Freitag, 29. Dezember 2023

Ukrainer im Ministerium wegen Millionenbetrugs gefasst

FR 23.12.2023

 Die Vorwürfe der Ermittler wiegen schwer: Ein Beamter des Verteidigungsministeriums soll daran beteiligt gewesen sein, rund 36 Millionen Euro beim Einkauf von Munition für die Streitkräfte veruntreut zu haben.

Kiew - In der Ukraine ist ein Beamter des Verteidigungsministeriums wegen eines Betrugs in Millionenhöhe bei der Munitionsbeschaffung festgenommen worden. Der Mann soll daran beteiligt gewesen sein, 1,5 Milliarden Hrywna (rund 36 Millionen Euro) beim Einkauf von Artilleriemunition für die ukrainischen Streitkräfte veruntreut zu haben, wie die Ermittler in Kiew mitteilten. Die Generalstaatsanwaltschaft veröffentliche unkenntlich gemachte Fotos des Verdächtigen sowie von sichergestellten Beweisen. Nach Korruptionsskandalen in dem Ministerium war in diesem Jahr auch Verteidigungsminister Olexij Resnikow entlassen worden.

Der Beamte soll einen unvorteilhaften Vertrag zur Beschaffung von Munition für die ukrainischen Verteidiger in ihrem Kampf gegen den russischen Angriffskrieg abgeschlossen haben. Die Kosten des Einkaufs bei einem Exporteur sollen um 30 Prozent höher gelegen haben als bei einem direkten Einkauf beim Hersteller, der zudem kürzere Lieferzeiten hatte.

Die Streitkräfte an der Front verlangen immer wieder noch mehr und schnellere Munitionslieferungen, um die russischen Angriffe erfolgreich abwehren zu können. Das Land, das sich seit dem 24. Februar 2022 gegen die russische Invasion verteidigt, ist auf Milliardenhilfen des Westens angewiesen.

Bei einer Durchsuchung der Büroräume und der Wohnung des Beamten seien Dokumente sichergestellt worden, die die illegale Tätigkeit bestätigten, teilten die Ermittler zu dem bereits am Freitag bekannt gewordenen Fall weiter mit. Laut Verteidigungsministerium in Kiew werden Schritte unternommen, um die entwendeten 1,5 Milliarden Hrywna wieder dem Haushalt der Ukraine zuzufügen. Die Ermittlungen dauerten an. Dem Beamten drohen bei einer Verurteilung bis zu 15 Jahre Haft.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat immer wieder einen rigorosen Kampf gegen Korruption und Veruntreuung von Mitteln im Staatsapparat angekündigt. Der Nachweis von Erfolgen bei diesem Kampf gilt auch als Voraussetzung für eine Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union. Die EU hatte in diesem Monat offiziell den Beginn der Beitrittsverhandlungen beschlossen. Kritiker weisen darauf hin, dass das Land zu den korruptesten Staaten Europas gehöre. Das US-Magazin „Time“ hatte zuletzt einen ranghohen Beamten in Kiew anonym mit der Bemerkung zitiert, dass in dem Land gestohlen werde, als gäbe es kein Morgen. dpa

Jean-Pol Martin

Eine KI fasst zusammen: 

Jean-Pol Martin ist ein renommierter Wissenschaftler und Pädagoge, der für seine umfangreichen Beiträge auf dem Gebiet der Pädagogik bekannt ist. Er hat das Konzept des „Lernen durch Lehren“ (LdL) entwickelt und verbreitet, das auf einer neurologischen Grundlage beruht und das er über mehrere Jahrzehnte hinweg weiterentwickelt hat.

Martin begann seine akademische Laufbahn an der Universität Paris-Nanterre, wo er Germanistik studierte. Während seiner Studienzeit war er Zeuge der Studentenproteste von 1968, die einen tiefgreifenden Einfluss auf seine pädagogischen Ansichten hatten. Er wurde von den Ideen der Basisdemokratie und der aktiven Pädagogik angezogen und begann, die Notwendigkeit einer stärkeren Mobilisierung der Energien und Intelligenzen der Schüler im Unterricht zu erkennen.

Nach seinem Abschluss in Germanistik zog Martin nach Deutschland, wo er an der Universität Erlangen ein Lehramtsstudium für die Fächer Deutsch und Französisch absolvierte. Nach dem Staatsexamen wurde er Referendar für Deutsch und Französisch in Nürnberg.

Martin hat seine Karriere der Verbesserung der Bildung gewidmet und hat sich insbesondere auf die Entwicklung und Verbreitung des Konzepts des „Lernen durch Lehren“ konzentriert. Er hat das LdL-Kontaktnetzwerk gegründet, um seine Methode umzusetzen, und hat im Laufe seiner Karriere weitreichend zu diesem Thema publiziert.

Im Jahr 2000 schuf Martin das internationale interdisziplinäre Modul „Internet und Projekt Kompetenz“ (IPK) an der Virtuellen Universität Bayern. Nach seiner Pensionierung unterrichtete er Geschichte und Philosophie in VHS-Ingolstadt.

Seit 2016 arbeitet Martin an der Gründung von 6 umfassenden Menschenrechten ohne metaphysischen Bezug und orientiert sie an den Bedürfnissen der Menschen. Diese „Neuen Menschenrechte“ (NMR) enthalten einen anthropologischen, einen ethischen und einen politischen Teil.

Jean-Pol Martins Arbeit hat einen weitreichenden Einfluss auf Schulen und Universitäten weltweit. Sein Engagement für die Pädagogik und seine innovativen Ansätze haben dazu beigetragen, die Art und Weise, wie wir über Bildung denken und sie praktizieren, zu verändern.

Hier seine ausführlichere, aber immer noch kurze Autobiographie mit Betonung seiner noch suchenden Jugendphase.

Seine Seite in der Wikiversity.

Links zu den Neuen Menschenrechten von J-P Martin

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Mittwoch, 27. Dezember 2023

Norman Paech über Befreiungsbewegungen

 "Alle Befreiungsbewegungen vom ANC in Südafrika über die SWAPO in Südwestafrika und die MPLA in Angola bis zur FLN waren in den Medien der alten Kolonialmächte Terroristen. Das war die PLO bis 1993 ebenso, danach war es die Fatah, und jetzt ist es die Hamas. Man hätte daraus lernen können, dass der Widerstand und die Gewalt nie durch das Militär, sondern immer nur durch den Rückzug der Okkupanten aus dem Land verschwunden sind."

Norman Paech ist gewiss verdienstvoll; aber indem er den ANC nennt, weist er sogleich darauf hin, dass seine Behauptung fragwürdig ist.

Nelson Mandela und Desmond Tutu haben für eine entscheidende Ausnahme gesorgt.  Es wäre von Befreiungsbewegungen extrem ungewöhnlich, wenn sie denselben Weg beschritten. Auch ist jeder Fall anders zu bewerten. Aber Geschichte ist in jeder Gegenwart noch offen, freilich nicht für alles; aber offener als die die Beteiligten wissen können. (Fontanefan) 

Damit der oben genannte Text nicht aus dem Zusammenhang gerissen bleibt, füge ich den mir vorliegenden Text vollständig an. Trotz seiner aggressiv gegen den Staat Israel und nicht nur gegen die Siedler und die Regierung Netanyahu gerichteten Polemik schein er mir lesenswert, auch wenn der Lösungsvorschlag ohne starke Vermittlung von beiden Seiten mir unrealistisch erscheint.


Für ein Szenario des Friedens

Nahostkonflikt: Eine Lösung kann es nur durch ein Ende der Besatzung
und der kolonialen Gewalt geben.
Von Norman Paech*

Wäre der Begriff der Zeitenwende nicht schon so abgegriffen und
inhaltslos, könnte man den 7. Oktober 2023 als eine solche bezeichnen –
zumindest für Israel, wenn man unseren Medien glauben soll. Ihre
Berichte über Palästina waren nie durch eine besonders respektvolle
Einschätzung der Palästinenser gekennzeichnet. Aber die Kluft zwischen
der permanenten Zelebrierung des israelischen Schmerzes, der Wut, des
Hasses, der Trauer und der Klagen in den Feuilletons einerseits und der
Verachtung, Verhöhnung, Erniedrigung und Beleidigung der Täter
andererseits war noch nie so vernichtend und endgültig. Das ist nur
möglich, wenn man die lange Geschichte der Gewalt und Verbrechen
zwischen beiden Völkern lediglich auf den 7. Oktober konzentriert, der
wie ein schwarzes Loch die ganze Geschichte des Elends davor und danach
verschlingt. Dann wird auch plötzlich der sonst so tabuisierte Vergleich
mit dem Holocaust wieder erlaubt.

/*Bekannter Terrorvorwurf*/

Das Massaker vom 7. Oktober ist in der Tat in seinem Verlauf wie in
seinem Ergebnis ebenso grauenvoll wie völkerrechtswidrig, ein
furchtbares Kriegsverbrechen. Doch kam es nicht überraschend, es war
voraussehbar. Alle Jahre der Besatzung und Blockade waren immer wieder
von Angriffen der israelischen Armee mit Gewalt und zahlreichen Opfern
unter der Zivilbevölkerung begleitet, ob 2021, 2018, 2012, 2008/2009.
Wir können bis zum Jahr 1936 zurückgehen, dem Jahr des letzten großen
Aufstandes der palästinensischen Bevölkerung gegen die fremden Siedler
und ihre mit ihnen verbündeten Mandatsherren, der von diesen gemeinsam
niedergeschlagen wurde. Ob 1948, 1967 oder 1973, das waren die großen
Kriege um das Land und gegen die Besatzung. Seit der Gründung Israels
hat es dort faktisch keinen Frieden gegeben, sondern einen fortdauernd
unfriedlichen Zustand, im Englischen Low-intensity warfare genannt. Die
immer wieder aufkeimenden Hoffnungen auf Frieden mit Namen Madrid, Oslo,
Camp David, Taba oder Annapolis unterbrachen nur kurzzeitig den
Kriegszustand, ohne ihn aufzuheben.
Die Grausamkeit und Gewalt dieser Kämpfe unterschied sich nicht von der
Gewalt aller Befreiungskämpfe in den fünfziger bis siebziger Jahren in
Afrika. Es war die typische Gewalt asymmetrischer Kriege, wie sie die
Kämpfer der FLN in Algerien in ihrer Antwort auf die Frage, warum sie in
die Papierkörbe der Restaurants Bomben legten, die unschuldige Gäste
zerrissen, kurz beschrieben: »Hätten wir die Flugzeuge und Panzer der
Franzosen, würden wir die benutzen, wir haben nur diese Bomben.« Alle
Befreiungsbewegungen vom ANC in Südafrika über die SWAPO in
Südwestafrika und die MPLA in Angola bis zur FLN waren in den Medien der
alten Kolonialmächte Terroristen. Das war die PLO bis 1993 ebenso,
danach war es die Fatah, und jetzt ist es die Hamas. Man hätte daraus
lernen können, dass der Widerstand und die Gewalt nie durch das Militär,
sondern immer nur durch den Rückzug der Okkupanten aus dem Land
verschwunden sind.

/*Angekündigter Genozid*/

Die Geschichte nach dem 7. Oktober steht unter dem Schlachtruf, die
Terrorgruppe Hamas zu vernichten. Die schier end- und unterschiedslose
Gewalt, mit der die israelische Armee den Gazastreifen umpflügt, lässt
allerdings den Verdacht aufkommen, dass die politische Führung in
Jerusalem gelernt hat, dass der Sieg über eine militärische Organisation
nicht ausreicht, um den Widerstand in der Zukunft zu brechen. Sie muss
den Widerstand der ganzen Bevölkerung brechen. Israels Premierminister
Netanjahu beruft sich gegenüber US-Präsident Joseph Biden auch auf die
Flächenbombardierungen im Zweiten Weltkrieg und den Einsatz der
Atombombe. Daher der offene Terror, die unbegrenzte Gewalt der Armee,
flankiert durch den Stopp oder die äußerste Beschränkung der Zufuhr
lebenswichtiger Güter.
Die Armeeführung hat vier Ziele ihrer Angriffe ausgegeben: 1. taktische
Ziele, das heißt vorwiegend militärische, 2. Untergrundziele, also die
Tunnel, 3. Power targets, das sind Hochhäuser, Wohnblöcke, öffentliche
Gebäude, Universitäten, 4. Familienhäuser vermuteter Mitglieder der
Hamas. Den Schwerpunkt hat die Armee nach eigenen Angaben auf die Ziele
drei und vier gelegt mit dem Ergebnis, dass 70 Prozent der bislang an
die 20.000 Toten – die unter den Trümmern verschütteten nicht mitgezählt
– Zivilisten sind. Die Todeszahl ist 15mal höher als beim bisher
tödlichsten Gazakrieg 2014. Zwei Drittel der Toten sind Frauen und
Kinder. Über 300 Familien haben mehr als zehn Angehörige verloren. 2014
kamen 93 Babys ums Leben, 2023 nach drei Wochen 286 Babys. Doch die
nackten Zahlen der Toten, Verletzten und Vertriebenen vermögen die
Hölle, in der sie mehr sterben als leben müssen, kaum andeuten.
Das Vorbild der Armee ist offensichtlich die Shock-and-awe-Strategie der
US-Armee bei ihrem Überfall auf Bagdad im Jahr 2003. Nunmehr wird sie
unterstützt durch ein System der künstlichen Intelligenz mit Namen
»Habsora« (Gospel/Evangelium), welches ihr ermöglichte, in den ersten 35
Tagen insgesamt 15.000 Ziele in Gaza zu identifizieren und anzugreifen.
Zum Vergleich: In den 53 Tagen von »Protective Edge« 2014 waren es circa
6.000. Jeder Krieg steigert die technologischen Fähigkeiten und die
Zerstörungskraft, Parameter, bei denen Israel nicht ohne Grund mit an
der Spitze operiert.
Dieser Krieg kann offensichtlich nur noch der Presse und der
Bundesregierung als Verteidigungskrieg verkauft werden. *In der
internationalen Diskussion setzt sich allmählich die Erkenntnis durch,
dass es sich bei ihm um einen Völkermord handelt*. In den USA hatten
sich schon Mitte Oktober 800 Juristen in einer gemeinsamen Erklärung
unter der Aussage zusammengefunden: »Die anhaltenden und bevorstehenden
israelischen Angriffe auf den Gazastreifen werden mit potentiell
völkermörderischer Absicht durchgeführt.« Der Genozidforscher Raz Segal,
einer der Unterzeichner, fügte hinzu: »In der Tat ist Israels
genozidaler Angriff auf Gaza ausdrücklich, offen und schamlos. Israels
Ziel ist es, die Palästinenser in Gaza zu zerstören. Und diejenigen von
uns, die auf der ganzen Welt zuschauen, sind der Verantwortung, Israel
daran zu hindern, nicht gewachsen.« Also sollten sich jene, die
»zuschauen«, fragen, was sie getan haben, diesen 7. Oktober mit seinen
katastrophalen Folgen zu verhindern.

