Frau Ella berichtet von ihren Erfahrungen:
Angst, Finanzamt, Krankenversicherung, Rentenversicherung,Unsicherheit
Nichts für Ängstliche? I
Nichts für Ängstliche? II
Stimmt ja gar nicht (Krankenversicherung)
Seiten
Donnerstag, 30. April 2015
Einschränkungen beim Zugang zu Stasi-Unterlagen?
Markus Decker:Verwandte sollten nur eingeschränkten Zugriff auf Stasi-Unterlagen haben, Berliner Zeitung 29.4.15"Der frühere Behördenchef Hansjörg Geiger kritisiert den Umgang mit den Akten.
In der Experten-Kommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde gibt es Überlegungen, die Einsichtnahme von Kindern, Enkeln und Urenkeln in die Stasi-Akten ihrer Angehörigen zu beschränken und das Gesetz entsprechend zu ändern. Auslöser ist eine grundsätzlich kritische Stellungnahme des früheren Behörden-Direktors Hansjörg Geiger.
Geigers Kritik entzündet sich daran, dass nahe Angehörige Einsicht nehmen können, wenn sie mit Hilfe von Stasi-Unterlagen ihre DDR-Geschichte aufarbeiten möchten."
In der Experten-Kommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde gibt es Überlegungen, die Einsichtnahme von Kindern, Enkeln und Urenkeln in die Stasi-Akten ihrer Angehörigen zu beschränken und das Gesetz entsprechend zu ändern. Auslöser ist eine grundsätzlich kritische Stellungnahme des früheren Behörden-Direktors Hansjörg Geiger.
Geigers Kritik entzündet sich daran, dass nahe Angehörige Einsicht nehmen können, wenn sie mit Hilfe von Stasi-Unterlagen ihre DDR-Geschichte aufarbeiten möchten."
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Mittwoch, 29. April 2015
WIE VIEL VERKAUFEN DEUTSCHE VERLAGE VON IHREN BÜCHERN?
"Ein durch und durch unseriöses Gewerbe"
von Ulrich Greiner, ZEIT 12. Juni 1987
Hilde Domins „Gesammelte Gedichte“: 1400. Aber Rose Ausländer: 2000. Das ist schon viel. Gerhard Köpfs Roman „Die Erbengemeinschaft“: 3700. Evelyn Schlags Erzählung „Die Kränkung“: gegen 10 000. „Ein Bestseller“, sagt Fritz. Und was ist mit den großen Namen des Verlags, zum Beispiel mit der Horkheimer-Ausgabe? „Zäh, zäh, unter tausend. Ein Buchhändler sagte mir: ‚Die kritische Theorie ist kein Thema mehr.‘“ Um so besser geht es mit der Mann-Familie. Golo Manns „Erinnerungen und Gedanken“: 120 000. Thomas Manns Tagebücher, obwohl der Band 98 Mark kostet: 8000. Fritz zieht das Resümee: „Der Umsatz im Buchhandel steigt, aber wir literarischen Verlage haben alle dieselbe Zielgruppe, und die wird eher kleiner.“ [...]Die Literatur, die Luchterhand immer wieder riskiert, hat es schwer. Beispiel: Die erste Erzählung von Anna Rheinsberg „Marthe und Ruth“: 1750. Und selbst Peter Härtlings Gedichtband „Die Mörsinger Pappel“ verkauft sich nicht berauschend. Härtling, sonst ein Autor von Bestsellern. „Wenn Härtling mit Gedichten zu mir kommt, dann blicken wir beide uns tief in die Augen und wissen Bescheid. Aber ich will nicht behaupten, daß wir Geld daran verlieren.“ Die Auflagen seien nicht kleiner geworden, verglichen mit früheren Jahren, aber die Bedingungen hätten sich geändert, und heute sei es ungleich aufwendiger, ein Buch durchzusetzen. „Das Verlagsgeschäft ist ein durch und durch unseriöses Gewerbe“, sagt Altenhein, „aber ich beklage mich nicht.“ Von der „Rättin“ des Günter Grass hat der Verlag 110 000 Stück verkauft. Von Christa Wolfs Tschernobyl-Erzählung „Störfall“ 175000 [...]
Die Schar der literarisch interessierten Leser ist äußerst begrenzt. Die Zahlen der Verlage sind überraschend ähnlich. Lyrik hat maximal tausend Käufer, neue Romane um die fünftausend. Das lohnt sich für keinen Verlag. Aber die Verlage rechnen mit Überraschungen: daß nämlich plötzlich einer über 10 000 kommt. Und sie kalkulieren mit ihren Bestsellern. Mit den Großen finanzieren sie die Kleinen, damit sie vielleicht groß werden. Das Gewerbe ist deshalb „unseriös“, wie Altenhein sagt, weil man den Bedarf an Schuhen und Kühlschränken ungefähr ausrechnen kann, den an Literatur aber nicht. Der Hersteller eines Kühlschranks kann genau bestimmen, wie der Kühlschrank aussehen soll. Der Verleger aber kann nur drucken, was die Autoren ihm liefern.
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Dienstag, 28. April 2015
Glutenfreies Getreide und Ausbeutung
ANDRZEJ RYBAK: Essen oder exportieren? DIE ZEIT Nº 05/2015 29. Januar 2015
"Teff zählt zu den Grundnahrungsmitteln in Äthiopien. Nun aber entdeckt der Westen das glutenfreie Getreide. [...]"Im äthiopischen Hochland wird der Teff seit etwa 5.000 Jahren angebaut. das Urgras hierzulande genannt wird, gilt als das kleinste Getreide der Welt. [...] Seine Körner sind kaum größer als die von Mohn, Hundert von ihnen wiegen weniger als ein Weizenkorn. [...] Die Körner sind reich an Proteinen, Fetten und Aminosäuren. Sie beinhalten hohe Mengen an Vitaminen sowie Mineralien, vor allem Kalzium, Eisen, Magnesium und Phosphor. Sie sind kalorienreich und von Natur aus glutenfrei. "Kein anderes Getreide kann es mit dem Teff aufnehmen", sagt der Farmer. Und genau das könnte noch zum Problem werden.[...] Schon jetzt ist Teff ein Renner unter ernährungsbewussten Hollywoodstars. [...] Schon wird in Health-Food-Läden in den USA und Europa das Teff-Mehl angeboten. Zu etwa acht Euro pro Kilo. [...]
Die Regierung fürchtet eine Preisexplosion wie vor einigen Jahren bei der südamerikanischen Quinoa. Die sogenannte Andenhirse wird in Peru und Bolivien angebaut und war eine Zeit lang ebenfalls zum Modegetreide des Westens geworden. Prompt verdienten Exporteure und Farmer gutes Geld. Doch viele arme Familien, die sich von Quinoa ernährten, konnten sie nicht mehr bezahlen. Hunger und Unterernährung waren die Folge.
Die äthiopische Regierung hat deswegen den Export von Teff vorläufig untersagt. Nur wer über eine Lizenz verfügt, darf das Getreide exportieren. Teff-Produkte wie Ingera oder auch Pasta können allerdings frei ausgeführt werden. [...]
Theoretisch könnte der Teff fast überall auf der Welt angebaut werden. [...] Manche erwarten offenbar gute Geschäfte mit der äthiopischen Zwerghirse. Eine niederländische Firma ließ sich vor einigen Jahren sogar Samen aus Debre Zeyit liefern und produzierte aus dem Teff ein besonderes Mehl. Kurz danach meldete es auf die Technik dahinter ein Patent an. "
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Amazon und geistiges Eigentum
"Es könnte besser nicht laufen" ZEIT 15.2.15
Woody Allen
Kritiker zu Woody Allen:
"Sie werden in Ihren Werken weiterleben!"
"Meine Wohnung wäre mir eigentlich lieber!"
Walser - Marx und der negative Gottesbeweis
domradio.de:
rp-online (Rheinische Post):
Ein G2-Gipfel zum Gottesbeweis, Frankfurter Rundschau 28.4.15, S.31
Martin Walser eine moralische Instanz?
"Was aber gar nicht einleuchten will an der sogenannten Debatte, die sich sofort wieder an den medienwirksam mitgeteilten Walser'schen Lesefrüchten entzündet hat, ist seine Einordnung als "moralische Instanz", wie sie nun schon zum wiederholten Male von der "FAZ" vorgenommen worden ist. Wenn Walser tatsächlich eine solche wäre, dann müsste man seine derart spät gewonnenen Erkenntnisse ja als die pure Peinlichkeit empfinden, denn von einer Instanz dürfte man erwarten, dass sie sich denn doch seit einigen Jahren in Sachen deutsch-jüdischer Kultur auf dem Bildungsniveau befindet, das hierzulande ein normaler Gymnasiast besitzt." (Die Welt)
"Walser mit seinem bizarr-dialektischen Glaubensbild nennt die Vorstellung, dass es Gott nicht gebe, "lächerlich". Aber genauso lächerlich sei es, "wenn man sagt, es gibt ihn". Überhaupt Gott - über Unsterblichkeit etwa lasse sich leichter verhandeln, sagt der Autor mit seiner hellen, immer leicht in den Spott hineinragenden Stimme. Gott - das sei schon vom Begriff her schwierig. "Entschuldigung, Herr Kardinal."Marx federt die Sottisen ab, antwortet ganz akademisch: Er erläutert die sogenannte negative Theologie, das Schweigen vor Gott oder zu sagen, was Gott nicht sei. Er ist, so eine berühmte lateinische Formulierung, "totaliter aliter" (ganz anders). Marx: "An sich können Gott und Mensch nicht zusammenkommen. Gott ist kein Teil der Welt." Walser geht prompt dazwischen: 'Bei irgendeinem Konzil haben Sie dann beschlossen, dass Jesus Gott und Mensch ist.'" (domradio.de, 25.4.15)
rp-online (Rheinische Post):
"Durch Martin Walsers Werke scheint dessen immerwährende Glaubenssuche."Im Gespräch fallen dazu von ihm die Sätze: "Das kann auch Christus nicht - vermitteln zu dem dort oben." [...] "Wenn ich so einem zuhöre, weiß ich plötzlich, dass es Gott geben muss." [...] "Wenn man sagt, Gott gebe es nicht, hat man schon von ihm gesprochen." [...] "Es gibt sicherlich religiöse Erlebnisse, aber sie können nicht positiv formuliert werden." Bei rp-online heißt es dann: " 'Wir glauben mehr, als wir wissen.' Walser nannte das den "allerwichtigsten Satz" in seinem Roman "Muttersohn" von 2011.Über Marx weiß rp-online zu berichten: "Niemand könne Gott sehen und am Leben bleiben. So einfach schwarz-weiß lägen die Dinge zwischen Glaube und Unglaube nicht. Bei den meisten Menschen sei das laut Augustinus ein Suchen und Finden bis in alle Ewigkeit. Marx bekam als Junge vom Vater oft aus Goethes "Faust" vorgelesen. Er mochte sich, den 88-jährigen Walser im Blick, rollentauschend in Mephisto versetzen und leicht abgewandelt denken: 'Von Zeit zu Zeit les' ich den Alten gern . . .'" (rp-online, 27.4.15)SZ online :
Die Moderatorin und der Kardinal geben sich Mühe, was Walser mal mit Wohlwollen belohnt, mal abtropfen lässt. Der größte Gottesbeweis seien ihm die Fernsehdiskussionen mit den angestrengten Atheisten, sagt er; mit einer Kirche aber könne er wenig anfangen. Bis Luther sei das Christentum eine große Erzählung gewesen, "danach Diskussion". Da widerspricht Kardinal Marx: "Das kann man über Karl Barth nicht sagen". Ach, der Barth, antwortet Walser, der habe halt am Ende "Jesus gut gebrauchen können". (Atheismus als Gottesbeweis, Süddeutsche Zeitung 26.4.15)
Ein G2-Gipfel zum Gottesbeweis, Frankfurter Rundschau 28.4.15, S.31
«Mich wundert, dass die Kirchen nicht dauernd darauf aufmerksam machen, wo Europa ohne die christliche Kunst und Kultur wäre»,
Martin Walsers Tagebücher 1979-81
Reinhard Marx (Wikipedia)
Martin Walser eine moralische Instanz?
