Mittwoch, 18. Mai 2022

Multinationale Konzerne: Investor-Staat-Schiedsgerichte

Energiecharta-Vertrag: Drei Wirtschaftsanwälte bestimmen globale Klimapolitik (nachdenkseiten 19.5.22)

 Wie internationale Unternehmen nationales Recht aushebeln

Private Investor-Staat-Schiedsgerichte sollen Investoren vor staatlicher Willkür schützen. Doch in der Praxis hat sich eine milliardenschwere Schiedsgerichtsindustrie etabliert, die meist zulasten der Staaten geht. Warum ist das so? [...] 

Investor-Staat-Schiedsgerichte. In der Öffentlichkeit fast unbekannt, versetzen sie doch so manche Regierung in Angststarre. Diese ganz speziellen Tribunale sind verankert in fast 3000 zwischenstaatlichen Investitionsschutzabkommen – als Instanz, die ausländische Investoren vor staatlicher Willkür schützen soll. Fühlen sich solche Investoren unfair behandelt, können sie – und nur sie – auf der Basis der Abkommen den Gastgeberstaat verklagen, bei für jeden Einzelfall neu ernannten Schiedsgerichten aus hoch bezahlten Fachjuristen.

Diese Tribunale tagen oft geheim, ihre Urteile sind unanfechtbar, sie sind weltweit vollstreckbar. Investor-Staat-Streitbeilegung, kurz ISDS, nennen das die Experten. Über tausend ISDS-Verfahren mit einem Streitwert von 700 Milliarden Dollar haben Investoren bis heute angestrengt, rund hundert Milliarden Dollar mussten die Steuerzahler oft armer Länder bezahlen – zumeist an multinationale Konzerne.

Die historischen Wurzeln der Investitionsschutzabkommen liegen in den 1950er- und 1960er-Jahren. Damals wurden viele Kolonien unabhängig, und Industriestaaten wollten ihre Investoren schützen vor Enteignung in neuen Staaten, die rechtsstaatliche Tradition nicht kannten. [...]" 

Bis in die 1990er-Jahre hätten Investoren ihr Klagerecht nur in Extremfällen genutzt, berichtet Stephan Schill, Professor für internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Amsterdam und wie Bruno Simma nebenberuflich Schiedsrichter. Irgendwann jedoch hätten findige Anwälte entdeckt, dass man viele staatliche Maßnahmen, die den Gewinn eines Investors mindern, als Enteignung oder Diskriminierung einstufen kann.

„Im Grundsatz ist es natürlich so, dass ein neues Parlament oder auch eine neue Regierung andere Politiken verfolgen können als die Vorgängerregierungen. Das ist Kern der Demokratie. Auf der anderen Seite sind sie natürlich auch an bestimmte Versprechen gebunden, die konkret gegenüber Investoren durch die Vorgängerregierung gegeben wurden“, erklärt er. Solche Versprechen hat eine Regierung in der Hoffnung, einen lukrativen Vertrag an Land zu ziehen, schnell mal gegeben. In der Folge erstreiten inzwischen internationale Großkanzleien Milliardensummen von armen Entwicklungs- und auch Industrieländern – vorwiegend im Namen großer Rohstoffkonzerne.

Da ist zum Beispiel der eingangs erwähnte Fall, in dem Pakistan dem australischen Unternehmen „Tethyan Copper“ eine Lizenz zum Gold- und Kupferabbau versprochen hatte – bis eine neue Regierung davon nichts mehr wissen wollte. Tethyan bekommt jetzt sechs Milliarden Dollar Schadenersatz von Pakistan. 

Da ist das kanadische Unternehmen „Eco Oro“. Es will von Kolumbien 800 Millionen Dollar, weil Umweltschützer das gerichtliche Verbot einer von der Regierung zugesagten Goldmine durchgesetzt haben: der Goldabbau gefährde die Wasserversorgung einer Großstadt. [...]"

(Deutschlandfunk von Thomas Kruchem · 17.05.2022)

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