/*Falsche Alternativen*/

Jene, »die zuschauen«, konnten nicht nur, sie wollten offensichtlich
diesen voraussehbaren Krieg auch nicht verhindern. Der Auftrag der UNO,
die beiden Völker in separate souveräne Staaten zu trennen, liegt immer
noch offen auf dem Tisch. Er gilt zwar immer noch als offizieller
Lösungsvorschlag aller Staaten zur Befriedung des Konfliktes, es gibt
jedoch keine Regierung, die sich für ihn einsetzt. Die beiden einzigen
realistischen Alternativen kann man unter die Begriffe »Parkplatz« oder
»Apartheid« fassen.
Der »Parkplatz« ist die aktuelle Strategie der Netanjahu-Regierung, den
Gazastreifen unbewohnbar zu machen und die Bevölkerung zu vertreiben –
wohin auch immer, am besten nach Ägypten. Die Bewohnbarkeit hatte die
UNO dem Gazastreifen schon für 2020 abgesprochen, ohne allerdings das
vorauszusehen, was jetzt geschieht. Die zerstörten Gebäude, die
Infrastruktur und die Produktionsstätten sind zu reparieren. Aber für
wen? Die Gesellschaft ist zerschlagen, eine zweite Nakba. Wer nicht
umgekommen ist, hat alles verloren und trägt wohl nur noch den Schlüssel
seines Hauses mit sich. Zusätzlich zu den Millionen Flüchtlingen mit
ihren Nachkommen fliehen weitere Hunderttausende in die Nachbarstaaten.
Die USA werden diese Katastrophe nicht verhindern und die
Bundesregierung auch nicht. Sie werden allenfalls mahnen, die Grundsätze
der Humanität einzuhalten.
Als Alternative gilt vor allem die sogenannte Einstaatenlösung, bei der
sich beide Völker arrangieren und ein friedliches Miteinander
organisieren. Wie das im einzelnen erfolgen soll, ist ungewiss. Der
vielzitierte Philosoph Omri Boehm spricht von einer Konföderation, in
der auch die Flüchtlinge einen Platz finden sollen. Ob die Palästinenser
die gleichen Rechte haben sollen wie Juden oder nur einen
eingeschränkten Status, wie mitunter vorgeschlagen, steht zur Debatte.
Was meines Erachtens nicht zur Debatte steht, ist die Zukunft eines
solchen Einheitsstaates, wie er faktisch schon jetzt unter Bedingungen
der Apartheid besteht. Die Mitglieder der UNO würden zwar weiter die
Einhaltung der Menschen- und demokratischen Rechte anmahnen, aber
niemand wird in seine Souveränität und internen Angelegenheiten
eingreifen. Die Existenz Israels wäre gesichert, aber die Palästinenser
hätten mit dem Verzicht auf einen eigenen Staat ihre Souveränität
aufgegeben und müssten nun den Kampf um ihre politische, ökonomische und
kulturelle Existenz allein gegen die jüdisch-zionistische Dominanz
ausfechten – kein Szenario des Friedens.
Es bleibt die Trennung in zwei souveräne Staaten, die derzeit zwar
diplomatisch gehandelt wird, aber keine effektive Unterstützung erhält,
die eine Realisierung dieses alten Auftrags der UNO realistisch
erscheinen lässt. Das wohl stärkste Argument gegen diese sogenannte
Zweistaatenlösung lautet, dass der Landraub der Siedlerbewegung faktisch
kein Territorium für einen palästinensischen Staat übriggelassen habe
und diese Entwicklung auch nicht rückgängig gemacht werden könne. Wer
würde es wagen, Juden von ihrem Land zu vertreiben?

Nach dem Krieg

Doch gibt es nach wie vor den Vorschlag der PLO, dass alle Siedler, die
in dem neuen Staat bleiben wollen, bleiben können. Einzige Bedingung
sei, die Souveränität des neuen Staates anzuerkennen, wie es für die
Palästinenser in Israel seit langem selbstverständlich ist. Jene aber,
die zu einer Anerkennung nicht bereit seien, müssten das Land verlassen
und nach Israel zurückkehren. Der Vorschlag wurde seinerzeit von der
Siedlerbewegung rundherum abgelehnt.
Dennoch sehe ich keine Alternative, als auf diesen Vorschlag
zurückzukommen, wenn dieser Krieg zu Ende geht. Es genügt nicht, Gaza
wieder aufzubauen, die Vertriebenen neu anzusiedeln. Die ganze
palästinensische Gesellschaft muss von der Last der Besatzung und der
permanenten Gewalt befreit werden. Der 7. Oktober 2023 sollte erwiesen
haben, dass Frieden in dieser Region nur mit der Souveränität und
Gleichberechtigung beider Völker zu erreichen ist.

