Mittwoch, 25. Juli 2012

Lenau: Albigenser

Auch wenn wir Lenau nicht kennen, kennen wir "Drei Zigeuner fand ich einmal..." *

Auch wenn wir Lenau kennen, kennen wir die Albigenser meist nur mit Namen. Daher hier zur Anregung der Beschäftigung mit dieser Dichtung ein kurzes Zitat:
»Jüngst hielt der Böse Rath mit seinen Söhnen
Und also ließ er seine Stimme tönen:
Der Teufel mag sich immer mühn und plagen;
Wenn seine Saaten schon zur Ernte reifen,
Und drüber lustig seine Lerchen pfeifen,
Wird ihm die Sense aus der Hand geschlagen;
Die Garbe fällt in frommer Schnitter Hände,**
Des Teufels Thun wird Gottesdienst am Ende. [...]
Aus dem Abschnitt "Das Vorgemach", S.821 (vor dem Audienzzimmer des Papstes)
[zum historischen Kontext]

* (Melodie + Text) (Text im Volksliederarchiv!) (Kunstloser Gesang - Die Gelegenheit, bei denen die Sängerin das Lied nach ihren Angaben gesungen hat, sind typisch für das Singen von Volksliedern.) (Im Gegensatz: Alexandra: Zigeunerjunge, anspruchsloser Text gekonnt gesungen und mit einer charakteristischen Stimme - ansprechend, aber gewiss keine Kunst, die Jahrhunderte überdauern wird.)

** "Der päpstliche Gesandte Abt Arnaud-Amaury soll den Kreuzfahrern auf die Frage, wie sie denn die Ketzer von den normalen Bewohnern unterscheiden sollten, geantwortet haben: Tötet sie alle! Gott kennt die Seinen schon" (Albigenserkreuzzug)

Im Abschnitt "Das Vogelnest" geht es zunächst nur um Kunst; doch dann wird auch hier ein Bezug auf die Grauen des Kreuzzuges gefunden (S.836-839):


An spitzgebognen Fenstern ist zu schauen
Laubwerk und manche Blum in Stein gehauen;
Vor allen Bildern zierlich, wahr und lebend
Ein steinern Vogelnest am Aste schwebend.
Der Jungen Schnäblein heischend aufgerissen,
Die Mutter sie zu atzen hold beflissen,
Sie wärmend mit den aufgespreizten Schwingen;
Die Kleinen werden fliegen bald und singen.

Ich stand gefesselt von des Meisters Macht
Und sann gerührt, was er sich wohl gedacht.
Hat er im Bild die Kirche still verehrt.
Wie sie getreu die Kinder schützt und nährt?
Wollt er vielleicht die Mönche traulich necken
Mit einem Bild der Liebe, Sehnsucht wecken? –
Da kam ein Hauch vom Bildner mir gesendet:
Sein klagendes Gewissen hats vollendet.

Es hat ein Mönch gelebt in jenen Tagen,
Wo glauben hieß, den Zweifelnden erschlagen;
Er aber war noch einer von den alten,
Von jenen frommen, rührenden Gestalten.
[...]

In Schreck und Mitleid zitterte sein Herz,
Frohlockten die Kreuzpilger mit der Kunde,
Wie überall die Ketzer gehn zu Grunde,
Wie jetzt die Welt so voll von Haß und Schmerz.
[...]

Die Kreuzgeschmückten brachen und zerstörten
So manche Burg; der Freiheit kühne Fechter
Zu Tausenden verbrannten, und sie hörten
Im Tode noch der Feinde Lustgelächter.
Den Mönch erfaßt ein schauderndes Erstaunen
Bei solchen Taten, mörderischen Launen.
Ein banges Grübeln quält ihn zu ergründen:
›Ist, was ich seh, des Frevels ganze Völle?
O Mensch, wo steht die Grenze deiner Sünden?
Kommt, wer sie sucht, bis in das Herz der Hölle?‹

Die Sünde tobt in jauchzenden Gewittern,
Und vor sich selbst muß dieser Fromme zittern;
Der Name Mensch, aus welchem kein Erlösen,
Scheint ihm ein tiefer Abgrund alles Bösen,
Er lauscht in seine Brust, ob nicht verstohlen
Hier gleiche Ungeheuer Atem holen?

Mit alten Tagen geht er zu Gerichte,
Und vorwurfsvoll erschreckt ihn die Geschichte,
Wie er ein Knabe einst den Wald durchzogen
Und sah ein Vöglein heim ins Nest geflogen.

An hohen Zweigen hing die Frühlingsbrut,
Das grüne Laub hielt sie in dunkler Hut;
Doch strich der Wind, den grünen Schleier hebend,
Der Knabe sah das Nest am Wipfel schwebend.

Da hob er einen Stein und warf empor,
Zerstört hinfiel die Brut, und ihn ergriff,
Daß er es heut noch hört, der Klagepfiff,
Womit im Wald die Mutter sich verlor.

Wars nicht derselbe Drang, nur noch im kleinen,
Der dort ein Nest, hier Burgen wirft mit Steinen?
Der düstre Groll, der gern den Bau vernichtet,
Wo sich ein Glück auf Erden eingerichtet?
So klagt der Mönch und kann sichs nicht vergeben,
Daß er den Vöglein brach ihr junges Leben.
Und das Zerstörte wieder aufzubauen,
Hat er das Nest im Felsen ausgehauen.
Oft sah man ihn zu seinem Bilde kehren,
Um seine stille Wehmut dran zu nähren.

Den Anstoß zu Lenaus Gedicht gab das steinerne Vogelnest in Bad Wimpfen, über das Carl Gibson hier schreibt. Ein Bild dieser Plastik habe ich nicht gefunden, so kann ich nur auf die zwei steinernen Vogelnester in der Dankeskirche in Bad Nauheim hinweisen.

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