Mittwoch, 14. Januar 2015

Frau Müller muss weg

"FRAU MÜLLER MUSS WEG" "Der größte Druck kommt von den Eltern", ZEIT online 14.1.2015
In seiner Komödie "Frau Müller muss weg" seziert Sönke Wortmann einen Elternabend. Im Interview spricht er über Leistungsdruck, Zukunftsangst und seine eigene Schulzeit.

ZEIT 2014 Nr.42

HAPE KERKELING: Glauben hilft, ZEIT Nr.42 9.10.14

B. J. NOVAK: So stellt man eine Story hin ZEIT Nr.42 9.10.14

TISA - Die Freiheit des Geldes ZEIT Nr.42 9.10.14

Der Islam und Deutschland

Kanzlerin Merkel: "Der Islam gehört zu Deutschland", Spiegel online 12.1.2015

CSU widerspricht Merkels Islamaussage. ZEIT online 14.1.2015
"Die deutsche Kultur beruhe vor allem auf christlichen Werten, sagt der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Konservative Kollegen in der CDU sehen das ähnlich."

MELY KIYAK: Die größtmögliche Provokation, ZEIT online 14.1.2015
"Angela Merkel hat wieder diesen Satz gesagt. Aber die Diskussion, ob der Islam zu Deutschland gehöre, sagt mehr über "die Deutschen" aus als über "die Muslime"."

Offensichtlich liegen viele Empfindlichkeiten vor, auch unabhängig von terroristischen Anschlägen und Pegidademonstrationen.

Hier bin ich auf Gaucks Stellungnahme zu Wulffs "Der Islam gehört zu Deutschland." von 2010 eingegangen und auf die Hoffnung, die eine Muslima hinsichtlich eines christlich muslimischen Dialog in Papst Benedikt XVI. setzte.
Hier habe ich kurz eine Zeitungsmeldung kommentiert.

Die Wikipedia bemüht sich um Neutralität: Islam, Islamismus, Islamkritik

Dienstag, 13. Januar 2015

Zur Einordnung des Wortes "Lügenpresse"

Wer zur Beschreibung gefährlicher Entwicklungen in der Presselandschaft das Wort "Lügenpresse" wählt, begibt sich der Chance von kritischen Beobachtern der Medienlandschaft ernst genommen zu werden. So viel war wohl den meisten, die nicht dem Bannkreis von Pegida längst verfallen waren, klar, sobald das Wort bei Pegida auftauchte.
Dennoch bin ich fasziniert davon, mit welcher Klarheit Stephan Hebel in seiner Erläuterung, weshalb er für Lügenpresse als "Unwort des Jahres" plädiert hat, und seriöse Medienkritik von solchem Sprachgebrauch scheidet.
Ich danke den NachDenkseiten für den Hinweis auf den wichtigen Abschnitt in Hebels neustem Buch.
Aus Hebels Text möchte ich wenigstens einen Abschnitt zitieren, in dem er seine eigene Analyse nicht ungeschickt durch Anführung einer Äußerung von Jürgen Habermas unterstützt:
Ich warne vor der Illusion, das „Web 2.0“ als freier Kommunikationsraum könne den professionellen Journalismus nicht nur ergänzen, sondern ersetzen.
Unbestritten steckt in den Möglichkeiten eines mehr oder weniger barrierefreien Meinungsaustauschs das Potenzial für eine vollkommen neue Form von Öffentlichkeit. Die nicht immer, aber in großen Teilen berechtigte Kritik an der Kalte-Kriegs-Attitüde von Medien in der Ukraine-Krise hätte längst nicht so viel öffentliche Aufmerksamkeit und Resonanz gefunden, wäre sie nicht über digitale Kanäle zur Wirkung gebracht worden. Aber für die Herstellung einer demokratischen Öffentlichkeit bleiben auch diejenigen journalistischen Arbeitsweisen notwendig, die ohne Ausbildung, Zeit und Geld nicht zu haben sind.
Ein letztes Mal Jürgen Habermas: „Ich betrachte die Einführung der digitalen Kommunikation – nach den Erfindungen der Schrift und des Buchdrucks – als die dritte große Medienrevolution. (…) Mit dem letzten Schub hat auch eine Aktivierung stattgefunden – aus Lesern werden Autoren“, sagt er. Aber: „Das Netz (…) zerstreut. Denken Sie an die spontan auftauchenden Portale, sagen wir: für hochspezialisierte Briefmarkenfreunde, Europarechtler oder anonyme Alkoholiker. (…) Den in sich abgeschlossenen Kommunikationsräumen fehlt das Inklusive, die alle und alles einbeziehende Kraft einer Öffentlichkeit. Für diese Konzentration braucht man die Auswahl und kenntnisreiche Kommentierung von einschlägigen Themen, Beiträgen und Informationen. Die nach wie vor nötigen Kompetenzen des guten alten Journalismus sollten im Meer der digitalen Geräusche nicht untergehen.“ (Lügenpresse - das Unwort des Jahres, NachDenkseiten, 13.1.2015)
Man darf hoffen, dass es gelingen wird, die Nachteile der von Habermas beschriebenen Zerstreuung langfristig auszuschalten. Die Verbindung des Lobs der Möglichkeiten des Internets mit einer Warnung vor übergroßem Optimismus ist aus meiner Sicht Hebel wie Habermas wohl gelungen.

