Montag, 26. August 2013

Zsuzsa Bánk: Die hellen Tage

Es sind sympathische Gestalten, Évi, die in einem Garten mit ihrer Tochter Aya gestandet/gelandete Artistin, das Erzählermädchen, das seine Tage bei Aya und Évi verbringt, fasziniert vom Reiz des anderen, die Mutter der Erzählerin, die sich Évi annähert und der Junge Karl, der darunter leidet, dass sein Bruder Ben verschwunden ist. Nicht zuletzt Zigi, der Artist, der ständig dazu lernt.
Im Zirkusmilieu werden sie mir schablonenhafter. Auch das Wanderjahr erreicht mich nicht recht. Nicht weil es unglaubwürdig wäre, aber weil die Liebe des Erzählermädchens zu diesen Figuren fehlt. Sie erlebt sie nicht, sie hört nur von ihnen in Erzählungen. 

Klappentext:
"Es sind die Mütter, die Karl und die Mädchen durch die Strömungen und Untiefen ihrer Kindheit lotsen und die ihnen beibringen, keine Angst vor dem Leben haben zu müssen und sich in seine Mitte zu begeben."

Nichts gegen die Mütter, vor allem nichts gegen die zauberhafte Évi. Die Gestalten leben für mich bis zum Kapitel "Ein Jahr", so weit sie überhaupt leben, vom Erzählermädchen, das über sie staunt. 

Andreas Isenschmid nennt den Roman Zsuzsa Banks "glücksverzaubert". 

Ist es nicht eher die Sehweise der Erzählerin als das Glück?

Wilmes von der Frankfurter Rundschau findetdass die Schilderungen der mittlerweile erwachsenen Seri, die eifersüchtig und verletzt der Zweisamkeit ihrer Freunde zuschaut, seltsam "blass" und unanschaulich bleiben und beim Entzaubern der heilen Kindheitswelt mysteriöser herumgeraunt wird, als dem Roman gut tut.

Ich werde meinerseits eine Unterbrechung einlegen, bevor ich weiter lese.

Meike Fessmann von der Süddeutschen Zeitung "trauert ein bisschen dem selten gewordenen auktorialen Erzähler hinterher, besonders angesichts der in ihren Augen "eigenschaftslosen" Erzählerfigur von Zsuzsa Banks jüngstem Roman."

Ich vermisse nicht den auktorialen Erzähler, sondern, wie bereits erwähnt, im Zirkusteil mein Erzählermädchen. 

Zunächst sind es durchaus nicht die Mütter, die die Kinder lotsen (vgl. Klappentext), sondern die Erzählerin gibt die Richtung vor:
Ich hatte mich in Ajas Leben begeben, als sei ein fester Platz für mich immer schon darin vorgesehen gewesen. (S.179)
Lange duldet die Mutter der Erzählerin  nur, dass ihre Tochter zu Aja und deren Mutter Évi geht, doch als Aja in Lebensgefahr gerät, rettet sie diese und fühlt sich bald darauf auch für ihre Mutter Évi zuständig, bringt ihr das Lesen bei und besorgt ihr Arbeit für den Lebensunterhalt.
Meine Mutter fragte nicht mehr, warum ich mir ausgerechnet Aja hatte aussuchen müssen, und mit den Jahreszeiten, die über Kirchblüt kamen und es verkleideten, hatte sie es aufgegeben, Évis Leben an ihrem zu messen, an den vielen Dingen, aus denen es zusammengefügt war. (S. 180)
Évi lernt mit großem Enthusiasmus lesen und bäckt für den ganzen Ort für alle möglichen Gelegenheiten Kuchen. Doch legt sie großen Wert darauf, dass ihre Tochter nie außer Hause schläft. Doch dann ändert sich das.
Aja wurde krank, nachdem zum ersten Mal Schnee gefallen war [...] (S.  182)
Als Ajas Zustand sich in ihrer zugigen Baracke nicht ändert, entschließt sich Évi, sie doch zur Mutter der Erzählerin Seri zu bringen.
Aja wurde in unserem Wohnzimmer, auf unserem roten Sofa gesund. (S. 186)

Nachdem zunächst Seris Mutter Verantwortung für Aja und Évi übernommen hat, übernimmt Évi Verantwortung für Karls Eltern. Sie bringt Karls Mutter dazu, in ihr Haus zu kommen. Und Karls Vater dazu, zu reden und ihre Kuchen auszufahren. Karls Vater beginnt auch für Évi zu handwerken. 
Als Zigi zu seinem jährlichen Besuch eintrifft, hebt er die meisten Änderungen von Karls Vater wieder auf. Karl nimmt sich zurück und beginnt mit Zigi zu reden, was er anderen gegenüber immer vermieden hatte.

Die Mütter halten lange Zeit eine vorsichtige Distanz zueinander, doch dann bricht das Eis.
Unserer Mütter hatten darauf geachtet, sich nie nahe zu kommen, keine hatte ihre vorgezeichneten Wege aufgegeben, selbst wenn diese sich berührt hatten, wenn sie einmal wie auf Glatteis ins Leben der anderen gerutscht waren, hatte sie schnell wieder etwas getrennt. [...] seit Karls Mutter an den Sonntagen in Évis Küche versucht hatte, die Dunkelheit vor ihren Augen zu vertreiben, hatten unsere Mütter ihre Wege nicht länger versperrt und angefangen, die Schranken davor langsam hochgehen zu lassen. [...] Plötzlich hatten sie Vornamen, Karls Mutter war jetzt Ellen und meine Mutter Maria, und Karls Mutter sagte zu Évi nicht mehr Frau Kalócs, wie sie es über Jahre getan hatte, sondern Évi. (S.223-225) 
Aus den Kindern werden Jugendliche. Aja wird ihrer Mutter gegenüber recht aggressiv. Doch die schlägt nicht zurück. Wenn Zigi dabei ist, hält Aja sich zurück. 

Andres Kilb in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: "Ein Buch, dessen einziger Makel darin besteht, dass es irgendwann aufhört."

Als die Handlung in Rom spielt, wird mir deutlich, dass mein zentrales Interesse bei Évi liegt. Ihr Verhalten und ihr Verhältnis zu anderen sind ungewöhnlich und interpretationsbedürftig. Die anderen Personen bleiben blass.

Das Motiv der Leerstelle wird m.E. überreizt.* Nach den Vätern und Kind/Bruder tritt jetzt auch die Mutter in Gestalt einer Filmspule als Leerstelle auf. Dabei hat Aja mit Évi gerade die Frau als Mutter gehabt, die nicht nur an zwei zusätzlichen Kindern, sondern auch noch an zwei Erwachsenen Betreuungsaufgaben übernimmt. 

Die letzten 80 Seiten las ich nicht mehr mit Interesse für die Personen, sondern nur noch kursorisch unter der Fragestellung: Wie schließt die Autorin die zwei für die jüngere Generation ins Spiel gebrachten Probleme ab.

Leider fehlt eine Behandlung der Frage: Wie gehen Évi und ihre Bezugspersonen mit Évis Demenz um? - Dazu gibt es nur trockenen Bericht.

* Außer Aja empfindet sogar Libelle eine Leerstelle: "Libelle aber stieg aus ihrem Zirkuswagen, als sei auch ihr Leben um eine Lücke gebaut." (S.461)



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