"Was aber gar nicht einleuchten will an der sogenannten Debatte, die sich sofort wieder an den medienwirksam mitgeteilten Walser'schen Lesefrüchten entzündet hat, ist seine Einordnung als "moralische Instanz", wie sie nun schon zum wiederholten Male von der "FAZ" vorgenommen worden ist. Wenn Walser tatsächlich eine solche wäre, dann müsste man seine derart spät gewonnenen Erkenntnisse ja als die pure Peinlichkeit empfinden, denn von einer Instanz dürfte man erwarten, dass sie sich denn doch seit einigen Jahren in Sachen deutsch-jüdischer Kultur auf dem Bildungsniveau befindet, das hierzulande ein normaler Gymnasiast besitzt." (Die Welt)
Andreas Gössling: Ein lächelndes Spiel - Kommentar zu Robert Walsers "Geschwister Tanner"
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Montag, 27. April 2015
Piëch, Winterkorn, ihre Einkommen - VW und der Klimawandel
Tweets vom Tage:
- Unsere 2 Zahlen des Tages: 43,456 und 34,560. Die erste Gehalt pro Tag von #Winterkorn#VW die zweite das Jahresgehalt einer #Erzieherin.
-
@heutejournal Fragt sich: Was sind die Tageseinnahmen von #Piëch ? Nicht nur höher als die von W, sondern auch viel schwerer festzustellen.
- @heutejournal Ich denke, #Piëch bekommt am Tag so viel wie #Winterkorn im Jahr. Verdienen tun es wohl beide nicht.
Kommentar:
Piëch vereinsamt ??
Ferdinand Piëch (Wikipedia)
Martin Winterkorn (Wikipedia)
Erzieherin leitet die Wikipedia zu Erzieher weiter und teilt mit: 96% der Erzieher sind Erzieherinnen. - Wie viel Prozent der Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden von DAX-Unternehmen sind weiblich?
Frage:
Wie viel trägt das Unternehmen VW zur menschengemachten Klimakatastrophe bei, wie viel alle Erzieherinnen gemeinsam?
Naomi Klein:
Ferdinand Piëch (Wikipedia)
Martin Winterkorn (Wikipedia)
Erzieherin leitet die Wikipedia zu Erzieher weiter und teilt mit: 96% der Erzieher sind Erzieherinnen. - Wie viel Prozent der Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden von DAX-Unternehmen sind weiblich?
Frage:
Wie viel trägt das Unternehmen VW zur menschengemachten Klimakatastrophe bei, wie viel alle Erzieherinnen gemeinsam?
Naomi Klein:
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"Zwei-Klassen-Rettung" in Nepal
Der Staat Nepal besitzt 6 Hubschrauber. Drei davon wurden zur Rettung von Bergsteigern eingesetzt.
Nicht nur Messner kritisiert das.
Nicht nur Messner kritisiert das.
Frauen in der Wikipedia
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.frauenakademie-in-stuttgart-wikipedia-soll-weiblicher-werden.b46a24c3-826d-4408-97a3-6e45e19f5217.html
http://web.archive.org/web/20130517124440/http://www.emma.de/hefte/ausgaben-2013/januarfebruar-2013/wikiwomen-unite/
Griechenlandkrise und Eurokrise: Wie führt ein Weg hinaus?
Kommentar von Robert Misik, ZEIT online, 27.4.15
Meine bisherigen Artikel zur Griechenlandkrise
"Die Politik der vergangenen Jahre hat freilich Folgen und das Durchwurschteln zeitigt Resultate. Hinzu kommt das Framing, das man gewählt hat: Was eigentlich eine Bankenrettung war, wurde als Iren-, Portugal- & Co-Rettung ausgegeben. So trug diese Form der Notfall-Operationen dazu bei, Europa auseinander zu dividieren. Euroskepsis macht sich breit, sogar aggressives antieuropäisches Ressentiment. Um die falsche Politik zu korrigieren, wäre mehr europäische Integration nötig, aber die falsche Politik hat auch dazu geführt, dass es heute praktisch keine Legitimität in den jeweiligen nationalen Öffentlichkeiten für mehr Integration gibt."
Meine bisherigen Artikel zur Griechenlandkrise
"In der Rüstung sind sie fix. für die Bildung tun sie nix
Der Spruch "In der Rüstung sind sie fix. für die Bildung tun sie nix" gilt nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland. Auch für Kuba dürfte er nicht ganz ungerechtfertigt sein.
Ob die Annäherung von USA und Kuba da eine Änderung bringt?
Ob die Annäherung von USA und Kuba da eine Änderung bringt?
Sonntag, 26. April 2015
FRAX: FR-Arbeitsmarktindex
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Samstag, 25. April 2015
Klimawandel: Noch lässt sich das Schlimmste verhüten
Ich hielte es für falsch, wenn bei der Behandlung des Klimawandels die Schüler zu dem Ergebnis kommen müssten: Der Klimawandel ist zwar menschengemacht, aber die Menschheit hat keine Chance mehr, an der Katastrophe etwas zu ändern.
Deshalb habe ich zu dem Prognoseartikel 2052. Der neue Bericht an den Club of Rome jetzt auch den handlungsorientierten Artikel Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima ins ZUM-Wiki eingestellt.
Meiner Meinung nach sind die beiden Artikel zusammen eine geeignete Grundlage für die Behandlung des Klimawandels, wenn man für meteorologische und naturwissenschaftliche Fragen auch den Artikel Klimawandel beizieht.
Obwohl bei beiden auch Hilfestellungen für den Unterricht gegeben werden, wäre es freilich sinnvoll, wenn auch Hinweise gegeben würden, wie man eine Unterrichtsreihe zu diesem Thema gestalten sollte. Wer fühlt sich angesprochen, "aus dem Nähkästchen zu plaudern"?
Der bisherige Artikel zum Klimawandel scheint mir jetzt nicht mehr zureichend, weil es mir sinnvoll erscheint, dass Schüler die Möglichkeit bekommen, die Argumente von Randers und Naomi Klein anhand von Textausschnitten kennen zu lernen und nachvollziehen zu können.
Deshalb habe ich zu dem Prognoseartikel 2052. Der neue Bericht an den Club of Rome jetzt auch den handlungsorientierten Artikel Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima ins ZUM-Wiki eingestellt.
Meiner Meinung nach sind die beiden Artikel zusammen eine geeignete Grundlage für die Behandlung des Klimawandels, wenn man für meteorologische und naturwissenschaftliche Fragen auch den Artikel Klimawandel beizieht.
Obwohl bei beiden auch Hilfestellungen für den Unterricht gegeben werden, wäre es freilich sinnvoll, wenn auch Hinweise gegeben würden, wie man eine Unterrichtsreihe zu diesem Thema gestalten sollte. Wer fühlt sich angesprochen, "aus dem Nähkästchen zu plaudern"?
Der bisherige Artikel zum Klimawandel scheint mir jetzt nicht mehr zureichend, weil es mir sinnvoll erscheint, dass Schüler die Möglichkeit bekommen, die Argumente von Randers und Naomi Klein anhand von Textausschnitten kennen zu lernen und nachvollziehen zu können.
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Freitag, 24. April 2015
TTIP kann Maßnahmen gegen das Treibhausklima verhindern, das Treibhausklima führt zu Klimaflucht
Zum Zusammenhang von TTIP und Maßnahmen zum Klimaschutz sagt Naomi Klein:
Zum Zusammenhang von Klimawandel und Flucht schreibt der Guardian am 8.3.2015
Zitat aus dem genannten Guardianartikel:
"[...] burning existing stocks of oil, gas and coal could, as Naomi Klein has written, result in cities drowning, citizens fleeing storms and droughts, and whole cultures being swallowed by the sea."
Über das Schicksal der knapp 3,8 Millionen syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge berichtet Amnesty International.
Über die Gefahren von Unternehmensklagen berichtet das Handelsblatt am Beispiel von Vattenfall
Um den Klimawandel effektiv zu bekämpfen, brauchen wir eine Wiederbelebung der regionalen Wirtschaft, wir müssen den Einfluss der Konzerne zurückdrängen, Freihandelsabkommen blockieren. Es müssen große Summen in den Umbau der Agrarwirtschaft und der öffentlichen Infrastruktur fließen, die Energie- und Wasserversorgung und den Umbau der Städte, um den Verkehr zu vermindern. Ein riesiges Programm, dass schnell umgesetzt werden muss. Ist das möglich? Natürlich. Ist das möglich, ohne die Grundregeln des deregulierten Kapitalismus anzugreifen? Keinesfalls. ("Das Wirtschaftssystem in Frage stellen" FR 29.3.15)Mehr dazu von Naomi Klein: Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima
Zum Zusammenhang von Klimawandel und Flucht schreibt der Guardian am 8.3.2015
In 2014, around 3,500 boat people died trying to cross the Mediterranean to enter Europe. They risked their lives and lost. According to the UN High Commissioner for Refugees around 218,000 people got to Europe “by irregular means” last year. They took a chance and survived.Dazu führt er weiter aus: Wanderungs- und Fluchtbewegungen aufgrund klimatischer Veränderungen gab es schon seit prähistorischer Zeit. [Fontanefan: Aus der Schulzeit kennen die meisten von uns wohl die Wanderung der Kimbern und Teutonen. ] Neu ist, dass es um menschengemachte Klimaveränderungen geht.
Among them were those fleeing the violence in Syria, and of these, a proportion must be counted as climate refugees. Possibly because of global warming, the years 2007 to 2010 saw the most sustained drought on record in the Fertile Crescent. Agriculture collapsed, and around 1.5 million people abandoned failing farms in the countryside for Damascus and other cities. That is, they became climate refugees. Livestock was obliterated, cereal prices doubled, and children started to sicken with nutrition-related illnesses. The 2011 Syrian uprising against the Assad regime began in the crowded settlements of climate refugees. [Hervorhebungen von mir]
Zitat aus dem genannten Guardianartikel:
"[...] burning existing stocks of oil, gas and coal could, as Naomi Klein has written, result in cities drowning, citizens fleeing storms and droughts, and whole cultures being swallowed by the sea."
Über das Schicksal der knapp 3,8 Millionen syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge berichtet Amnesty International.