Montag, 12. Januar 2015

Freiheit

"Stéphane Charbonnier machte sich bei "Charlie Hebdo" über alles lustig. Auch über Religionen. Angst hatte Charb nie. Der Karikaturist kämpfte für die Meinungsfreiheit und nahm dafür große persönliche Opfer in Kauf." (Thierry Backes in SZ vom 8.1.2015)
"Stéphane Charbonnier, ermordeter Chefredakteur von "Charlie Hebdo", wusste, was Angst bedeutet. Aber er wusste auch, was man ihr entgegensetzen muss: Die Freiheit, die wir haben, ausreizen. Sonst ist sie keine." (Bascha Mika in FR vom 12.1.15)

Erst jetzt ist mir klar geworden, wie schwer es für Journalisten bekannter Zeitungen ist, in Fällen allgemeiner Aufgeregtheit differenziert zu schreiben.
Dass es wichtig ist, Solidarität mit den Opfern des Attentats auf "Charlie Hebdo" zu zeigen, steht außer Frage. Für Regierungschefs und Staatsoberhäupter, die angesprochen wurden und die Zahl "über 40" kannten, war es also fast unmöglich, nicht eingehakt mit zu marschieren, denn das hätte als Solidarisierung mit der falschen Seite verstanden werden können. Ähnliches gilt für Journalisten.
Sie müssen sehr sorgfältig abwägen, wie viel Solidaritätsbekundung das Minimum ist und abwann Differenzierung als Herunterspielen gewertet werden kann.
Nicht jedem ist wie Gustav Heinemann die Fähigkeit gegeben, so klar moralisch Stellung zu beziehen, dass auch ein hohes Maß an Differenzierung daneben nicht missverstanden werden kann.
Ich erinnere mich noch an die Geiselnahme israelischer Sportler bei den Olympischen Spielen in München 1972 durch die Terrororganisation Schwarzer September.  Ich war so hilflos in Schrecken und Wut, dass ich mir nicht vorstellen konnte, was man da Sinnvolles hätte sagen können. Und dann sprach Heinemann und sprach aus, was zu denken mir noch nicht möglich gewesen war.

Ich möchte daher den Journalisten Abbitte leisten, die ich als zu mainstreamverhaftet und undifferenziert gesehen habe. Ich habe nicht in ihren Schuhen gestanden.

Da bin ich als kleiner Blogger in einer anderen Situation. Niemand erwartet von mir Sprachrohrfunktion für "die" deutsche Haltung gegenüber einem Problem.

Dies gesagt, darf ich mich vielleicht getrauen, eine kleine Kritik an Bascha Mikas Formulierung anzubringen. Freiheit ist dazu da, genutzt zu werden, nur so kann man sie verteidigen.
Sie "auszureizen" aber ist problematisch., denn Freiheit geht immer nur so weit, wie sie die Freiheit des anderen nicht einschränkt. Auch Meinungsfreiheit.
Natürlich muss journalistische Freiheit davor geschützt werden, mit restriktiven Regeln des "Anstands" atomisiert zu werden. Aber dennoch geht es immer darum, wofür die Freiheit genutzt wird. Wenn sie nur gölte, wenn sie bis aufs äußerste ausgereizt würde, dann wäre empathischer Umgang stets mit dem Odium der Servilität behaftet. ("Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.")

