Dienstag, 2. August 2016

Was ist eine angemessene Beschreibung der Wirklichkeit?

"Zeichnet sich eine gute Theorie allein dadurch aus, dass sie mit der Empirie, also der Beobachtung, übereinstimmt? [...]  Nein, sagen wir.
Denn dahinter steht ein naives Bild von Wirklichkeit [...]. Beobachtete Daten sind nicht neutral. Die Leute, die sie erheben, beeinflussen sie schon. Es ist ja unstrittig, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wertend ist. Es klammert Haushalts- und Schwarzarbeit aus. Es suggeriert, dass es einer Gesellschaft immer gut tut, wenn das BIP steigt. Das ist niemals wertneutral. [...] Theorien sind deshalb nicht wahr oder falsch. Sie sind Linsen. Sie stellen auf bestimmte Logiken scharf. Andere lassen sie außer Acht. Die Wirtschaftswissenschaft stellt seit Jahrzehnten immer und immer wieder auf Eigennutz und Wirtschaftswachstum scharf.
Das ist einseitig und gefährlich. Denn Wissenschaft wirkt in Gesellschaft. Studierende werden im Studium geprägt und folgen dann der Situationslogik, die sie gelernt haben – dem Eigennutz. Ökonomen begründen Politikempfehlungen, indem sie Wachstum versprechen – und ignorieren, welchen Einfluss das auf Identitäten, Werte, Gruppenzugehörigkeiten oder Diskurse hat.
Übereinstimmung von Daten und Theorie reicht nicht. Wissenschaft braucht Reflexion. Gute Wissenschaft muss über sich selbst nachdenken. Nur dann kann sie die eigene Linse erkennen, statt ihren Blick mit der Wirklichkeit zu verwechseln." (Gustav Teile in der FR vom 2.8.16)

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