Dienstag, 5. Februar 2013

Schavans Promotion

Ohne den Text von Schavans Promotion und ohne auch nur eine der kritisierten Stellen zu kennen, habe ich aufgrund meiner Kenntnis des damaligen Wissenschaftsbetriebs angenommen, dass die Kritik an ihrer Arbeit überzogen ist.

Jetzt kenne ich die Begründung für die Aberkennung des Doktortitels und das Abstimmungsergebnis und hätte Lust mir ein eigenes Urteil zu bilden. In der Begündung heißt es u.a.:
Der Fakultätsrat hat sich nach dieser grundsätzlichen Klärung in seinen Beratungen nach gründlicher Prüfung und Diskussion abschließend die Bewertung des Promotionsausschusses zu eigen gemacht, dass in der Dissertation von Frau Schavan in bedeutendem Umfang nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte zu finden sind. Die Häufung und Konstruktion dieser wörtlichen Übernahmen, auch die Nichterwähnung von Literaturtiteln in Fußnoten oder sogar im Literaturverzeichnis ergeben der Überzeugung des Fakultätsrats nach das Gesamtbild, dass die damalige Doktorandin systematisch und vorsätzlich über die gesamte Dissertation verteilt gedankliche Leistungen vorgab, die sie in Wirklichkeit nicht selbst erbracht hatte. Die Entgegnungen von Frau Schavan konnten dieses Bild nicht entkräften. Daher hat der Fakultätsrat Tatbestand einer vorsätzlichen Täuschung durch Plagiat festgestellt. 
Das Abstimmungsergebnis war: 13 Ja-Stimmen und 2 Enthaltungen. Spiegel online

In den 60er und 70er Jahren haben wir uns gelegentlich auf Zitierverfahren höchst honoriger Professoren aufmerksam gemacht, die wir nicht korrekt fanden. Als Plagiat hätten wir so etwas nicht bezeichnet, allenfalls das Zitieren aus studentischen Arbeiten ohne den leisesten Hinweis, dass in dem vorliegenden Kontext ein Seminar, Staatsarbeiten o.a. auf das vorgelegte Ergebnis einen Einfluss gehabt haben könnten.
Deswegen würde es mich in der Tat interessieren, was die Grundlage für so ein energisches Urteil war.
Ergänzungen vom 8.2.:
1) Im Zusammenhang mit einem Artikel über die Plagiatsaffären bringt die Süddeutsche Zeitung jetzt Passagen, die der Gutachter kritisiert haben soll. In einer dieser Passagen weist Schavan fortlaufend daraufhin, dass sie Luhmann referiert. Das war damals ein gängiges Verfahren. Einzelne Wörter des referierten Textes als Zitat zu kennzeichnen, behindert den Lesefluss enorm. Dagegen hat man vom Autor geprägte Fachtermini in einer referierenden Passage allerdings sehr wohl durch Anführungszeichen hervorgehoben.
Andere Passagen sind dagegen in der Tat kritikwürdig. So hat sie Quellen nicht etwa nur nach der Sekundärliteratur zitiert, sondern als Zitat aus dieser Sekundärliteratur bezeichnet.
Auf S.135 der Dissertation referiert sie sogar eindeutig Piaget mit Baldwins Worten (Plagiat). Zwar zitiert sie mit der nächsten Anmerkung Baldwin selbst, doch ohne den dauerden Parallelvergleich mit dessen Text kann man das Referat zu Piaget nicht als Baldwins Wortlaut erkennen.
2) Umfrage der ZEIT: 60 % für Schavans Rücktritt. Wie viele davon kennen die Basis der Fakultätsentscheidung? Ich jedenfalls nur unvollständig. Das, was ich kenne, freilich überzeugt mich nicht. Dazu eine Bemerkung, die ich von Philipp Schmidt von MIT Media Lab gehört habe: "Abschlüsse werden weniger interessant als die Arbeitsbiographie" (natürlich nicht wörtlich zitiert. Nachzuhören: hier

Ergänzung vom 7.2.13:
Für falsch halte ich in jedem Fall die Skandalisierung, die hier - schon wieder einmal - stattfindet. Obwohl der Fall Schavan durchaus kompliziert ist, wird einmal im Brustton der Überzeugung gefordert, Schavan müsse zurücktreten, selbst, wenn ihr der Doktortitel zu Unrecht aberkannt worden sein sollte, und andererseits verkündet, der Fall Schavan sei eine Schande für die Universität Düsseldorf, weil man in diesem Fall kein Sonderrecht geschaffen, sondern einfach das übliche Verfahren angewendet habe.

Dass die Öffentlichkeit und damit auch die mit dem Internet wenig vertrauten Professoren durch den Fall Guttenberg dafür sensibilisiert worden sind, wie leicht mit den heutigen technischen Möglichkeiten Plagiate möglich sind, dass sie aber auch mit zumutbarem Aufwand entdeckt werden können, war höchste Zeit.
Die Gefahr, dass Promotionen als Qualifikationsnachweis entwertet werden könnten, war zu groß.
Und wenn ein Politiker am Anfang einer steilen Karriere so hartnäckig einen schweren Fall von Plagiat leugnet, dann müssen das politische System, die Wissenschaftsöffentlichkeit und die öffentliche Meinung dafür sorgen, dass er damit nicht durchkommt.
Unsere Gesellschaft kann aber kein Interesse daran haben, dass alle Promotionen der 60er, 70er und 80er Jahre daraufhin untersucht werden, ob überall die damals gültigen Standards eingehalten wurden. An dem damaligen wissenschaftlichen Standard ändert sich dadurch nichts. Und wenn Politiker zukünftig nicht mehr über Korruption oder weniger eindeutige Anpassung an wirtschaftliche Interessen einer zahlungskräftigen Minderheit mehr stürzen können, sondern die Tatsache, ob sie vor Jahrzehnten eine fragwürdige Promotion verfasst haben oder nicht, viel schwerer wiegt, läuft etwas falsch.

Ich weiß nicht, ob Frau Schavan der Doktortitel zu recht aberkannt wurde, und ich bin der Überzeugung, dass eine Ministerin, der durch alle Instanzen nachgewiesen worden ist, dass sie bei allen vorliegenden wissenschaftlichen Qualifikationsnachweisen betrogen hat, nicht als Wissenschaftsministerin geeignet ist.

Mich stört aber erheblich, dass in der Öffentlichkeit von beiden Seiten so argumentiert wird, als ob der Fall klar zutage liege.
Freilich stört mich weit mehr, wie perfekt es in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik gelungen ist, zu verdrängen, wie groß die Gefahren des menschengemachten Klimanwandels sind und vergleichsweise kostengünstig die Maßnahmen ihn einzudämmen noch sind. Nur noch sehr kurze Zeit (vgl. 2052).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen