Montag, 20. Juni 2022

Weshalb wird das Deutsche immer englischer?

"[...] Schaut man auf die Entwicklung in reinen Zahlen, ist die Tendenz eindeutig. So eindeutig, dass ich von einem Boom sprechen möchte. Wurden in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts knapp 2.000 englischsprachige Begriffe im deutschen Wortschatz gezählt, ging man während meiner Kindheit im Westen Deutschlands in den Siebziger- und Achtzigerjahren schon von etwas mehr als 10.000 Wörtern aus. Das entsprach damals rund 3 Prozent von ungefähr 450 000 deutschen Wörtern. Inzwischen sprechen Linguisten von knapp 10 Prozent – was einen Anteil von rund 45.000 englischen Wörtern bedeuten würde.

Um allerdings zu bemessen, welchen Anteil Englisch an der deutschen Gegenwartssprache hat und welchen Einfluss es noch gewinnen könnte, reicht es nicht, aus Wörter zu zählen – und sich womöglich über das Ergebnis zu empören Eine Untersuchung deutscher Autowerbungen ergab vor ungefähr zehn Jahren, dass bis zu 30 Prozent, also beinahe jedes dritte Wort, Englisch oder englischen Ursprungs seien. Überrascht hat es mich nicht kaum. Schließlich spielt die englische Sprache im Automobilsektor seit langem eine ähnlich große Rolle wie in der Luft- und Schifffahrt – von der Raumfahrt ganz zu schweigen. Die gute alte km/h-Anzeige ist dafür sinnbildlich: Das h stand noch nie für unsere Stunde, sondern stets für hour. Was mich bei der Betrachtung der Zahlen umso mehr verblüfft hat, war der Boom der englischen Sprache in Ostdeutschland. Die Entwicklung war bis 1989 ähnlich wie im Westen, um nicht zu sagen: It was the same story: 1956 zählte der DDR-Duden 347 englische Wörter, 1986 waren es rund 5.000. Einige davon sind bis heute legendär und noch immer gebräuchlich: der Broiler, die Klub Kola, der Dispatcher. Andere wurden in beiden Teilen Deutschlands gängig, aber nirgendwo sonst in der Welt: der Ami. [...]"

Peter Littger: Warum wird das Deutsche immer englischer? SWR2 Wissen: Aula

Mich interessiert besonders, dass durch die Verbindung von englischen Einzelelementen und deutschem Gebrauch eine Vielzahl von unterschiedlichen Wörtern zur Bedeutungsdifferenzierung zur Verfügung stehen.

Im Deutschen gab es schon: Hausarbeit (mit zwei Bedeutungen), Hausaufgabe, Heimarbeit. Hinzu tritt Homeoffice.

Im Englischen steht mir zunächst nur homework zur Verfügung. Jetzt schlage ich nach und finde: Hausarbeit: house work, written assessment. Hausaufgabe: homework Heimarbeit: homework u. brit, Englisch: outwork. Homeoffice ist noch nicht in Wörterbüchern zu finden, die gängige Übersetzungssoftware "übersetzt" es fälschlich mit home office, manche bieten freilich auch Homeoffice an, was wie Handy ein deutsch-englisches Fremdwort im Englischen wäre. 

Den Satz "Mein Freund kann nicht kommen, er hat Homeoffice." übersetzt die Software, die Homeoffice als Deutsch anerkennt, mit "My friend can't come, he has a home office."

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