Sonntag, 20. November 2022

Insekten

 Dave Goulson: "Mein Leben lang haben Insekten mich fasziniert. Schon mit fünf oder sechs Jahren sammelte ich gelb-schwarz geringe lte Raupen in dem Unkrautstreifen [...] und fütterte sie, bis sie sich schließlich in [...] Nachtfalter verwandelten (die Sie möglicherweise als JakobskrautbärenWikipedia-logo.png erkannt hätten). [...] In den letzten 30 Jahren spezialisierte ich mich auf die Erforschung der Ökologie von Hummeln, den großen, pelzigen, geringelten Bienen, die während des ganzen Frühjahrs und Sommer schwerfällig zwischen den Blumen auf unseren Wiesen umhersummen. Ihre tollpatschige Erscheinung täuscht indessen, denn in der Insektenwelt sind sie intellektuelle Riesen mit einer erstaunlichen Navigations- und Lernfähigkeit und einem komplexen, zuweilen auch blutrünstigen sozialen Leben." (S.118)

"Insekten bilden den Löwenanteil des Lebens auf der Erde. Mehr als zwei Drittel der 1,5 Millionen bekannten Arten sind Insekten.[...]

Ohne Insekten würde unsere Welt zum Stillstand kommen. Sie kann ohne Insekten nicht funktionieren.

[...] In Großbritannien sind die Schmetterlingspopulationen seit 1976 um 50 Prozent geschrumpft. Die Biomasse der Fluginsekten verringerte sich in deutschen Naturschutzgebieten von 1989-2016 um alarmierende 76 Prozent. In den Niederlanden gegen die Population der Köcher fliegen zwischen 2006 und 2017 um 60 Prozent und die Biomasse der Nachtfalter zwischen 1997 und 2017 um 61 Prozent zurück [...] Versuche zur Berechnung eines durchschnittlichen Rückgangs lassen den Schluss zu, dass dieser Wert bei 1 bis 2 Prozent jährlich liegen dürfte. Das mag nicht viel erscheinen, könnte aber einer Apokalypse der Insekten innerhalb einer einzigen menschlichen Lebenszeit nahekommen. Leider werden wissen wir nicht, wann dieser Rückgang begann, da wir für die Zeit vor den 1970er Jahren keine Daten besitzen. Wahrscheinlich beobachten wir gegenwärtig die Schlussphase eines weitaus längeren Schrumpfungsprozesses. Wir wissen auch nicht, was mit den Insekten in den Tropen geschieht, dem großen Hotspot der Insektenbiodiversität. Es ist besorgniserregend, dass die Datenlage zum Zusammenbruch der Insektenpopulationen bisher nur Stückwerk ist, fast alle Langzeitstudien zu den Insektenpopulationen stammen aus Europa und Nordamerika.

[...] Drei Jahre vor meiner Geburt, nämlich 1962, warnte Rachel CarsonWikipedia-logo.png in ihrem Buch Der stumme FrühlingWikipedia-logo.png, wir fügten unserem Planeten fürchterlichen Schaden zu. [...] Die von Carson aufgezeigten Probleme mit Pestiziden und Düngemitteln haben sich noch deutlich verschärft. Jedes Jahr gelangen heute weltweit schätzungsweise 3 Millionen Tonnen Pestizide in die Umwelt [...] die weitaus giftiger für Insekten sind als alles, was es zu Carsons Zeit auf diesem Gebiet gab. So ist das zu den Neonikotinoiden gehörende Insektizid Imidacloprid heute das weltweit meist eingesetzte Insektizid, obwohl die EU es 2018 wegen seiner Bienenschädlichkeit verbot. ImidaclopridWikipedia-logo.png ist für Bienen 7000 Mal giftiger als das in den 1960er und 1970er Jahren weithin verwendete Insektizid DDTWikipedia-logo.png." (S.118/119)

"Der US-amerikanische Biologe Paul EhrlichWikipedia-logo.png verglich den Artenverlust in einer ökologischen Gemeinschaft einmal mit NietenWikipedia-logo.png, die sich zufällig aus den Flügeln eines Flugzeugs lösen. Verliert das Flugzeug eine oder zwei Nieten wird das wahrscheinlich keine Folgen haben. Verliert es da gegen zehn, zwanzig oder gar fünfzig Nieten, versagen irgendwann die Flügel in katastrophaler Weise und das Flugzeug stürzt ab.

Die Insekten sind gleichsam die Nieten, die das Funktionieren von Ökosystemen gewährleisten.

Wenn wir den Rückgang der Insekten umkehren wollen, müssen wir handeln, und zwar jetzt. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft den Wert der Insekten erkennt – den Wert dessen, was sie für uns tun, und den Wert, den sie an sich darstellen. Am besten beginnen wir damit natürlich bei unseren Kindern, indem wir ihr Umweltbewusstsein möglichst früh fördern. Wir müssen unsere Städte begründen. Stellen Sie sich vor, die Städte wären voller Bäume, Gemüsegärten, Teiche und wilder Blumen in jeder verfügbaren Ecke: in Hausgärten, Stadtparks, Kleingärten [...] - sie alle frei von Pestiziden und voller Leben. [...] Wir müssen mit der Natur arbeiten, Raubinsekten und Bestäuber aktiv fördern und aufhören, die Insekten zu bekämpfen und zu vernichten. Alternative Anbauformen wie organische und biodynamische Landwirtschaft, PermakulturWikipedia-logo.png und AgroforstwirtschaftWikipedia-logo.png haben hier viel zu bieten. Es gibt einen großen Hunger nach Veränderung. [...] Es ist noch nicht vollkommen zu spät. Die meisten Insektenarten sind noch nicht ausgestorben, aber viele Bestände haben nur einen Bruchteil ihrer früheren Größe und bewegen sich am Rande der Auslöschung. [...] Wenn wir uns an Paul Ehrlichs Vergleich mit den Nieten an einem Flugzeugflügel halten, könnte es durchaus sein, dass wir dem Punkte nahe sind, an dem die Flügel abfallen." (S.121/122)

aus: G. Thunberg: Das Klima-Buch, S.118-121

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