Heinrich Barth Wikipedia
"Johann Heinrich Barth (* 16. Februar 1821[1] in Hamburg; † 25. November 1865 in Berlin) war ein deutscher Afrikaforscher und Wissenschaftler (Historiker, Geograph, Philologe).
Heinrich Barth gehört nicht zu den bekanntesten Afrikaforschern wie etwa Henry Morton Stanley und David Livingstone, was primär damit zusammenhängt, dass sein Reisewerk kein Bestseller wurde. Barth wandte sich weniger an das breite Publikum als vielmehr an die Wissenschaftler, vornehmlich die Geographen und Historiker, und lieferte eine detailreiche Reisebeschreibung und lange Exkurse zur Kultur und Geschichte der nord- und westafrikanischen Völker, jedoch keine spannenden Abenteuer, obwohl der Fortgang der Expedition mehrfach durch lebensbedrohliche Situationen gefährdet war. Angesichts des geringen zeitgenössischen Interesses an Afrika in Deutschland wurde Barths umfangreiches Werk nur teilweise zur Kenntnis genommen, und sein weit vorausschauendes Konzept einer interdisziplinären Afrikawissenschaft wurde erst nach 1950 aufgegriffen. In der Gegenwart gilt er nicht nur als Pionier der Afrikaforschung, sondern auch als einer der wenigen Forschungsreisenden des 19. Jahrhunderts, die den Afrikanern ausgesprochen unvoreingenommen begegneten und bereit waren, beispielsweise mit den Vertretern des afrikanischen Islam in einen interkulturellen Dialog einzutreten.[...]
Auch seine Verdienste um die afrikanische Sprachwissenschaft wurden in entsprechenden Gutachten bestritten, was weniger in der Qualität seiner Forschungen begründet lag als in der Tatsache, dass er die Sprachen der Afrikaner überhaupt der Erforschung für würdig und damit den indoeuropäischen Sprachen ebenbürtig hielt. Die Ablehnung durch die etablierten Sprachwissenschaftler hatten auch andere Forscher zu spüren bekommen, wie etwa Wilhelm Bleek, der nach seiner Promotion über die Bantu-Sprachen gezwungen war, eine Stellung in Südafrika anzunehmen, da im akademischen Bereich in Deutschland für einen Außenseiter wie ihn kein Platz war. Eine Hinwendung zur Erforschung afrikanischer Sprachen fand erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts statt, jedoch nicht um der wissenschaftlichen Untersuchung willen, sondern zum Zweck ihrer Nutzbarmachung im Rahmen einer effizienten Kolonialpolitik. In der Praxis bedeutete dies, dass angehende Kolonialbeamte und Offiziere die afrikanische Sprache erlernten, um mit der Bevölkerung in den Kolonien kommunizieren zu können, aber linguistische Forschungen, z. B. zur Sprachgeschichte, waren nicht vorgesehen, sondern konnten von den Dozenten allenfalls außerhalb des eigentlichen Lehrbetriebs als Liebhaberei betrieben werden.
Barths Central-Africanische Vocabularien, die weitaus mehr als reine Wortlisten darstellen, gelten als Beginn der vergleichenden Afrikanistik, wenngleich etliche Schlüsse, die der Forscher gezogen hatte, heute – angesichts einer großen Fülle von linguistischen Spezialuntersuchungen – nicht mehr als gültig anerkannt werden. Sein methodisches Vorgehen jedoch wird von führenden Afrikanisten heute noch als vorbildlich bezeichnet.[...]
In einem Vortrag aus dem Jahre 1860 betonte er, dass der Mittelmeerraum stets ein Angelpunkt der Kulturgeschichte gewesen sei, wo unterschiedliche Kulturen aufeinandergeprallt seien, sich miteinander vermischt und in die unterschiedlichen Richtungen ausgestrahlt hätten, wobei die rassische Zugehörigkeit der einzelnen Völker für ihn keine Rolle spielte. Barth sah im Mittelmeer keine Barriere zwischen den Kulturen bzw. Religionen, sondern eine Region des intensiven Austausches, wenngleich er nicht bestritt, dass der Kontakt nicht immer friedlich gewesen war. Schwarzafrika hatte daher für ihn nie isoliert neben der allgemeinen Weltgeschichte gestanden, sondern war immer ein integraler Bestandteil gewesen. In Barths Konzept von Kulturkontakt stand der Austausch durch Handel an vorderster Stelle. Die Reisen, die Barth in seinen letzten Lebensjahren in der Türkei und auf dem Balkan unternahm (u. a. war er der Erstbesteiger des Olymp), dienten der Untermauerung dieser Theorie, die angesichts seines frühen Todes nur bruchstückhaft überliefert ist. Doch belegen diese Fragmente, dass Barth mit seiner neuen Sicht des Mittelmeerraumes als einer kulturellen und historischen Einheit bereits auf die Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhunderts verwies. Er nahm in Grundzügen die Konzeption vorweg, die der berühmte französische Historiker Fernand Braudel (1902–1985) fast 100 Jahre später in seinem berühmten Werk über den Mittelmeerraum im Zeitalter Philipps II. niederlegte.[...]"
Jenseits des dunklen Afrika ZEIT 10.2.21
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