*Norman Paech ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft und
Öffentliches Recht und saß zwischen 2005 und 2009 für die Partei Die
Linke im Deutschen Bundestag. Der vorliegende Text ist die überarbeitete
Fassung eines Vortrags, den Paech am 9. Dezember im Rahmen des 30.
Friedensratschlags in Kassel hielt.


Mittwoch, 20. Dezember 2023

Vergleichen und unterscheiden

 Unvergleichlich, das kann man nicht vergleichen, das darf man nicht vergleichen.

Mit dem Wort unvergleichlich betonen wir die Einzigartigkeit einer Sache, einer Schönheit. Weniger die einer Leistung, die sich - z.B. im Sport - sehr präzise auf Hundertstel Sekunden vergleichen lässt. 

Wenn jemand ein Sandkorn mit dem Matterhorn vergleicht, gibt es zwar ein tertium comparationis (aus Mineral), aber die beiden spielen - um einen Wortgebrauch aus der Sportsprache aufzugreifen - in einer anderen Liga. Wer einen Schulaufsatz mit den Kriterien einer Habilitation misst, dem kann man mit gutem Grund sagen "das kann man nicht vergleichen", obwohl es auch da ein  tertium comparationis gibt. Aber der Niveauunterschied macht einen Leistungsvergleich sinnlos. Dagegen ist der Vergleich von Werken von Picasso oder Mondrian mit Kinderzeichnungen durchaus sinnvoll, weil eine gewissen Ähnlichkeit es hilfreicher macht, die Unterschiede herauszuarbeiten (wobei ein Ausdruck wie in einer anderen Liga dem Unterschied überhaupt nicht gerecht würde. Eine japanische Tuschezeichnung und die Pyramiden von Gizeh lassen sich schlecht vergleichen, obwohl sich die Unterschiede leicht herausarbeiten lassen. 

Was darf man nicht vergleichen? Dazu fällt einem gegenwärtig sofort der Holocaustvergleich ein, weil er mit gutem Grund als Singularität gesehen wird, als Singularität allerdings vor allem, weil er sich von Verbrechen, Massakern, Pogromen, Terrorakten vor allem durch seine Dimension unterscheidet (offenbar nicht durch seine Zielsetzung, denn sonst spräche man ja nicht von Völkermord).

Vergleiche werden angestellt, wenn es ein tertium comparationis und Unterschiede gibt. Erst das Unterscheiden macht den Vergleich sinnvoll, und sei es der Unterschied zwischen Original und Kopie oder dem zwischen dem ersten und dem hundertsten Abdruck eines Kupferstichs. 

Anlass für diesen Kurztext ist die Verleihung des Hannah- Arendt-Preises an Masha Gessen.


Dieser Text drängt auf Widerlegung oder Ergänzung. Vorläufig kann ich sie noch nicht liefern. Vielleicht geschieht es über Kommentare.


Talkshow mit Markus Lanz

 Bei Markus Lanz wird den Klimaaktivisten vorgehalten, sie seien nicht optimistisch genug. Selbst in den Ländern, wo die Folgen der Katastrophe weit schwerwiegender seien als bei uns, seien "junge Leute" optimistischer. Markus Lanz fügt hinzu, selbst in Russland, das Putin in der Krieg geführt habe, seien die "jungen Leute" optimistischer geworden. 

Ich kenne nur den bei Twitter wiedergegebenen Ausschnitt und traue meinen Ohren nicht. 

Wenn im deutschen "Qualitätsfernsehen" Jugendlichen vorgeworfen wird, sie seien nicht borniert genug, die Russen fielen viel besser auf Staatspropaganda herein. Dann muss man sich wundern, wie resilient deutsche Jugendliche sind, dass sie die 9.-Klässler bei PISA so wenig abgefallen sind. (Ironieende).

Ich halte das hier fest, weil ich befürchte, dass ich schon in drei Tagen nicht mehr für möglich halte, dass es das gegeben hat.  

Es passt freilich dazu, dass allerorten behauptet wird, nur in Deutschland, Frankreich ... [einzusetzen das jeweilige Heimatland] könne man so blöd sein, das ...