Inzwischen (13.1.) möchte ich meine Argumentation durch Folgendes ergänzen:

"Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen."*


Nach allem, was ich über die islamkritischen Karikaturen in "Charlie Hebdo" weiß, widersprechen sie fundamental dem, was ich über den Islam zu sagen hätte. Aber:

wer "Charlie Hebdo" einschüchtern will, der findet mich auf Charlies Seite
Es gibt kein allgemeines Recht auf Blasphemie, weil Blasphemie nicht selten geeignet ist, religiösen Hass zu verbreiten. Aber das Recht auf freie Meinungsäußerung bleibt bestehen.* 
Dafür sollten alle Demokraten eintreten, und deshalb ist die Pariser Demonstration mit etwa 1,5 Millionen Teilnehmern so wichtig gewesen. (Auch die parallele Demonstration von etwa 50 Staatsoberhäuptern bzw. Regierungschefs).
* Der Satz stammt nicht von Voltaire, ist aber geprägt worden. um seine allgemeine Haltung zur Meinungsfreiheit zu kennzeichnen.
* Freilich sind  gerechtfertigter Gebrauch und Missbrauch nicht leicht zu unterscheiden.   §166 StgB geht mit seinem Schutz religiöser Bekenntnisse etwas über die internationalen Normen hinaus. 

Samstag, 10. Januar 2015

kindliche Redefreiheit

"Kinder haben eine andere Perspektive als Erwachsene: Sie verstehen noch nicht die komplizierten Regeln, dass etwas vor manchen Personen okay ist und vor anderen nicht."
Schuhrke und Kollegen hatten vor mehreren Jahren in einer Studie 41 Familien befragt und dabei gesehen, dass Kinder zwischen vier und sieben Jahren ein Gefühl von Selbstscham entwickeln, etwa was die eigene Nacktheit oder Toilettengänge angeht.
"Nachdem sie diese Selbstscham entwickelt haben, kommt auch noch etwas dazu, das wir die Fähigkeit zur Fremdscham nennen, also sich stellvertretend für andere zu schämen, aber auch Rücksicht auf andere zu nehmen." Diese Fähigkeit beginne etwa im Vorschulalter. (Das Leiden der Eltern an ehrlichen Kinderworten, 9.1.15)
"Rücksicht auf andere zu nehmen", das darf man von Kindern erst fordern, wenn sie es können.

Da gibt es eine Parallele zur Satire (vgl. mein voriger Beitrag): Wenn es keine anderen Mittel gibt, sich gegen Unterdrückung zu wehren, darf Satire alles. Aber solange es andere Möglichkeiten gibt, gilt Verhältnismäßigkeit der Mittel.

Satire darf alles ...

Satire darf alles, schrieb Tucholsky und hatte Recht. 
Er dachte an Satire gegen die Mächtigen, nicht an verbales Mobbing von Schwachen.

Unter der Herrschaft einer Diktatur der Muslimbrüderschaft oder eines Mullahregimes darf Satire alles. (Erfolgreich wird sie freilich nur sein, wenn sie berücksichtigt, an wen sie sich richtet.)

Satirische Darstellung von Juden im Stürmer durfte aus Sicht der Nazis wirklich alles, aus Tucholskys Sicht gewiss nicht.

Der Geist, der im Ersten Weltkriege die Feindbilder schuf, war auch im Sinne der Herrschenden und daher nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Den hat Tucholsky aber auch nicht gemeint.

Was Tucholsky mit Sicherheit - zumindest auch - vor Augen stand, war die Schrift Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn eine Satire auf Kaiser Wilhelm II. des Historikers und späteren Friedensnobelpreisträgers Ludwig Quidde von 1894, die Quidde eine dreimonatige Haft wegen Majestätsbeleidigung und das Ende seiner Karriere als Historiker einbrachte.

Heute darf man bei uns "Majestäten" beleidigen, nicht aber Personen. Mobbing von Benachteiligten ist keine Satire.

Ein Karikaturist zeichnet ein Comic über Satire.

