Freitag, 31. März 2023

„Kulturgeschichte der jiddischen Literatur“: Auf ihre Weise frei wie keine andere Sprache

 https://www.fr.de/kultur/literatur/kulturgeschichte-der-jiddischen-literatur-auf-ihre-weise-frei-wie-keine-andere-sprache-92181896.html FR 31.3.23

https://de.wikipedia.org/wiki/Jiddisch

"[...] Jiddisch teilt sich in West- und Ostjiddisch. Letzteres besteht aus den Dialektverbänden Nordostjiddisch („litauisches Jiddisch“), Zentraljiddisch („polnisches Jiddisch“) und Südostjiddisch („ukrainisches Jiddisch“). [...]"

https://de.wikipedia.org/wiki/Jiddische_Literatur

Susanne Klingenstein: Es kann nicht jeder ein Gelehrter sein. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 634 S., 50 Euro.

Mittwoch, 29. März 2023

Ist Erinnerung ein Konstrukt?

 https://www.zeit.de/2023/14/erinnerung-trauma-forschung-gedaechtnis/komplettansicht

"[...] Elizabeth Loftus ist 78 Jahre alt und eine Koryphäe ihres Faches, eine weltweit führende Gedächtnisforscherin. An diesem Tag unterrichtet sie drei Stunden lang, ohne Pause. Es geht darum, dass sich Augenzeugen oft falsch an ein Verbrechen erinnern. Sie erzählt von dem Serienmörder Ted Bundy, den sie mal traf, und dem Schauspieler Kevin Spacey, mit dem sie neulich gezoomt hat, weil er der sexuellen Nötigung beschuldigt wird. Die Studierenden hängen an ihren Lippen. Ein paar Räume weiter hat Loftus ihr Büro. Neben der Tür hat sie eine Postkarte aufgehängt. Darauf steht: "Artige Frauen schreiben selten Geschichte."

Anfang der 1970er, nach ihrer Doktorarbeit in Psychologie, habe sie beschlossen, dass ihre Forschung bedeutsam sein soll, erzählt sie am Morgen nach dem Seminar in ihrem Haus auf dem Campus. Loftus wurde später mit Kritik aller Art überzogen, sie wurde in Fachartikeln angegriffen und in E-Mails mit dem Tod bedroht, sie wurde ausgebuht, beleidigt, verklagt und von Veranstaltungen ausgeladen, einmal schlug ihr im Flugzeug eine Sitznachbarin eine zusammengerollte Zeitung auf den Kopf, nachdem Loftus sich vorgestellt hatte – aber sie kann sich nicht erinnern, dass irgendjemand ihre Arbeit als irrelevant bezeichnet habe.#

 Damals als junge Forscherin trieb sie Geld vom Verkehrsministerium auf und überlegte sich ein Experiment. Sie zeigte Menschen ein Video eines Auffahrunfalls und fragte anschließend eine Gruppe: "Wie schnell war das Auto, als es das andere berührte?" Eine andere Gruppe fragte sie: "Wie schnell war das Auto, als es in das andere Auto einschlug?" Die zweite Gruppe nannte im Durchschnitt eine um knapp 15 Kilometer pro Stunde höhere Geschwindigkeit.
 Als sich die Menschen eine Woche später noch mal an den Unfall erinnern sollten, gaben jene, die nach dem einschlagenden Auto gefragt worden waren, häufiger an, im Unfallvideo zerbrochenes Glas gesehen zu haben. In Wahrheit hatte es kein zerbrochenes Glas gegeben.
 Alle hatten dasselbe Video gesehen. Dennoch erinnerten sich die einen an ein schnelles Auto und eine zerbrochene Scheibe. Und die anderen an ein langsames Auto und eine intakte Scheibe. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Gruppen war das Verb, das Loftus in ihrer Frage benutzt hatte. Sie probierte noch andere Verben aus: "kollidieren", "aufprallen", "anstoßen". Die Antworten unterschieden sich verlässlich um einige Kilometer pro Stunde. Es war, als würde Loftus an einem Regler drehen und damit die Erinnerung der Menschen steuern.
 Die vorherrschende Meinung war zu jener Zeit: Das menschliche Gedächtnis arbeitet wie eine Art Videorekorder, unbestechlich zeichnet es die Wirklichkeit auf und speichert sie als Erinnerung im Gehirn ab. Auch wenn man später nicht mehr auf alles Zugriff hat – jene Dinge, an die man sich erinnert, sind ein akkurates Abbild vergangener Erlebnisse. Wie ließen sich da Loftus’ Befunde erklären?
 Ihre Studie sorgte für Aufsehen. Es begann eine Phase intensiven Forschens. Bald war klar: Das menschliche Gedächtnis ist in dem, was es abspeichert, hochgradig wählerisch. Von den Tausenden Eindrücken und Informationen, die jede Sekunde unser Hirn erreichen, nehmen wir nur einen winzigen Teil bewusst wahr. Und davon verschwindet das allermeiste bald wieder. Nur ein Bruchteil bleibt hängen, nämlich alles, worauf wir aktiv unsere Aufmerksamkeit richten. Auch davon wiederum wird nur ein kleiner Teil langfristig als Erinnerung abgespeichert. Nämlich alles, was für uns neu, überraschend, von großer Bedeutung oder mit starken Gefühlen verbunden ist. Was wir am Donnerstag zu Abend gegessen haben oder welche Nummer unser Hotelzimmer im Urlaub hatte, gehört in der Regel nicht dazu.
 Das Vergessen schützt unser Gehirn vor Überlastung, indem es irrelevante Inhalte löscht – so wie man am Computer besser ab und zu offene Browserfenster aus der vergangenen Woche schließt. Was bleibt, sind die Dinge, die wichtig sind: der erste Kuss; das Tor, mit dem wir unsere Mannschaft zur Meisterschaft schossen; die Geburt des Kindes; der Streit, der zur Trennung führte; wo wir waren, als die Flugzeuge ins World Trade Center einschlugen. Daran erinnern wir uns meist für immer – und zwar sehr genau. Oder?

 Am 28. Januar 1986 explodierte die Raumfähre Challenger kurz nach dem Start. Menschen auf der ganzen Welt sahen die Bilder in den Nachrichten und waren schockiert. Der amerikanische Psychologe Ulric Neisser und seine Kollegin Nicole Harsch überlegten sich in aller Eile ein Experiment. Sie stellten ihren Studierenden am Tag nach der Explosion fünf Fragen zum Moment, in dem sie von der Tragödie erfuhren: Wie haben Sie davon erfahren? Wo waren Sie? Was haben Sie gemacht? Wer war bei Ihnen? Wie haben Sie sich gefühlt? [...]