Über die Gefahren von Unternehmensklagen berichtet das Handelsblatt am Beispiel von Vattenfall
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Beispiele für Umdenken
In der Flüchtlingsfrage hat das Unglück vor Lampedusa und der Appell des Papstes ein Umdenken in der Öffentlichkeit bewirkt. Die Politiker gaben nur Lippenbekenntnisse ab und änderten nichts und wenn, dann nur etwas zum Schlechteren. Von "Mare Nostrum" zu "Triton".
Jetzt scheint das Umdenken bei den Politikern in Handlungen zu münden, freilich sehr zaghaften.
Ein Umdenken gab es in Fragen der sexuellen Orientierung. War früher ausgeübte Homosexualität beim männlichen Geschlecht über den §175 gleich strafbewehrt, egal ob unter Erwachsenen oder zwischen Erwachsenen und Kindern, so kann man heute stolz darauf sein, homosexuell zu sein, wer aber pädosexuell ist, dem gilt kein Mitgefühl, auch wenn er große Anstrengungen unternimmt, seine Veranlagung nicht auszuleben, wo doch jedwede andere Spielart von Veranlagung - auch solche, die bis vor wenigen Jahren noch völlig unbekannt waren - vollen Respekt zu genießen scheint.
Konnte nach 1966 der Bundesgerichtshof der Ehemann von seiner Ehefrau fordern, dass sie bei der Erfüllung ihrer "ehelichen Pflichten" "keine Gleichgültigkeit zur Schau" trage, so kann seit 1997 ein Ehemann, der - unter Ausnutzung einer ökonomischen Abhängigkeit seiner Frau oder durch sonstigen Druck ehelichen Beischlaf als sein Recht einfordert, wegen Vergewaltigung in der Ehe bestraft werden.
Oskar Gröning war in der Nachkriegszeit noch in einem Prozess gegen einen SS-Mann von Auschwitz "als Zeuge geladen". Hatte er noch 1985 gegen Holocaustleugnung mit einem deutlichen "Ich habe alles gesehen" protestiert, so wird ihm heute der Prozess gemacht, weil er zwar nicht unmittelbar an der Tötung von Menschen beteiligt, aber Teil der Maschinerie war, die 300 000 Menschen zu Tode brachte. Denn die Justiz hat seit dem Prozess gegen John Demjanjuk 2011 umgedacht und rechnet auch indirekte Beteiligung als Schuld an.
So rasch denken wir um. Aber selten gestehen wir anderen das Recht zu, langsamer im Umdenken zu sein. - Zu Recht oder zu Unrecht?
Geradezu Schallgeschwindigkeit im Umdenken hat Angela Merkel entwickelt. Als Umweltministerin machte sie zaghafte Schritte auf dem Weg zum Umweltschutz. In der Opposition machte sie sich stark für den Ausstieg aus dem Atomausstieg. In der Regierung setzte sie diesen Ausstieg um. Nach Fukushima machte sie eine Kehrtwende und trat für den Atomausstieg ein. Jetzt tut sie aber alles, um die Konkurrenz von nachhaltiger Energieherstellung zu stärken. Von Energiewende keine Spur. Die Emissionszertifikate, die die fossile Energie auf sanftem Wege weniger rentabel machen sollten, lässt sie zu Minimalpreisen verschleudern. Kohlekraftwerke mit einem Höchstmaß an CO2-Ausstoß schützt sie vor Kritikern und selbst äußerst zaghafte Versuche, wenigstens die exzessivsten Dreckschleudern abzuschalten, genießen bei ihr keinerlei Unterstützung.
Was wird es nützen, wenn sie - nachdem die letzte Chance für eine selbstbestimmte Energiewende vertan ist - in einer neuen Kehrtwende beklagen wird, dass ihr Energiewendekurs leider nicht genügend Unterstützung erfahren habe?
Jetzt scheint das Umdenken bei den Politikern in Handlungen zu münden, freilich sehr zaghaften.
Ein Umdenken gab es in Fragen der sexuellen Orientierung. War früher ausgeübte Homosexualität beim männlichen Geschlecht über den §175 gleich strafbewehrt, egal ob unter Erwachsenen oder zwischen Erwachsenen und Kindern, so kann man heute stolz darauf sein, homosexuell zu sein, wer aber pädosexuell ist, dem gilt kein Mitgefühl, auch wenn er große Anstrengungen unternimmt, seine Veranlagung nicht auszuleben, wo doch jedwede andere Spielart von Veranlagung - auch solche, die bis vor wenigen Jahren noch völlig unbekannt waren - vollen Respekt zu genießen scheint.
Konnte nach 1966 der Bundesgerichtshof der Ehemann von seiner Ehefrau fordern, dass sie bei der Erfüllung ihrer "ehelichen Pflichten" "keine Gleichgültigkeit zur Schau" trage, so kann seit 1997 ein Ehemann, der - unter Ausnutzung einer ökonomischen Abhängigkeit seiner Frau oder durch sonstigen Druck ehelichen Beischlaf als sein Recht einfordert, wegen Vergewaltigung in der Ehe bestraft werden.
Oskar Gröning war in der Nachkriegszeit noch in einem Prozess gegen einen SS-Mann von Auschwitz "als Zeuge geladen". Hatte er noch 1985 gegen Holocaustleugnung mit einem deutlichen "Ich habe alles gesehen" protestiert, so wird ihm heute der Prozess gemacht, weil er zwar nicht unmittelbar an der Tötung von Menschen beteiligt, aber Teil der Maschinerie war, die 300 000 Menschen zu Tode brachte. Denn die Justiz hat seit dem Prozess gegen John Demjanjuk 2011 umgedacht und rechnet auch indirekte Beteiligung als Schuld an.
So rasch denken wir um. Aber selten gestehen wir anderen das Recht zu, langsamer im Umdenken zu sein. - Zu Recht oder zu Unrecht?
Geradezu Schallgeschwindigkeit im Umdenken hat Angela Merkel entwickelt. Als Umweltministerin machte sie zaghafte Schritte auf dem Weg zum Umweltschutz. In der Opposition machte sie sich stark für den Ausstieg aus dem Atomausstieg. In der Regierung setzte sie diesen Ausstieg um. Nach Fukushima machte sie eine Kehrtwende und trat für den Atomausstieg ein. Jetzt tut sie aber alles, um die Konkurrenz von nachhaltiger Energieherstellung zu stärken. Von Energiewende keine Spur. Die Emissionszertifikate, die die fossile Energie auf sanftem Wege weniger rentabel machen sollten, lässt sie zu Minimalpreisen verschleudern. Kohlekraftwerke mit einem Höchstmaß an CO2-Ausstoß schützt sie vor Kritikern und selbst äußerst zaghafte Versuche, wenigstens die exzessivsten Dreckschleudern abzuschalten, genießen bei ihr keinerlei Unterstützung.
Was wird es nützen, wenn sie - nachdem die letzte Chance für eine selbstbestimmte Energiewende vertan ist - in einer neuen Kehrtwende beklagen wird, dass ihr Energiewendekurs leider nicht genügend Unterstützung erfahren habe?
Donnerstag, 23. April 2015
Ertrinken
Warum werde ich auf dies Buch im Regal aufmerksam?
Ein Kapitel heißt "Auswanderung", eines "Der Ertrinkende", eines "Wir haben nichts gewußt".
Es ist 1987, (deutsch 1993) herausgekommen und handelt von einer Kindheit im Dritten Reich.
Gerhard L. Durlacher: Ertrinken. Eine Kindheit im Dritten Reich
Ein Zitat aus dem letzten Kapitel "Wir haben nichts gewußt":
"Unzählige Deutsche, gleichgültig oder von Angst gelähmt, sahen uns direkt vor ihren Augen ertrinken.
Nur einzelne Mutige, wie der Kellner Fritz in Riva am Gardasee, retteten den Ertrinkenden aus den Fluten."
Grenzen auf, Grenzen dicht so hat man sich damals in der Schweiz, Schweden, Großbritannien und vielen Ländern gefragt.
Auch "Türen auf?" in Deutschland. Die Antworten waren unterschiedlich. Was ist unsere?
Ein Kapitel heißt "Auswanderung", eines "Der Ertrinkende", eines "Wir haben nichts gewußt".
Es ist 1987, (deutsch 1993) herausgekommen und handelt von einer Kindheit im Dritten Reich.
Gerhard L. Durlacher: Ertrinken. Eine Kindheit im Dritten Reich
Ein Zitat aus dem letzten Kapitel "Wir haben nichts gewußt":
"Unzählige Deutsche, gleichgültig oder von Angst gelähmt, sahen uns direkt vor ihren Augen ertrinken.
Nur einzelne Mutige, wie der Kellner Fritz in Riva am Gardasee, retteten den Ertrinkenden aus den Fluten."
Grenzen auf, Grenzen dicht so hat man sich damals in der Schweiz, Schweden, Großbritannien und vielen Ländern gefragt.
Auch "Türen auf?" in Deutschland. Die Antworten waren unterschiedlich. Was ist unsere?
"[...] jetzt gäbe es Schwierigkeiten, [...]
"Sie verstehen . . . " (Ertrinken)
- Tweets zu Flüchtlinge
- Dokument der Unentschlossenheit ZEIT online, 21.4.2015 (Kommentar)
- Schiffsunglück im Mittelmeer am 19. April 2015
- "Die UNHCR-Sprecherin Carlotta Sami erklärte, sollten die Zahlen sich bestätigen, so wäre dies 'das schlimmste Massensterben, das jemals im Mittelmeer beobachtet wurde.' Sie verlangte nach der Katastrophe eine Wiederauflage des Seenotrettungsprogramms Mare Nostrum in gesamteuropäischer Verantwortung."
- Weltspiegel extra: Massengrab Mittelmeer, Das Erste mit Video "Zeugnis eines Flüchtlings" vom 19. April 2015
- Ein gut bewachtes Massengrab ZEIT online, 17.4.15 (mit über 240 Kommentaren)
- "Warum also, fragt Feldt, rettet die EU die Flüchtlinge nicht mit den Methoden, mit denen sie auch die Schlepper bekämpft?
- Ein Einsatz im Mittelmeer wäre sogar leichter zu organisieren als die Anti-Piraten-Mission, sagt Feldt. Die Wege im Mittelmeer sind kurz, die Entfernungen zu Versorgungshäfen gering. Mit Spanien, Frankreich, Italien, Malta, Griechenland und Zypern gibt es sechs Anrainerstaaten, die Logistik stellen könnten. Die EU könnte auf Kommandostrukturen der Nato zurückgreifen. Das Militärbündnis überwacht den Mittelmeerraum ohnehin seit 2001 im Rahmen der Anti-Terror-Operation Active Endeavour."
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Mittwoch, 22. April 2015
Ist Bildungsdiskriminierung immer noch überall?
Christian Füller: Mich Arbeiterkind gibt es nicht mehr auf der Hauptschule
Marco Maurer: Bildungsdiskriminierung ist überall ZEIT online 22.4.15
Marco Maurer: Bildungsdiskriminierung ist überall ZEIT online 22.4.15
Christian Füller: ZWEI AUFZÄHLUNGEN ALS ANTWORT AUF MARCO MAURER
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Oskar Gröning: "Ich war dabei."