Trotzdem, dieser Talkshowausschnitt überbietet alles, was ich in dieser Weis gehört habe,

Sehe ich zu wenige Talkshows?

Montag, 18. Dezember 2023

Maja Haderlap: Nachtfrauen

 

Maja Haderlap Nachtfrauen


Podcast (ARD Audiothek, Online bis 18.1.2024)


Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.10.2023

Rezensent Christoph Schröder zeigt sich sehr angetan von Maja Haderlaps Buch über die slowenische Identität, das "Tiefenschicht für Tiefenschicht" die Abgründe der eigenen Herkunft offenlegt. Hauptfigur Mira, die ihrem Heimatdorf in Südkärnten entflohen ist und nun in Wien lebt, muss nochmal zurück in ihre Heimat, um ihrer Mutter Anni zu erklären, weshalb diese in ein Altersheim umziehen muss, resümiert Schröder. Dabei ist das Familienverhältnis durch die NS-Zeit geprägt, erfahren wir: Annis Eltern wurden von den Nazis ermordet, ihre Schwester blieb als Partisanin in Slowenien. Diese familiären Traumata kommen erst nach und nach bei Mira hoch, die sich weigert Slowenisch, also die Sprache der ausgegrenzten Minderheit, zu sprechen, und zwingen sie, sich endlich mit ihrer Identität auseinanderzusetzen, schreibt Schröder. Schröder imponieren die "vielen Glutkerne", die der Handlung zu Grunde liegen, und er erfreut sich an der Sprache des Romans, die die Vielschichtigkeit des Buches zu unterstreichen und Naturphänomene präzise zu beschreiben wisse.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 07.10.2023

Vielleicht ist dieser Roman "nicht ganz zu Ende geformt", meint Rezensentin Sigrid Löffler, die ihn aber dennoch gern gelesen zu haben scheint. Denn das Thema - die Müttergeneration der slowenischen Minderheit in Kärnten, die zwischen Emanzipation und stummem Verharren in der Tradition schwankt - fand sie ausgesprochen interessant. Hauptfigur ist die selbstbewusste Mira, eine "Kleinhäusler-Tochter", die studiert und es ins Wiener Bürgertum geschafft hat. Ihr Mutter müsste ins Altenheim, darum kehrt sie in ihr Heimatdorf zurück, wo ihr die Kluft bewusst wird, die jetzt zwischen ihr und den Dortgebliebenen, besonders den Frauen, herrscht, erzählt Löffler. Im zweiten Teil steht dann die Mutter im Mittelpunkt, die sich für Löffler als interessanter entpuppt, als sie erst angenommen hätte.

Samstag, 16. Dezember 2023

Appell an das Twitterlehrerzimmer

 Meine grundsätzliche Kritik, die ich 2011 und 2017 formuliert habe (https://fontanefansschnipsel.blogspot.com/2017/10/john-lancaster-uber-facebook.html)  halte ich leider immer noch für begründet. Wenn das Twitter-Lehrerzimmer nach Threads umziehen und auf eine parallele Kommunikation auf mastodon (z.B. https://rheinneckar.social/home) verzichten sollte, wäre das meiner Meinung nach sehr bedauerlich, denn es würde viele Lehrer (wie meinen Bekannten) praktisch dazu zwingen, auf meta platforms (https://de.wikipedia.org/wiki/Meta_Platforms) zu gehen. Das wäre keine demokratische Abstimmung, sondern eine "mit den Füßen". Da ich mich zwar als Wikipedianer verstehe, aber dem Monopol der Wikipedia (wie viele Wikipedianer) kritisch gegenüber stehe, fände ich diesen Zwang - gelinde gesagt - problematisch. Bei der Wikipedia habe ich wenigstens die Wahl zwischen den verschiedenen Sprachsektionen, die ich so weit verstehe, dass ich mit Hilfe von Maschinenübersetzung einem allzu starken Bias ausweichen kann. Und bei aller Kritik an der Wikipedia Foundation, sie verfolgt andere Ziele als Zuckerberg.