Zweieinhalb Jahre später bekamen dieselben Studierenden dieselben Fragen noch einmal gestellt. Ein Viertel beantwortete keine einzige Frage wie beim ersten Mal. Bei der Hälfte deckten sich nur die Antworten auf eine Frage. Und als die Forscher wissen wollten, ob die Probanden diese Fragen schon einmal beantwortet hätten, sagten 75 Prozent Nein. Selbst nachdem sie ihre ursprünglichen Antworten in der eigenen Handschrift gesehen hatten, schworen sie, dass das nicht sein könne. Die Erinnerungen waren noch da, aber sie hatten sich verändert. Die Probanden hatten in der Zwischenzeit neue Berichte über die Explosion gesehen und gelesen, sie hatten Gespräche darüber geführt oder angehört oder einfach nur darüber nachgedacht. Sie hatten die ursprüngliche Erinnerung mit anderen Eindrücken überschrieben, ohne dass sie es gemerkt hatten. Der alte Stand war weg. 
In der Forschung setzte sich mehr und mehr das Modell des "rekonstruktiven Gedächtnisses" durch, eines Gedächtnisses also, das beim Erinnern keine exakte Wiedergabe eines Ereignisses abspielt, sondern eine nachträgliche Rekonstruktion. Und die ist oft umso verfälschter, je länger das Ereignis her ist. Vorangetrieben wurde diese Revolution in der Psychologie von Elizabeth Loftus, die inzwischen einen Lehrstuhl an der University of Washington in Seattle übernommen hatte. [...]" (ZEIT 29.3.2023)

Dienstag, 28. März 2023

Einsamkeit bei der Arbeit

 "Die Jobs, die am unglücklichsten machen, gehören auch zu den einsamsten, wie die Studie der Harvard-Forscher zeigt. Die Erkenntnisse besagen, dass die unglücklichsten Arbeitnehmer in Berufen tätig sind, die wenig menschliche Interaktion erfordern und keine Möglichkeiten bieten, sinnvolle Beziehungen zu Kollegen aufzubauen, – zum Beispiel bei Sicherheitsdienstangestellten in Nachtschichten oder bei Fernfahrern.

Aber auch bei Paket- und anderen Lieferdienst-Jobs, wo man nie mit Kollegen in Kontakt kommt oder bei Akkord-Arbeit im Schichtdienst, sorgt die anhaltende Einsamkeit für wachsenden Frust. "Das Gefühl, bei der Arbeit von anderen abgekoppelt zu sein, ist aber nicht nur ein psychisches Problem", so Dr. Robert Waldinger, Professor für Psychiatrie an der Harvard Medical School und Leiter der "Harvard Study of Adult Development" gegenüber der Nachrichtenseite CNBC. Es sei auch zunehmend ein gesundheitliches Problem: “Wie andere aktuelle Studien zeigen, erhöht Einsamkeit mit zunehmendem Alter das Sterberisiko in ähnlich starkem Maß wie Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel.” [...]"

Harvard-Studie gq-magazin 26.3.23

Montag, 27. März 2023

Heiztipps für den Frühling

 https://utopia.de/ratgeber/fruehling-heizen-energie/

Chomsky zur Kritik an ChatGPT

 „Ich glaube nicht, dass [ChatGPT] irgendetwas mit Bildung zu tun hat“, sagt Chomsky dem Interviewer Thijmen Sprakel von EduKitchen. „Ich denke, es untergräbt es. ChatGPT ist im Grunde ein Hightech-Plagiat.“ Die Herausforderung für Pädagogen besteht laut Chomsky darin, Interesse an den Themen zu wecken, die sie unterrichten, damit die Schüler zum Lernen motiviert werden, anstatt zu versuchen, die Arbeit zu vermeiden.

Chomsky, der einen großen Teil seiner Karriere als Lehrer am MIT verbrachte, war der festen Überzeugung, dass seine Studenten sich nicht an KI gewandt hätten, um ihre Studienarbeiten abzuschließen, weil sie in das Material investiert hätten. Wenn sich Schüler auf ChatGPT verlassen, ist dies laut Chomsky „ein Zeichen dafür, dass das Bildungssystem versagt. Wenn die Schüler kein Interesse haben, werden sie einen Weg finden.“

Der amerikanische Intellektuelle ist der festen Überzeugung, dass das derzeitige Bildungsmodell des „Lehren zum Testen“ ein Umfeld geschaffen hat, in dem sich die Schüler langweilen. Die Langeweile verwandelt sich wiederum in Vermeidung, und ChatGPT wird zu einer einfachen Möglichkeit, die Bildung zu vermeiden.

Während einige argumentieren, dass Chatbots wie ChatGPT ein nützliches Lehrmittel sein können, ist Chomsky ganz anderer Meinung. Er ist der Meinung, dass diese natürlichen Sprachsysteme „für einige Dinge von Wert sein können, aber es ist nicht offensichtlich, wofür.“

In der Zwischenzeit scheint es, dass Schulen sich bemühen, herauszufinden, wie sie der Verwendung von ChatGPT entgegenwirken können. Viele Schulen haben ChatGPT auf Schulgeräten und -netzwerken verboten, und Pädagogen passen ihre Unterrichtsstile an. Einige wenden sich mehr klasseninternen Aufsätzen zu, während andere prüfen, wie sie die Technologie in den Unterricht integrieren können.

Es wird interessant sein zu sehen, ob der Aufstieg von Chatbots dazu beiträgt, uns zu einer neuen Unterrichtsphilosophie zu führen und weg von der Methode „Lehren, um zu testen“, die zur treibenden Kraft geworden ist [...] (My Modern Met - Übersetzung von Google Translator))

Forschungsstelle Antiziganismus

 https://www.uni-heidelberg.de/fakultaeten/philosophie/zegk/histsem/forschung/Forschungsstelle_Antiziganismus.html

https://www.uni-heidelberg.de/fakultaeten/philosophie/zegk/histsem/forschung/Forschungsstelle_Antiziganismus_Aktuelles.html

https://twitter.com/hashtag/Antiziganismus?src=hashtag_click

Samstag, 25. März 2023

Mara Heinze-Hoferichter: Friedel Starmatz

Mara Heinze-Hoferichter: Friedel Starmatz, 1928

"Ein sonniger Morgen im Hochsommer schüttete Gold und Glanz über tauerquickte Wiesen. Die Blumen hoben ihr Antlitz in stiller Wonne zum Himmel auf. Ein leichter Wind rauschte vom Waldrand her über die Landstraße, die im Morgenfrieden kühl und schattig dort lag und – wie immer – ein wenig neugierig war auf alles, was der neue Tag an Begebenheiten auf ihr da hinführen würde.

