Freitag, 18. November 2022

USA Gewinner des Ukrainekriegs?

Adam Tooze im Interview

"[...] Das richtige Urteil über die Amerikaner war ja nie, dass sie insgesamt oder im Durchschnitt schräg waren, sondern dass es sich hier um ein extrem polarisiertes Land handelt. Mit bedingt durch die sehr merkwürdigen Verfahrensprozesse der amerikanischen Verfassung, die eine Mehrheit der sogenannten Wahlmänner ermöglichte, die zur Wahl von Donald Trump 2016 geführt hat, und die endlos manipulierten Wahlkreise im Sinne der Republikaner, die ebenfalls massiv übergewichtet worden sind. Diese Mechanismen haben für die konservative Seite keine eindeutige Mehrheit geschaffen. Die Lage ist sehr ausgeglichen. [...]

Ich würde keiner Freundin, meiner Frau, meiner Tochter empfehlen, erhebliche Zeit in Texas zu verbringen. Unter den gegebenen Umständen ist es unmöglich, dort zu leben oder zu arbeiten. Denn die Abtreibungsregelungen dort sind unmenschlich. Sie sind in aggressiver Form frauenfeindlich. [...] 

Das Amerika der 1950er und 1960er Jahre hatte eine andere Dimension. Das hatte innenpolitische und innersoziale Fundamente, die aber wiederum extrem verquer waren. Die Spannungen der Verbindungen der Gegensätze der 1950er entluden sich dann in der Civil-Rights-Bewegung der späten 1950er und 1960er Jahre. Dennoch hielt sich die hegemoniale Position der Demokraten bis in die 1980er Jahre hinein, als sie eine massive Dominanz im Kongress hatten, noch als Reagan Präsident war.
Der Grund war, dass die reichsten Wähler der Südstaaten ihr Leben lang die Demokraten gewählt haben, weil sie die Partei war, der nicht Abraham Lincoln angehört hatte. Die Demokraten, die im Norden eine liberale Partei und die Partei der Gewerkschaften waren, die Partei des New Deals, waren zugleich im Süden die Partei der Rassendiskriminierung des Ku-Klux-Klans. Durch die Civil-Rights-Bewegung zerplatzte diese Koalition. Die innergesellschaftlichen Fundamente des New Deals und des globalen Machtapparates, der in den Kalten Krieg hinein entstanden ist, beruht also auf dem Teufelspakt zwischen dem liberalen Norden und Jim Crow, dem ultrarassistischen Apartheits-Süden. Der Deal war, dass sie in beiden Teilen Amerikas, Norden und Süden, demokratisch wählen, aber aus ganz anderen Gründen. Zusammen hatten sie einen Machtapparat, der aber durch diese innere Spannung limitiert war.

Man hatte zwar eine Sozialversicherung im Zuge des New Deal, aber keine Arbeitslosenversicherung und keine Gesundheitsversicherung, das hätte ja impliziert, dass man für Schwarze in den Südstaaten wohlfahrtsstaatliche Dienstleistungen hätte gewähren müssen, die für die südstaatlichen Weißen überhaupt nicht infrage kamen. Niemand in Georgia oder Florida, Mississippi oder Alabama würde jemals für europäische Wohlfahrtseinrichtungen optieren, denn das würde ja heißen, weiße Steuerzahler würden Geld an Schwarze zahlen. Das aber wurde durch die Civil-Rights-Bewegung angestrebt. Und als dies politisch umgesetzt werden sollte, explodierte dieser Kompromiss förmlich. Die Republikaner profitierten davon, indem sie sich zur Partei des weißen rassistischen Ressentiments machten. Die Umrisse der heutigen gesellschaftlichen Polarisierung waren bereits damals sichtbar. [...]
Für mich war es zum Beispiel immer beeindruckend, wie türkische Jugendliche in Berlin sich die Attitüde der schwarzen Rapper angeeignet haben, obwohl sie in keiner Hinsicht schwarz sind und Nachkommen eines riesigen Großreiches sind, sich nun aber mit dem Gangster-Rap identifizierten. Das sind Prozesse der Globalisierung.
Interessant ist, dass die Einflüsse auf Amerika zurückwirken. Einer der Momente der 1950er Jahre ist die Abkopplung Amerikas von der restlichen Welt, so dass der Einfluss eine Einbahnstraße war. Amerika ist ein Einwanderungsland und ein Sklavenhalterstaat, das waren die zwei großen Dimensionen. Erst in den 1920er und 1930er Jahren hat sich erst eine eigenständige amerikanische Kultur in Reinform gebildet. Das ist der Moment, in dem die Deutschamerikaner das Deutsche aufgeben und sich nun nur noch als Amerikaner verstehen, das Gleiche gilt in abgeschwächter Form für Iren oder Italiener. [...]
Die Großunternehmerschaft ist heimatlos geworden, tendenziell zentristisch und den Demokraten zugewandt. Wenn man 150 000 Beschäftigte hat, kann man nicht eine solche Spaltpolitik vertreten, wie sie die Republikaner praktizieren. Das ist bei den Demokraten anders, da weiß sich die US-Elite gut aufgehoben. Auch wenn ein wenig umverteilt wird, hat ihnen Biden versprochen, dass er ihnen nicht zu viel abfordert. [...]
 Die Amerikaner sind die puren Gewinner. [...] Die Befürchtung, dass der Ölpreis in schwindelerregende Höhen steigen könnte, hat sich aber nicht bewahrheitet. Amerika ist letztendlich ein Energieexporteur, große Teile der USA profitieren von hohen Energiepreisen. Geopolitisch und strategisch ist die amerikanische Politik risikoreich, aber auch gewinnbringend. Nicht nur, dass Russland geschwächt wird, die Nato und ihre Allianzen in Ostasien haben neue Energie bekommen."

(Interview mit Wirtschaftshistoriker Tooze: „Hegemonie in ihrer sanftesten und gemütlichsten Form“„Hegemonie in ihrer sanftesten und gemütlichsten Form“ FR 18.11.22


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen