Dienstag, 27. März 2018

Bach? Meer sollte er heißen.

ZEIT online 27.3.18

"[...] Johann Sebastian Bach starb 1750. Danach war er ziemlich tot. Bis auf ein paar Schüler und Musikexperten interessierte sich erst mal niemand mehr für ihn. Auf Bachs Grab in Leipzig stand noch nicht einmal ein Stein, die Familie hatte sich keinen leisten können, der Stadt schien der Tote einer solchen Ehre nicht wert. Ab und zu wurde in Leipzig noch eine Bach-Kantate aufgeführt. Aber die meisten von Bachs Noten moderten lange in irgendwelchen Schubladen und Archiven vor sich hin. Da hatte halt einer Musik gemacht für seine Mitmenschen und war dann unter die Erde gegangen.  [...]

Mozart: "Bach ist der Vater, wir sind die Buben. Wer von uns was Rechtes kann, hat’s von ihm gelernt."
Beethoven: "Nicht Bach, sondern Meer sollte er heißen!"
Wagner: "Das erstaunlichste musikalische Wunder aller Zeiten." [...]
David Cope  "wurde vor einer Weile gefragt, warum Bach auf der Liste seiner fünf liebsten Komponisten nicht auftauche. "Ich würde in die Liste der fünf größten Religionsstifter ja auch nicht Gott aufnehmen", antwortete Cope. [... ]
Johannes Brahms, der diese Musik 1877 entdeckte und danach an Clara Schumann schrieb: "Hätte ich das Stück machen, empfangen können, ich weiß sicher, die übergroße Aufregung und Erschütterung hätten mich verrückt gemacht."[...]"


Offenbar ist es relativ gleichgültig, ob man selbst gläubig ist oder nicht, Bach führt zum Gedanken an Gott. Der weltbekannte Bach-Dirigent John Eliot Gardiner hat gesagt, dass er Bachs Musik nicht aufführen kann, ohne zumindest während der Darbietung gläubig zu werden. Selbst Nietzsche, Totengräber Gottes, schrieb in einem Brief: "In dieser Woche habe ich dreimal die Matthäuspassion des göttlichen Bach gehört, jedes Mal mit dem Gefühl der unermesslichen Verwunderung. Wer das Christentum völlig verlernt hat, der hört es hier wirklich wie ein Evangelium."
Bach selbst sah das so: "Wenn man Gott mit seiner Musik nicht ehrt, ist die Musik nur ein teuflischer Lärm und Krach." Das sind Gedanken, mit denen man im 21. Jahrhundert im Zweifelsfall nicht mehr sonderlich viel anfangen kann. Man hört in diesen Worten sehr deutlich, dass Bach ein Mensch der Voraufklärung war. Kein Humanist. Im Zentrum seiner Welt stand nicht der Mensch, sondern Gott.
Wenn man aber für einen Moment von der Frage absieht, ob man selbst mit der Idee "Gott" etwas anfangen kann – wie geht das dann eigentlich, bitte schön: den Teufel in der Musik vermeiden, Gott ehren? Wie drückt man Gott musikalisch aus? Muss man beim Komponieren einfach ganz feste glauben? Das kann es ja kaum sein.

"Bach war jenseits aller anderen Komponisten"

Könnte die Präsenz Gottes in Bachs Musik trotzdem der wesentliche Grund für deren Unsterblichkeit sein?
Vielleicht gibt es sogar eine Möglichkeit, einen halbwegs säkularen Weg zu diesem Gedanken zu finden. Einen Weg, den Gläubige und Atheisten gemeinsam gehen können, zumindest sehr weit.
Dieser Weg führt, es geht leider nicht anders, über die Musiktheorie. Zum Trost: Der Mann, der ihn hier weisen soll, ist David Cope. Viele Menschen haben Bachs Kompositionstechniken en détail studiert, aber vermutlich hat keiner sie so gründlich verstanden wie dieser Mann. Denn David Cope ist der größte, meistgehasste, schamloseste und genialste Kopist, den Bach je hatte.
Bis zum Ende der siebziger Jahre war Cope ein sozusagen regulärer zeitgenössischer Komponist. Er hatte Erfolg, seine Werke wurden in der Carnegie Hall aufgeführt, die Kritiker mochten ihn. Cope selbst war süchtig nach Musik, er spielte Klavier, seitdem er vier Jahre alt war. Dann, er war 39 Jahre alt, befiel ihn eine Schreibblockade. Monatelang saß er stumm vor dem Notenpapier. Nichts kam mehr. Sein Lebensinhalt drohte einfach zu verschwinden. Um sich abzulenken, zu trösten, vielleicht auch aus Verzweiflung begann Cope damals, an einem Computerprogramm zu schreiben, das komponieren kann.
Das Ergebnis dieser Arbeit, die Jahre dauerte, nannte Cope EMI –Experiments in Musical Intelligence. Das Programm EMI war eine künstliche Intelligenz. Sie erfand nichts, aber sie imitierte perfekt. Man fütterte EMI mit Noten, dann analysierte und zerlegte es diese Noten und setzte sie nach jenen musikalischen Gesetzen neu zusammen, die Cope erkannt und dem System beigebracht hatte. EMI konnte den Stil der unterschiedlichsten Komponisten nachahmen, je nachdem, mit welchem Material man es versorgte. Es komponierte rasend schnell und ohne Fehler. Und der erste Komponist, den EMI zu kopieren lernte, war Bach. Einmal schmiss Cope EMI an, ging einen Kaffee trinken, kam nach einer entspannten Stunde zurück, und EMI hatte in dieser Zeit fünftausend Choräle im Stil von Bach geschrieben. [...]"

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