Was passiert? Es kommt ein großes Knallen und Knattern und Wagen gerassel, viel Lärm viele Menschen mit Taschen und Koffern und Kisten und Kasten, Kinder weinten Hunde heulten

Ja, selbst die neugierige Landstraße hätte am liebsten gerufen: Halt ein, halt ein mit so traurigen Begebenheiten!" Aber auch sie war wie gelähmt vor Entsetzen. [...]

Lange Zeit wagte nichts sich zu rühren.

Endlich hielt Junker Säuselwind es nicht mehr aus. Erst flog er einmal über die Straße dahin und blies fort, was den eilenden Menschen in ihrer Hast entfallen war. [...]

Über alledem ereignete sich schon wieder ein Merkwürdiges auf der weißen Landstraße: Etwas Lichtblaues kam daher gesegelt. Wie ein großer Falter sah es aus. Aber nein: es hatte keine Flügel. Auf zwei festen Beinchen und in roten Schuhen stapfte es selig und versonnen des Wegs und war – ein Menschenbüblein!

"Na," sagte die gute Landstraße, "wo kommst du denn so allein her? Hast du dich verlaufen oder willst du auch verreisen wie die vielen Menschen [...] [...]

"Verreisen? Nein," sagte verträumt das Büblein, "ich bin schon ziemlich müde. Ich will bloß meiner Mutter entgegengehen."

"Wo ist denn deine Mutter?" fragte besorgt die Landstraße.

"Mutter ist bei Vater im Kriege. Sie besucht ihn, weil er verwundet ist, weißt du," berichtete es ernsthaft

"O du lieber Himmel, mein kleines Menschenkind, wo ist denn aber 'im Kriege'?"

"Hier herunter ist Mutter fortgegangen, und ich will ihr entgegengehen. Glaubst du, das es noch weit ist?"

Der kleine Junge wird von Soldaten entdeckt, die ihn mitten in den Truppenbewegungen für sehr gefährdet halten. Sie nehmen ihn mit. Es kommt zu einem Unfall er wird unter dem umgestürzten Wagen hervorgezogen undliegt lange krank in einem Bett und wird dort versorgt. Er bekommt aber mit ,dass er dort als zusätzlicher Esser nicht gern gesehen wird, und läuft weiter.

"Die Sonne sammelte ihre Strahlenkinder; denn es wollte Abend werden. Fast alle waren schon gehorsam heimgekehrt, nur im Tannenwalde schienen sie gar nicht fertig zu werden mit Spielen und Leuchten. Mutter Sonne musste da wohl selbst einmal selbst zum Rechten sehen. Ei! Was erblickte sie da Lustiges! Ihre Strahlenkinder spielten Haschen mit einem Menschenknirpslein, dassjauchzend nach ihnen griff. Über seine roten Schuhe tanzten sie, locken es hierhin und dorthin und fanden kein Ende mit Blitzen und Blinken. Eine Weile sah Frau Sonne lächelnd zu. Dann aber winkte sie ihren wilden Kindern gebieterisch. Der Mond wartete voller Ungeduld; denn nun wollte doch er sein Licht leuchten lassen.

"Husch-husch," sagten die Strahlenkinder im Davoneilen, "geh nach Hause, du Knirps! Wenn wir fort sind, ist es nicht mehr schön im Walde."

Aber Träumerlein konnte das nicht verstehen. Er sah nur auf einmal, dass seine lustigen Gespielen fort waren, und da fiel es ihm schwer aufs Herz, dass er Mutter noch immer nicht gefunden hatte.

Die Vögel schlafen schon, als der Mond den kleinen Jungen im Wald schlafend vorfindet.

"Muss noch mal nachschauen, wohin er gehört, der Ausreißer."

Und da leuchtete auf einmal ein so wunderbarer Glanz über den Wald hin, dass Gisi, das Eichkätzchen geblendet die Augen schloss. Vater Mond aber rief überrascht: "Sieh, sieh, dich sollte ich doch wohl kennen? Bist doch das Träumerlein aus dem Erlengrund! Habe dich ja manchmal spät abends bei Mutter hocken sehen, wenn sie so schön gesungen hat, dass alle Engel zuhören wollten. [...]

Der Mond bespricht sich mit dem Eichkätzchen wie man dem Kind helfen kann. Es lockt das Kind zu einem Haus, wo eine Familie wohnt, die bestimmt gut für das Kind sorgen wird.

Daneben ragte eine besonders schöne Eiche empor. Die streichelte mit ihren Zweigen die blinkeblanken Fenster. Jetzt huschte etwas Rötliches den Stamm hinauf. War es möglich? Sein lustiger Spielgeselle, die Gisi, guckte triumphierend auf ihn herab. Hatte sie gar keine Furcht vor den Menschen in diesem Hause? Aber es war so still, nichts regte sich… Vielleicht war niemand darin?…

Doch! Jetzt ging eine Tür, und Kinderstimmen wurden laut. Eins, zwei, drei Kinder kamen gesprungen. Das größte, ein Junge der so alt sein konnte als er selbst, schwang eine bunte Decke in der Hand und legte sie auf den großen braunen Tisch. Ein zartes Mädelchen mit seidenweichen Blondhaar, ein bisschen kleiner als der Junge, trug behutsam einen apfelgrünen Krug, der mit zartfarbigen Rosen gefüllt war. Sorglich setzte sie ihn mitten auf die Decke. War sie eins der Elfenkinder, die Träumerlein in dieser Nacht im Traum gesehen hatte? Um ihre Stirn wandt sich ein Kränzlein von Kresseblüten. Das weiße Kleid war duftig und sauber wie frisch gefallener Schnee. – Nun kam noch ein kleiner Junge, einen dicken Kuchenbrocken in der Hand, eilfertig daher.

"Pfui, Wittich," rief verweisend und ein wenig verächtlich das Schwesterlein, "du hast genascht!"

"Hat Mutter mir geschenkt," verteidigte sich der kleine Dicke und sprang auf eine zarte Frauengestalt zu, die jetzt mit einem großen Teebrett in der Hand in der Türe erschien. [...]

Träumerlein wagt sich zunächst nicht zu der Familie, wird aber entdeckt und eingeladen. Er bekommt vom Kuchen zu essen.

Und als das eine Stück ganz verschwunden war, lag schon ein neues auf dem Teller. Träumerlein verzehrte es selig, und niemand störte ihn mit Fragen. Als aber als er fertig war, sagte das Mädchen: "Mutter, er ist so schmutzig!"

"Lass das!" wehrte die Mutter, und zu dem kleinen Fremdling gewendet, sprach sie eindringlich: "Sage mir nun einmal genau: Wie heißt du?"

