Özlem Topcu, Alice Bota, Khué Pham:
Drei ZEIT-Journalistinnen schreiben: "Wir neuen Deutschen. Wer wir sind, was wir wollen"
Özlem Topcu berichtet davon, wie sie eine Einbürgerung als Deutsche beantragte, weil sie nicht bei Auslandsreisen fast ständig ausdrücklich ein Visum beantragen wollte:
"Der deutsche Pass war die Eintrittskarte für jedes Land der Welt, dachte ich. Dafür musste ich sehr oft ins "Amt für Ausländerangelegenheiten", saß stundenlang auf harten Plastikstühlen, die in langen, kahlen Fluren mit Linoleumböden standen. Es war wie im Krankenhaus. Um mich herum die ganz "richtigen" Ausländer und Asylbewerber, die auf demselben Flur fallen vor den Nachbarbüros warteten, um ihren Aufenthalt in Deutschland verlängern zu lassen, oder sonst irgendetwas anderes wollten. Ich bin doch nicht wie die, dachte ich. Bin ich hier eigentlich richtig? Bin ich nun auch eine Bittstellerin, die etwas von Deutschland will?
Mein Sachbearbeiter hat wirklich nur meine Sache bearbeitet – für ihn war ich eine Nummer, eine Akte wie jeder andere auch. Schon klar, wie sollte er sich auch mit jedem Fall einzeln beschäftigen? [...]
Dann kam der Tag, an dem ich meine Einbürgerungsurkunde abholen sollte. Mein Sachbearbeiter hat das mintgrüne Dokument mit eingestanztem Bundesadler in eine Klarsichtfolie hier gesteckt, nun stand er von seinem Bürostuhl auf, überreichte sie mir und gab mir völlig unvermittelt die Hand. Ich glaube, er hält das für feierlich. Dann sagte er: "Herzlichen Glückwunsch."
Ich verstand das nicht und fragte mich, warum er mich beglückwünschte, nachdem er mir monatelang nicht mal richtig ins Gesicht geschaut hatte. Ich war doch einer der Ausländer oder Asylbewerber, egal, irgendeiner von denen, die da in dem Amt herumliefen und irgendetwas wollten. [...] Mir wurde klar dass ein Pass mehr wert mehr war als ein Papier. Dass er etwas mit mir machte. Ich wusste nicht genau, was, aber eine Deutsche war ich jetzt nicht geworden. Stattdessen wurde mir der Verlust bewusst. Plötzlich, als deutsche Staatsbürgerin, wurde mir die Türkin in mir wichtig. Ich lief alleine nach Hause und fragte mich: Was habe ich für einen feuchten Händedruck eigentlich aufgegeben? Was war ich denn nun? Und wo war ich zu Hause? Warum schockte mich das alles plötzlich so?
Heute kenne ich den Grund. Ich hatte den türkischen Teil meiner Identität abgegeben, ohne das Gefühl zu haben, dass mir der deutsche anerkannt wurde. Ich hatte das Land verraten, aus dem meine Eltern kommen. Ich hatte meine Familie dort, meine Erfahrungen, ja, einen Teil meiner Kindheit aufgegeben, und es hatte mich nur ein Jahr Wartezeit gekostet.
Früher war die Türkei für mich immer das Reserveland. Als Jugendliche dachte ich: Gut, dass wir die Türkei haben; wenn das hier einmal schief laufen sollte, dann gehen wir halt zurück. Manchmal, aber immer nur für kurze Momente, kam es mir wie ein Vorteil gegenüber den deutschen Kindern, die ja nur ein Land hatten. Es war endlich etwas, dass wir mal mehr hatten. Ich freute mich darüber, auch wenn das wir als Kinder dieses andere Land fürchteten. Deutschland war einfach cooler. Hier gab es tolles Fernsehen, Pommes, Schulfreunde, wann konnte auch mal allein in die Stadt oder ins Kino gehen. Es war alles bekannt. Vertraut." (S.72-74)
"Jeder Vierte unter 25 hat einen Migrationshintergund - eine zerrissene Generation wächst in Deutschland heran." (S.167)
Die drei jungen Frauen berichten:
Die Erfahrung eines Handicaps, doppelt gut sein zu müssen, um das Gleiche zu erreichen, im Hintergrund die Eltern, für die selbst das Doppelte nicht für das Gleiche ausreichte und die jetzt bei ihrem Kind erfahren wollen, was in ihrem Leben nicht möglich war.
Diese Erfahrung verbindet sich mit dem Gefühl, jetzt zur Elite der ZEIT-Journalisten zu gehören und gleichzeitig zu den Ausgegrenzten dazugerechnet zu werden.
Der Migrationshintergrund, der zum Alleinstellungsmerkmal am Markt geworden ist, gleichzeitig aber mit denen verbindet, für die er immer noch Makel darstellt.
Drei Rezensionen:
Aus dem Makel wird ein Merkmal (Deutschlandradio)
"Heimat ist ein sehnsuchtsvolles Ding" (ZEIT)
heimathafen-neukölln
Giovanni di Lorenzo, ihr Chefredakteur, teilt die Erfahrung des Migrationshintergrundes, freilich eine ganz andere, die er in "Wofür stehst Du? Was in unserem Leben wichtig ist – eine Suche"(Köln 2010) zusammen mit Axel Hacke dargestellt hat.
Jetzt sind es drei Frauen, die ein ganz anderes Kapitel in der Geschichte der bundesrepublikanischen Geschichte aufschlagen.
Ein Lob auf unsere freiheitliche Gesellschaft und zugleich eine Mahnung an sie, offener zu werden.
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