uns erspart hat, Zeugen dieses grauenvollen Verbrechens zu sein oder gar aufgrund meines Amtes Henkerdienste leisten zu müssen. Ich will versuchen, so sachlich wie möglich niederzulegen, was ich erfuhr.«
Und dann
folgt, was ihm sein Vertreter Heinitzer berichtet, der Zeuge, der
alles mit ansah: »Ich habe niemals geglaubt, daß Menschen, deutsche
Menschen so bestialisch, so sadistisch sein können. Sie wissen ja,
daß die Judengemeinde seit Februar täglich vollzählig und
geschlossen zur Kontrolle in den Schloßpark marschieren mußte.
Eines Tages, es war der 14. April, wurden die Juden von einem großen
Aufgebot an Gendarmerie in Empfang genommen. Scharf eskortiert trieb
man die Juden in die polnische Kirche. Zur gleichen Zeit wurden
sämtliche jüdischen Arbeiter von ihren Arbeitsplätzen weggeholt.
Auch Hermann aus Ihrem Grundstück. Zehn Tage wurden die Juden in dem
Gotteshaus gefangengehalten, ohne Betten und Decken, nichts von
sanitären Anlagen, kein Klosett, fast dreitausend Menschen. Kinder
wurden geboren und Menschen starben in dieser qualvollen Enge. Die
Türen wurden von SS-Männern Tag und Nacht bewacht. Auf Kosten der
Stadtverwaltung wurden die Juden mit Brot und Margarine versehen.
Zweimal täglich durfte ein Trupp Männer Wasser vom Brunnen vor der
Kirche holen. Das Heulen und Wehklagen, das Jammern und Schreien der
unglücklichen Juden vernahm man Tag und Nacht, es war grauenhaft,
gruslig. Am zehnten Tage, in früher Morgenstunde, wurde die Pforte
des Gotteshauses aufgerissen und die Juden truppweise herausgelassen.
Zerzaust, zerlumpt, dreckig, fast verhungert, glichen sie eher
unheimlichen Spukgestalten als lebendigen Menschen. In diesem Zustand
wurden sie wie Vieh auf Lastautos getrieben. Dann fuhr die Kolonne
mit ihrer Todesfracht zum ersten Mal ab. SS-Motorradler zur Seite und
hinterher. Nach Stunden kam die Autokolonne wieder zurück, und der
zweite Akt dieses Dramas begann. Frau Goldo kam mit ihrer Tochter aus
der Kirchentür. Sie sah Herrn Helferich, eilte auf ihn zu und flehte
ihn um Rettung an. Ihr Mann, der Judenälteste, bot ihm in hastigen
Worten ein Vermögen in solcher Höhe, daß Helferich nie wieder zu
arbeiten brauchte. Inzwischen waren SS-Männer
auf diese Szene
aufmerksam geworden. Sie schlugen auf die Unglücklichen ein,
ergriffen den Judenältesten und mißhandelten ihn so schwer, daß er
über und über blutend zu Boden sank.«
»Das Schreckliche ereignete sich bei der dritten und letzten Verladung. Da brachte man die Kranken aus der Kirche. Sie wurden den Menschen auf den Wagen einfach über die Köpfe geschoben, wie Krautsäcke, immer hinauf und hinein, ungeachtet des Geschreies der Gesunden und Kranken. Als die letzten Wagen vollgepfropft waren, da brachte man die Toten hin, 28 sind während der Gefangenschaft in der Kirche verstorben. Und statt sie nun zurückzulassen, nahmen die SS-Scheusale die Leichen und warfen sie den lebenden Insassen der Autos buchstäblich auf die Köpfe. Sogar die deutschen Zuschauer schrien vor Entsetzen auf. Und noch etwas: Ihr Hausbursche Hermann und ein anderer junger Jude hatten sich im Dachreitertürmchen der Kirche versteckt. SS-Leute fanden die beiden Burschen und haben sie unmenschlich zerschlagen. Sie wurden auf den letzten Wagen geworfen. – Herr Bürgermeister, das kann unmöglich gut gehen. Daß ich als alter Mann so etwas noch erleben mußte. Ich habe das Leben hier so satt. Ich möchte heim, heim, heim. Erschüttert sah ich, daß Heinitzer weinte.«"
(Primor, S.214-216)
Zum Film über das Wartheländische Tagebuch, aus dem dieser Bericht stammt.
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