"Ich habe viele Namen," antwortete er freundlich. "Träumerlein und Märchenhans und Nestspatz, - so sagt meine Mutter, und besonders Träumerlein… Vater sagt: Friedel Starmatz… Und Maruschka sagt: Bubi."

"Hast du nicht schon einmal einen Brief bekommen, und wie stand denn darauf?"

Er grübelt er eine Weile, dann rief er strahlend: "Natürlich! Von Väterchen, gleich als er in den Krieg gezogen war, und Mutter sagte, es stehe deutlich darauf: An Friedel Starmatz."

Es stellt sich heraus, dass er den Kosename bekommen hat, weil er an dem Tag geboren wurde, als die Staren aus dem Süden zurückkehrten. Nach längerem Fragen erfährt die Mutter, dass er einmal in Königsberg war.

[...] Liebkosend strich sie über den blonden Schopf: "Ich heiße Ingrid. Willst du mich Tante Ingrid nennen?"

Er sah sie bedrückt und zweifelnd an, wie sie vor ihm stand in ihrem zartgelben Kleide, das am Hals von einem weißen Seidenband gehalten wurde. Der Hals stieg fein und zart empor und trug einen schmalen schöngewölbten Kopf. Aus dem Antlitz schauten große Augen von klarem, sammettiefem Grau. Das dunkelblonde Haar war tief über die Ohren gescheitelt und im Nacken zu einem Knoten geschlungen… "Du bist nicht Tante Ingrid," stieß Träumerlein endlich hervor. "Du bist die Iris! Iris will ich dich nennen."

Nun traf sich's, dass dies der Mutter Lieblingsblume war, und alle Kinder riefen im Chor: "Iris! Ja, wie Iris sieht Mutter aus. O, dürfen wir alle dich so nennen?" [...]" (S.7-37)

Der Weihnachtsbaum der Künstlerfamilie Grönwold ist mit weißen Lilien geschmückt. (S.108) Wie im Hause der Buddenbrooks.

Der letzte Tag des Jahres! In dunklen Wolkenschleiern birgt er sein Licht und huscht flüchtigen Fußes, abschiednehmend, über die Erde. Tief, ganz tief neigt der graue Himmel sich hernieder, weiße Wolkenarme ausstreckend, dem letzten Tag entgegen, um ihm heimzugeleiten zur Ewigkeit. Die mächtigen Tannen scheinen den Himmel zu stützen. So tief lastet er auf Ihnen, dass ihre Spitzen nur undeutlich aus wogendem Grau hervorschimmern. Still ist die Luft. Von Zweigen und Ästlein im weißen Schneepelz tönt es in geheimnisvollem Gleichmaß: Tropf – tropf – tropf, – der einzige Laut im Walde, der die tiefe Stille dadurch noch deutlicher werden lässt. Weint der Wald? Der letzte Tag des Jahres fühlt es, dass die Menschen mit seinem Licht nichts anzufangen wissen. Es gilt Ihnen nichts. Am hellen Tage träumen Sie schon vom Abend und dem Anbruch des neuen Jahres. Sie freuen sich der Stunden, die vergehen; darum aeilt er vorüber, – wesen os, schattenhaft. Nur im Walde und auf stillen Feldern hält er eine wehmütige Feier und grüßt segnenden Blickes die leise atmende Welt. –

Die schwarze Gestalt, die langsam den Waldweg daherkommt, hebt den Kopf und schaut wie in Andacht um sich. (S.119)

Müssen wir akzeptieren, ausgespäht zu werden, so bald wir ins Internet gehen?

 "Proton AG[3] (ehemals ProtonMail) ist ein kostenfreier E-Mail-Dienst (Freemail-Anbieter), der die Nachrichten der Nutzer verschlüsselt. Er wurde durch Jason Stockman, Andy Yen und Wei Sun, Mitarbeiter an der CERN-Forschungseinrichtung, im Jahr 2013 gegründet und ist in 25 Sprachen, u. a. Deutsch, Englisch und Französisch, verfügbar.[4][5] Proton Mail ist ein Ende-zu-Ende verschlüsselnder Service, der die E-Mails schützt, bevor sie an den Server von Proton Mail geschickt werden. Proton Mail wird von der Proton AG betrieben, die ihren Sitz in Plan-les-Ouates im Kanton Genf hat. [...]" (Wikipedia)

Die Nutzung von ProtonMail wird freilich durch die Browser der Internetgiganten erschwert. 

Ein historisches Beispiel: "In den Jahren 2015 und 2016 wurde Proton Mail in Suchresultaten von Google unterdrückt, wodurch Proton Mail weniger zahlende Neubenutzer gewann als geplant.[31]" (Wikipedia)

Mittwoch, 22. März 2023

3 Minuten jüdisches Leben im Stummfilm entschlüsselt

 https://www.bpb.de/518439/three-minutes-a-lengthening/?pk_campaign=nl2023-03-22&pk_kwd=518439

Wasser in Plastikflaschen ist ein Milliardengeschäft - der öffentlichen Trankwasserversorgungfehlt das Kapital

"Wasser in Plastikflaschen ist ein Milliardengeschäft. In jeder Minute werden weltweit mehr als eine Million Flaschen verkauft. 34 Dollar gibt rein rechnerisch jeder Mensch pro Jahr für Wasser in Plastikflaschen aus. Was sich auf die Summe von 270 Milliarden Dollar jährlich mit einem Volumen von rund 350 Milliarden Liter beläuft, wie eine Studie der UN anlässlich des Weltwassertages an diesem Mittwoch zeigt."

 https://www.fr.de/wirtschaft/teuer-abgefuellt-92161133.html FR 22.3.23

Dienstag, 21. März 2023

Insekten bestäuben Getreide? ZDF blamiert sich mit Biologieunwissen

 "In der Reihe „plan b“ verbreitet das ZDF, Insekten würden die meisten Getreidepflanzen bestäuben. Fehlerkorrektur? Fehlanzeige. Nicht das erste Beispiel für einen erschreckend uninteressierten Umgang mit Fake News in den öffentlich-rechtlichen Medien.

Die Dokumentationsreihe „plan b“ wird beim ZDF unter dem Claim „konstruktiver Journalismus“ geführt. Sie zeige, so kann man in der Mediathek des Senders nachlesen, „dass es auch anders geht: Die Filme erzählen Geschichten des Gelingens und stellen Lösungsideen für gesellschaftliche Probleme vor.“

„Anders“ gehen Sender und Produzenten allerdings offenbar nicht nur mit gesellschaftlichen Problemen, sondern auch mit Recherche und Faktenvermittlung um. Denn jedes Schulkind kann seit ein paar Tagen mit ZDF-Hilfe lernen, dass unser Getreide von Insekten bestäubt wird. Sogar Bildmaterial gibt es zu dieser hanebüchenen Falschinformation.

