"»Individuelle Berechtigung produziert soziale Unregierbarkeit.«
Dass wir Rechte haben, ist die große normative Idee der Moderne, deren Ausgestaltung seit den Revolutionen des 18. Jahrhunderts wirkmächtig ist. Die Proklamation subjektiver Rechte markierte die Geburtsstunde der bürgerlichen Gesellschaft, mit dem Liberalismus als ihrer dominanten Theorie. Sie schuf aber auch »die Berechtigung des egoistischen, vom Mitmenschen und vom Gemeinwesen abgesonderten Menschen«, wie Karl Marx bemerkte - und forcierte damit die Entpolitisierung der Politik. Daher, so Christoph Menke, bedarf es einer Kritik der Rechte.
Diese Kritik darf jedoch nicht, wie der Liberalismus, lediglich nach der Begründung und den Inhalten von Rechten fragen, sondern muss viel tiefer ansetzen, nämlich bei der Form, die die Idee der Rechte dem Wollen und Handeln gibt. Menke präsentiert eine solche Formanalyse im Anschluss an Marx, Weber, Luhmann und Foucault. Er zeigt, wie das moderne Recht mit dem klassischen Recht bricht, und arbeitet den entscheidenden Widerspruch heraus: Rechte sind das Medium einer radikalen Selbstreflexion der Normativität und zugleich derjenige Mechanismus, der die zwischen Ausbeutung und Normalisierung oszillierenden Herrschaftsverhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft hervorbringt. Diesen Widerspruch bis zu dem Punkt zuzuspitzen, an dem sich die Frage nach einem anderen Recht stellt, ist das Ziel dieses grundlegenden Buches."
(genialokal.de)
"Die bürgerliche, positivistische Form der Rationalisierung meint die Sicherung des Eigenwillens vor dem Zugriff Anderer und folgt damit, wie Menke im abschließenden Kapitel sagt, dem „Programm der Sicherung“ des Privaten vor dem Öffentlichen. Die nicht-institutionalisierbaren Gegenrechte brechen nun mit dieser Idee der Sicherung des Privaten. Die Gegenrechte sichern das Private, indem sie es transformieren. Das bezeichnet Menke als die „Vollzugsformen seiner dialektischen Selbstreflektion“ (406). Diesen Vollzug skizziert Menke in etwas martialischen Tönen als „gewaltsam“. Die Gegenrechte üben als transformatorische Kraft Gewalt auf ihr Anderes aus, allerdings, so schließt das Buch mit einem Lenin-Zitat, mit einer „Gewalt, die mit ihrer Ausübung ‚sofort […] beginnen wird abzusterben‘“ Sie sei die Gewalt der Befreiung. Vielleicht ließe sich dieser Punkt weniger martialisch ausdrücken: Das Gegenrecht fordert vom Subjekt der Urteilspraxis, die eigenen Rechte nicht als Tatsachen zu verstehen, die durch die normativer Ordnung gesichert werden, sondern zu lernen, die Offenheit ungesicherter sozialer Praxis auszuhalten. Wer auf die Unsicherheit sozialer Praxis mit dem Wunsch auf institutionelle Absicherung reagiert, verfehlt die Pointe der Gegenrechte." (Zeitschrift für philosophische Literatur 2016)
Möllers und Menke
" Christoph Möllers, [...] Berliner Jurist und Rechtsphilosoph sowie neuerdings Leibnizpreisträger hat im Herbst sein „Opus magnum“ (FAZ) über Die Möglichkeit der Normen vorgelegt, in dem er allerdings selbst einen nichtnormativen Ansatz verfolgt. Er fragt nicht – wie Moralphilosophen häufig –, wie der Inhalt oder die Wirkung von bestimmten Normen sein sollten, sondern zunächst einmal was eine Norm überhaupt ist: nämlich, so seine These, eine Weise, in der Welt zu ihr Distanz zu gewinnen und alternative Perspektiven aufzuzeigen. Mit seiner Begriffsarbeit will der Jurist Möllers „den Philosophen wie den Soziologen in die Suppe spucken“ (SZ), herausgekommen ist eine Art empirische Phänomenologie der Normen."
https://www.freitag.de/autoren/tom-wohlfarth/die-moeglichkeit-der-rechte
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