Freitag, 10. November 2017

Salvador Espriu: „Die Stierhaut“ könnte man als Kommentar zum Bemühen um die Unabhängigkeit Kataloniens lesen

Salvador Espriu: „Die Stierhaut“ 


"[...] Man schaut ja den Katalanen etwas fassungslos zu, wie sie großmäulig dissidentisch gegenwärtig gerade am Überschnappen sind. Und wie sie sich gerne aus der spanischen Stierhaut, deren rechten Flankenteil (ungefähr in Brusthöhe) sie bilden, herausschneiden würden: absurde, ganz und gar uneuropäische, aber laut nach Europa schreiende Sehnsucht nach einem kleinen Fetzen Rest-Fell, dem die Haare büschelweise ausfallen würden. Salvador Espriu, ihr größter Dichter, den sie am 22. Februar 1985 zu Grabe trugen, nachdem er im Palast der Generalitat, dem Regierungsgebäude der Autonomen (!) Region Catalunya, in Barcelona aufgebahrt worden war und sich das gesamte katalanische Kabinett vor dem Katafalk verneigt hatte, litt zeitlebens und zeitschreibens (und das Dichten, Erzählen, Theaterstückeschreiben und erfolgreiche Publizieren begann der Höchstbegabte schon mit sechzehn) an der katalanischen Dissonanz. Also an den sich aneinander reibenden Doppeltönen, mit denen von der großen Stierhaut die Rede sein musste. Die poetische Rede, die sie politisch verdammte, vor allem, wenn diese Rede als Echo der Zeit der franquistischen Diktatur und Unterdrückung schmerzensschrill tönte und nach Freiheit dürstete. Und zugleich die politische Rede, die in der grandiosen Poesie einer uralten Sprache der nationalen Schicksalshaut des Stieres Paroli bot und ihr das Einsame, Eigen-Mythische, Eigen-Sinnige, Eigen-Göttliche auf den Pelz brannte. Ohne freilich den Pelz zerschneiden zu wollen. [...]"

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