Satirespiegel 14.1.15 

Freitag, 9. Januar 2015

Für freie Presse und gegen Meinungsmanipulation

Sigmar Gabriel schreibt:
"Die Mörder greifen unsere Werte an – und sie wollen einen Keil in unsere Gesellschaft treiben. In Deutschland, ebenso wie in Frankreich und in anderen Ländern wird es auch Populisten geben, die jetzt die grausamen Taten als Bestätigung von Ressentiments, etwa gegenüber Flüchtlingen oder gegenüber dem Islam, missbrauchen wollen. 
Wir stellen uns dem entgegen: gegen alle, die unsere freie und offene Gesellschaft attackieren.
Darum meine Bitte: Sei dabei, wenn in Deiner Nähe am kommenden Montag eine NoPegida-Demonstration stattfindet. Es ist jetzt wichtiger denn je, den Rechtspopulisten nicht das Feld zu überlassen. " 
Mit diesem Argument versucht er, mir einzureden, ich müsste, weil Islamkritiker ermordet worden sind, gegen Islamkritiker sein. Nur so könnte ich zeigen, dass ich für eine offene Gesellschaft bin.
Solcher Argumentation vermag ich nicht zu folgen. 

Ich bin für Meinungsfreiheit und gegen überzogene Kritik am Islam. 
Wegen der Meinungsfreiheit darf ich gegen Islamkritiker argumentieren und demonstrieren. Wenn Islamkritik menschenverachtende Züge zeigt, kann ich die Vertreter dieser Richtung wegen Volksverhetzung anzeigen. Freilich gibt die Meinungsfreiheit ihnen einen großen Spielraum, weit über das Maß hinaus, was ich für akzeptabel halte.  Das gibt mir freilich kein Recht auf Gewaltanwendung gegen Islamkritiker, geschweige ein Recht, sie zu töten.

Wer eine solche Gewalttat ablehnt und deshalb seine Islamkritik weiter verschärft, hat eher mehr Verständnis von mir als weniger. 

Ich bin aber weiter gegen überzogene Islamkritik und weiter gegen Pegida, weil sie Menschen dazu manipulieren, Schwächere auszugrenzen und zu diskriminieren.

Weil ich gegen solche Manipulation bin, bin ich gegen Gabriels Argumentation. Es gibt viele Gründe, gegen Pegida zu sein. Der Anschlag auf das Pariser Satiremagazin ist keiner.  (Diese Ansicht habe ich inzwischen geändert, aber nicht aufgrund von Gabriels Argumentation, 13.1.15)

Kritik an meiner Argumentation ist erwünscht. Ich selbst hoffe, dass ich sie noch verbessern kann. 


Inzwischen (13.1.) habe ich gemerkt, welcher Satz mir fehlte und weshalb gerade in der gegenwärtigen Situation die Kritik an Pegida verstärkt werden sollte:

"Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen."*

Nach allem, was ich über die islamkritischen Karikaturen in "Charlie Hebdo" weiß, widersprechen sie fundamental dem, was ich über den Islam zu sagen hätte. Aber:
wer "Charlie Hebdo" einschüchtern will, der findet mich auf Charlies Seite
Es gibt kein allgemeines Recht auf Blasphemie, weil Blasphemie nicht selten geeignet ist, religiösen Hass zu verbreiten. Aber das Recht auf freie Meinungsäußerung bleibt bestehen.* 
Dafür sollten alle Demokraten eintreten, und deshalb ist die Pariser Demonstration mit etwa 1,5 Millionen Teilnehmern so wichtig gewesen. (Auch die parallele Demonstration von etwa 50 Staatsoberhäuptern bzw. Regierungschefs).

