Folter in Guantánamo Die ZEIT Nr.36 2.9.21
Im Kampf gegen den Terror sollte Mister X den Gefangenen Mohamedou Slahi brechen. Er folterte ihn – und ging selbst daran kaputt. [...]
Wie muss man sich einen Mann vorstellen, der einen anderen foltert? In amerikanischen Akten, zum Beispiel in einem Untersuchungsbericht des Senats, ist aufgeführt, was Mister X getan hat. Es sind Schilderungen von rohester psychischer und manchmal auch physischer GewaltTrifft man ihn nun, geschieht etwas Seltsames: Man bringt das Bild, das all die Berichte im Kopf haben entstehen lassen, nicht zusammen mit dem Mann, der vor einem sitzt. Wir wissen mit Sicherheit, dass er Mister X ist. Frühere Kollegen von ihm haben uns seine Identität bestätigt. Doch der Mister X, den wir kennenlernen, ist: ein feinsinniger Kunstliebhaber. Ein gebildeter, geschichtsinteressierter Mann. Insgesamt ein ziemlich netter Kerl. Nach mehreren Tagen, die man mit ihm verbracht hat, kann man sich dem Eindruck nicht entziehen, dass er offenbar auch ein sehr empathischer Mensch ist.
Mister X erzählt, dass er ab und zu Obdachlose ins Restaurant einlädt, auch dass es vorkommt, dass er vor dem Fernseher weint, wenn er Berichte aus Katastrophengebieten sieht. Gerade weil er so gut mitfühlen könne, sei er so gut gewesen als Verhörer, als Folterer. Man müsse sich in sein Gegenüber hineinversetzen. Was fügt ihm noch größere Schmerzen zu? Was könnte ihn noch stärker verunsichern? Wo ist seine Schwachstelle? Gerade wegen der Empathie sei er aber auch daran zerbrochen, was er damals getan habe.
Kurz nachdem er im Winter 2003 Guantánamo verlassen hatte, begann Mister X zu trinken. Nicht selten drei Flaschen Rotwein am Abend. Er verbrachte mehr und mehr Zeit im Bett und sprach weniger und weniger mit seiner Frau und seinen Kindern. Schlaf fand er kaum noch. Er habe mit dem Gedanken gespielt, sich umzubringen, erzählt er. Ein Arzt diagnostizierte eine schwere posttraumatische Belastungsstörung. Ausgerechnet der Folterer hatte sich jenes Trauma zugezogen, das man eher bei seinem Opfer vermuten würde. [...]
Mohamedou Slahi: Ah, wow. Dieser Gefangene auf dem Bild sieht viel besser aus als der wirkliche Gefangene damals. (Slahi lacht)
Mister X: Sie sahen tatsächlich nicht besonders gut aus an diesem Tag. Und dieses Gemälde soll Sie nicht ... es ist dafür da, zu reflektieren, was damals mit Ihnen passiert ist.
Mister X malte das Bild, als er gerade bei der Armee gekündigt hatte. Seine posttraumatische Belastungsstörung war so schlimm geworden, dass er nicht mehr arbeiten konnte. Der Alkohol hatte nicht mehr geholfen, die Medikamente wirkten auch nicht mehr. Nun also Malerei. Er sagt, er habe gehofft, die künstlerische Auseinandersetzung werde eine Katharsis auslösen. Sie habe aber nur Schmerzen gebracht. Also habe er das Bild wieder zerstört. Nur das Foto gebe es noch.
Mister X: Ich muss mit dieser Scham leben. Vielleicht ist das ein kleiner Sieg für Sie, dass ich mit meinem Verhalten leben muss.
Mohamedou Slahi: Ähm, ich weiß nicht ... ich hatte immer den Eindruck, dass Sie ein intelligenter Mensch sind. Und es fiel mir schwer zu begreifen, wie Sie mir so etwas antun konnten.
Slahi stellt exakt die Frage, die Mister X’ Leben bestimmt. Nachdem ihm die Kunst keine Antwort geben konnte, probierte er es mit der Wissenschaft. Er schrieb sich an der Universität für das Fach Creative Studies ein. Er studierte, wie Kreativität für böse Zwecke eingesetzt wird, für Zigarettenwerbung, Massenvernichtungswaffen, Folter. Er las Studie um Studie auf der Suche nach einer Erklärung dafür, warum er zu so viel Grausamkeit fähig war. Aus all den Lektüren hat er mitgenommen: Der Hang zum Grausamen steckt in allen Menschen. Er setzt sich durch, wenn die Umstände es erlauben. Die Umstände in seinem Fall waren: ein Land, das nach Rache gierte. Ein Präsident, der Erfolge forderte. Ein Vorgesetzter, der die Verhörer anspornte. [...]
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