Ingeborg Ruthe: DIE BRÜCKE-KÜNSTLER Zwischen Inspiration und Aneignung, FR 7.1.2022
"Das Kolonialisieren ist eine brutale Angelegenheit - Wenn von den farbigen Eingeborenen aus einmal eine Kolonialgeschichte geschrieben wird, dann dürfen wir weißen Europäer uns verschämt in Höhlen verkriechen." (Emil Nolde)
Es wirkt, als hätte man Nolde diese Worte aus heutiger Sicht in den Mund gelegt. (Fontanefan)
"Berlins Brücke-Museum und das Kunsthaus Dahlem unterziehen die Motive der Expressionisten einer Vivisektion.
Expressionisten-Ausstellungen sind zu jeder Zeit gut für Publikumsrekorde. Gerade erst erzielten die Brücke-Expressionisten auf deutschen Winterauktionen wie in der Berliner Villa Grisebach immense Preise. Die Kunst des heftigen Ausdrucks für archaische Körperformen, des volkstümlichen Holzschnitts aus dem 15. Jahrhundert spricht ungebrochen Augensinn und Seelenlage an. Sie bietet Assoziationen für jede Lebenslage und Stimmung. Die harten Konturen und die „wilde“ ekstatische Farbgebung wirken bis heute ursprünglich.
Seit ihrem Entstehen vor 117 Jahren an den Moritzburger Teichen interpretiert die Kunstgeschichte den packenden, das Archaische feiernden Stil als Kulturkritik gegen die fortschreitende Anonymität und Naturferne der modernen Welt sowie die gesichtslosen Fratzen der Großstädte. Die Nazis stigmatisierten diese Kunst als „entartet“, sie zerstörten Werke und verfolgten Künstlerinnen und Künstler. Die Bilder der „Brücke“ wie die der später gegründeten Gruppe „Blauer Reiter“, auch die der „Rheinischen Expressionisten“ zählen zweifellos zu den bis heute inspirierenden Werken. Sie stehen für die aus der Akademismus-Starre der Kaiserzeit befreiten Kunst.
Berlin besitzt ein Schatzhaus dieser frühen Avantgarde. Das Brücke-Museum eröffnete 1967. Es wurde gegründet mit dem Bild-Nachlass und der exotischen Sammlung des Brücke-Malers Karl Schmidt-Rottluff. Das Haus am Rande des Grunewalds ist inzwischen Bewahrer und Erforscher einer der weltweit größten Expressionisten-Sammlungen.
Wer es besucht, findet in den Bildwerken das Brücke-Manifest wieder, welches Ernst Ludwig Kirchner, der wohl Berühmteste der Gruppe, einst in einen Holzschnitt fasste: Bei der „Brücke“-Kunst handele es sich „nicht allein um eine Abwendung von den überkommenden Kunstformen, sondern im gleichen Maße um die Vision einer freieren menschlichen Gesellschaft“. Es war also ein Aufbruch. [...]"
(Ingeborg Ruthe: DIE BRÜCKE-KÜNSTLER Zwischen Inspiration und Aneignung, FR 7.1.2022)
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