Zurück zu meinem Text vom 9.1.: Gabriel hat  eine allgemeine Solidarisierung mit einer Demonstration, die der Zentralrat der Muslime plant, angeregt:
Ihm schwebt eine partei- und religionsübergreifende Groß-Kundgebung vor – für ein Zusammenleben ohne Vorurteile und gegen Pegida, die der SPD-Vorsitzende allerdings im Brief nicht beim Namen nannte. So könnten die unterschiedlichen Akteure zeigen, "dass es ein mächtiges Band zwischen den unterschiedlichen Teilen unserer Gesellschaft gibt und das weit über unser Land hinausreicht" (ZEIT online, 9.1.15)
Moskau zu Charlie Hebdo: Bedrohung Europas kommt nicht aus Russland, 8.1.15

Nato: Anschlag von Paris ist Angriff auf Werte der Nato-Partner, 8.1.15
Nach dem Anschlag in Paris hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Bündnispartner zu mehr Kooperation im Kampf gegen den Terrorismus aufgerufen. Der Angriff auf Werte wie Presse- und Meinungsfreiheit und eine offene Gesellschaft “unterstreicht die Bedeutung noch engerer Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Terrorismus in all seinen Formen”, sagte er am Donnerstag am Rande der CSU-Klausurtagung im bayerischen Wildbad Kreuth. “Wir müssen das auf viele unterschiedliche Arten tun.” Als Beispiele nannte er Polizei und Geheimdienste. Auch Russland als größter Nachbar in Europa und die Nato müssten bei wichtigen Themen wie der Terrorbekämpfung zusammenarbeiten. Dies habe man bereits viele Jahre getan.
* Der Satz stammt nicht von Voltaire, ist aber geprägt worden. um seine allgemeine Haltung zur Meinungsfreiheit zu kennzeichnen.
* Freilich sind  gerechtfertigter Gebrauch und Missbrauch nicht leicht zu unterscheiden.  §166 StgB geht mit seinem Schutz religiöser Bekenntnisse etwas über die internationalen Normen hinaus. 

Mittwoch, 7. Januar 2015

Links

Mathew D. Rose: It is Not a Eurozone Crisis, but a European Union Crisis  naked capitalism 6.1.15
TTIP alles Käse, Nachdenkseiten

TTIP: EU veröffentlicht jetzt bisher geheim gehaltene Papiere - ein erster Schritt?

TTIP: Die Geheimniskrämerei hat ein Ende – hoffentlich, ZEIT online, 7.1.15
Die wachsende Kritik an TTIP zeigt Wirkung: Die EU-Kommission veröffentlicht eine Reihe geheimer Dokumente. Damit kann eine echte Debatte über das Abkommen beginnen. KOMMENTAR VON PETRA PINZLER mehr

TTIP-Vorschlag: Industrielobby soll Gesetzesvorhaben vorab auf Marktkonformität prüfen können

A report published today by watchdog Corporate Europe Observatory “Regulation - none of our business?” exposes the leaked Commission document and how it proposes to set up a “Regulatory Cooperation Council” which would assess existing and future regulations on both sides of the Atlantic to ensure that they are 'compatible' and do not undermine business interests. Business will be involved from the beginning of the process, well before any public and democratic debate takes place, and will have excellent opportunities to oppose important initiatives to improve food standards or protect consumers. (Leaked proposal for EU-US trade deal increases business power in decision-making, 16.12.2013)
Ich zweifle, dass diese Meldung von 2013 schon allgemein wahrgenommen und in ihrer Bedeutung berücksichtigt worden ist.

Konformismus an Eliteunis: Macht Harvard dumm?


Osterhammel über Bürgertum

"Das Bürgertum als Schicht oder Klasse entzieht sich dem definitorischen Zugriff." (S.1080)
"Der Bürger will gestalten und organisieren, er hat einen hohen Begriff von seiner Verantwortung und will [...] mithelfen, dem gesellschaftlichen Leben eine Richtung zu geben." (S.1081)

Hartmut Kaelble schlägt vor, "zwischen einem bürgerlichen Milieu im engeren Sinne, d.h. der 'oberen Mittelschicht', und einem kleinbürgerlichen Milieu zu differenzieren." (S.1083)
"Das Kleinbürgertum war eine besonders wenig internationale Schicht" (S.1083)