Wichtiges Thema Insektenschwund

Am vergangenen Samstag ging es in der Sendereihe um das Thema Lichtverschmutzung: „plan b: Licht aus! Sterne an!“ Ein Punkt war der Einfluss nächtlicher Dauerbeleuchtung auf Insekten.

Es sei dahingestellt, ob die Aussage, die Insektenanzahl sei seit den 1980er-Jahren um 75 bis 80 Prozent gesunken, so stimmt. Sie bezieht sich auf die sogenannte Krefelder Studie, deren Methodik und Interpretation nicht ganz unumstritten ist. Zudem geht es in der Studie nicht um die Anzahl der Insekten, wie plan b erzählt, sondern um deren Biomasse. Dennoch sind die Thematik und die Durchleuchtung von Lösungsansätzen wichtig.

Getreide ist selbstbestäubend

Was aber ist von einer wissenschaftlich anmutenden Dokumentation zu halten, in der behauptet wird, Insekten „bestäuben Pflanzen, darunter die meisten Getreidesorten“? (Wer sich selbst überzeugen möchte: ZDF-Mediathek, plan b, Sendung vom 18. März, ab Minute 3:35.)

Getreidepflanzen, das ist selbst bei einer sehr oberflächlichen Instant-Recherche ohne Weiteres herauszufinden, sind Selbstbestäuber. In der Regel erfolgt die Befruchtung noch innerhalb der geschlossenen Blüte. Wenn überhaupt äußere Faktoren zum Tragen kommen, ist es der Wind.

Keine Illustrationen verfügbar? Das Grafikstudio zaubert!

Offenbar hat die Ersteller der Sendung nicht einmal gewundert, dass – aus naheliegenden Gründen – bei den üblichen Agenturen kein Foto- oder Filmmaterial von getreidebestäubenden Bienen zu finden war.

Stattdessen hat Berlin Production eben eine animierte Computergrafik gebastelt, die zeigt, wie eine Honigbiene eine reife Weizenähre (!) „bestäubt“. Und damit ist die Falschaussage auch noch optisch mit Bewegtbild untermauert. [...]"

https://www.agrarheute.com/pflanze/insekten-bestaeuben-getreide-zdf-blamiert-biologieunwissen-604797

Montag, 20. März 2023

Alexander Behr: „Globale Solidarität“

Wie wir die imperiale Lebensweise überwinden und die sozial-ökologische Transformation umsetzen oekom Verlag 2022


"[...] Die Klimakatastrophe wirkt heute als Brandbeschleuniger für alle anderen Krisen – seien es soziale, ökonomische und ökologische Krisen oder kriegerische Auseinandersetzungen. Ernüchtert müssen wir feststellen, dass die Regierungen kaum gegensteuern, um die Erderhitzung aufzuhalten. Vielmehr sehen wir, dass sie den notwendigen, tiefgreifenden Wandel, den wir sofort brauchen, verhindern oder in die ferne Zukunft verschieben. Ob im Hinblick auf demokratiepolitische Fragen, Umwelt und Klimaschutz, Krieg und Frieden, Verteilungsfragen, Geschlechterverhältnisse oder Rassismus: Die Welt ist in einem besorgniserregenden Zustand. Der Begriff der Vielfachkrise tauchte zum ersten Mal im Jahr 2008 auf, als die globale Finanzkrise eine ganze Reihe von weiteren Krisen befeuerte:[...]"

 Gemeinsinn neu entdecken Rezension von Alexander Behr: „Globale Solidarität“, Deutschlandfunk

Samstag, 18. März 2023

Globalisierter Konsum

 Globalisierter Konsum

"Die umfassendste interkontinentale Wechselwirkung von Ernährungspraktiken war bereits im 16. Jahrhundert erfolgt. Dieser Columbian Exchange hatte europäische Nutzpflanzen und Tiere in der Neuen Welt eingeführt und amerikanische Pflanzen nach Asien und Europa gebracht. [...] Die Kartoffel brauchte seit der Ankunft der ersten Knollen kurz vor 1600 etwa zweihundert Jahre, bis sie in Ländern wie Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien zum wichtigsten Grundnahrungsmittel wurde. Schon viel früher hatte die Einführung ertragreicherer Reissorten die Produktion in Südostasien und China erheblich gesteigert.(S.335)
"Die amerikanische Maniok-Wurzel wurde in Afrika heimisch gemacht, [...]. Heute ist Maniok in den tropischen Teilen Afrikas die am weitesten verbreitete Nahrungspflanze." (S.336)
Kulinarische Mobilität
"Seit dem Goldrausch der Jahrhundertmitte waren Italiener in Kalifornien ansässig. Bald immigrierten sie in / viele andere Teile der USA. Sie brachten den Durum-Weizen mit, den man für italienische Pasta benötigt." (S.336/37) 
"In keinem europäischen Land spielten aus Übersee importierte Nahrungs- und Genussmittel eine größere Rolle als in Großbritannien. Die East India Company hatte, vor [...] die Briten zu einer Nation von Teetrinkern erzogen. [...] Der einzige andere exotische Import, der über den engen Kreis des Luxuskonsums hinaus die Ernährung der breiten Bevölkerung veränderte, war der Zucker. [...] Der eigentliche Aufstieg des Zuckerkonsums fand aber erst im 19. Jahrhundert statt. Die Zuckerproduktion auf der Welt verdoppelte sich zwischen 1880 und 1900 und nochmals von da an bis 1914. Der Anteil von Zucker an der durchschnittlichen Kalorienversorgung der Briten soll im Laufe des Jahrhunderts von 2 Prozent auf 14 Prozent gestiegen sein." (S.338)
"Es war eine der großen Tendenzen des 19. Jahrhunderts auf dem Ernährungssektor, dass die Industrialisierung auch die Herstellung von Fleisch erfasste und den Fleischmarkt zu einem transkontinentalen Geschäft machte. [...] Spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nahm in Westeuropa der Fleischkonsum auch der Unterschichten deutlich zu. Zwischen den 1860er und den 1890er Jahren verdoppelte sich der Fleischverbrauch englischer Arbeiterfamilien auf mehr als ein Pfund pro Kopf in der Woche. Die Japaner [...]  bekehrten sich von vegetarischer Ernährung zum Verzehr von Fleisch. [...] 1876 wurde erstmals argentinisches Rindfleisch per Kühlschiff nach Europa gebracht." (S.339)
"Romantische Sozialtypen wie der nordamerikanische Cowboy und der argentinische Gaucho waren das mobile Proletariat einer weltweit operierenden Fleischindustrie. [...]
1905 wurden 17 Millionen Tiere getötet. Es ist kein Zufall, dass eine der schärfsten literarischen Attacken auf den amerikanischen Kapitalismus, Upton Sinclairs Roman The Jungle (1906), seinen Schauplatz in den Chicagoer Schlachthöfen hat [...]." (S.340)

„Dialog braucht Raum ohne Raketendonner“

 

„Dialog braucht Raum ohne Raketendonner“ FR 18.3.23

Friedensforscherin Corinna Hauswedell spricht mit Bascha Mika über Putin, ihre Unterschrif bei Wagenknecht und Wege aus dem Krieg.

