Samstag, 28. Mai 2016

Einige Gedichte (SeniorenTreff)

    übernommen von SeniorenTreff 

    Ich fürchte mich so sehr vor Menschen Wort.
    Sie sprechen alles so deutlich aus:
    Und dies heißt Hund und jenes heißt Haus,
    und hier ist Beginn und das Ende dort.

    Mich bangt auch ihr Sinn, Ihr Spiel und ihr Spott,
    sie wissen alles was wird und was war;
    Kein Berg mehr ist ihnen wunderbar;
    Ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

    Ich will immer warnen und wehren:
    Bleibt fern.
    Die Dinge singen hör ich doch so gern.

    Ihr rührt sie an:
    Sie sind starr und stumm.
    Ihr bringt mir alle Dinge um.

    Von R.M.Rilke

    In ihrer Schönheit wandelt sie...

    In ihrer Schönheit wandelt sie
    Wie wolkenlose Sternennacht;
    Vermählt auf ihrem Antlitz sieh
    Des Dunkels Reiz, des Lichtes Pracht:
    Der Dämmrung zarte Harmonie,
    Die hinstirbt, wenn der Tag erwacht.

    Kein Licht zuviel, kein Schatten fehlt -
    Sonst wär's die tiefe Anmut nicht,
    Die jede Rabenlocke strählt
    Und sanft verklärt ihr Angesicht,
    Wo hold und hell die Seel erzählt
    Von lieben Träumen, rein und licht.

    O diese Wang, o diese Braun,
    Wie sanft, wie still, und doch beredt,
    Was wir in ihrem Lächeln schaun!
    Ein frommes Wirken früh und spät,
    Ein Herz voll Frieden und Vertraun,
    Und Lieb, unschuldig wie Gebet.

    George G. Byron




    Georg Trakl: 


    Menschliche Trauer

    Die Uhr, die vor der Sonne fünfe schlägt,
    Einsame Menschen packt ein dunkles Grausen.
    Im Abendgarten morsche Bäume sausen;
    Des Toten Antlitz sich am Fenster regt.

    Vielleicht daß diese Stunde stillesteht;
    Vor trüben Augen nächtliche Bilder gaukeln.
    Im Takt der Schiffe, die am Flusse schaukeln,
    Am Kai ein Schwesternzug vorüberweht.

    Es scheint, man hört der Fledermäuse Schrei
    Im Garten einen Sarg zusammenzimmern.
    Gebeine durch verfallne Mauern schimmern;
    Und schwärzlich schwankt ein Irrer dort vorbei.

    Ein blauer Strahl im Herbstgewölk erfriert,
    Die Liebenden im Schlafe sich umschlingen.
    Gelehnet an der Engel Sternenschwinge,
    Des Edlen bleiche Schläfe Lorbeer ziert.






    Christian Friedrich Hebbel

    Das Haus am Meer 

    Hart an des Meeres Strande
    baut man ein festes Haus;
    als sollt' es ewig dauern,
    so heben die trotz'gen Mauern
    sich in das Land hinaus.

    Mächtige Hammerschläge
    erdröhnen schwer und voll;
    die Sägen knarren und zischen,
    verworren hört man dazwischen
    der Wogen dumpf Geroll.

    Durch das Gebälke klettert
    ein rüst'ger Zimmermann;
    der Wind, der sich erhoben,
    zerreißt mit seinem Toben
    das Lied, das er begann.

    Ich bin hineingetreten;
    daß solch ein Werk gedeiht;
    das ist an Gott gelegen;
    zu beten um seinen Segen,
    nehm' ich mir gern die Zeit.

    Die Fenster gehen alle
    hinaus auf die wilde See;
    noch sind sie nicht verschlossen,
    eine Möwe kommt geschossen
    durch das, an dem ich steh'.

    Hier will der Bewohner schlafen;
    schon wird in dem luft'gen Raum
    die Bettstatt aufgeschlagen;
    da ahn' ich mit stillem Behagen
    voraus gar manchen Traum.

    Doch wende ich mein Auge,
    fällt's auf gar manches Riff,
    ich sehe des Meeres Tosen,
    drüben im Grenzenlosen
    durchbricht den Nebel ein Schiff.

    Wer ist's denn, der am Strande,
    am öden, sein Haus sich baut?
    "Ein Schiffer; seit vielen Jahren
    hat er das Meer befahren,
    nun ist's ihm lieb und vertraut.

    'Dies ist die letzte Reise,
    ich fühl' mich alt und müd',
    daß ich mein Nest dann finde,
    hobelt und hämmert geschwinde!'
    So sprach er, als er schied.

