Dienstag, 7. Dezember 2021

Musik in Konzentrationslagern

"Die Erinnerungen von Überlebenden beschreiben, wie die Häftlingskapellen organisiert waren und zu welchen Anlässen die Musiker welche Musik spielen mussten. Die Hauptaufgabe der Häftlingsorchester bestand in vielen Lagern darin, den Tagesablauf zu strukturieren. Es sind vor allem die Klänge deutscher Marschmusik und populärer Orchestermusik, die sich in die Köpfe der Überlebenden eingegraben haben. Zu dieser Musik marschierten die Arbeitskolonnen tagtäglich durch die Lagertore. Der Takt der Märsche sollte sie zum Gleichschritt disziplinieren und die anwesenden SS-Männer unterhalten. Bekannte Orchesterstücke aus Operetten, Melodien populärer Lieder wie „Lilli Marleen“ verhöhnten die gequälten Menschen und demonstrierten ihnen ihre Hilflosigkeit, denn sie konnten der Musik nicht entkommen, die sie an ein normales Leben, eine glückliche Vergangenheit erinnerte. Vom Orchester des Auschwitzer Frauenlagers ist überliefert, dass es Tausende von Deportierten mit leichter Operettenmusik empfangen musste, um die Neuangekommenen abzulenken und zu täuschen. „Ein nächtliches Konzert beginnt“, erinnerte sich die Musikerin Seweryna Szmaglewska.

„Bei den Waggons schreien die SS-Männer wie besessen, jammern die Geschlagenen, weinen die Kinder, und auf diesem akustischen Hintergrund erklingen die Melodien spanischer Tänze, sehnsüchtiger Serenaden, sentimentaler Lieder.” (Szmaglewska 1962: 245) Aus vielen Konzentrationslagern ist bekannt, dass die SS-Wachen mit dem gebrülltem Befehl „ein Lied“ die Gefangenen in verschiedenen Situationen deutsche Volkslieder singen ließen, zum Beispiel, wenn sie die Bevölkerung der umliegenden Dörfer über den wahren Charakter der Lager hinwegtäuschen wollten." (S.214-216)

Juliane Brauer: "Lieder aus den nationalsozialistischen Konzentrationslagern Geschichte(n), Erinnerung und Rezeption" in: Berichte, künstlerische Werke und Erzählungen von NS‑Verfolgten Zeugnisformen Bildungsarbeit mit Zeugnissen. Herausgegeben von Dagi Knellessen und Ralf Possekel, S. 213 ff. (Link zum Download)

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