[...] In der Debatte zum Ukrainekrieg hat der Pazifismus einen schweren Stand. Warum eigentlich?

Einen schweren Stand hat er immer, wenn Frieden in Gesellschaften oder zwischen Staaten zerbricht. Was nicht unbedingt heißt, dass pazifistische Positionen auch denunziert werden. Doch was wir gerade erleben, ist eine Diskreditierung des Pazifismus verbunden mit der Dominanz eines militärisch geprägten Sicherheitsdiskurses ... 

... und eine unerträgliche Rechthaberei bei all den kalten Kriegern in Politik und Medien ...

... aber durchaus auch bei den Gegenspielern. Der moralische Anspruch, auf der besseren Seite der Geschichte zu stehen, ist eines der zentralen Probleme im gegenwärtigen Diskurs. Diese Haltung zeigt sich ganz oben im Außenministerium ebenso wie in der Zivilgesellschaft. Wenn es zur Kontroverse kommt, wird die andere Seite stets als die weniger gute abqualifiziert. Würden wir akzeptieren, dass dieser Krieg bei uns allen eine ungeheure Erschütterung ausgelöst hat, wären die öffentlichen Debatten vielleicht weniger vergiftet. [...]

Wie bei vielen anderen Gewaltkonflikten hat auch dieser Angriffskrieg seine Ursachen und eine Vorgeschichte der verpassten Chancen für einen neuen europäischen Frieden nach dem Kalten Krieg. Ich habe lange über den Nordirland-Konflikt gearbeitet. Im Rückblick sieht der klein aus gegenüber dem, was wir gegenwärtig erleben. Aber strukturell ist vieles vergleichbar. Nicht zuletzt, dass wir ein großes, (post-)imperiales Land im Konflikt mit einem kleineren erleben, dem bereits blutige Auseinandersetzungen und bürgerkriegsähnliche Kämpfe vorausgegangen sind. 

Und welchen Schluss ziehen Sie daraus?

Dass aus meinem Mitgefühl für die Opfer nicht folgen kann, militärisch für sie Partei zu ergreifen. Meine Sympathien für die Katholiken in Nordirland bedeuteten nicht, die Bewaffnung der IRA zu befürworten. Als Außenstehende sind wir gut beraten, das Spiel nicht mitzuspielen, das der Konflikt vorgibt ... 

... was wir mit Waffenlieferungen an die Ukraine tun? Obwohl das Land Opfer der russischen Aggression ist?

Dass Putin der brutale Aggressor und die Ukraine das Opfer ist, steht zweifellos fest. Dennoch bedeutet die Lieferung von Panzern und erst recht die von Kampfflugzeugen eine weitere Eskalation des Krieges. Deshalb sollten wir das nicht tun. Als Kennerin von Dynamiken, die durch Waffen ausgelöst werden, kann ich nur sagen: Kampfjets markieren eine neue Qualität. Sie überfliegen sozusagen die ohnehin problematische Grauzone zwischen Defensive und Offensive.

Dennoch wollen Polen und die Slowakei Kampfflugzeuge an die Ukraine liefern ...

... während die Rand Corporation – ein einflussreicher US-Thinktank – jetzt für Waffenstillstand und Verhandlungen plädiert. Für mich überschreitet es auch eine Grenze, dass Rheinmetall plant, ein Panzerwerk in der Ukraine zu bauen, damit die deutsche Rüstungsindustrie dort Waffen produzieren kann. Dieter Senghaas, einer der Urväter der deutschen Friedensforschung, hat bereits in den 1970er Jahren beschrieben, wie Rüstungsgüter und -exporte eine Art „Autismus“ entwickeln, der auf ihren Einsatz drängt. [...]

Der Absturz einer US-Drohne über dem Schwarzen Meer jüngst und die gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Russland und den USA illustrieren das Ausmaß der Risiken weiterer Eskalation: Es ist ein hybrider, zwischenstaatlicher Krieg mit einer sehr starken geopolitischen Komponente. Diese Komponente macht es wahnsinnig kompliziert, den Kriegsverlauf objektiv zu beurteilen, erst recht, Friedensstrategien und -akteure zu identifizieren. Aber umso dringlicher ist es ...

... die Frage zu beantworten, wie die Gewalt beendet werden kann.

Ja, aus pazifistischer Sicht müssen wir einen Konflikt immer von einer möglichen Friedenslösung aus betrachten und nicht nur auf den Kriegsverlauf schauen. Und das heißt auch, dass ab einem bestimmten Punkt alle an den Tisch müssen, die vermeintlich „Guten“ sowie die „Bösen“ – auch das eine Lehre aus anderen Konflikten.

Wer Verhandlungen fordert, dem wird gern das Münchner Abkommen von 1938 entgegengehalten. Tenor: Putin ist gleich Hitler, Verhandlungen würde er nur zur weiteren Aufrüstung nutzen.

Der Vergleich hinkt, denn das Münchner Abkommen wurde vor dem Überfall Hitlers auf Polen geschlossen. Aber klar kann es passieren, dass Russland in einer fragilen, waffenstillstandsähnlichen Situation wieder aufrüstet. Das ist bei Waffenstillständen fast immer so. Dennoch darf man deshalb nicht darauf verzichten, auf eine Waffenruhe zu drängen; Dialog braucht Raum ohne Raketendonner.

Wer sollte denn drängen?

Putin geht es gegenwärtig nicht um die Beendigung des Krieges, Selenskyj aber auch nicht. Wenn das so ist, müssen andere dafür sorgen. Die UN sollten Räume bereitstellen, in denen das globale Interesse an gemeinsamer Sicherheit signalisiert werden kann. Die Initiativen von China, Indien, Brasilien müssen ernster geprüft werden. Zunächst muss es um die Vorstufe zu Verhandlungen gehen, um „Talks about Talks“, in denen Gesprächsinhalte abgesteckt werden. Es gibt ja bereits Gespräche der beiden schwer verfeindeten Parteien – über Getreideabkommen zum Beispiel oder Gefangenenaustausch, also Themen von internationalem und gegenseitigem Interesse. [...]"

