Sonntag, 11. August 2019

Forderung von Gerechtigkeit soll als Neidgefühl gebrandmarkt werden

Gerechtigkeitsdebatte: „Mit dem Vorwurf Neid soll schlicht Kritik unterbunden werden“ von Stephan Kaufmann
Interview mit Branko Milanovic

"[...] Die Relationen, von denen ich spreche, kennen immer ein Maß: Man vergleicht sich ja nicht mit einer Antilope und auch nicht mit einem Bauern aus dem 15. Jahrhundert, sondern mit Menschen, die heute leben. Nur durch diese Gegenüberstellung kann ich bestimmen, ob 1000 Euro viel oder wenig sind. Basis des Vergleichs ist die allgemein akzeptierte Idee der Aufklärung, dass wir als Menschen eigentlich alle gleich sind. Demokratie und Menschenrechte beruhen auf dieser Idee der Gleichheit. Jede materielle Ungleichheit bedarf daher einer glaubhaften Legitimation, damit sie akzeptiert wird. [...]
Neid gilt als Sünde gegenüber der herrschenden Verteilung von Reichtum, die Ergebnis des Marktes ist und damit als geradezu gottgegeben dargestellt wird. Mit „Sünde“ betreten wir die Sphäre von Moral und Ethik: Das ist nicht das Gebiet von Ökonomen, die sollten darüber eher schweigen. [...]
Mit dem Vorwurf „Neid“ soll schlicht Kritik unterbunden werden. [...] Es ist inkonsistent zu sagen: Die Armut, also der Geldmangel einiger Menschen ist ein Problem, aber der Reichtum anderer soll uns gleichgültig sein.[...]
Die vorgetragene Sorge um die Armut ist der Preis, den die Wohlhabenden bereit sind zu zahlen, damit niemand ihren Wohlstand in Frage stellt. Sie betreiben eine Art soziale Geldwäsche, ähnlich wie jene Milliardäre, die gemeinnützige Stiftungen gründen: Ausgerechnet die Zurschaustellung ihres Reichtums soll diesen legitimieren. [...] 
Wenn wir die globale Ungleichheit beseitigen und garantieren wollten, dass alle Menschen über ein Einkommen auf dem mittleren Niveau des Westens verfügen, dann müssten wir die globale Wirtschaftsleistung verdreifachen. Selbst wenn dies möglich wäre, bliebe die Frage, ob der Planet das aushalten würde. 
[...] die höhere Besteuerung von Erbschaften…
 ...wogegen viele Menschen sind, weil sie einwenden, vererbtes Vermögen sei doch bereits besteuert worden. 
Ein schwaches Argument. Wenn ich mit meinem versteuerten Geld einkaufen gehe, wird es ja auch wieder besteuert. Noch wichtiger als Steuern finde ich aber eine breitere Verteilung des Kapitals und seiner Erträge. [...]"

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