Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen,
Und haben sich, eh' man es denkt, gefunden;
Der Widerwille ist auch mir verschwunden,
Und beide scheinen gleich mich anzuziehen.
Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!
Und wenn wir erst in abgemeßnen Stunden
Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,
Mag frei Natur im Herzen wieder glühen.
So ist's mit aller Bildung auch beschaffen:
Vergebens werden ungebundne Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe streben.
Wer Großes will, muß sich zusammen raffen;
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.
Sonett des ehemaligen Stürmer und Drängers Goethe
Sturm und Drang war eine Strömung der deutschen Literatur in der Epoche der Aufklärung, die etwa von 1765 bis 1785 hauptsächlich von jungen, etwa 20- bis 30-jährigen Autoren getragen wurde. Wegen der „Verherrlichung des ‚Originalgenies‘ als Urbild des höheren Menschen und Künstlers“ (Gero von Wilpert)[1] wird diese Strömung auch als Geniezeit oder Genieperiode bezeichnet.
Die Bezeichnung Sturm und Drang kam in den 1820er Jahren auf. [...] In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde das philosophische und literarische Leben im deutschen Sprachraum weitestgehend von der Aufklärung bestimmt. Der Verstand war die bestimmende Größe der Zeit, durch dessen freien Einsatz, wie Kant 1784 formulierte, der „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ erreicht werden soll. Literatur sollte den Leser moralisch bilden, ihn erhellen und seine Vernunft wecken.
Die von der Aufklärung angestrebte Freiheit begünstigte Literaturformen, die der vernünftig argumentierenden und gebändigten Sprache verpflichtet waren. Die Forderung nach einer „regelmäßigen“ Dichtkunst wurde von Theoretikern wie Gottsched auch während der Aufklärung mit Nachdruck vorgebracht. Die Einheit von Ort, Zeit und Handlung, eine gehobene Sprache und die Trennung der Besetzung von Tragödie und Komödie mit Adel und Bürgertum waren Postulate, die man in zahlreichen Dichterakademien die angehenden Literaten lehrte.
Doch bereits in Friedrich Gottlieb Klopstocks Oden von 1750 zeigte sich, dass dieses Reglement zu eng gefasst war. Mit dieser Demonstration gegen die rein verstandesmäßige Haltung der Aufklärung war der Grundstein für die Überwindung der Vernunftherrschaft und eine Entfesslung des Gefühlsüberschwangs, der Fantasie und der Gemütskräfte als neuer dichterischer Grundhaltung gelegt (emotio statt ratio).
Diese erneuernde Bewegung, die wie ein Ruck durch die deutschsprachige Literatur ging, verbindet in ihrem jugendlichen Charakter den „gemütvoll-bürgerlichen Realismus mit dem Idealisch-Politischen und Menschenrechtlichen“:[2] die Fülle des Herzens mit der Freiheit des Gefühls, mit Ahnung und Trieb. Sie zeigt in Einzelschicksalen die politisch-moralische Situation der Zeit auf.
Das Aufbegehren der Jugend hatte so sein literarisches Äquivalent gefunden, eine neue Generation deutschsprachiger Schriftsteller fand in den Thesen Johann Gottfried Herders den Widerhall ihrer Erfahrungen und Gefühlswelt. Herder, der zu einem Wegbereiter des Sturm und Drang wurde, kritisierte die Arroganz der Aufklärung gegenüber dem einfachen Volk und forderte dazu auf, auch die „Ächtheit“ und Tiefe des Volkslieds und der Volksdichtung als Kunst anzuerkennen; er erkannte, dass Aufklärung in ihr Gegenteil umschlagen kann, und forderte, dass sie nur Mittel, nicht Ziel sein dürfe. Auch Heinrich Wilhelm von Gerstenbergs Ugolino (1768) kann man in die Frühphase des Sturm und Drang einordnen, die Schweizer Johann Heinrich Füssli und Johann Caspar Lavater als ihre Vorgänger ansehen.[3]" (Wikipedia)