Montag, 14. Juni 2021

"Der Westen diskreditiert Menschenrechte"  ZEIT 9.6.21
"Der Anwalt Wolfgang Kaleck kämpft weltweit für die Entrechteten dieser Erde. Dabei steht der Gegner oft nicht da, wo man ihn vermutet – wie der Fall seines prominenten Mandanten Edward Snowden zeigt. [...]
ZEIT: In Ihrem neuen Buch Die konkrete Utopie der Menschenrechte kritisieren Sie Amnesty International und Human Rights Watch dafür, dass sie einerseits Standards in der Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen setzen, sich aber politisch raushalten.
Kaleck: Ich kritisiere weniger, als dass ich die DNA der westlichen Menschenrechtsbewegung beschreibe: unpolitisch, neutral, mehr appellierend als an der Seite anderer Akteure in sozialen Kämpfen. Aber in den letzten zehn, zwanzig Jahren hat sich in weiten Teilen des globalen Südens ungeheuer viel bewegt. Man wird kaum ein Land finden, wo nicht mehr oder weniger starke Organisationen, soziale Bewegungen auf die eine oder andere Weise für Menschenrechte streiten. [...]
ZEIT: Snowden sagte im ZEIT-Interview zum Fall Nawalny: "Im Westen kostet es nicht viel, das zu verurteilen, was in Russland geschieht. Wir erleben aber nicht das gleiche Maß an Empörung, wenn so etwas in anderen Ländern geschieht."
Kaleck: Ja. Aber es gibt keine Alternative dazu, die Menschenrechtsverletzungen von Russland, China oder der Türkei immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Menschenrechtsorganisationen werden allerdings glaubhafter, wenn sie auch Menschenrechtsverletzungen aus dem eigenen Lager ebenso vehement anprangern. Das vermisse ich oft.
ZEIT: Was meinen Sie da konkret?
Kaleck: Eines der wichtigsten Probleme ist die andauernde Lieferung von Überwachungstechnologie und Rüstungsgütern aus Deutschland in die Krisenregionen der Welt. Und anschließend wird darüber lamentiert, dass diese Regionen unbewohnbar werden und die Menschen fliehen. Solange die Geflüchteten im Libanon, in der Türkei oder in Jordanien im Flüchtlingslager leben, ist alles okay. Aber wenn die Ausläufer dieser Fluchtbewegung nach Europa gelangen, dann wird es auf einmal ein Problem. Das ist doch ungeheuerlich. [...]"


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