"In einem Nachkriegsprozess gegen einen SS-Mann, der direkt an der Ermordung von KZ-Häftlingen beteiligt war, wurde Gröning als Zeuge geladen. Zum damaligen Zeitpunkt galt Gröning als juristisch unschuldig und wurde deshalb nicht angeklagt. Die Presse gab ihm den Beinamen „Buchhalter von Auschwitz“.[2] Den Holocaust bestätigte er als Augenzeuge: „Ich habe alles gesehen. Die Vergasungen, die Verbrennungen, die Selektionen. In Auschwitz sind 1,5 Millionen Juden ermordet worden. Ich war dabei.“" (Seite „Oskar Gröning“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 21. April 2015, 23:12 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Oskar_Gr%C3%B6ning&oldid=141230769 (Abgerufen: 22. April 2015, 05:22 UTC))Mein Respekt gilt dem Mann, der dazu zu lernen verstand. Wenn ihm jetzt der Prozess gemacht wird, ist das ein Beweis dafür, dass wir - gerechtfertigt oder nicht, braucht in diesem Kontext nicht diskutiert zu werden - aus Abstand anders über die NS-Zeit denken, als man noch in der Nachkriegszeit darüber dachte.
Für seine moralische Beurteilung ist mir ganz wichtig:
"Er stellte insgesamt drei Versetzungsgesuche an die Front. Am 17. Oktober 1944 überstellte ihn die SS schließlich zu einer Feldeinheit, die in der Ardennen-Offensive kämpfte." (Seite „Oskar Gröning“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 21. April 2015, 23:12 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Oskar_Gr%C3%B6ning&oldid=141230769 (Abgerufen: 22. April 2015, 05:22 UTC))
Man konnte also der Aufgabe des SS-Schergen entkommen, ohne dafür bestraft zu werden; aber es brauchte Ausdauer und Zähigkeit und die Bereitschaft, immer wieder in großer Todesgefahr zu leben.
Zusatz:
HEINRICH WEFING: AUSCHWITZ-PROZESS: Mord verjährt nicht, ZEIT online, 22. April 2015 mit über 120 Kommentaren
"Oskar Gröning wird wohl nie wieder einem Menschen ein Haar krümmen. Dennoch gibt es einen großen, fast historischen Grund, weshalb der Greis noch vor Gericht steht."Zur Aussage des Richters, der 1991/92 mit Gröning sprach , Zeit 26.5.15
vgl. auch meinen Artikel bei Fontanefan, 25.4.15
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Renaissance
Die Renaissance beginnt im Mittelalter (Petrarca * 20. Juli 1304 in Arezzo; † 19. Juli 1374
"Stellung des Dichters zwischen Mittelalter und Renaissance
"), reicht aber weit darüber hinaus.
Machiavelli (1469-1527), ein ganz typischer Vertreter der Renaissance, wurde im Mittelalter geboren und starb in der Neuzeit.
Shakespeare (1564-1616 - "Verhandlungen mit Shakespeare. Innenansichten der englischen Renaissance") wird auch noch zur Renaissance gerechnet, obwohl er manche Züge trägt, die man dem Barock zuordnen kann.
(Normalerweise rechnet man etwa die Zeit von 500-1500 zum Mittelalter).
Die Renaissance ist also eine Zeit, die beiden Zeitaltern zugehört. Man könnte sagen, dass durch die Renaissance im Mittelalter die Neuzeit herbeigeführt wurde.
Andererseits wird daran erkennbar, dass alle Epochenabgrenzungen etwas Künstliches haben. Das Zitat "Stellung des Dichters zwischen Mittelalter und Renaissance" (aus dem Petrarcaartikel der Wikipedia) macht das deutlich. P. zeigt viele typische Kennzeichen der Renaissance, war insofern aber seiner Zeit weit über 100 Jahre voraus.
Übrigens: Das Jahr 1500 als Ende des Mittelalters und Beginn der Neuzeit (für die Grobrechnung) hat man gewählt, weil zwei ganz wichtige Ereignisse der Neuzeit, die Entdeckung Amerikas (1492) und Luthers Reformation (Thesenanschlag 1517) um diesen Zeitpunkt herum lagen. Die Neuzeit begann eben nicht genau. Sie begann weder 1492 noch 1517, sondern bildete sich seit Petrarca langsam heraus.
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Dienstag, 21. April 2015
"Wir haben mehr Macht, als wir denken" - Interview mit David Graeber
Tomasz Konicz Interview mit David Graeber: "Wir haben mehr Macht, als wir denken", 20.4.15
"Wenn du diese Problematik vor dem Hintergrund der Zyklen des Nachkriegskapitalismus betrachtest, dann kann festgehalten werden, dass zwischen 1945 und 1975, während der keynesianischen Phase des Nachkriegskapitalismus, die Bürgerrechte der weißen Mittelschicht in den nordatlantischen Ländern an bestimmte wirtschaftliche Garantien gekoppelt waren. Eine davon bestand darin, dass Produktivitätssteigerungen zu einem Anstieg der Löhne führten. Eine andere Garantie umfasste zudem das Sozialsystem, das sich in der Nachkriegszeit herausbildete. [...] Nahezu alle sozialen Kämpfe der 1960er und 1970er drehten sich darum, dass immer mehr Menschen in diese Mittelschicht hineindrängten, da sie nicht Teil dieses ursprünglichen Deals waren, und "Was ist mit uns?" fragten. [...]Und selbstverständlich kann der Kapitalismus so nicht funktionieren, indem eine Mehrheit der Arbeiterschaft durch solch einen Deal sozial ruhiggestellt wird. Deswegen zerbröckelt das System - und dieses Zerbröckeln, diese Krise nimmt die Form von Finanzkrisen, ökologischen Katastrophen und Ölkrisen an. Nachdem dieser Deal aufgekündigt wurde und die Löhne nicht mehr an die Produktivität gekoppelt wurden, stieg die Produktivität immer weiter an, während das Lohnniveau stagnierte - und die Schulden fungierten als eine Art Ersatz."
Kurzberichte und Tweets vom EduCamp Stuttgart 2015
offiziell:
"Das war das EduCamp Stuttgart 2015 – Rund 100 Teilgeberinnen und Teilgeber haben das #ecstg15 mit vielen interessanten und wertvollen Gesprächen und Diskussionen gefüllt.
Als Produkt des STOP your Motion Workshops am Freitag sind vier großartige Filme entstanden - einer davon ist auf Youtube (https://www.youtube.com/ watch?v=qiduYcP2GxE) zu sehen. Von Samstag und Sonntag haben wir insgesamt 52 Sessions in unserem Sessionplan (https://ecstg15.educamps.org/ sessions/) verzeichnet, die sich fast durch die Bank eines großen Zuspruchs erfreuen konnten."
Tweets #ecstg15
Blogs:
http://frauschuetze.de/?p=6775
http://www.brandwatch.com/de/2015/04/educamp-stuttgart-2015-ein-rueckblick/
"Das war das EduCamp Stuttgart 2015 – Rund 100 Teilgeberinnen und Teilgeber haben das #ecstg15 mit vielen interessanten und wertvollen Gesprächen und Diskussionen gefüllt.
Als Produkt des STOP your Motion Workshops am Freitag sind vier großartige Filme entstanden - einer davon ist auf Youtube (https://www.youtube.com/
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Ch. Schattleitner fragt: Wo bleibt die Trauer für die Opfer?
Wo bleibt die Trauer für die Opfer?, ZEIT online, 20.4.15
Offenbar hat Schattleitner sich so an konsequenzlose Betroffenheitsrituale gewöhnt, wie sie beim Germanwings-Absturz im Überfluss produziert wurden, dass ihm jeder Sinn für die politische Funktion von Öffentlichkeit abhanden gekommen ist.
Verwunderlich ist das nicht. Fatal ist, dass er auch noch stolz darauf zu sein scheint.
Empathie ist wichtig gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen. Den Tätern muss man erst einmal klar machen, was die Folgen ihrer Handlung sind. Empathie bedarf es, wenn man sie wieder resozialisieren will.
Im Gegensatz zu anderen Katastrophen wie etwa dem Germanwings-Absturz oder dem Brand auf der Norman Atlantic wird in dieser Debatte kaum über die Opfer gesprochen. 400 Tote, vier Tage später 700 Tote, aber kaum Empathie und Trauer im Kommentarbereich. Fällt Ihnen als Debattenteilnehmer dies auf? Inwiefern beeinflusst es den Diskurs, wenn wir nicht mitleiden?Wenn offenkundig eine Entscheidung der Politik, die Rettungsaktion "Mare Nostrum" zu beenden, voraussehbar in kurzer Zeit zu Hunderten von Toten führt und bald zu Tausenden von Toten führen wird, dann ist es allerhöchste Zeit, eine Rücknahme der Entscheidung zu fordern. Immer wieder nur Betroffenheit zu bezeugen, wäre in einer solchen Situation Zynismus.
Offenbar hat Schattleitner sich so an konsequenzlose Betroffenheitsrituale gewöhnt, wie sie beim Germanwings-Absturz im Überfluss produziert wurden, dass ihm jeder Sinn für die politische Funktion von Öffentlichkeit abhanden gekommen ist.
Verwunderlich ist das nicht. Fatal ist, dass er auch noch stolz darauf zu sein scheint.
Empathie ist wichtig gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen. Den Tätern muss man erst einmal klar machen, was die Folgen ihrer Handlung sind. Empathie bedarf es, wenn man sie wieder resozialisieren will.
Montag, 20. April 2015
Weicht die Schreibschrift dem großen Geld?
Im Blog Pisaversteher wird die Ansicht vertreten, dass das Plädoyer von Grundschullehrern für eine Blockschrift in diese Richtung gehe.
Beachtenswert scheint mir an dem Beitrag vor allem die folgende Aussage:
Sicher ist freilich, dass eine Vollversorgung aller Schüler eine hervorragendes Geschäft für die IT-Industrie wäre. Wenn sie zu einem großen Teil staatlich finanziert würde - aus Gründen der Chancengleichheit an sich wünschenswert, würde das eine eindeutige Entscheidung gegen eine bessere personelle Abdeckung der Schulen, nicht zuletzt mit Schulpsychologen (vgl. das finnische Modell) bedeuten.
Beachtenswert scheint mir an dem Beitrag vor allem die folgende Aussage:
"Die Vollversorgung von Schülern in ganz Deutschland käme auf knapp sieben Milliarden Euro – die erforderlichen Aktualisierungen nicht eingerechnet. Das ist eine seriös kalkulierte Berechnung auf der Grundlage des Schulberaters Olaf Kleinschmidt. Interessanterweise wissen weder der Branchenverband der Telekom-Industrien noch einzelne große Unternehmen wie Samsung noch die Bertelsmann-Stiftung (die auf Anfrage von Pisaversteher nun eine Expertise dazu erstellen lässt), was eine Vollabdeckung aller Schüler in Deutschland kosten würde." (Pisaversteher, 19.4.15)Dass die betreffenden Verbände keine Kenntnis über das Geldvolumen haben, das für eine Vollversorgung mit Tablets erforderlich wäre, braucht man nicht zu glauben. Sehr präzis können die Schätzungen freilich ohnehin nicht sein, da die Preisentwicklung über die Jahre hin, wo die Vollversorgung betrieben würde, ohnehin nicht absehbar ist.
Sicher ist freilich, dass eine Vollversorgung aller Schüler eine hervorragendes Geschäft für die IT-Industrie wäre. Wenn sie zu einem großen Teil staatlich finanziert würde - aus Gründen der Chancengleichheit an sich wünschenswert, würde das eine eindeutige Entscheidung gegen eine bessere personelle Abdeckung der Schulen, nicht zuletzt mit Schulpsychologen (vgl. das finnische Modell) bedeuten.
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Abrüstung in Deutschland in den 80er Jahren??
Die Abrüstung begann de facto erst in den 90er Jahren. Aber erste Schritte geschahen dank der Kooperation mit Gorbatschow schon ab Dezember 1987. Dazu leistete Deutschland auch einen Beitrag. Vorher war aber gerade in den 80er Jahren die Nachrüstung aufgrund des Doppelbeschlusses betrieben worden.
Dazu:
"Der 8. Dezember 1987 ist ein historisches Datum. An diesem Tag unterzeichneten Michail Gorbatschow, damals Generalsekretär der sowjetischen KPdSU, und Ronald Reagan, der Präsident der USA, den INF-Vertrag. Es war der erste Vertrag, der die Supermächte des Kalten Krieges zu einem echten Abrüstungsschritt verpflichtete. Beide verzichteten auf alle landgestützten Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper mit Reichweiten von 500 bis 5.500 Kilometern. Die Bundesrepublik Deutschland leistete einen eigenen Beitrag, indem sie auf ihre Pershing-1a-Raketen und deren geplante Modernisierung verzichtete. Fast zehn Jahre erbitterter politischer Streit über die Aufstellung modernster atomarer Mittelstreckenraketen - die so genannte Nachrüstung - endeten mit einem überprüfbaren Abrüstungsabkommen. Auch das ein Novum. Nur sechs Monate später, am 1. Juni 1988, trat der Vertrag in Kraft. Bis zum 1. Juni 1991 wurden insgesamt 2.694 sowjetische und amerikanische nukleare Trägersysteme zerstört.
Mit dem INF-Abkommen begann eine Phase, in der Rüstungskontrolle und Abrüstung wesentliche Mittel zur Ausgestaltung internationaler Beziehungen wurden. Als Instrumente eines effizienten Multilateralismus trugen sie dazu bei, die politischen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse in Mittel- und Osteuropa kalkulierbarer zu machen und sicherheitspolitische Stabilität zu garantieren. Insbesondere Europa, das rund ein halbes Jahrhundert von der Blockkonfrontation geprägt worden war, profitierte davon. Nach Jahrzehnten gegenseitigen Misstrauens schuf die Rüstungskontrolle erstmals Transparenz. Sicherheit in Europa - so zeigte sich - konnte man auch miteinander gestalten."
Die Hoffnungen auf eine Friedensdividende haben sich dann aber nicht erfüllt. Die historische Chance dafür wurde im Jubel darüber, dass endlich die Freie Wirtschaft (das westliche System einer deregulierten Wirtschaft, die in die Weltwirtschaftskrise ab 2007 führte) gesiegt habe, verspielt.
Das zarte Pflänzchen Vertrauen zwischen den Blöcken kümmerte freilich bald vor sich hin und ging dann ein aufgrund von George W. Bushs einseitigem "Krieg gegen den Terrorismus". Spätestens mit der Ukrainekrise ist es klinisch tot. Hoffnungen auf Wiederbelebung bestehen kaum noch. Es sei denn, man wollte die Kooperationsansätze von Griechenland und Russland dazu zählen.
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Sonntag, 19. April 2015
Steve Johnson: Neue Intelligenz
Ich bin skeptisch, kommentiere aber noch nicht:
https://www.perlentaucher.de/buch/steven-johnson/neue-intelligenz.html
https://www.perlentaucher.de/buch/steven-johnson/neue-intelligenz.html
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Frontiers - Landnahme im 19. Jahrhundert
"Das extreme Gegenteil der Stadt ist im 19.Jahrhundert nicht länger das 'Land', die Lebenssphäre der erdgebundenen Ackerbauern.
Es ist die Frontier [...] : die bewegliche Grenze der Ressourcenerschließung. Sie wird in Räume vorangetrieben, die selten so 'leer' sind, wie die Aktivisten der Expansion sich und anderen einreden. Aus der Sicht derer, auf die sich die Frontier zubewegt, ist sie die Speerspitze einer Invasion. [...]
Beide, Stadt wie Frontier, haben aber auch etwas gemeinsam: Sie sind die großen Wanderungsmagneten des 19. Jahrhunderts. Als die Räume erträumter Möglichkeiten ziehen sie Migranten an wie nichts sonst in der Epoche. Gemeinsam ist der Stadt wie der Grenze die Durchlässigkeit und Formbarkeit der sozialen Verhältnisse. Wer nichts hat, aber einiges kann, mag es hier zu etwas bringen." (S.465)
"Das 20. Jahrhundert ist insgesamt gekennzeichnet durch intensivere, also weniger raumgreifende Nutzung von Potenzialen. Die Zerstörung tropischer Regenwälder sowie die Überfischung der Meere setzen allerdings das frühere Muster extensiver Ausbeutung auch noch in einem Zeitalter fort, [...]" (S.466)
Osterhammel lenkt in diesem Kontext verständlicherweise seinen Blick nicht auf die noch ausgreifendere Zerstörung menschlicher Lebensgrundlagen, wie sie von der Nutzung fossiler Energien und recyclingarmen Nutzung von Rohstoffen im 20. und 21. Jahrhundert weltweit geschieht. Dazu Naomi Klein.
"Daneben gingen vergleichbare Prozesse etwa auch von Chinesen und einigen Völkern im tropischen Afrika aus. Migrationsbewegungen zur burmesischen Reisgrenze oder zur plantation frontier [vgl. dazu das Beispiel Jamaika; F.] in anderen Teilen Südostasiens waren eine Folge neuer Exportchancen auf internationalen Märkten. Mit der landnehmenden Kolonisierung verbanden sich extrem unterschiedliche Erfahrungen, die sich auch in der Geschichtsschreibung spiegeln. Auf der einen Seite standen die aktiven Kolonisten, die mit ihren Wagentrecks - so verstanden sie sich selbst - in die 'Wildnis' hinauszogen, dort neben ihrer Viehwirtschaft 'herrenloses' Land urbar machten und die Errungenschaften der 'Zivilisation' einführten." (S.466)
"Bereits James Fenimore Cooper [...] hatte in seinen Lederstrumpf-Romanen [...] die Tragik des indianischen Untergangs beschworen. In die amerikanische Geschichtsschreibung fand eine solch düstere Sicht erst im frühen 20. Jahrhundert vereinzelt Eingang." (S.467)
"Wer nicht rücksichtslos verfolgt wurde, den unterzog man Prozeduren der 'Zivilisierung', die auf der völligen Entwertung der traditionellen einheimischen Kultur beruhten. In diesem Sinne entstanden bereits im 19. Jahrhundert jene 'traurigen Tropen', über die Claude Levi-Strauss 1955 bewegend geschrieben hat." (S.468)
Nach 1945: "Die beginnende Anerkennung von außen schuf den betroffenen Minderheiten auch neue Möglichkeiten der eigenen Identitätsbildung. An der Grundtatsache der Marginalisierung ihrer Lebensformen ließ sich jedoch nichts mehr ändern." (S.468)
"Der junge Historiker Frederick Jackson Turner prägte ihn 1893 in einem Vortrag, der wahrscheinlich bis heute der einflussreichste Text der amerikanischen Geschichtsschreibung ist. Turner sprach von einer 'Frontier', die sich immer weiter von Ost nach West vorangeschoben habe und in seiner Gegenwart zum Stillstand und Ende (closure) gekommen sei." (S.469)
"McNeill sieht die Frontier als ambivalent: zum einen durchaus als politische und kulturelle Bruchlinie, zum anderen aber auch als Öffnung von Freiräumen, wie sie die stärker strukturierten Gesellschaften stabil besiedelter Kernzonen nicht zuließen. Zum Beispiel war die Stellung der Juden, die oft in Grenzgebieten siedelten, deutlich besser als unter weniger flüssigen Verhältnissen.
[...]
Eine Frontier ist ein sich großräumig, also nicht bloß lokal begrenzt manifestierender Typus einer prozesshaften Kontaktsituation, in der auf einem angebbaren Territorium (mindestens) zwei Kollektive unterschiedlicher ethnischer Herkunft und kultureller Orientierung meist unter Anwendung oder Androhung von Gewalt Austauschbeziehungen miteinander unterhalten, die nicht durch eine einheitliche und überwölbende Staats- und Rechtsordnung geregelt werden. Eines dieser Kollektive spielt die Rolle des Invasoren. Das primäre Interesse seiner Mitglieder gilt der Aneignung und Ausbeutung von Land und/oder anderen natürlichen Ressourcen. [...] Der Siedler ist weder Soldat noch Beamter. Die Frontier ist ein manchmal lange andauernder, doch prinzipiell flüchtiger Zustand von hoher sozialer Labilität." (S.471)
"Auf der Seite der Invasoren werden je nach Bedarf drei Rechtfertigungsmuster einzeln oder in Kombination herangezogen:
• das Recht des Eroberers, das eventuell vorhandene Besitzrechte der anderen Seite für nichtig erklärt;
• die schon bei den Puritanern des 17. Jahrhunderts beliebte Doktrin der terra nullius, welche Land, das von Jägern und Sammlern oder von Hirten bevölkert ist, als 'herrenlos', frei akquirierbar und kultivierungsbedürftig betrachtet;
• die oft erst später als sekundäre Ideologisierung hinzukommende Vorstellung eines zivilisierenden Missionsauftrags gegenüber den 'Wilden'." (S.472)
"Frontiers können sich nur dort über die erste Invasionsphase hinaus halten, wo, erstens, keine klaren Territorialgrenzen Invasionen und Frontier-Prozesse (borders) gezogen werden und wo, zweitens, die Durchstaatlichung rudimentär oder lückenhaft bleibt. Von der Warte der Frontier ist der 'Staat' verhältnismäßig fern. Die Grenzen von Imperien sind typischerweise Frontiers, doch sie sind es nicht immer. Sobald Imperien nicht länger expandieren, sind Frontiers, sofern es sie noch gibt, keine Zonen potenzieller Einverleibung, sondern eher offene Flanken in der Sicherung vor äußeren Bedrohungen." (S.472/73)
"Im britischen Empire des 19.Jahrhunderts war die Nordwestgrenze Indiens eine solche neuralgische Verteidigungszone, die besondere Arten der Kriegführung. an erster Stelle mountain warfare mit leichter Bagage in unübersichtlichem Gelände, erforderlich machte; die Russen im Kaukasus und die Franzosen in Algerien führten ähnliche Grenzkriege. Im Unterschied dazu bot die Nordgrenze Britisch-Indiens keine Sicherheitslücke dieser Art. Sie war eher eine in umständlichen Verhandlungen zwischenstaatlich vereinbarte Staatengrenze, also border. nicht frontier. [...]