„Dialog braucht Raum ohne Raketendonner“ FR 18.3.23

Freitag, 17. März 2023

Antje Vollmers politisches Vermächtnis

 

Antje Vollmers Vermächtnis einer Pazifistin: „Was ich noch zu sagen hätte“

Die Ex-Vizepräsidentin des Bundestags Antje Vollmer ist verstorben. Wir veröffentlichen ihren letzten Essay, den sie als politisches Vermächtnis verstanden wissen wollte. Berliner Zeitung 23.2.23


"Ich stand auf dem Bahnhof meiner Heimatstadt und wartete auf den ICE. Plötzlich näherte sich auf dem Nebengleis ein riesiger Geleitzug, vollbeladen mit Panzern – mit Mardern, Geparden oder Leoparden. Ich kann das nicht unterscheiden, aber ich konnte geschockt das Bild lesen. Der Transport fuhr von West nach Ost.

Es war nicht schwer, sich das Gegenbild vorzustellen. Irgendwo im Osten des Kontinents rollten zur gleichen Zeit Militärtransporte voller russischer Kampfpanzer von Ost nach West. [...] 

Meine Hoffnung besteht darin, dass sich aus all dem eine neue Blockfreienbewegung ergeben wird, die nach der Zeit der vielen Völkerrechtsbrüche wieder am alleinigen Recht der UNO arbeiten wird, dem Frieden und dem Überleben des ganzen Planeten zu dienen.

Die Grünen waren mal Pazifisten

Meine ganz persönliche Niederlage wird mich die letzten Tage begleiten. Gerade die Grünen, meine Partei, hatte einmal alle Schlüssel in der Hand zu einer wirklich neuen Ordnung einer gerechteren Welt. Sie war durch glückliche Umstände dieser Botschaft viel näher als alle anderen Parteien.

Wir hatten einen echten Schatz zu hüten: Wir waren nicht eingebunden in die machtpolitische Blocklogik des Kalten Krieges. Wir waren per se Dissidenten. Wir waren gleichermaßen gegen die Aufrüstung in Ost wie West, wir sahen die Gefährdung des Planeten durch ungebremstes Wirtschaftswachstum und Konsumismus. Wer die Welt retten wollte, musste ein festes Bündnis zwischen Friedens- und Umweltbewegung anstreben, das war eine klare historische Notwendigkeit, die wir lebten. Wir hatten dieses Zukunftsbündnis greifbar in den Händen.

Was hat die heutigen Grünen verführt, all das aufzugeben für das bloße Ziel, mitzuspielen beim großen geopolitischen Machtpoker, und dabei ihre wertvollsten Wurzeln als lautstarke Antipazifisten verächtlich zu machen?

Gegen Hass und den Krieg

Ich erinnere mich an meine großen Vorbilder: Die härtesten Bewährungsproben hatten die großen Repräsentanten gewaltfreier Strategien immer in den eigenen Reihen zu bestehen. Gandhi hat mit zwei Hungerstreiks versucht, den Rückfall der Hindus und Moslems in die nationalen Chauvinismen zu stoppen, Nelson Mandela hatte äußerste Mühe, die Gewaltbereitschaft seiner jungen Mitstreiter zu brechen, Martin Luther King musste sich von den Black Panthers als zahnloser Onkel Tom verhöhnen lassen. Ihnen wurde nichts geschenkt. Und das gilt auch heute für uns letzte Pazifisten.

Der Hass und die Bereitschaft zum Krieg und zur Feindbildproduktion ist tief verwurzelt in der Menschheit, gerade in Zeiten großer Krisen und existentieller Ängste. Heute aber gilt: Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planenten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption."


"Ihren letzten großen Essay mit dem Titel „Was ich noch zu sagen hätte“ veröffentlichte Vollmer am 23. Februar 2023 exklusiv in der Berliner Zeitung. Sie schrieb: „Ich habe in den letzten Tagen einen sehr entschiedenen letzten Text zum Thema Ukraine /Pazifismus verfasst, der mich viel Kraft gekostet hat. Ich werde wegen meiner fortgeschrittenen Krankheit keine weiteren Texte erstellen können – und was ich zu sagen habe, steht wohl auch jetzt hier. Ich werde auch niemandem mehr antworten können. Mir läge viel daran, wenn der Artikel (...) in der Berliner Zeitung erscheinen könnte.“

Vollmers Text wurde stark rezipiert. Sie schrieb nach der Veröffentlichung: „Damit fällt eine große Last von meinen Schultern. Mehr kann ich jetzt wohl nicht mehr tun.“ Sie schrieb der Redaktion außerdem: „Heute wollte ich Ihnen nur mitteilen, dass ich noch niemals eins so überwältigend positives Echo auf einen Text von mir bekommen habe, wie bei meinem Vermächtnis. Und zwar aus den unterschiedlichsten Gruppen, besonders viele Stimmen aus dem Osten. Sehr häufig wird dabei erwähnt, wie gut es ist, dass die Berliner Zeitung diese vom Mainstream abweichende Position bringt. Für mich ist dieses unerwartete Echo eine große Freude (...). Meine Arbeit ist jetzt wohl getan. Ihre geht weiter.“ "

Ex-Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer ist tot, Berliner Zeitung, 16.03.2023


Innerjüdische Gegensätze während des Nahostkonflikts: Altalena

 "Die Altalena war der Name eines ehemaligen US-Landungsschiffes, mit dem die revisionistische jüdische Untergrundorganisation Irgun (Etzel) im Jahre 1948 während des Palästinakrieges Truppen und Kriegsmaterial an einem UN-Embargo vorbei nach Israel brachte. Als Altalena-Affäre bezeichnet man die Fahrt, den Streit um die Waffenverteilung, und die Versenkung durch die Hagana (danach IDF) und die Untergrundorganisation Palmach. Bei dem Vorfall starben neunzehn Juden und Israel wurde an den Rand eines Bürgerkrieges (Bruderkrieg in Anlehnung an Kain und Abel) gebracht. Dabei wurde auch von Juden auf Holocaustüberlebende geschossen, und es kam zu zahlreichen Befehlsverweigerungen. Der Vorfall verschärfte die Feindschaft zwischen Ben Gurion von MAPAI, der die Versenkung veranlasst hatte, und Menachim Begin, dem Führer der Etzel-Bewegung, und hinterließ einen kaum aufgearbeiteten tiefen Graben in der israelischen Politik und Gesellschaft. Mit Jitzchak Rabin als zufälligem lokalem Truppenführer der Palmach waren ein regierender und zwei künftige Ministerpräsidenten sowie zahlreiche spätere politische Schwergewichte Israels in den Vorgang verwickelt. Ben Gurion, der von einem Putschversuch sprach, konnte in der Gründungsphase Israels die Staatsmacht und damit die seinige festigen und löste wenig später auch die linke Palmach und rechte Lechi auf.[...]" (Wikipedia: Altalena)

