Mittwoch, 30. März 2022

Jüdische, russischsprachige Frauen über den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine

Elina Schkolnik, 27 Jahre alt, Schauspielerin, in Berlin geboren, Eltern aus Odessa (Ukraine)

Mit viel Sorge beobachte ich die Situation in der Ukraine. Mein Blick fährt dabei hin und her zwischen den Ereignissen dort und dem Befinden meiner Eltern hier. Einige Freunde und Verwandte wohnen noch in ihrer Heimatstadt. Die Angespanntheit in den Gesichtern meiner Eltern ist leider täglich zu sehen, und mein Vater vertieft sich in viele Nachrichtenseiten, Liveticker und Telegram-Hilfegruppen. Ich fühle mich meist hilf- und machtlos, würde gerne mehr tun als Spenden und Demonstrieren. Gleichzeitig bin ich auch sehr stolz auf meine Freunde, ukrainische und nicht-ukrainische, die seit Kriegsbeginn Geflüchtete bei sich aufnehmen, Nahrung und andere Hilfsmittel an die Grenze bringen und große Solidarität zeigen. Mein Leben lang wurde ich von dem größten Privileg des Friedens begleitet, das für mich eine Selbstverständlichkeit war und nie hinterfragt werden musste, auch, wenn ich die vielen Geschichten meiner Familie über den Zweiten Weltkrieg kenne. Mein Urgroßvater ist an der Front gestorben, meine Urgroßmutter hat gedient, mein Großvater in Deutschland gekämpft. Ein Teil meiner Familie väterlicherseits wurde von Nazis an Gräben in der Ukraine erschossen. Nun ist dieser hart erkämpfte und für unbesiegbar geglaubte Frieden in Europa vorbei. Die Nachricht über die Bombardierung in der Nähe der Gedenkstätte Babyn Jar löst in mir absolute Sprachlosigkeit aus. Wenn so etwas als nebensächliche Handlung geschehen kann, als etwas, das nur ein winziges Ausmaß dieses Krieges ist, dann muss die Welt aus den Fugen geraten sein.

 Alexandra Kobzev, 31 Jahre alt, Umweltingenieurin aus München, in Taschkent (Usbekistan) geboren, seit 1998 mit ihrer Familie in Deutschland

Man könnte meinen, dass mich der russisch-ukrainische Krieg nur entfernt, wie eine Beobachterin, betrifft. Ich selbst komme nicht aus der Ukraine und bin in Deutschland aufgewachsen. Jedoch habe ich erst kürzlich entdeckt, dass ein Großteil meiner Vorfahren aus der Ukraine stammt und aus diversen Gründen, sei es Verfolgung oder die Suche nach einem besseren Leben, weggezogen ist.

Aber nicht das allein versetzt mich in einen Zustand völliger Hilflosigkeit. Nicht untypisch für Jüdinnen und Juden, sind meine Verwandten auf der ganzen Welt verteilt. Mein Onkel beispielsweise, der in Moskau lebt, kann seine 90-jährige Mutter in den USA nicht besuchen, weil er mit seinem russischen Pass kein Visum mehr bekommt. Oder meine geliebte Großmutter, die in Taschkent lebt und vom russischen Staatsfernsehen mittlerweile völlig „zombifiziert“ ist, sodass jedes Gespräch zur großen Herausforderung wird. Hinzu kommen tausende ukrainische Flüchtlinge, die hier Schutz suchen und denen man trotz eifrigem Aktivismus den Schmerz und die Ohnmacht nicht nehmen kann. Dieser unnötige Krieg hat nur Verlierer und betrifft uns alle. Es ist mir völlig unverständlich, wie im einundzwanzigsten Jahrhundert ein Krieg mitten in Europa ausbrechen kann, und ich sehe eine Analogie zum Nationalsozialismus und der ewig gestellten Schuldfrage. Denn Russland steht gerade am Wendepunkt. In solchen Zeiten muss man Stellung beziehen und laut werden. Ich kann nur wiederholen, was Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, gesagt hat: „Geschichte darf sich nicht wiederholen!“ (etwa ab Minute 21)

 https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/506470/stimmen-russischsprachiger-juedinnen-in-deutschland-zum-krieg-in-der-ukraine/?pk_campaign=nl2022-03-30&pk_kwd=506470

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