Dort, wo zwei oder mehrere Kolonialmächte mit ihren modernen Begriffen von territorialer Staatlichkeit sich Gebiete streitig machten, sollte man nicht von Frontiers, sondern von 'Grenzländern' sprechen. Nach einem von dem Turner-Schüler Herbert Eugene Bolton vorgeschlagenen Konzept versteht man unter solchen borderlands 'umstrittene Grenzgebiete zwischen kolonialen Sphären'. In solchen borderlands hatten die Einheimischen andere Handlungsmöglichkeiten als an einer Frontier, konnten sie doch in gewissem Maße die rivalisierenden Invasoren gegeneinander ausspielen und die verschiedenen Grenzlinien überqueren. Sobald aber einmal eine Einigung zustande gekommen war, ging sie auf Kosten der Lokalbevölkerung. Im Extremfall wurden ganze Völker über die Grenze deportiert, oder es wurden Transfers ausgehandelt, so schon im 18. Jahrhundert an der Grenze zwischen dem Zarenreich und dem Qing-Imperium." (S.473)
"Frontiers sind stets turbulent und stellen daher unweigerlich eine Bedrohung für das dar, was für das Imperium in der Zeit nach der Eroberungsphase das höchste aller Güter sein muss: Ruhe und Ordnung. [...] Die interessanteste neue Bedeutung, die der Frontier-Begriff in der letzten Zeit gewonnen hat, ist die ökologische. [...] Man kann allgemeiner von Frontiers extraktiver Ressourcenausbeutung sprechen. Hier geht es um ökonomische, aber zur gleichen Zeit auch um ökologische Zusammenhänge. [...] Man kann nicht über Frontiers sprechen und dabei von Ökologie schweigen." (S.474)
Überschreitung und Verstaatlichung
"(1) Als 'Transfrontier-Prozesse' bezeichnet man Bewegungen von Gruppen über ökologische Grenzen hinaus. Ein gutes Beispiel dafür sind die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts auftretenden Treckburen in Südafrika. Als fruchtbare und leicht zu bewässernde Böden am Kap knapp wurden, gaben viele afrikaanssprachige Weiße eine intensive Landwirtschaft europäischen Stils auf und übernahmen eine semi-nomadische Lebensweise. Einige von ihnen, man schätzt ein Zehntel, schlossen sich afrikanischen Gemeinschaften an. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bildeten Leute gemischter Abstammung als griquas ihre eigenen Sozialverbände, Städte und sogar staatsähnliche Strukturen (Griqualand East und West). Auch in Südamerika traten solche transfrontiersmen auf, allerdings nicht unter Mangelbedingungen, sondern dort, wo ein Überfluss an Tieren die Jagd auf Vieh und Pferde erlaubte. Sonst aber bestanden große Ähnlichkeiten zwischen Afrika und Amerika, vor allem waren diese grenzüberschreitenden Gemeinschaften im Binnenland von außen so gut wie nicht regierbar. [...]
(2) Die Verstaatlichung von Frontiers: [...] Der allgemeinste Beitrag von Regierungen zur Frontier- Kolonisation lag schon in der frühen Neuzeit darin, dass sie die faktische Okkupation von Land pauschal legalisierten und dabei gleichzeitig die Eigentumsansprüche der Einheimischen rundweg
bestritten." (S.476)
Wilder Westen in Nordamerika
"So war der kalifornische Goldrausch die größte zusammenhängende Migrationsbewegung in der Geschichte der USA. Allein im Jahr 1849 strömten 80000 Menschen nach Kalifornien, 1854 lebten dort 300 000 Weiße. Eine ähnliche Dimension hatte 1858 der weniger bekannte gold rush nach Colorado. [...] Die Region der eigentlichen Frontier lag also zwischen einer seit langem dynamischen Ostküste und einem aus anderen Ursachen wirtschaftlich aufstrebenden Landesteil am anderen maritimen Rand des Kontinents. Sie war buchstäblich eine 'Mitte'. (S.478)
"Die Franzosen hatten im 18.Jahrhundert viel mehr als Engländer und Schotten eine Art von modus vivendi mit den Indianern erreicht. Auch im Verhältnis von Spaniern und Pueblos im heutigen New Mexico war es unter den Bedingungen eines ungefähren Machtgleichgewichts zu einer langfristig stabilen frontier of inclusion gekommen. Dies wiederholte sich im Machtbereich der USA nicht. Die charakteristische Form der Behandlung der Einheimischen [...] war das Reservat. [...] Nach dem Bürgerkrieg und vollends nach dem Ende der Indianerkriege in den 1880er Jahren wurde das System zahlreicher verstreuter Sondergebiete zur allgemein praktizierten Norm. An keiner anderen Frontier - gewisse Ähnlichkeiten bestehen mit dem Homeland-System im Südafrika des 20. Jahrhunderts - erlangte diese umzingelnde Ausgrenzung der Urbevölkerung eine ähnliche Bedeutung. [...]
Als wissenschaftliches Konzept wie als populärer Mythos war die Frontier schon lange, bevor Turner ihr einen Namen gab, das große integrierende Thema einer nationalen Geschichtskonstruktion." (S.479)
"Die Erschließung des Westens wurde und wird als die spezifisch nordamerikanische Form der Nationsbildung gesehen. Integrierend wirkt das Thema auch deshalb, weil nahezu jede nordamerikanische Region irgendwann einmal in ihrer Geschichte ein 'Westen' gewesen ist." (S.480)
"Mit süd- oder ostasiatischen Augen gesehen, werden amerikanische Eigenarten noch deutlicher: grenzenlose Verwunderung angesichts eines solchen Überflusses an fruchtbarem Land. In vielen Teilen Asiens waren bereits um 1800 fast alle hochproduktiven Gegenden besiedelt und genutzt und die Landreserven aufgebraucht." (S.481)
Indianer
"Wie zuvor schon in der Karibik, in Mittel- und Südamerika, so nahm auch die Zahl der nordamerikanischen Ureinwohner als Folge der europäischen Invasion deutlich ab. Der generelle Vorwurf eines weißen Genozids an den Indianern ist übertrieben. Gewiss wurden aber einige amerikanische Ethnien ausgelöscht, und es gab dramatische regionale Einbrüche, an erster Stelle in Kalifornien. Dort hatten am Beginn der spanischen Besiedlung um 1769 ca. 300 000 Einheimische gelebt, am Ende der spanischen Periode um 1821 noch ca. 200 000. Nach dem Goldrausch waren 1860 von ihnen nur noch 30 000 übrig geblieben. Krankheit, Hunger und vielfach sogar Mord - ein führender Historiker hat von einem 'Programm systematischen Abschlachtens' gesprochen - hatten diesen drastischen Rückgang verursacht." (S.481)
"Bei den Indianern fällt zunächst ihre große Diversität auf. Eine einheitliche indianische Lebensweise gab es nicht, auch keine gemeinsame Sprache, so dass die militärische Koordination im Widerstand gegen die Weißen sehr erschwert war. [...] Solange Indianer als Bundesgenossen der Europäer begehrt waren, gelang es indianischer Politik häufig, die Weißen - Briten, Franzosen, Spanier und rebellische Kolonisten - gegeneinander auszuspielen. Dies war nach dem Britisch-amerikanischen Krieg von 1812 kaum noch möglich. [...] Gemeinsam war den meisten Indianern, dass sie von einer technologischen Revolution berührt worden waren. Nicht anders kann man die Einführung von Pferden als Last- und Reittieren bezeichnen, die um 1680 vom spanisch kolonisierten Süden Nordamerikas ausgegangen war. Mit dem Pferd kamen die Feuerwaffen, zunächst durch die Franzosen mitgebracht, um ihre indianischen Bundesgenossen gegen die Spanier zu bewaffnen. Pferd und Muskete veränderten in radikaler Weise das Leben von Zehntausenden, die noch nie einen weißen Mann gesehen hatten. [...] um 1800 hatten so gut wie alle Indianer westlich des Mississippi ihre Lebensweise auf das Pferd eingestellt. Ganze Völker erfanden sich neu als Zentauren." (S.482)
"[...] die indianische Landwirtschaft hatte im Rahmen einfacher Technologie (kein Pflug, keine Düngung) eine hohe Leistungsfähigkeit erreicht, von der anfangs auch die Euro-Amerikaner profitierten. Um 1830 waren die Großen Ebenen so stark bevölkert wie niemals zuvor. Man hat geschätzt, dass sich damals 60000 Indianer, 360 000 bis 900 000 gezähmte Pferde, 2 Millionen Wildpferde, 1,5 Millionen Wölfe und bis zu 30 Millionen Bisons diesen riesigen Lebensraum teilten.
Erst das Pferd erlaubte die vollständige Erschließung der Ebenen zwischen Mississippi und Rocky Mountains, 300 Kilometer von Ost nach West und 1500 Kilometer von Norden nach Süden sich erstreckend. Das Pferd wirkte als Energietransformator. Es verwandelte die im Grasland gespeicherte Energie in Muskelkraft, die - anders als diejenige nicht domestizierbarer Großtiere - menschlicher Führung gehorchten." (S.483)
"Erst durch ihre Pferd-Bison-Kultur wurden die Indianer der Großen Ebenen zu wahrhaften Nomaden. [...] Das stereotype Bild der Indianer als virtuose Kampfreiter trifft erst für die letzte Phase ihrer freien Existenz zu. Innerhalb von drei oder vier Generationen entwickelte sich die berühmte indianische Pferdekunst, [...] Über den Pelzhandel, den man deshalb nicht verklären sollte, machten die Indianer aber auch erste Bekanntschaft mit Alkohol, einer Droge, die - wie einige Jahrzehnte später das Opium in China - den Zusammenhalt und die Widerstandskraft ihrer Gemeinschaften stark schwächen sollte. Die Pferd-Bison-Kultur verstärkte die Verbindungen zu äußeren Märkten." (S.484) Eine 'Ernte' von 6 bis 7 Tieren pro Person und Jahr war möglich (wie man heute weiß), ohne die Reproduktion der Tiere zu gefährden. Alles, was darüber hinausging, bedeutete Raubbau.
Die Lebensgrundlagen der Plains Indians, die auf den Nachfragestimulus ökonomisch rational, aber ökologisch unvernünftig reagierten, verschwanden zusehends. [...] Weiße Jäger schalteten sich in das Geschäft ein und veranstalteten einen Massenmord an Bisons, wie ihn die Indianer niemals praktiziert hatten. Der durchschnittliche euro-amerikanische Bisonjäger schoss täglich ca. 25 Tiere. Zwischen dem Ende des Bürgerkrieges und den späten 1870er Jahren fiel die Zahl der Bisons auf den Großen Ebenen von 15 Millionen auf wenige hundert Exemplare. Profitinteresse wurde zynisch durch das Argument verschleiert, man wolle durch Vernichtung der natürlich gewachsenen, 'wilden' Bisonherden der 'zivilisierten' Rinderwirtschaft Raum schaffen und zugleich die Indianer zur Aufgabe ihrer «barbarischen» Lebensweise zwingen. Um 1880 war die Pferd-Bison-Kultur der Großen Ebenen vernichtet. [...]