    Jetzt kann er stündlich kehren,
    er ist schon lange fort,
    drum müssen wir alle eilen!"
    Des schwellenden Sturmwinds Heulen
    verschlingt des Zimm'rers Wort.

    Die Wolken ballen sich dräuend,
    riesige Wogen erstehn,
    aufgerüttelt von Stürmen,
    schrecklich, wenn sie sich türmen,
    schrecklicher, wenn sie zergehn.

    Das Schiff dort, kraftlos ringend,
    ihr Spiel jetzt, bald ihr Raub,
    muß gegen die Felsen prallen,
    schon hör' ich den Notschuß fallen,
    was hilft es? Gott ist taub.

    Ich fürchte, das ist der Schiffer,
    dem man dies Bett bestellt,
    der Zimm'rer mit dem Hammer
    befestigt die letzte Klammer,
    während das Schiff zerschellt.



  • Der Tod und das Mädchen

    Das Mädchen
    Vorüber! Ach, vorüber!
    Geh wilder Knochenmann!
    Ich bin noch jung, geh Lieber!
    Und rühre mich nicht an.

    Der Tod
    Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!
    Bin Freund, und komme nicht, zu strafen.
    Sei gutes Muts! ich bin nicht wild,
    Sollst sanft in meinen Armen schlafen!

    Matthias Claudius 
     




  • Gang im Schnee


    Nun rieseln weiße Flocken unsre Schritte ein.
    Der Weidenstrich läßt fröstelnd letzte Farbe sinken,
    Das Dunkel steigt vom Fluß, um den versprengte Lichter blinken,
    Mit Schnee und bleicher Stille weht die Nacht herein.

    Nun ist im samtnen Teppichen das Land verhüllt
    Und unsre Worte tasten auf und schwanken nieder
    Wie junge Vögel mit verängstetem Gefieder-
    Die Ebene ist grenzenlos mit Dämmerung erfüllt.

    Um graue Wolkenbündel blüht ein schwacher Schein.
    Er leuchtet unserm Pfad in nachtverhängte Weite,
    Dein Schritt ist wie ein fremder Traum an meiner Seite-
    Nun rieseln weiße Flocken unsre Sehnsucht ein.

    Ernst Stadler 



  • Altern lernen

    wie Kisuaheli oder Suoskrat

    Eigenschaftswörter zuerst
    weiß für die Haare
    welk für die Haut
    kalt für Blicke und Lippen
    bitter hart allein

    Dann die Wörter fürs Tun
    vergeben vergessen dulden sich beugen
    zurück
    blicken gehen denken sehnen
    zurück
    lehnen auch

    Hauptwörter zuletzt
    allen voran: die Geduld
    Der Verlust. Der Abschied. Die Trauer.
    Demut.
    Altern lernen
    wie Muttersprache
    das ABC des Verlernens.

    (Ulla Hahn...aus 'so offen die Welt')
    A

    An meine Rose 

    Frohlocke, schöne junge Rose,
    Dein Bild wird nicht verschwinden,
    Wenn auch die Glut, die dauerlose,
    Verweht in Abendwinden.

    So süßer Duft, so helle Flamme
    Kann nicht für irdisch gelten;
    Du prangst am stolzen Rosenstamme,
    Verpflanzt aus andern Welten;

    Aus Büschen, wo die Götter gerne
    Sich in die Schatten senken,
    Wenn sie in heilig stiller Ferne
    Der Menschen Glück bedenken.

    Darum mich ein Hinübersehnen
    Stets inniger umschmieget,
    Je länger sich in meinen Tränen
    Dein holdes Antlitz wieget.

    O weilten wir in jenen Lüften,
    Wo keine Schranke wehrte,
    Daß ich mit deinen Zauberdüften
    Die Ewigkeiten nährte! –

    Hier nahn die Augenblicke, – schwinden
    An dir vorüber immer,
    Ein jeder eilt, dich noch zu finden
    In deinem Jugendschimmer;

    Und ich, wie sie, muß immer eilen
    Mit allem meinem Lieben
    An dir vorbei, darf nie verweilen,
    Von Stürmen fortgetrieben.

    Doch hat, du holde Wunderblume,
    Mein Herz voll süßen Bebens
    Dich mir gemalt zum Eigentume
    Ins Tiefste meines Lebens,

    Wohin der Tod, der Ruhebringer,
    Sich scheuen wird zu greifen,
    Wenn endlich seine sanften Finger
    Mein Welkes niederstreifen

    Nikolaus Lenau



    Nachts 

    Ich bin erwacht in weißer Nacht,
    Der weiße Mond, der weiße Schnee,
    Und habe sacht an dich gedacht,
    Du Höllenkind, du Himmelsfee.
    In welchem Traum, in welchem Raum,
    Schwebst du wohl jetzt, du Herzliche,
    Und führst im Zaum am Erdensaum
    Die Seele, ach, die schmerzliche -?
    Die Seele, ach, die schmerzliche -?

