Dienstag, 3. Mai 2022

Juli Zeh : "Das Ziel muss sein, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden"

Am 29. April haben 28 prominente deutsche Intellektuelle, Schriftstellerinnen, Künstler in der Zeitschrift "Emma" einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie Bundeskanzler Olaf Scholz auffordern, keine weiteren schweren Waffen an die Ukraine zu liefern. "Wir bitten Sie im Gegenteil dringlich", schreiben die Autorinnen und Autoren, "alles dazu beizutragen, dass es so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand kommen kann; zu einem Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können." Auch gebe es mit dem "Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung" eine "Grenzlinie", schreiben die Unterzeichnenden: "Selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor steht dazu irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis." [...] "

Juli Zeh: [...] Ich glaube, wir haben einen großen Konsens darüber, was das Ziel der Ukrainepolitik sein muss. Aber wir reden zu wenig über die Mittel, die dafür eingesetzt werden sollen. Zum Beispiel Waffenlieferungen. [...] Das Ziel muss sein, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden. 
ZEIT ONLINE: Woher wollen Sie wissen, ob in dem Moment, in dem der Krieg beendet wird, auch das Morden, die Vergewaltigungen und die Deportationen beendet werden? 
 Zeh: Unter Kriegsbedingungen wird all das ganz sicher weitergehen. Deswegen brauchen wir dringend einen Waffenstillstand, eine Ruhepause, die es ermöglicht, in einen Verhandlungsmodus zu gelangen. 
 ZEIT ONLINE: Aber es wird doch schon die ganze Zeit verhandelt, die Ukraine bietet sogar Kompromisse an, etwa eine Neutralität mit Sicherheitsgarantien. Russland geht nur nicht darauf ein. 
 Zeh: Was wir im Moment haben, sind nur dem Namen nach Verhandlungen. Sie dienen dazu, in Kontakt zu bleiben. Zuerst brauchen wir eine Waffenruhe. Das ist der erste Schritt. Es muss Zeit gewonnen werden. Wir wissen aus Erfahrung, dass Friedensprozesse langwierig sind. Wir können nicht auf schnelle Ergebnisse hoffen – und auch nicht auf eins, das uns gefällt. Trotzdem müssen wir an diesem Weg festhalten, weil es der einzig gangbare ist. Auch wenn wir uns wünschen, die Ukraine mit allen Mitteln zu beschützen und Putin restlos zu besiegen, müssen wir uns die Frage stellen, ob das überhaupt möglich ist. Denn wenn man etwas Unmögliches anstrebt und dabei sagt: Das müssen wir erreichen, um jeden Preis!, gerät man in einen Teufelskreis, der rationale Abwägung verhindert. 
 ZEIT ONLINE: Wie könnte denn Ihrer Meinung nach ein Verhandlungskompromiss aussehen, der Putin für seinen verbrecherischen Angriffskrieg nicht belohnt? 
 Zeh: Es kann doch nicht darum gehen, ob Putin auf irgendeine Weise belohnt wird. Es muss darum gehen, Menschenleben zu retten. Es ist auf keine Weise sicher, dass sich der Konflikt mit Waffenlieferungen schneller lösen lässt. Angesichts des enormen Risikos ist es Bürgerpflicht, das zu hinterfragen. 
 ZEIT ONLINE: Aber ist es Sache deutscher Intellektueller, darüber zu urteilen, wie weit die gerechtfertigte Gegenwehr der Ukrainer gehen sollte? Wenn deren demokratisch gewählte Regierung mehr Waffen fordert, ist dann das, was Sie fordern, nicht Appeasement zulasten Dritter? 
 Zeh: Dass sich die Ukraine gerechtfertigt wehrt, heißt nicht, dass wir Waffen liefern müssen. [...]"

Leider ist Soziale Verteidigung bisher weiterhin nur eine Utopie. So gibt es keine eindeutige Antwort darauf, was bei einem Angriffskrieg eine angemessene Verteidigungsstrategie ist.
Aber die Frage muss erlaubt sein. 

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