Mittwoch, 8. Juni 2022

Regelbasierte internationale Ordnung und Völkerrecht

Fragen von Andrej Hunko an die Bundesregierung 

Mündliche Frage zur Definition des Begriffs der regelbasierten Ordnung durch die Bundesregierung 

Verfasst am 07. November 2019. Veröffentlicht in Fragen an die Bundesregierung 

"Wie definiert die Bundesregierung den von ihr häufig anstelle von „Völkerrecht“ verwendeten Begriff der „regelbasierten Ordnung“ (zum Beispiel: „Die UN sind das wichtigste Weltgremium“, www.bundesregierung.de, 20. August 2019), und in welchem Verhältnis sieht sie diese „regelbasierte Ordnung“ zum „Völkerrecht“ (insbesondere der Charta der UNO) und zum Völkergewohnheitsrecht?

Antwort des Staatsministers Michael Roth auf die Frage des Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE):

Die Begriffe „Völkerrecht“ und „regelbasierte Weltordnung“ ergänzen sich. „Regelbasierte Ordnung“ ist dabei ein politischer Begriff, „Völkerrecht“ ein juristischer.

Die „regelbasierte Ordnung“ umfasst neben den rechtlich verbindlichen Normen des Völkerrechts auch rechtlich nicht bindende Normen, Standards und Verhaltensregeln. Dies sind zum Beispiel das pünktliche Zahlen von Beiträgen, die multilaterale Zusammenarbeit mit dem Ziel einer kooperativen Weltordnung oder informelle Zusammenschlüsse in Freundesgruppen oder Allianzen. Der politische Begriff bezieht sich zudem auf verschiedene internationale Foren und ihre Entscheidungsregeln sowie Verhandlungsprozesse.

Völkerrecht“ bezieht sich auf rechtlich bindende Regeln des Umgangs der Völkerrechtssubjekte, insbesondere der Staaten, miteinander. Es umfasst internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur, wie etwa die Charta der Vereinten Nationen oder die Menschenrechtskonventionen, daneben aber auch internationales Gewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze."

Quelle: Plenarprotokoll 19/123 vom 06.11.2019

Kommentar:

Still und leise, fast klammheimlich, ist der Kampf für eine „regelbasierte Weltordnung“ zum höchsten und letzten Zweck der deutschen Außenpolitik avanciert. Kein Grundsatztext kommt mehr ohne diese Phrase aus. Im Koalitionsvertrag findet man sie gleich viermal, in leichter Variation etwa als „regelbasierte internationale Ordnung“. Und als Deutschland sich zuletzt als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat bewarb, stand in einer Bewerbungsbroschüre: „Als global vernetztes Land setzen wir uns für eine regelbasierte Weltordnung ein, die von der Stärke des Rechts und nicht durch das Recht des Stärkeren geprägt ist.“

Schon klar, gegen wen sich das richtet – man darf an Trump, Putin, Xi und andere starke Männer denken, die Verträge zerreißen, Allianzen unterminieren, Staatsgrenzen missachten und auch mal schnell ein paar neue Inseln aufschütten lassen, um ihre Interessen durchzusetzen.
Ist es denn nicht etwa richtig, sich gegen diese Tendenz zu stellen? Zweifellos. Nur ist die Gegenüberstellung der „Stärke des Rechts“ und des „Rechts des Stärkeren“ ein bisschen wohlfeil. Was wird aus dem Recht – ohne einen Starken, der es durchzusetzen bereit ist? Das ist die große Frage, die über dem postamerikanischen Zeitalter schwebt.

Die deutsche Liebe zur regelbasierten Ordnung ist nicht frei von Heuchelei. Hier wird ein außenpolitisches Ziel moralisch verbrämt, das zunächst einmal schlicht den begrenzten Machtmitteln einer Mittelmacht entspricht: Regeln als Instrument, um andere Akteure im eigenen Interesse zu Wohlverhalten zu zwingen. Dass dieses Interesse versteckt wird und man sich selber nicht an die Regeln hält, löst bei Partnern einen Widerwillen aus, den Berlin offenbar immer noch unterschätzt. Die Stilisierung Deutschlands zum Champion der regelbasierten Ordnung strahlt eine schwer erträgliche Selbstgerechtigkeit aus.

Berlin hatte zuletzt in manchen Jahren deutlich mehr EU-Vertragsverletzungsverfahren am Hals als etwa Rom oder Budapest – peinlicher Weise auch noch oft in Umweltfragen, in denen man Avantgarde zu sein beansprucht. Dass Deutschland in der EU so häufig mit dem Regelwerk in Konflikt kommt wie keine andere Mitgliedsnation, wird hierzulande ausgeblendet, weil es nicht ins Selbstbild passt.

Wohl aber ins Bild, das Deutschlands Partner sich gemacht haben: „Ihr versteckt eure Macht hinter wolkigen Formeln, dabei seid ihr in der EU der Stärkere, dessen Recht sich oft durchsetzt. Es ist ja normal, dass ihr eure Interessen verfolgt. Unerträglich wird es nur, wenn ihr dies versteckt und behauptet, stets nur im Sinne der Allgemeinheit zu handeln.“

So sahen es in der Eurokrise die südlichen Nachbarn, deren Verschuldung moralisch verdammt wurde, während die Rettung des Binnenmarkts mit vielen Milliarden (ein klares deutsches Interesse) zur selbstlosen Tat verklärt wurde. Und so sehen es die östlichen Nachbarn seit der Migrationskrise, als Deutschland ohne Abstimmung die Dublin-Regeln suspendierte und dann die Osteuropäer schalt, als diese nicht wie in Brüssel verabredet Flüchtlinge aufnehmen wollten.

Nichts also gegen den Kampf für die regelbasierte Ordnung! Aber er sollte vielleicht mit einem tiefen Blick in den Spiegel beginnen.

Jörg Lau: Regelbasierte Weltordnung, in: Internationale Politik 1.7.2020

Jörg Lau ist Außenpolitischer Koordinator im Ressort Politik der ZEIT


Washington will den ersten Platz behaupten, Birgün (Türkei) von Ilhan Uzgel 7.6.2022

Die Debatte um die Veränderung der Weltordnung wird insbesondere von den USA nicht ohne Hintergedanken geführt, meint Birgün:

„Wenn die USA von der auf Regeln basierenden Ordnung sprechen, meinen sie damit nicht das internationale Völkerrecht. Die USA wollen, dass sich alle an die von ihnen selbst aufgestellten Normen halten, die zum Funktionieren des globalen kapitalistischen Systems existieren. China und Russland halten sich nicht an diese Normen. … Die USA, die bisher den Löwenanteil aus dem globalen Profit erhielten, wollen ihre Stellung angesichts des aufstrebenden China beibehalten. ... China dagegen sammelt vorerst Kraft. 

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