Dienstag, 4. Juni 2019

Bösch: Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann

Frank Bösch: Zeitenwende 1979 (Rezensionen in Perlentaucher)

Thatchers Wahl und die Gründung der Grünen, S.269ff
"Thatcher und Reagan veränderten den [...] Konservatismus, indem sie ihn von seiner paternalistischen sozialen Verantwortung abrückten, zugunsten einer Förderung individueller Interessen, die das Allgemeinwohl steigern sollten." (S.279)

Vereinfachend gesagt: Von den Möglichkeiten der Regierung Steuern erheben und subventionieren sowie verbieten und erlauben entschieden sie sich dafür, die Unternehmenssteuern zu senken und manche Industrien zu subventionieren sowie das Streikrecht einzuschränken und den Unternehmen mehr zu erlauben.


"Gewählt wurde Thatcher zudem, weil sie für eine stärkere Bekämpfung der Kriminalität und die Begrenzung des Zuzugs von Ausländern eintrat. [...] In den Umfragen fiel Thatchers Partei nun auf Platz drei hinter Labour und die Liberalen, und die Beliebtheitswerte der Iron Lady waren im Keller. Als ihr größter Erfolg galt in den ersten Jahren, dass sie bei einer Geiselnahme in der iranischen Botschaft in London Härte und Entschlusskraft gezeigt hatte und sofort eine polizeiliche Erstürmung durchführte. Daran knüpfte Thatcher im großen Stil an, als sie einen Kriegseinsatz gegen Argentinien zur Verteidigung der britischen Falklandinseln startete und der rasche Sieg eine patriotische Begeisterung auslöst gibt, die die schlechte ökonomische Lage übertünchte. Nur mit Glück verbesserten sich die Wirtschaftsdaten kurz vor der Wahl 1983, wodurch ihre Wiederwahl gelang." (Zeitenwende 1979, S.280/281)

Wird Bolsonaro ein Wiedergänger Maggies? Oder doch eher Hitlers? Er könnte seine Entschlusskraft beweisen, indem er den Regenwald der Industrie überlässt.

FDP und Grüne: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

"So war die FDP die erste Partei, die Anfang der 1970-er Jahre den Umweltschutz als politisches Thema entdeckt hatte" (S.298)
"Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen" hieß es in der Freiburger Thesen 1971.
"Grundsätzlich hatten "Neoliberale" und "Ökos" natürlich ein unterschiedliches Verhältnis zur Rolle des Staates. Grüne Parteien vertrauten auf den Staat beim Umbau der Gesellschaft, bei der Schaffung einer ökologischen Wirtschaft [...] Allerdings zeichnete sich auch das alternative Milieu durch eine gewisse Distanz zum Staat und zu staatsnahen Institutionen aus.Der Staat galt als kontrollierende Instanz, als ein "Überwachungsstaat", zu dem ein kritischer Abstand durch Betonung von Eigeninitiative und Schutz der Privatsphäre gesucht wurde. [...]
In den 1990er-Jahren, nach Etablierung der Grünen, war der prozentuale Anteil von Selbstständigen bei den Grünen Parteimitgliedern zwar geringer als bei der FDP, aber mit 14 Prozent noch doppelt so hoch wie bei den Sozialdemokraten. " (S.299)
"In einst liberal dominierten Städten wie Tübingen, Freiburg, Marburg oder Göttingen erreichten die Grünen rasch zweistellige Ergebnisse, dann zum Teil über 20 Prozent" (S.300) 
"Das Aufkommen des Neoliberalismus und der Öko-Bewegung war eng mit der Erfahrung der Globalisierung verbunden. In den 1900 siebziger Jahren wurde deutlich erfahrbar, dass weder Energie- und Umweltprobleme noch Finanz- und Wirtschaftskrisen an Grenzen haltmachten." (S.301)
 "Da beide Strömungen provokant, kompromisslos und konfliktorientiert auftraten, polarisierten sie entsprechend. Die Umgangsformen mit politischen Gegnern erreichten eine neue Stufe im Konfrontationsgrad und Freund-Feind-Denken. [...] Die als "Fundis" und "Realos" bezeichneten Flügel bekämpften sich in den 1980er-Jahren so nachdrücklich, dass eine Spaltung wie bei der FDP 1982 erwartbar war." (Seite 302/303)

Die zweite Ölkrise, S.305ff

Bösch führt aus, dass die Ölkrise von 1979 wesentlich zum Bankrott der DDR und damit zu Protesten und ihrem Ende geführt habe. 