"Der Kleinbürger hat nicht den Ehrgeiz, Urheber und Träger einer überlegenen Kultur zu sein. Daher investiert er nicht viel von seinem kulturellen Kapital in Bildung, hat ein pragmatisches Verhältnis zu ihr, insofern sie - eher als Ausbildung - den Nachkommen nutzen* könnte. Kleinbürger sind freilich zu politischem Kollektivhandeln fähig. Wenn sie wichtige Kanäle der gesellschaftlichen Zirkulation kontrollieren, können sie mehr Macht ausüben als mancher Industriekapitän. Streiks von Basarkaufleuten oder Boykotte durch Kleinhändler in chinesischen Hafenstädten haben immer wieder politischen Druck erzeugt." (S.1084)
"Die große internationale Erfahrung von Kleinbürgern war der Krieg." (S.1084)
"Statt wie der Adlige auf die Ehre achtet der typische Bürger auf Respektabilität" ("Sorge um den guten Ruf") (S.1085)
Die "wirtschaftliche Ausdrucksform [der Respektabilität] ist die Kreditwürdigkeit" (S.1085) [Wer bei der Schufa in Ungnade geraten ist, verliert Status wie der Höfling am absolutistischen Hof. (zugegebenermaßen nur tendenziell)]
Im 19. Jahrhundert gilt: "Ein Bürger ist, wessen Frau und Töchter den Erwerb in fremden Diensten nicht nötig haben." (S.1085) [Das gilt für den davon von Osterhammel abgrenzend beschriebenen Kleinbürger nur bedingt.]
"Im 'bürgerlichen Zeitalter' bildeten Bürger von 'Besitz und Bildung' eine winzige Minderheit unter der Weltbevölkerung." (S.1086)

"Nirgendwo sonst als  in Westeuropa und den neo-europäischen Siedlergesellschaften scheint es die Vorstellung gegeben zu haben, die Mitte der sozialen Hierarchie könne dem gesellschaftlichen Ganzen ihre Ideale der Lebensführung aufprägen." (S.1087)


"Für autonome Systemer privater Marktregelung fehlten im 19. Jahrhundert im überwiegenden Teil der Erde die institutionellen Voraussetzungen.
Daher waren voll entwickelte 'bürgerliche Gesellschaften', zumal solche, in denen auch das politische System 'verbürgerlicht' war, auf der Welt sehr selten." (S.1090)

Quasi-Bürger
Außerhalb Europas gab es daher im wesentlichen nur "Quasi-Bürger" ohne politische Mitwirkung. "Nichteuropäische Quasi-Bürger übten seit Beginn des Handelskontakts mit Europa oft vermittelnde Komprador-Funktionen aus. [...]  Sie ermöglichten überhaupt erst den Austausch zwischen unterschiedlichen Geschäftskulturen, etwa der indischen oder chinesischen [...]  und der westlichen." (S.1091) 
"Emigrierte Chinesen waren [...]  in allen Ländern Südostasiens als kommerzielle [...] Geschäftsminderheiten zu finden. [...] In der niederländischen Kolnie Java war zu Beginn des 19. Jahrhunderts nahezu der gesamte Binnenhandel in chinesischer Hand. Die Kolonialmacht verließ sich bei der Ausbeutung der Insel fast ganz auf eine Minderheit". (S.1092) Diese Minderheit blieb "für das Kolonialsystem unentbehrlich". Der "russische Weizenexport  über Odessa in die USA [lag] zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Händen griechischer Kaufmannsfamilien, die vorwiegend von der Insel Chios stammten." (S.1092)
"Bürgerlichkeit in Asien und Afrika bedeutete seit dem späten 19. Jahrhundert [...] Anschluss an einen Prozess der 'Zivilisierung' der Sitten und Lebensformen zu finden." (S.1094) Politische Macht wurde nicht ernsthaft angestrebt. 
[...] "generell bedurfte es als Anstoß der Revolutionen des 20. Jahrhunderts (einschließlich der Dekolonisation nach 1945), um politische Räume für eine bürgerliche Politik der 'Zivilgesellschaft' zu öffnen." (S.1095)