War es für die Indianer ein Vorteil oder ein Unglück, dass die Siedler ihre Arbeitskraft nicht in systematischer Weise benötigten? Sie entgingen möglicherweise einem Schicksal von Zwangsarbeit und Versklavung, wurden dafür aber sozial marginalisiert." (S.485)
Siedler
"Jeffersons Ideal für den Osten wie für den Westen der USA war der Farmer als Kleinunternehmer [...] Dies blieb auch noch für die Besiedlung des Westens im r9. Jahrhundert weithin ein Idealbild, vom Staat immer wieder gesetzlich unterstützt, mit besonderem Nachdruck r862 durch Präsident Abraham Lincolns Homestead Act, der als sozialpolitischer Gegenentwurf zur Sklaverei der Südstaaten gemeint war. Dieses Gesetz gab jedem erwachsenen Bürger, der Oberhaupt einer Familie war, das Recht auf nahezu kostenfreie Zuteilung von r60 acres (ca. 65 Hektar) öffentlichen Landes im Westen, sofern dieses Land fünf Jahre lang kontinuierlich bearbeitet worden war. Die Realität sah nicht selten
anders aus. Zahlreiche Familien aus dem städtischen Osten, die zunächst homesteads in Anspruch genommen hatten, gaben das Land wieder auf, das vielfach in die Hände von Spekulanten fiel. Überhaupt ist der Makler und Bodenspekulant eine ebenso charakteristische Figur der Frontier wie
der karge und raubeinige Pionier." (S.487)
"Die Frontier lässt sich also nicht auf eine «binäre» Konfrontation zwischen Weißhäuten und Rothäuten reduzieren. Bei den Siedlern machten sich ähnliche Hautfarbenhierarchien bemerkbar
wie im städtischen Raum. [...] Land war keineswegs so frei verfügbar, wie die Ideologie es versprach. Um gutes Land wurde immer konkurriert, [...] (S.489)
Wenn die Mythologie der Frontier von der «grenzenlosen» Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen schwärmt, dann muss dem entgegengehalten werden, dass eine Ressource von Anfang an knapp war: Wasser." (S.490)
Indianerkriege und Revolverterror
"Im Osten hatten die Kämpfe etwa 230 Jahre lang gedauert. Die Auseinandersetzung mit den Indianern westlich des Mississippi drängte sich dagegen auf knapp 40 Jahre zusammen." (S.490)
Fortsetzung unter: Wilder Westen in Nordamerika und Frontier in Südamerika und Südafrika
Es ist die Frontier [...] : die bewegliche Grenze der Ressourcenerschließung. Sie wird in Räume vorangetrieben, die selten so 'leer' sind, wie die Aktivisten der Expansion sich und anderen einreden. Aus der Sicht derer, auf die sich die Frontier zubewegt, ist sie die Speerspitze einer Invasion. [...]
Beide, Stadt wie Frontier, haben aber auch etwas gemeinsam: Sie sind die großen Wanderungsmagneten des 19. Jahrhunderts. Als die Räume erträumter Möglichkeiten ziehen sie Migranten an wie nichts sonst in der Epoche. Gemeinsam ist der Stadt wie der Grenze die Durchlässigkeit und Formbarkeit der sozialen Verhältnisse. Wer nichts hat, aber einiges kann, mag es hier zu etwas bringen." (S.465)
"Das 20. Jahrhundert ist insgesamt gekennzeichnet durch intensivere, also weniger raumgreifende Nutzung von Potenzialen. Die Zerstörung tropischer Regenwälder sowie die Überfischung der Meere setzen allerdings das frühere Muster extensiver Ausbeutung auch noch in einem Zeitalter fort, [...]" (S.466)
Osterhammel lenkt in diesem Kontext verständlicherweise seinen Blick nicht auf die noch ausgreifendere Zerstörung menschlicher Lebensgrundlagen, wie sie von der Nutzung fossiler Energien und recyclingarmen Nutzung von Rohstoffen im 20. und 21. Jahrhundert weltweit geschieht. Dazu Naomi Klein.
"Daneben gingen vergleichbare Prozesse etwa auch von Chinesen und einigen Völkern im tropischen Afrika aus. Migrationsbewegungen zur burmesischen Reisgrenze oder zur plantation frontier [vgl. dazu das Beispiel Jamaika; F.] in anderen Teilen Südostasiens waren eine Folge neuer Exportchancen auf internationalen Märkten. Mit der landnehmenden Kolonisierung verbanden sich extrem unterschiedliche Erfahrungen, die sich auch in der Geschichtsschreibung spiegeln. Auf der einen Seite standen die aktiven Kolonisten, die mit ihren Wagentrecks - so verstanden sie sich selbst - in die 'Wildnis' hinauszogen, dort neben ihrer Viehwirtschaft 'herrenloses' Land urbar machten und die Errungenschaften der 'Zivilisation' einführten." (S.466)
"Bereits James Fenimore Cooper [...] hatte in seinen Lederstrumpf-Romanen [...] die Tragik des indianischen Untergangs beschworen. In die amerikanische Geschichtsschreibung fand eine solch düstere Sicht erst im frühen 20. Jahrhundert vereinzelt Eingang." (S.467)
"Wer nicht rücksichtslos verfolgt wurde, den unterzog man Prozeduren der 'Zivilisierung', die auf der völligen Entwertung der traditionellen einheimischen Kultur beruhten. In diesem Sinne entstanden bereits im 19. Jahrhundert jene 'traurigen Tropen', über die Claude Levi-Strauss 1955 bewegend geschrieben hat." (S.468)
Nach 1945: "Die beginnende Anerkennung von außen schuf den betroffenen Minderheiten auch neue Möglichkeiten der eigenen Identitätsbildung. An der Grundtatsache der Marginalisierung ihrer Lebensformen ließ sich jedoch nichts mehr ändern." (S.468)
"Der junge Historiker Frederick Jackson Turner prägte ihn 1893 in einem Vortrag, der wahrscheinlich bis heute der einflussreichste Text der amerikanischen Geschichtsschreibung ist. Turner sprach von einer 'Frontier', die sich immer weiter von Ost nach West vorangeschoben habe und in seiner Gegenwart zum Stillstand und Ende (closure) gekommen sei." (S.469)
"McNeill sieht die Frontier als ambivalent: zum einen durchaus als politische und kulturelle Bruchlinie, zum anderen aber auch als Öffnung von Freiräumen, wie sie die stärker strukturierten Gesellschaften stabil besiedelter Kernzonen nicht zuließen. Zum Beispiel war die Stellung der Juden, die oft in Grenzgebieten siedelten, deutlich besser als unter weniger flüssigen Verhältnissen.
[...]
Eine Frontier ist ein sich großräumig, also nicht bloß lokal begrenzt manifestierender Typus einer prozesshaften Kontaktsituation, in der auf einem angebbaren Territorium (mindestens) zwei Kollektive unterschiedlicher ethnischer Herkunft und kultureller Orientierung meist unter Anwendung oder Androhung von Gewalt Austauschbeziehungen miteinander unterhalten, die nicht durch eine einheitliche und überwölbende Staats- und Rechtsordnung geregelt werden. Eines dieser Kollektive spielt die Rolle des Invasoren. Das primäre Interesse seiner Mitglieder gilt der Aneignung und Ausbeutung von Land und/oder anderen natürlichen Ressourcen. [...] Der Siedler ist weder Soldat noch Beamter. Die Frontier ist ein manchmal lange andauernder, doch prinzipiell flüchtiger Zustand von hoher sozialer Labilität." (S.471)
"Auf der Seite der Invasoren werden je nach Bedarf drei Rechtfertigungsmuster einzeln oder in Kombination herangezogen:
• das Recht des Eroberers, das eventuell vorhandene Besitzrechte der anderen Seite für nichtig erklärt;
• die schon bei den Puritanern des 17. Jahrhunderts beliebte Doktrin der terra nullius, welche Land, das von Jägern und Sammlern oder von Hirten bevölkert ist, als 'herrenlos', frei akquirierbar und kultivierungsbedürftig betrachtet;
• die oft erst später als sekundäre Ideologisierung hinzukommende Vorstellung eines zivilisierenden Missionsauftrags gegenüber den 'Wilden'." (S.472)
"Frontiers können sich nur dort über die erste Invasionsphase hinaus halten, wo, erstens, keine klaren Territorialgrenzen Invasionen und Frontier-Prozesse (borders) gezogen werden und wo, zweitens, die Durchstaatlichung rudimentär oder lückenhaft bleibt. Von der Warte der Frontier ist der 'Staat' verhältnismäßig fern. Die Grenzen von Imperien sind typischerweise Frontiers, doch sie sind es nicht immer. Sobald Imperien nicht länger expandieren, sind Frontiers, sofern es sie noch gibt, keine Zonen potenzieller Einverleibung, sondern eher offene Flanken in der Sicherung vor äußeren Bedrohungen." (S.472/73)
"Im britischen Empire des 19.Jahrhunderts war die Nordwestgrenze Indiens eine solche neuralgische Verteidigungszone, die besondere Arten der Kriegführung. an erster Stelle mountain warfare mit leichter Bagage in unübersichtlichem Gelände, erforderlich machte; die Russen im Kaukasus und die Franzosen in Algerien führten ähnliche Grenzkriege. Im Unterschied dazu bot die Nordgrenze Britisch-Indiens keine Sicherheitslücke dieser Art. Sie war eher eine in umständlichen Verhandlungen zwischenstaatlich vereinbarte Staatengrenze, also border. nicht frontier. [...]
Dort, wo zwei oder mehrere Kolonialmächte mit ihren modernen Begriffen von territorialer Staatlichkeit sich Gebiete streitig machten, sollte man nicht von Frontiers, sondern von 'Grenzländern' sprechen. Nach einem von dem Turner-Schüler Herbert Eugene Bolton vorgeschlagenen Konzept versteht man unter solchen borderlands 'umstrittene Grenzgebiete zwischen kolonialen Sphären'. In solchen borderlands hatten die Einheimischen andere Handlungsmöglichkeiten als an einer Frontier, konnten sie doch in gewissem Maße die rivalisierenden Invasoren gegeneinander ausspielen und die verschiedenen Grenzlinien überqueren. Sobald aber einmal eine Einigung zustande gekommen war, ging sie auf Kosten der Lokalbevölkerung. Im Extremfall wurden ganze Völker über die Grenze deportiert, oder es wurden Transfers ausgehandelt, so schon im 18. Jahrhundert an der Grenze zwischen dem Zarenreich und dem Qing-Imperium." (S.473)
"Frontiers sind stets turbulent und stellen daher unweigerlich eine Bedrohung für das dar, was für das Imperium in der Zeit nach der Eroberungsphase das höchste aller Güter sein muss: Ruhe und Ordnung. [...] Die interessanteste neue Bedeutung, die der Frontier-Begriff in der letzten Zeit gewonnen hat, ist die ökologische. [...] Man kann allgemeiner von Frontiers extraktiver Ressourcenausbeutung sprechen. Hier geht es um ökonomische, aber zur gleichen Zeit auch um ökologische Zusammenhänge. [...] Man kann nicht über Frontiers sprechen und dabei von Ökologie schweigen." (S.474)
Überschreitung und Verstaatlichung
"(1) Als 'Transfrontier-Prozesse' bezeichnet man Bewegungen von Gruppen über ökologische Grenzen hinaus. Ein gutes Beispiel dafür sind die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts auftretenden Treckburen in Südafrika. Als fruchtbare und leicht zu bewässernde Böden am Kap knapp wurden, gaben viele afrikaanssprachige Weiße eine intensive Landwirtschaft europäischen Stils auf und übernahmen eine semi-nomadische Lebensweise. Einige von ihnen, man schätzt ein Zehntel, schlossen sich afrikanischen Gemeinschaften an. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bildeten Leute gemischter Abstammung als griquas ihre eigenen Sozialverbände, Städte und sogar staatsähnliche Strukturen (Griqualand East und West). Auch in Südamerika traten solche transfrontiersmen auf, allerdings nicht unter Mangelbedingungen, sondern dort, wo ein Überfluss an Tieren die Jagd auf Vieh und Pferde erlaubte. Sonst aber bestanden große Ähnlichkeiten zwischen Afrika und Amerika, vor allem waren diese grenzüberschreitenden Gemeinschaften im Binnenland von außen so gut wie nicht regierbar. [...]