"Wie sehr Energiefragen die Diplomatie bestimmten, zeigte sich ebenfalls nach der zweiten Ölkrise 1979. Trotz des zeitgleichen sowjetischen Einmarsches in Afghanistan und der Boykottmaßnahmen der USA entwickelte die Bundesrepublik das bislang mit Abstand größte Energiegeschäft mit der UDSSR. Das Kanzleramt tolerierte, dass führende Vertreter aus Energieunternehmen, Banken und Stahlkonzernen Anfang 1980 nach Moskau reisten, um Gespräche über die Gasverträge zu führen. [...] Der daraus entstehende Vertrag sah eine Verdopplung der künftigen sowjetischen Gaslieferungen vor, die wiederum mehr Exporte in die Sowjetunion ermöglichen sollte. [...] Die Sowjetunion war damit zunächst ein Gewinner der Ökrisen und bezog nun über die Hälfte ihrer Devisen aus den Öl- und Gasverkäufen. Dies ermöglichte Ende der 1970er-Jahre ihre Aufrüstung, ihre militärischen Einsätze oder auch ihr gesteigertes Engagement in Entwicklungsländern (S. 314/315)

"Die Ölkrisen beeinflussten auch die Ost-West-Beziehungen der anderen sozialistischen Staaten. Diese waren fast ausnahmslos von den günstigen sowjetischen Öl- und Gaslieferungen abhängig, deren Preise nun anstiegen. 1976 zahlte die DDR etwa die Hälfte des Weltmarktpreises, 1978 bereits Prozent. [...]
Denn selbst die relativ reiche DDR sa sich nun gezwungen, den Heizölverbrauch ab 1979 mit kostspieligen Umstellungen in nur fünf Jahren auf ein Viertel (!) zu senken – durch mehr Braunkohle, Gas und mehr Energiesparmaßnahmen. [...] Zudem hatte der Ausbau der maroden Braunkohlewerke fatale Konsequenzen für die Umwelt. All dies förderte den Unmut der Bevölkerung und schließlich auch den Protest.
Damit beeinflussten die Ölkrisen auch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Teilen Deutschlands – und schließlich auch die Krise der DDR." (S.316)


1974 verzichteten die Westdeutschen auf energieintensive Ausgaben wie Neuwagen und Fernreisen. Die Mehrheit der Bundesbürger war für ein Tempolimit. Leuchtreklamen wurden abgeschaltet. (S.310/11)
In der DDR wurde von 1979 bis 1984 der Heizölverbrauch "auf ein Viertel (!)" gesenkt. (S.316)
Der Hauptvertreter des Wirtschaftsliberalismus Graf Lambsdorff begrenzte die Raumtemperatur in seinem Ministerium und "ließ seinen Dienstwagen nur noch maximal 130 km/h fahren".
Es gab Anschlusszwang an Fernheizungen und große Erfolge bei der Wärmedämmung. (S.320)
Allgemein wurde die Energieeffizienz enorm erhöht. (S.323)
(Frank Bösch: Zeitenwende 1979 - DeutschlandfunkPerlentaucher)

In einer Situation, wo der Ölpreis anstieg, war es also auch Liberalen möglich, "Zwangsmaßnahmen" zu ergreifen. Heute geht es ja "nur" den Lebensraum von Hunderten von Millionen und die Gefahr entsprechender Flüchtlingsströme. Und es sind womöglich noch zehn Jahre Zeit. Da kann man mal Energieziele um 10 Jahre verschieben und alle eingreifenden Maßnahmen auf 2050 verschieben. 

Freilich, schon damals war das Sparen nicht nachhaltig. Sobald der Ölpreis nicht mehr stieg, setzten Reboundeffekte ein. 

Bessere Wärmedämmung -> größere Wohnungen
niedrigerer Benzinverbrauch pro Auto -> mehr Kraftfahrzeuge
der Schienenverkehr verlor an Bedeutung
"Die Verbrauchsintensität pro Kopf stieg bei Geräten zwischen 1960 und 1990 so fast um das Achtfache." (S.325)


Es ist bemerkenswert, "dass Produkte, die nach den Ölkrisen auf den Markt kamen – wie insbesondere Computer – bis heute kaum Kennzeichnungen zu ihrem Energieverbrauch tragen. Flug- und Internetverkehr stehen in stärksten Kontrast zu den Energiesparappellen. Neue Siegel zum fairen Handel und zum Gesundheits- und Umweltschutz überlagern Hinweise zum sparsamen Verbrauch." (S.332)

Der AKW-Unfall bei Harrisburg, S.333ff

Die Fernsehserie Holocaust
, S.363ff

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