Mittwoch, 8. Dezember 2021

Vergiss mein nicht

 Bewegend die Szene, wo die 96-jährige Mutter des Mannes (Malte Sieveking) nachfragt, wie alt seine Frau Gretel ist. Als sie erfährt, dass sie 73 Jahre alt ist, meint sie: "Aber das kann mein Sohn doch nicht machen, ihr könnt ihn doch nicht so verbrauchen."


Dabei spielt gewiss eine Rolle, dass sie im Heim ist und er sie seltener besucht, weil er sich ständig um seine Frau kümmern muss. Sicher spielen dabei die Jahrzehnte (zwei oder gar fünf?) eine Rolle, wo sie sich mit Kontaktwünschen zurückgehalten hat, um ihrem Sohn, dem Mathematikprofessor, Zeit für seine Arbeit und die notwendige Erholung zu lassen. Gewiss ist sie eifersüchtig auf ihre Schwiegertochter, die so viel Zuwendung erfährt und sie doch gar nicht richtig nutzen kann, weil sie schon im nächsten Moment vergessen hat, dass sie sie erfahren hat. Und sie, die Mutter, die doch Jahrzehnte so für ihren Sohn da war, wird von ihm so vernachlässigt.
Aber sicher spielt auch hinein, dass sie sieht, wie fordernd die Arbeit in der Altenpflege ist, und dass sie es bedauert, dass sie anderen so viel Arbeit macht, weil sie nicht mehr zureichend für sich selbst sorgen kann.
Und dann die Vorstellung, der geliebte Sohn, dessen Wohlergehen ihr seit seiner Geburt so wichtig war, könnte vom Status des angesehenen Professors, der endlich Zeit hat, seinen eigenen Interessen nachzugehen, in den Status eines Vollzeit-Altenpflegers zurückfallen und diese Tätigkeit mit schwindenden Kräften immer weiter ausüben müssen, bis er selbst pflegebedürftig wird.

Bewegend aber auch die strahlende Dankbarkeit der Frau, wenn sie wahrnimmt, dass sie anderen so wichtig ist, dass sie sich die Mühe machen, genau das für sie zu tun, was sie gerade haben will.

Aus einem meiner früheren Artikel möchte ich hier noch anführen:
Tiere sind weit besser darin, Menschen zu verstehen, die sich nicht erklären können. Nicht selten finden auch Kinder zu solchen Menschen einen leichteren Zugang als Erwachsene, aber ganz unabhängig von sinnwidriger sprachlicher Kombination sind Tiere am besten geeignet. 
Wegen diesen unmittelbaren Zugangs zur Psyche des Menschen sind Tiere besonders für alte und junge Menschen so wichtig.

http://vergissmeinnicht-film.de/
http://www.spiegel.de/kultur/kino/dokumentarfilm-vergiss-mein-nicht-von-david-sieveking-a-880585.html
http://www.sueddeutsche.de/kultur/vergiss-mein-nicht-im-kino-vorgefuehrt-im-verfall-1.1592413

Diesen Artikel habe ich vor acht Jahren geschrieben (und veröffentlichet) und er ist für mich nicht weniger aktuell geworden.

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