Bildungsbürger
[...] der Bildungsbürger [...] war eine mitteleuropäische, ja eine deutsche Sonderentwicklung. [...] Das Bildungsbürgertum schuf sich in Deutschland, auf der Grundlage der neuhumanistischen Bildungsreform nach 1810 und vielfach auf dem Weg durch das protestantische Pfarrhaus, seinen eigenen Entfaltungsraum". (S.1096)
"In China entstand [...] kein politisch indifferentes oder quietistisches Bildungsbürgertum, sondern eine stark politisierte, auf die großen Städte konzentrierte Intelligenzschicht, aus der später fast alle Führer der kommunistischen Revolution hervorgingen. [...] Das europäische Bildungsbürgertum, selbst in seiner deutschen kulturprotestantischen Ausprägung, setzte die Aufklärung und Religionskritik voraus. (S.1097)
"Die große britische, deutsche, nordamerikanische und selbst belgische oder schweizerische Geschäftsbourgeoisie operierte um 1900 in Reichweiten, die jeder früheren Elite unvorstellbar gewesen wären." (S.1101)
"Neben die klassische bürgerliche Hochkultur und die entstehende Massenkultur trat um die Jahrhundertwende als dritte Position im kulturellen Feld die Avantgarde hinzu."(S.1102)
"Der klassische Bürger ist ein Stadtmensch, kein Vorortbewohner." (S.1102)
Die Krise des Bürgertums "ging in die gewaltige Expansion von Mittelklassengesellschaften nach 1950 über, die das Tugend- und Respektabilitätsdenken des 'klassischen' Bürgertums durch Konsumorientierung ersetzten." (S.1103)

 Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt, Frankfurt 2009

*Der ehemalige Yale-Professor William Deresiewicz unterstellt, dass auch in der oberen Mittelschicht inzwischen die Statusängste so groß sind, dass selbst an den amerikanischen Eliteunis  der Nutzen der Ausbildung wichtiger genommen wird als Bildung und dass deshalb dort ein ungesunder Konformismus entstehe. Mehr dazu

Literatur:
Franco Moretti: Der Bourgeois,  dt. Berlin 2014, engl.2013
(https://en.wikipedia.org/wiki/Franco_Moretti)
Simon SchamaDer zaudernde Citoyen (1989)

Magenta: Telekom und FDP

So wie die gelbe Post sich in ihrem technologisch fortgeschritteneren Teil in die Telekom in Magenta transformierte, so will die blaugelbe FDP zur moderneren liberalen Partei werden.
Das Problem scheint zu sein, dass inzwischen dort alle Positionen besetzt sind. Besonders SPD (Agenda 2010) und Grüne (Investitionsklima statt Klimaschutz) bemühen sich, neoliberal aufzutreten. Alle freilich im Schatten von Mutter Merkel, die es im Gegensatz zu ihrer konservativ orientierten Partei versteht, sozialdemokratische, ökologische und neoliberale Positionen gleichzeitig besetzt zu halten.
Zur FDP vgl. FDP: Magenta – der letzte Versuch, ZEIT online 6.1.15

Sonntag, 4. Januar 2015

Ulrich Beck

Er wollte wirken und das auch politisch (http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/ulrich-beck-sennett-sassen-leggewie-gilroy-hitzler-gedenken-a-1011146.html)

Er lebte, was er lehrte (http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-01/ulrich-beck-nachruf/komplettansicht)


Schlagwort Ulrich Beck: ZEIT, Spiegel,

Der 4.1. ist Braille-Tag auch 2015

Die Brailleschrift - auch Punktschrift oder Blindenschrift genannt - besteht aus Punktmustern, die, von hinten in das Papier gepresst, mit den Fingerspitzen als Erhöhungen zu ertasten sind. Damit kann ein blinder Mensch diese Punktschrift in einem ähnlichen Tempo lesen wie ein sehender Mensch.

