"Sie hält sich ein Küchenmesser an den Hals, so eins mit schwarzem Griff, groß, scharf, gefährlich. Sie droht damit, sich umzubringen, denn sie will nicht in die Schule. In der Küche des Pflegeheims reden Erzieher und Kinder auf sie ein, rufen den Krankenwagen. Kurze Zeit später liegt sie in einem Krankenbett unter grellem Licht, gefesselt, damit sie weder sich noch jemand anderem etwas antun kann.
„Systemsprenger“ nennt man Kinder, die im deutschen Hilfesystem eine Station nach der anderen hinter sich lassen. Hilfesystem – das bedeutet: Schulen, Jugendämter, Heime, Wohngruppen, Erzieher:innen und Schulbegleiter:innen. Eben alle, die versuchen, verhaltensauffälligen Kindern zu helfen. „Systemsprenger“ heißt auch der deutsche Vorschlag für die Kategorie „Bester internationaler Film“ bei der Oscarverleihung 2020. Meine Einstiegsszene mit dem Messer stammt aus diesem Film. Er zeigt einem eine Welt, die es so in Deutschland gibt, von der die meisten Erwachsenen aber nichts mitbekommen.
Kurz vor der Szene mit dem Messer wird sie von ihrer Mutter versetzt, sie sollte Benni eigentlich abholen und übers Wochenende mit nach Hause nehmen. Bennis Teufels-Kreislauf: Sie ist einsam und sucht eine Familie. Durch ihre Aggressivität können andere Kinder und Erzieher:innen aber nicht mit ihr umgehen. Dadurch bleibt sie allein, was sie noch aggressiver macht.
Laut Studien gelten etwa fünf bis sieben Prozent aller Heimkinder in Deutschland als Systemsprenger. Menno Baumann, Professor für Intensivpädagogik, hat den Film wissenschaftlich begleitet und dafür gesorgt, dass der Film – obwohl keine Doku – realistisch ist. Er sagt in einem Vortrag (zu sehen auf Youtube): „Das Thema dieser Kinder ist das Thema Brüche.“ Damit meint er vor allem Beziehungen, die zerbrechen. Oftmals zu allererst: die Beziehung zu den Eltern. In Bennis Fall, die Beziehung zur Mutter, die überfordert ist.
In einer Szene sagt die Mutter: „Wenn nicht einmal die Profis mit ihr klarkommen, wie soll ich das dann schaffen? Ich habe manchmal richtig Angst vor ihr.“
In einer anderen Szene sagt Benni: „Mama hasst mich.“ [...]" (Der Film „Systemsprenger“ tut weh – aber das muss er auch)
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