Weshalb es so wichtig ist, dass nicht zuletzt die Deutschen ihre klimaschädlichen Emissionen reduzieren

 Es brauchte mehr Information, damit mehr Leute verstehen, worum es eigentlich geht. Denn das Ganze ist weit komplexer und umfassender, als es bisher meist dargestellt wird. Dabei haben Wissenschaftler schon recht verständlich formuliert, worum es geht. https://unterrichten.zum.de/wiki/Das_Klima-Buch

Z.B. bei der Frage, wie wichtig Deutschlands Beitrag ist. Die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung verursachen 50% der Gesamtemissionen der Welt. Die ärmsten 50% verursachen zusammen nur 12 Prozent. Dabei haben die Ärmsten am meisten unter den Folgen der Erwärmung zu leiden: 1. weil sie großenteils in Gebieten wohnen, wo es ohnehin schon heißer ist als in Europa 2. weil sie weniger Geld haben, um sich vor den Folgen: Hitze, Dürren, Überschwemmungen (z.B. durch Dämme), Seuchen, Stürme zu schützen.

Der reichere Teil der deutschen Bevölkerung gehört zu den reichsten 10 Prozent der Welt, der ärmere Teil fast vollständig zu den reichsten 20 Prozent, einfach deshalb, weil unsere Infrastruktur: Flugbetrieb, Autobahnen mit Lkws, SUVs, energieintensive Landwirtschaft usw. für so viel Ausstoß verantwortlich ist. (https://unterrichten.zum.de/wiki/Das_Klima-Buch#5.19_Dekarbonisierung_erfordert_Umverteilung.2C_445)

Wenn wir nicht umsteuern, sagen sich die, die für viel weniger Emissionen verantwortlich sind: "Wir wollen endlich auch so viel Luxus haben wie die Europäer" und sind nicht bereit, bei den Umstellungen zu helfen. Nur wenn wir zeigen, dass wir verstanden haben, dass unser Weg falsch ist, und deshalb umkehren, werden uns die anderen nicht folgen.

Wenn nicht wenigstens die, die sich am ehesten leisten können, sich umzustellen, das auch tun, dann sieht es ganz schlecht aus für die kommenden Generationen.

Donnerstag, 16. März 2023

E-Fuels sind keine Lösung, sondern allenfalls eine - überteuerte - Übergangsmaßnahme

 [...] Deutschland muss nach Ansicht von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) den Weg zur Klimaneutralität mit einer technologieoffenen und innovationsfreundlichen Politik beschreiten. „Wir können unser Land nur mit konkreten Vorschlägen voranbringen und nicht mit Klima-Blabla“, sagte er am Samstag in Mainz auf dem rheinland-pfälzischen FDP-Parteitag.

Konkret geht es Wissing um synthetische Kraftstoffe für Autos. Diese – so die Meinung des Bundesministers – würden an Bedeutung gewinnen, da der Verkehr auf der Schiene und auch auf den Straßen weiter zunehmen werde. Demnach könne Deutschland ohne synthetische Kraftstoffe, auch E-Fuels genannt, seine Klimaziele nicht sichern. „Es geht darum, klimaneutrale und bezahlbare Fahrzeuge zu haben“, betont der FDP-Politiker. [...]

Die EU-Abstimmung über das geplante Aus für neue Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 war auf Drängen Deutschlands verschoben worden. Wissing verlangt von der EU-Kommission einen Vorschlag, wie E-Fuels nach 2035 in Verbrennungsmotoren eingesetzt werden könnten. Auch Parteichef Christian Lindner fordert ein Umdenken der EU.

Tatsächlich sind E-Fuels umstritten. Zwar werden sie meist aus Wasser (genauer gesagt Wasserstoff per Elektrolyse) und bereits vorhandenem Kohlendioxid (CO2) gewonnen – allerdings nur unter hohem Energieaufwand. Ob die Herstellung von E-Fuels klimafreundlich ist, hängt demnach davon ab, woher der Strom zur Produktion kommt.

Werden Erneuerbare Energien für die E-Fuel-Produktion verstromt, gelten synthetische Kraftstoffe als klimaneutral. Denn dann, so die Logik, setzt die E-Fuel-Herstellung im Gegensatz zu Benzin oder Diesel kein neues CO2 frei. Das CO2, das dem Wasserstoff zugeführt wird, kann nämlich aus Industrieprozessen stammen oder mit Direct Air Capture aus der Umgebungsluft gefiltert werden. Eine große Herausforderung, wie Energie-Experte Volker Quaschning gegenüber Utopia betont: „Um alle deutschen Autos mit E-Fuels zu betanken, bräuchte man für deren Herstellung deutlich mehr Strom als derzeit in Deutschland insgesamt verbraucht wird. Diese Mengen lassen sich in Deutschland nicht klimaneutral herstellen.“

Quaschning: „Aufhören, weitere Altlasten zu schaffen“

Quaschning, der als Professor für das Fachgebiet Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin lehrt, verweist auf Porsches E-Fuel-Pilotanlage. Diese wurde Ende 2022 im windigen Chile eröffnet und soll dort in der Pilotphase 130.000 Liter E-Fuels pro Jahr herstellen; Kapazitäten von bis zu 550 Millionen Liter sind möglich, heißt es. Doch um die Autos in Deutschland nur mit E-Fuels betanken zu können, müsste man Quaschning zufolge die Stromproduktion in Chile mindestens verachtfachen.

„E-Fuels sind eine Möglichkeit, die veraltete Verbrennertechnologie übergangsweise klimaneutral zu betreiben“, so Quaschning. Doch durch den Ressourcenaufwand seien die synthetischen Kraftstoffe „eher ein notwendiger Fluch als ein zu feiernder Segen“. Heißt: Um das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten, müsste Deutschland bis 2030 klimaneutral werden. Da in dieser kurzen Zeit nicht alle herkömmlichen Flugzeuge, Schiffe und Autos ersetzt werden können, stellen E-Fuels laut dem Experten eine Übergangslösung dar. „Nur: E-Fuels sind knapp und teuer. Darum sollten wir möglichst sofort aufhören, weitere Altlasten zu schaffen, die wir ohne E-Fuels nicht klimaneutral bekommen können. Sprich: Wir sollten möglichst sofort die Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotoren einstellen.“ [...]"

Energie-Experte Quaschning: „Ahnungslosigkeit einiger Politiker ist erschreckend“, utopia 14.3.23

EU-Parlament für Pflicht : Müssen Besitzer künftig ihre Häuser sanieren?

 EU-Parlament für PflichtMüssen Besitzer künftig ihre Häuser sanieren? ZDF 14.3.23


Energetische Sanierung: Das müssen Sie wissen ZDF 15.12.23