Zum Braille-Tag 2014 schrieb ein Blinder in seinem Blog Braille wird Kult
Meine eigene Haltung dazu [zur Brailleschrift] hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Hörbücher sind zwar eine feine Sache, aber ein Buch selbst zu lesen, ist doch was anderes. Sich Codezeilen oder mathematische Formeln vorlesen zu lassen ist ein reiner Albtraum, weil man oft den Anfang vergisst, wenn man am Ende angekommen ist. Die Orthographie mit der Sprachausgabe zu kontrollieren ist schwierig und meiner persönlichen Meinung nach nicht vernünftig machbar.
Allerdings habe ich mich geirrt, Braille kehrt immer mehr in unseren Alltag ein und zurück. So gibt es mittlerweile zahlreiche Medikamente mit Braillebeschriftung. [...] Dass Braille die Inklusion fördert zeigt die Hybrid-Braille-Schrift, die es blinden und sehenden Kindern ermöglicht, die gleichen Bücher zu lesen. Und es gibt sogar einen Comic für Sehende und Blinde.
 Natürlich gibt es ein Zuviel an Spezialtagen, wenn man sich vornimmt, sie alle wahrzunehmen. 
Aber es gibt Themen, an die man kaum oft genug erinnern kann und die wir normalerweise zu Unrecht nicht auf dem Schirm haben. Dazu gehörte viele Jahre lang das Thema Flüchtlinge, bis Papst Franziskus 2013 in Lampedusa medienwirksam darauf hingewiesen hat. Den Weltflüchtlingstag gibt es unter dem Namen Welttag des Migranten und Flüchtlings seit dem 19. Januar 1914. Das hat dem Thema nicht entscheidend geholfen, aber es gab wenigstens jährlich einen kleinen Anstoß. So soll es heute mit Brailleschrift sein. 
Das Thema Flüchtlinge ist weltweit wichtiger als das Thema deutsche Einheit. Wir werden freilich nie einen Grund haben, einen Feiertag dazu zu veranstalten. Schön wäre es schon, wenn es nicht mehr nur ein Thema wäre, bei dem die EU zu Recht an den Pranger gestellt wird. (FluchtabwehrAsylpolitik der Europäischen Union)

Da ich schon dabei bin, auf andere wichtige Themen hinzuweisen: Das Trade in Services Agreement sollte als heimlich verhandelt und beinah noch gefährlicher als TTIP unserer Aufmerksamkeit nicht entgehen. Ich habe dazu am 28.12.14 geschrieben

mehr zu Braille:
http://blog.zeit.de/stufenlos/2015/01/04/mit-punk%C2%ADten-zu-mehr-chancengleichheit/

Samstag, 3. Januar 2015

Die Erbschaftssteuer ist die gerechteste Steuer, aber ...

Selbst die Korrekturforderungen des Verfassungsgerichtes berücksichtigt würden, wäre sie noch zu gering.
So sehen es Niejahr und Schieritz in ihrem Artikel "Weder einfach noch gerecht" in der ZEIT Nr.52  vom 17.12.2014

vgl. dazu auch Piketty, der eine massive Erbschaftssteuer befürwortet. ERBSCHAFTSTEUER Hört auf zu jammern! ZEIT Nr.25 18.6.15, S.21
"Warum beschweren sich Unternehmer über die geplante Reform der Erbschaftsteuer? Sie kommen immer noch so gut weg, dass es einer Leistungsgesellschaft unwürdig ist"

Donnerstag, 1. Januar 2015

Kopftuchträgerinnen und Femen

Politisch engagiert junge Frauen wollen die Mainstreamgesellschaft in eine tolerantere transformieren.
Die einen als Kopftuchträgerinnen, die anderen bei Femen.

Cigdem Akyol: FRAUENRECHTE: Femen-Aktivistinnen und Musliminnen reden nicht miteinander, ZEIT online 16.7.2013 

"Engagierte Musliminnen fühlen sich von Femen missverstanden. Nun provozieren sich die Frauengruppen gegenseitig. Dabei haben sie viel gemeinsam.
Betül Ulusoy sagt, das Stück Stoff sei ein Teil ihrer Identität. Als Kind empfand die Jurastudentin ihr Kopftuch als ein Symbol des Erwachsenwerdens. "Und heute unterstützt es meinen Charakter", sagt die 24-jährige Deutschtürkin aus Berlin, die selbstbewusst und nachdenklich wirkt. 
Alexandra Schewtschenko glaubt nicht an solche Aussagen. Für die 25-jährige Ukrainerin ist Ulusoy eine Sklavin. Sie möchte sie von der stoffgewordenen Religionsfolter befreien. "Denn das Kopftuch ist vergleichbar mit einem Konzentrationslager", sagt sie in einem Berliner Café. Schewtschenko ist Mitbegründerin der Feministinnengruppe Femen, die weltweit barbusig für Frauenrechte und gegen Sexismus protestiert."

Feminismus: Die neuen Nackten, ZEIT online, 3.3.2012

 Für Femen-Aktivistinnen gibt es anscheinend keinen Weg zurück. ZEIT online, 1.1.2015.  "