Ein Mitglied der Letzten Generation regt sich auf "wenn Freund:innen für ein Wochenende nach London fliegen". Dies macht ihm der Kommentator zum Vorwurf, weil es zwei andere Angehörige der Letzten Generation gibt, die nach Thailand geflogen sind.
Der Vorwurf des Kommentators trifft nicht die, die geflogen sind, sondern die, die den Klimaschutz so wichtig nehmen wie eine Religion und es nicht verstehen können, wenn man darüber Witze macht (hier nicht zitiert).
Doppelmoralisch, dogmatisch, humorbefreit ZEIT 4.2.23 Ein Kommentar von Hasnain Kazim
Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen der Menschheit. Dass Klimaaktivismus für manche zur Ersatzreligion wird, ist jedoch weder nötig noch hilfreich
"[...] Raphael Thelen, der bis vor Kurzem noch als Journalist unter anderem für ZEIT ONLINE berichtete, ist jetzt hauptberuflich Aktivist bei der Letzten Generation und schreibt auf Twitter: "Seit ich das mit dem #Klimawandel verstanden habe, habe ich für vieles kein Verständnis mehr. Ich bin ständig gepisst, wenn Freund:innen für ein Wochenende nach London fliegen, wenn ich über den Potsdamer Platz laufe und die Autokolonnen sehe." Es hat was von Erleuchtung, und alle, die es noch nicht kapiert haben, sind eben uneinsichtig und verhalten sich so, dass die Erleuchteten "gepisst" sind.# Andererseits fliegen Klimaaktivisten selbst, und das nicht zu knapp. Ich hörte kürzlich zwei Aktivistinnen in Berlin darüber reden, dass sie demnächst work and travel in Australien machen wollten, und ich bin mir sicher, dass sie nicht mit dem Fahrrad oder mit dem Segelboot dorthin reisen. Manch eine prominente Aktivistin stand wegen ihrer vielen Flugreisen in der Kritik. Für Häme sorgt, dass ausgerechnet zwei Aktivisten der Letzten Generation nach Thailand geflogen waren – die Bild berichtete fälschlicherweise von Bali –, obwohl sie wegen einer Straßenblockade vor einem Gericht in Stuttgart hätten erscheinen sollen, eine als Zeugin, einer als Angeklagter.[...] Manche Klimaschützer gerieren sich dogmatisch wie religiöse Fanatiker. Solche Leute stellen Dinge nicht infrage, lassen auch andere nicht fragen, tolerieren keine Kritik, keinen Widerspruch, sondern sehen sich selbst als Verkünder der absoluten Wahrheit. Bei den Klimaschützern ist es immerhin die Wissenschaft (auch wenn manche die Uneindeutigkeit und die noch bestehenden Unklarheiten nicht sehen wollen und auch nicht einräumen, dass sie selbst so manches, was wissenschaftlich erklärt wird, gar nicht verstehen), nicht wie bei den religiösen Fundamentalisten ein Gott, eine heilige Schrift oder weil es der Obergeistliche so sagt. Spricht man gegen das, was die Religiösen glauben, macht man sich der Blasphemie schuldig. Bei den Klimafundamentalisten ist es ähnlich: Jede Frage, jeder Einwand, jedes Abwägen ist für viele wie ein unerhörtes Rütteln am Fundament.
Kürzlich las ich auf Twitter, dass, selbst wenn in Deutschland die CO₂-Emissionen auf null gefahren würden, der Klimawandel so gut wie nicht aufzuhalten sei. Vielmehr müsse man die Anstrengungen international verstärken, vor allem in China, den USA und in Indien, den größten Verursachern der Emissionen.
Prompt handelte sich der Verfasser einen Sturm der Entrüstung ein. Tatsächlich werden solche Äußerungen gelegentlich als Rechtfertigung genutzt, nichts tun zu müssen und sich nicht um Klimaschutz kümmern zu müssen, weil man ja eh nichts bewirken könne. Das ist kritikwürdig. Weil es anderswo schlecht gemacht wird, muss man es nicht selbst schlecht machen! Aber hier ging es darum, Fakten zu benennen und das Ausmaß des Problems zu verdeutlichen: Schaut her, das kann nur der Anfang sein! Fakten allerdings sind offensichtlich nicht gewünscht, wenn sie auch nur leisesten Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Forderungen der Aktivisten wecken. Offensichtlich widerspricht das der reinen Lehre. [...]"
Der Kommentator hat recht. Auf Twitter reagieren viele auf alles, was nicht zu ihrer Meinung passt, wie auf ein rotes Tuch, zumal deshalb, weil sie es auf Twitter aus dem Zusammenhang gerissen präsentiert bekommen, so dass sie zum Missverstehen förmlich eingeladen werden.
Wer kommentiert da? Er berichtet über sich selbst:
"Meine Familie stammt aus Pakistan. Ich habe selbst einige Jahre in dem Land gelebt. Und ich weiß, welche Folgen der Klimawandel haben kann: Flutkatastrophen, Überschwemmungen, Dürre, Hungersnot, unerträgliche Hitze, Versalzung von Gewässern, Land, das unbewohnbar wird. Obwohl Pakistan seit 1959 nur 0,4 Prozent zu den weltweiten Emissionen beigetragen hat, gehört das Land zu jenen Regionen der Welt, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Ich erlebe, wie Menschen sich nach einem Aufenthalt draußen den Dreck aus dem Gesicht waschen müssen. Wie Smog, verursacht durch Luftverschmutzung, die Menschen krank macht. Wie kaum Luft zum Atmen und Wasser zum Trinken da ist."
Er regt sich auf, dass die, die für seine eintreten, zum Teil erhebliche Schwächen haben. So bekommt er von einer sehr angesehenen Wochenzeitung, die selbst gerade erst damit anfängt, der Klimakrise die Aufmerksamkeit zuzuwenden, die sie verdient, die Gelegenheit, über Klimaaktivisten herzuziehen.
Was hat er sonst berichtet?
"Pakistans Wassermassen nehmen nur vorweg, was uns allen in dieser oder jener Form droht. Und so schlimm wie jetzt war es in Pakistan noch nie. Das Land, flächenmäßig etwa doppelt so groß wie Deutschland und mit einer dreimal so großen Bevölkerung, ist derzeit zu einem Drittel überflutet. Nach Angaben der pakistanischen Regierung sind, Stand heute, annähernd 1.200 Menschen in den Fluten ums Leben gekommen, darunter 380 Kinder – weggerissen von den Wassermassen, ertrunken oder erschlagen von einstürzenden Gebäuden. Und da ein Ende der sturzbachartigen Regenfälle nicht absehbar sei, ist mit noch viel mehr Todesopfern zu rechnen. Insgesamt sind 33 Millionen Menschen von der Flutkatastrophe betroffen. Die meisten haben ihre Häuser verlassen müssen und sind jetzt ohne Obdach. Andere befinden sich plötzlich inselartig von Wasser umringt und müssen sich auf ihre Hausdächer retten. Viele leben in Gebieten, die derzeit von der Außenwelt abgeschnitten sind. An den Ufern mancher Flüsse sind ganze Dörfer weggerissen worden. Pakistans Außenminister Bilawal Bhutto Zardari bezeichnet das Geschehen als "Ground Zero der Klimakrise"." ZEIT 2.9.22
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