"Die Modeplattform [Zalando] verspricht, 97 Prozent seiner Retouren wieder selbst zu verkaufen. Die ZEIT hat ihren Weg durch ganz Europa verfolgt. Die Sender zeigen, was wirklich mit ihnen passiert. [...]
Glaubt man dem Konzern, werden 97 Prozent der retournierten Modeartikel "nach entsprechender Prüfung sowie sorgfältiger Aufarbeitung wieder über den Zalando Shop verkauft". Vernichtet würden "weniger als 0,05 Prozent". Kann das stimmen? [...]
Es ist von Anfang an eine ungewöhnliche Recherche. Zehn Kleidungsstücke hat die ZEIT zusammen mit dem Investigativ-Format Vollbild des Südwestrundfunks und dem Hamburger Recherche-Start-up Flip quer durch Europa verfolgt. Wir haben Hunderte von Signalen ausgewertet, konnten interne Unterlagen einsehen und mit aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern sprechen – alles, um zu verstehen, was mit den Retouren geschieht und wie ausgerechnet der Fast-Fashion-Riese Zalando zu einem grünen Konzern werden will.
Die Geschichte des Unternehmens beginnt 2008 in Berlin. Zwei Studienfreunde, Robert Gentz und David Schneider, beginnen online mit Schuhen zu handeln. Bald darauf kommt Kleidung dazu, das Unternehmen wächst und wächst, auch dank eines großen Versprechens an die Kunden: Bestellt erst mal, ihr könnt ja alles zurückschicken, wenn es euch doch nicht gefallen sollte! Zalando hat dieses sorglose Shoppen im Netz mit etabliert und davon profitiert. Heute kaufen 50 Millionen Kunden bei dem Modehändler. Allein 2021 stieg der Umsatz um 30 Prozent auf über zehn Milliarden Euro.
Je mehr die Kunden bestellen, desto besser für Zalando. Der Konzern ist ein Knotenpunkt der Modeindustrie, die auch wegen Retouren für mehr CO₂ verantwortlich ist als alle Flugzeuge und Schiffe dieser Welt zusammen.
[Diese Aussage klingt mir etwas zu ungeheuerlich, dafür brauchte ich einen Beleg. Aber dass es in der Modeindustrie extrem viele Retouren gibt und dass viele davon nicht wieder verkauft werden, ist auch an anderer Stelle belegt. Fontanefan]
" [...] Und dieser Konzern will nun grün werden. Schon 2019 verkündet Zalando das Ziel, "eine nachhaltige Mode-Plattform mit einer netto-positiven Auswirkung auf Mensch und Erde" zu werden. Den Kunden verspricht man dafür: klimaneutrale Retouren, einen Reparaturservice, den Wegfall von Einwegplastik und eines der größten Sortimente an nachhaltiger Mode überhaupt. "Wir wollen eine transparentere, nachhaltigere Zukunft der Mode schaffen", so Zalando. [...]
Als wir später darum bitten, die Retourenzentren besuchen zu können, lehnt Zalando aus "organisatorischen Gründen" ab. Ähnlich reagiert der Modehändler bei anderen Themen. So will er angeblich die Lebensdauer von 50 Millionen Kleidungsstücken verlängern, unter anderem durch den Reparaturservice und den Verkauf von gebrauchter Kleidung. Wie viele Menschen diesen Service nutzen, wie viel gebrauchte Kleidung Zalando bereits verkauft hat? Zalando will es nicht verraten. Ein weiteres Gespräch mit Laura Coppen allein wird abgelehnt.
Das ist der Moment, in dem wir zehn Kleidungsstücke bei Zalando bestellen: einen Babystrampler, zwei Westen, einen Winterparka, ein Kleid, zwei Hosen, einen Bikini, ein Top und eine Fake-Lederjacke in Türkis. In die Kleidung nähen wir kleine GPS-Sender ein, sogenannte Tracker. Dabei unterstützt uns das Investigativ-Team von Greenpeace, das viel Erfahrung beim Tracking hat, ansonsten aber nicht in unsere Recherche eingebunden ist. Mit 57 Gramm sind die Sender nicht schwerer als ein Hühnerei. In einem dicken Parka, einer festen Cargohose oder einer Daunenweste fallen sie nicht auf.
Für ein leichtes Sommerkleid oder ein Bikinioberteil aber sind sie noch zu schwer. Deswegen verstecken wir in fünf der Kleidungsstücke Bluetooth-Tracker, die gerade mal zwölf Gramm wiegen. Wir trennen Säume auf, kleben die Tracker mit Textilkleber fest, lassen sie in Taschen, im Innern eines Bikinioberteils und im Ärmel des Babystramplers verschwinden. Dann nähen wir alles wieder zu. Nur wer die Kleidung gründlich absucht oder sie anprobiert, wird die Tracker noch bemerken. Wir schicken alles als Retouren zurück an Zalando.
Ein Bild voller Zickzacklinien
Um nachzuvollziehen, wohin sich die Tracker bewegen, legen wir für jedes Kleidungsstück eine Datei an. Die Liste füllt sich Tag um Tag, Zeile um Zeile mit Koordinaten. Gibt man sie auf Google Maps ein, entsteht langsam ein Bild voller Zickzacklinien. Die Kleidungsstücke reisen kreuz und quer durch Europa. Immer drängender wird sich die Frage stellen: Warum macht Zalando das? [...]
"Ökologisch ist das eine Katastrophe", so Asdecker. "Es finden Tausende Kilometer an Transport statt, die nicht sein müssten – erst recht nicht, wenn sich ein Unternehmen Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreibt."
Von unserem Babystrampler erhalten wir nach drei Monaten das letzte Signal. Der Akku unseres Trackers ist leer. Wir können den Strampler nicht weiter verfolgen. Gut möglich, dass er noch immer durch Europa tourt."
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