Donnerstag, 6. August 2020

TikTok oder der Kampf zwischen USA und China

Wikipedia: TikTok

https://www.zeit.de/digital/2020-08/tiktok-verbot-donald-trump-china-usa-generation-greta-soziale-netzwerke ZEIT 6.8.20

"Geteilt werden auf TikTok ausschließlich kurze Videos, 15 bis 60 Sekunden lang, aufgenommen mit Smartphones überall auf der Welt. Amerikanische Soldaten, die in der Wüste tanzen. Westfälische Teenager, die Wasserrutschen hinuntergleiten. Katzenvideos aus Norwegen. Die professionellen Content Creator feilen stundenlang an den Videos, Teenager basteln im Kinderzimmer an der perfekten Transition, einem nahezu unsichtbaren Schnitt. Andere Videos entstehen spontan, sind verwackelt und verrauscht – als würde man mit schlechter Internetverbindung facetimen. Alle haben das Potenzial binnen Stunden ein Millionenpublikum zu erreichen.
Eine Stunde auf TikTok zu verbringen, ist wie in einen endlosen Strom von Assoziationen, Anspielungen und Theater abzutauchen. Viele der Videos sind verspielt, ironisch und leicht bekömmlich. Und doch erzählen sie, wie es ist, im Jahr 2020 jung zu sein.  [...] 
Und dann ist da noch etwas, das TikTok besonders macht: Es ist das erste globale Netzwerk, das nicht aus den USA, sondern aus China gesteuert wird. 
Das macht die App schon länger zu einem politischen Faktor. Vor allem in den USA wird die App zunehmend als eine Art Spionagetool der Chinesen gesehen, auch von gemäßigten Politikern wie dem demokratischen Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer. Die Sorge: Chinas kommunistische Partei und Regierung könnte über die App Zugang zu den Daten der Nutzer in den USA bekommen oder Inhalte zensieren. Laut ByteDance nutzen inzwischen 100 Millionen Menschen in den USA die App, das wäre fast jede dritte Person. Andere Einschätzungen gehen dagegen von etwa 30 bis 50 Millionen aktiven US-Nutzern pro Monat aus.
TikToks Ruf im Ausland lässt sich besser verstehen, wenn man die Geschichte von Douyin kennt. Douyin ist die chinesische Variante von TikTok, beide gehören zum Mutterkonzern ByteDance. Soziale Netzwerke müssen in China zensiert werden, egal ob es ausländische Apps sind oder chinesische. Die Zensur erfolgt durch die Unternehmen. ByteDance musste sich an diese Praxis zunächst gewöhnen: 2018 entschuldigte sich der Gründer öffentlich, weil Inhalte auf einer seiner Plattformen "nicht ausreichend den sozialistischen Grundwerten" entsprachen. Seitdem will das Unternehmen der Regierung beweisen, dass es dazugelernt hat: In einem Bericht von 2019 stellt das Unternehmen vor, wie es Livestreams in Echtzeit reguliert: Gesichter würden live mit denen der Account-Inhaber abgeglichen, verdächtige Inhalte von einem Algorithmus identifiziert und von Moderatoren geprüft.
Die Liste von Inhalten, die über die Jahre auf Douyin zensiert wurden, ist lang: Für eine Weile nutzten Uiguren in Westchina die App, um in lautlosen, eindringlichen Videos schweigend die Fotos von verschwundenen Angehörigen hochzuhalten – diese Videos sind mittlerweile verschwunden. Im Juli berichtete ein Brite in China, dass der Account seiner Freundin gesperrt worden sei, weil sie ihn als Teil ihres Livestreams gefilmt hatte. Die App zeigte eine Warnung: Der Livestream wurde beendet, weil ein Ausländer darin ohne Erlaubnis zu sehen war. Chinesinnen registrieren sich auf der Plattform mit ihrem Personalausweis, sodass jeder Account eindeutig einer Person zugeordnet werden kann. Ein Journalist der New York Times versuchte das zu reproduzieren: Es gelang ihm nicht. 
In China gehört all das zum Alltag im Netz. Im Ausland lautet die Argumentation stets: Douyin ist das eine, TikTok das andere. Die Daten lägen auf Servern in Singapur und den USA, Zensur gebe es nicht. 
Tatsächlich sammelt TikTok laut den eigenen AGB nicht mehr Daten als Facebook oder Instagram. Doch Videos über gesellschaftliche Bewegungen wie Black Lives Matter, Clips von Menschen mit Behinderungen oder generell provokante Inhalte verschwinden immer wieder von der Plattform. Inzwischen gibt es zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer, die sich einen Spaß mit dem Algorithmus erlauben und den gleichen Inhalt in zwei Versionen hochladen: einmal halb nackt, einmal angezogen. Meistens hat das Video, das mehr Haut zeigt, auch mehr Views. [...]"

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