(2) Die Verstaatlichung von Frontiers: [...] Der allgemeinste Beitrag von Regierungen zur Frontier- Kolonisation lag schon in der frühen Neuzeit darin, dass sie die faktische Okkupation von Land pauschal legalisierten und dabei gleichzeitig die Eigentumsansprüche der Einheimischen rundweg
bestritten." (S.476)
Wilder Westen in Nordamerika
"So war der kalifornische Goldrausch die größte zusammenhängende Migrationsbewegung in der Geschichte der USA. Allein im Jahr 1849 strömten 80000 Menschen nach Kalifornien, 1854 lebten dort 300 000 Weiße. Eine ähnliche Dimension hatte 1858 der weniger bekannte gold rush nach Colorado. [...] Die Region der eigentlichen Frontier lag also zwischen einer seit langem dynamischen Ostküste und einem aus anderen Ursachen wirtschaftlich aufstrebenden Landesteil am anderen maritimen Rand des Kontinents. Sie war buchstäblich eine 'Mitte'. (S.478)
"Die Franzosen hatten im 18.Jahrhundert viel mehr als Engländer und Schotten eine Art von modus vivendi mit den Indianern erreicht. Auch im Verhältnis von Spaniern und Pueblos im heutigen New Mexico war es unter den Bedingungen eines ungefähren Machtgleichgewichts zu einer langfristig stabilen frontier of inclusion gekommen. Dies wiederholte sich im Machtbereich der USA nicht. Die charakteristische Form der Behandlung der Einheimischen [...] war das Reservat. [...] Nach dem Bürgerkrieg und vollends nach dem Ende der Indianerkriege in den 1880er Jahren wurde das System zahlreicher verstreuter Sondergebiete zur allgemein praktizierten Norm. An keiner anderen Frontier - gewisse Ähnlichkeiten bestehen mit dem Homeland-System im Südafrika des 20. Jahrhunderts - erlangte diese umzingelnde Ausgrenzung der Urbevölkerung eine ähnliche Bedeutung. [...]
Als wissenschaftliches Konzept wie als populärer Mythos war die Frontier schon lange, bevor Turner ihr einen Namen gab, das große integrierende Thema einer nationalen Geschichtskonstruktion." (S.479)
"Die Erschließung des Westens wurde und wird als die spezifisch nordamerikanische Form der Nationsbildung gesehen. Integrierend wirkt das Thema auch deshalb, weil nahezu jede nordamerikanische Region irgendwann einmal in ihrer Geschichte ein 'Westen' gewesen ist." (S.480)
"Mit süd- oder ostasiatischen Augen gesehen, werden amerikanische Eigenarten noch deutlicher: grenzenlose Verwunderung angesichts eines solchen Überflusses an fruchtbarem Land. In vielen Teilen Asiens waren bereits um 1800 fast alle hochproduktiven Gegenden besiedelt und genutzt und die Landreserven aufgebraucht." (S.481)
Indianer
"Wie zuvor schon in der Karibik, in Mittel- und Südamerika, so nahm auch die Zahl der nordamerikanischen Ureinwohner als Folge der europäischen Invasion deutlich ab. Der generelle Vorwurf eines weißen Genozids an den Indianern ist übertrieben. Gewiss wurden aber einige amerikanische Ethnien ausgelöscht, und es gab dramatische regionale Einbrüche, an erster Stelle in Kalifornien. Dort hatten am Beginn der spanischen Besiedlung um 1769 ca. 300 000 Einheimische gelebt, am Ende der spanischen Periode um 1821 noch ca. 200 000. Nach dem Goldrausch waren 1860 von ihnen nur noch 30 000 übrig geblieben. Krankheit, Hunger und vielfach sogar Mord - ein führender Historiker hat von einem 'Programm systematischen Abschlachtens' gesprochen - hatten diesen drastischen Rückgang verursacht." (S.481)
"Bei den Indianern fällt zunächst ihre große Diversität auf. Eine einheitliche indianische Lebensweise gab es nicht, auch keine gemeinsame Sprache, so dass die militärische Koordination im Widerstand gegen die Weißen sehr erschwert war. [...] Solange Indianer als Bundesgenossen der Europäer begehrt waren, gelang es indianischer Politik häufig, die Weißen - Briten, Franzosen, Spanier und rebellische Kolonisten - gegeneinander auszuspielen. Dies war nach dem Britisch-amerikanischen Krieg von 1812 kaum noch möglich. [...] Gemeinsam war den meisten Indianern, dass sie von einer technologischen Revolution berührt worden waren. Nicht anders kann man die Einführung von Pferden als Last- und Reittieren bezeichnen, die um 1680 vom spanisch kolonisierten Süden Nordamerikas ausgegangen war. Mit dem Pferd kamen die Feuerwaffen, zunächst durch die Franzosen mitgebracht, um ihre indianischen Bundesgenossen gegen die Spanier zu bewaffnen. Pferd und Muskete veränderten in radikaler Weise das Leben von Zehntausenden, die noch nie einen weißen Mann gesehen hatten. [...] um 1800 hatten so gut wie alle Indianer westlich des Mississippi ihre Lebensweise auf das Pferd eingestellt. Ganze Völker erfanden sich neu als Zentauren." (S.482)
"[...] die indianische Landwirtschaft hatte im Rahmen einfacher Technologie (kein Pflug, keine Düngung) eine hohe Leistungsfähigkeit erreicht, von der anfangs auch die Euro-Amerikaner profitierten. Um 1830 waren die Großen Ebenen so stark bevölkert wie niemals zuvor. Man hat geschätzt, dass sich damals 60000 Indianer, 360 000 bis 900 000 gezähmte Pferde, 2 Millionen Wildpferde, 1,5 Millionen Wölfe und bis zu 30 Millionen Bisons diesen riesigen Lebensraum teilten.
Erst das Pferd erlaubte die vollständige Erschließung der Ebenen zwischen Mississippi und Rocky Mountains, 300 Kilometer von Ost nach West und 1500 Kilometer von Norden nach Süden sich erstreckend. Das Pferd wirkte als Energietransformator. Es verwandelte die im Grasland gespeicherte Energie in Muskelkraft, die - anders als diejenige nicht domestizierbarer Großtiere - menschlicher Führung gehorchten." (S.483)
"Erst durch ihre Pferd-Bison-Kultur wurden die Indianer der Großen Ebenen zu wahrhaften Nomaden. [...] Das stereotype Bild der Indianer als virtuose Kampfreiter trifft erst für die letzte Phase ihrer freien Existenz zu. Innerhalb von drei oder vier Generationen entwickelte sich die berühmte indianische Pferdekunst, [...] Über den Pelzhandel, den man deshalb nicht verklären sollte, machten die Indianer aber auch erste Bekanntschaft mit Alkohol, einer Droge, die - wie einige Jahrzehnte später das Opium in China - den Zusammenhalt und die Widerstandskraft ihrer Gemeinschaften stark schwächen sollte. Die Pferd-Bison-Kultur verstärkte die Verbindungen zu äußeren Märkten." (S.484) Eine 'Ernte' von 6 bis 7 Tieren pro Person und Jahr war möglich (wie man heute weiß), ohne die Reproduktion der Tiere zu gefährden. Alles, was darüber hinausging, bedeutete Raubbau.
Die Lebensgrundlagen der Plains Indians, die auf den Nachfragestimulus ökonomisch rational, aber ökologisch unvernünftig reagierten, verschwanden zusehends. [...] Weiße Jäger schalteten sich in das Geschäft ein und veranstalteten einen Massenmord an Bisons, wie ihn die Indianer niemals praktiziert hatten. Der durchschnittliche euro-amerikanische Bisonjäger schoss täglich ca. 25 Tiere. Zwischen dem Ende des Bürgerkrieges und den späten 1870er Jahren fiel die Zahl der Bisons auf den Großen Ebenen von 15 Millionen auf wenige hundert Exemplare. Profitinteresse wurde zynisch durch das Argument verschleiert, man wolle durch Vernichtung der natürlich gewachsenen, 'wilden' Bisonherden der 'zivilisierten' Rinderwirtschaft Raum schaffen und zugleich die Indianer zur Aufgabe ihrer «barbarischen» Lebensweise zwingen. Um 1880 war die Pferd-Bison-Kultur der Großen Ebenen vernichtet. [...]
War es für die Indianer ein Vorteil oder ein Unglück, dass die Siedler ihre Arbeitskraft nicht in systematischer Weise benötigten? Sie entgingen möglicherweise einem Schicksal von Zwangsarbeit und Versklavung, wurden dafür aber sozial marginalisiert." (S.485)
Siedler
"Jeffersons Ideal für den Osten wie für den Westen der USA war der Farmer als Kleinunternehmer [...] Dies blieb auch noch für die Besiedlung des Westens im r9. Jahrhundert weithin ein Idealbild, vom Staat immer wieder gesetzlich unterstützt, mit besonderem Nachdruck r862 durch Präsident Abraham Lincolns Homestead Act, der als sozialpolitischer Gegenentwurf zur Sklaverei der Südstaaten gemeint war. Dieses Gesetz gab jedem erwachsenen Bürger, der Oberhaupt einer Familie war, das Recht auf nahezu kostenfreie Zuteilung von r60 acres (ca. 65 Hektar) öffentlichen Landes im Westen, sofern dieses Land fünf Jahre lang kontinuierlich bearbeitet worden war. Die Realität sah nicht selten
anders aus. Zahlreiche Familien aus dem städtischen Osten, die zunächst homesteads in Anspruch genommen hatten, gaben das Land wieder auf, das vielfach in die Hände von Spekulanten fiel. Überhaupt ist der Makler und Bodenspekulant eine ebenso charakteristische Figur der Frontier wie
der karge und raubeinige Pionier." (S.487)
"Die Frontier lässt sich also nicht auf eine «binäre» Konfrontation zwischen Weißhäuten und Rothäuten reduzieren. Bei den Siedlern machten sich ähnliche Hautfarbenhierarchien bemerkbar
wie im städtischen Raum. [...] Land war keineswegs so frei verfügbar, wie die Ideologie es versprach. Um gutes Land wurde immer konkurriert, [...] (S.489)
Wenn die Mythologie der Frontier von der «grenzenlosen» Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen schwärmt, dann muss dem entgegengehalten werden, dass eine Ressource von Anfang an knapp war: Wasser." (S.490)
Indianerkriege und Revolverterror
"Im Osten hatten die Kämpfe etwa 230 Jahre lang gedauert. Die Auseinandersetzung mit den Indianern westlich des Mississippi drängte sich dagegen auf knapp 40 Jahre zusammen." (S.490)
Fortsetzung unter: Wilder Westen in Nordamerika und Frontier in Südamerika und Südafrika
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