    Klabund 

    Wie ist die deutsche Welt in Neuigkeit ersoffen 

    Wie ist die deutsche Welt in Neuigkeit ersoffen! 
    Man deckt und kleidet sich, man schreibet, singt und spricht, 
    Man reiset, schläft und ißt, man reitet, tanzt und ficht 
    Nach neu erwählter Art. Wer Glück und Gunst will hoffen, 
    Muß sich in allem Tun der Neuigkeit bequemen. 
    Sonst wird ihn Überwitz mit Hohn und Spott beschämen. 

    Es bleibet nicht dabei: Man ändert auch die Sitten, 
    Der Kittel alter Treu und deutscher Redlichkeit 
    Ist unsrer Moderwelt ein viel zu schlechtes Kleid, 
    Die junge Neuigkeit will überall gebieten. 
    Was Wunder, wenn nun auch in manchem deutschen Lande 
    Der neue vor will gehen dem alten Adelstande! 

    Das Alter wird veracht, das doch so viel’ begehren: 
    Doch will ich lieber alt- als junggeboren sein. 
    Mit Aufgeld tauschet man die alten Münzen ein; 
    Die Firnewein gilt mehr, als der noch soll verjähren. 
    Man sieht die Aloe nach hundert Jahren blühen, 
    Der jungen Tulpe Pracht in kurzer Zeit entfliehen. 

    (Hans Assmann von Abschatz 1646-1699) 


    Dämmerung 

    Von schwankenden Halmen gleiten 
    Die Lichter der Monde aufs Land; 
    Die Masten tönen, die Saiten, 
    Gespielt von nicht sichtbarer Hand; 

    Bernsteinerne Zifferblätter 
    Hoch droben die Flamme erhellt, 
    Auf dürsternde Fliesen, auf Steige, 
    Die Stille begütigend fällt. 

    Im Netz, im schwanken, im schweren, 
    So still ward das neblige Grün, 
    Und lächelnd küßt die Hetären 
    Der Abend und läßt sie ziehn. 

    Die weichen Töne, die warmen 
    Des Klavierchords - der Abend verblich... 
    O Dämmer, du Welt voll Erbarmen, 
    Erfülle und tröste mich. 


    Waleri Brjussow (1873 - 1924) 



    Nimm dich an.
    Sei du die, die du bist.
    Sei du der, der du bist.
    Erst dann fängst du an, zu werden,
    was du sein möchtest.

    Versteh deine Schwächen,
    erst dann kannst du mit ihnen arbeiten
    und sie zu Stärken verwandeln.

    Setze deine Stärken so ein,
    dass du noch zerbrechlich bleibst,
    und niemand unnötig abschreckst.

    Achte auf deine Unsicherheiten,
    sie öffnen dir Wege ins neue Land.

    (Ulrich Schaffer

    Breite und Tiefe 

    Es glänzen Viele in der Welt, 
    Sie wissen von Allem zu sagen, 
    Und wo was reizet und wo was gefällt, 
    Man kann es bei ihnen erfragen; 
    Man dächte, hört man sie reden laut, 
    Sie hätten wirklich erobert die Braut. 

    Doch gehn sie aus der Welt ganz still, 
    Ihr Leben war verloren. 
    denn wer etwas Treffliches leisten will, 
    Hätt' gern was Großes geboren, 
    Drum sammle still und unerschlafft 
    Im kleinsten Punkte die höchste Kraft. 

    Der Stamm erhebt sich in die Luft 
    Mit üppig prangenden Zweigen; 
    Die Blätter glänzen und hauchen Duft, 
    Doch können sie Früchte nicht zeugen; 
    Der Kern allein im schmalsten Raum 
    Verbirgt den Stolz des Waldes, den Baum. 

    (Friedrich Schiller) 


    Der Sturm 

    Im Windbrand steht die Welt. Die Städte knistern.
    Halloh, der Sturm, der große Sturm ist da.
    Ein kleines Mädchen fliegt von den Geschwistern.
    Ein junges Auto flieht nach Ithaka.
    Ein Weg hat seine Richtung ganz verloren.
    Die Sterne sind dem Himmel ausgekratzt.
    Ein Irrenhäusler wird zu früh geboren.
    In San Franzisko ist der Mond geplatzt.

    Alfred Lichtenstein

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