Also meine Bitte ans Twitterlehrerzimmer: Zieht nicht nach Theads um, ehe ihr nicht einen einfachen (!) Weg gefunden habe, wie man auf mastodon und Threads gleichzeitig kommunizieren kann.

Über die Abkehr vom verständigungsorientierten Diskurs

 Vor allem poststrukturalistische Perspektiven haben seit den 1980er Jahren die Konsensorientierung des deliberativen Diskursmodells kritisiert und in ihrer Vorstellung von Demokratie den Dissens in den Vordergrund gerückt.

VERSTÄNDIGUNGSORIENTIERTER DISKURS

Das generelle Verständnis eines verständigungsorientierten Diskurses ist vor allem durch Jürgen Habermas’ Diskursethik geprägt, die besonders in Deutschland breiten Eingang in die politische Kultur gefunden hat. In seiner Theorie des kommunikativen Handelns geht Habermas von folgender Beobachtung aus: Die Gesellschaft reproduziert sich über ökonomische Zwänge und staatliche Machtausübung, bedarf jedoch für ihr Fortbestehen immer auch eines erheblichen Maßes an intersubjektiver Verständigung. In diesem Verständigungsprozess einigen sich die Gesellschaftsmitglieder auf Geltungsansprüche, das heißt, sie stimmen darüber überein, dass etwas der Fall ist (kognitiver Geltungsanspruch) oder ein Gebot besteht, dem man Achtung schenken soll (normativer Geltungsanspruch). Zudem tauschen sie Gefühlseindrücke aus, für die sie Authentizität beanspruchen (ästhetischer Geltungsanspruch). In der intersubjektiven Verständigung sind die unterschiedlichen Geltungsansprüche zumeist miteinander verschmolzen. Zudem werden sie im Alltag in der Regel naiv hingenommen, ohne selbst als solche hervorzutreten und hinterfragt zu werden. 06

Dies ändert sich, sobald ein Dissens entsteht. Dann kann die Kommunikation nicht länger im Modus alltäglicher Gewissheiten fortgesetzt werden, sondern muss auf die Ebene des Diskurses wechseln. Hier werden die zuvor unproblematischen Geltungsansprüche problematisiert und zum Gegenstand der gemeinsamen Erörterung gemacht. Im Diskurs werden Argumente vorgetragen, abgewogen, widerlegt und revidiert.

06 Vgl. Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, Frankfurt/M. 1995 [1981].

mehr dazu (zugleich Quellenhinweis)

daraus:

"Über Sieg und Niederlage im Kampf um die kulturelle Hegemonie entscheiden für sie nicht zuletzt „affektive Kräfte, die am Ursprung der kollektiven Formen von Identifikation“ stehen. 

Zur Auflösung der Fußnote[25] Das in dieser Hinsicht stärkere Lager kann mehr Menschen mobilisieren und setzt sich so gegenüber der Gegenseite durch. Liberale und linke Parteien wie auch soziale Bewegungen sollen den Kampf um die Herzen der Menschen aufnehmen und den populistischen Affekten der Rechten linkspopulistische Leidenschaften und Identifikationsmöglichkeiten entgegensetzen.

Dieser Blick auf die heutigen Konfrontationen mag Betrübnis und Besorgnis hervorrufen, scheint aber empirisch zuzutreffen: Blickt man auf die artikulierten Normen und Werte, scheint jeder common ground zwischen linksliberalen und rechtspopulistischen Kreisen abwesend und ein verständigungsorientierter Diskurs somit kaum möglich. Wenn nationalistische und antimoderne Agitatoren den liberaldemokratischen Grundkonsens universeller Menschenrechte und gleicher Freiheiten nicht anders auslegen, sondern schlichtweg verneinen und durch eine hierarchische Welt- und Sozialordnung austauschen wollen, fehlt augenscheinlich die Grundlage, auf der agonal oder vernünftig gestritten werden kann." (Hervorhebung von Fontanefan). 

Meine Position ist freilich, man sollte es nach Möglichkeit trotzdem versuchen, denn es ist wichtig dafür, dass man die Denkstrukturen des anderen kennenlernt und vielleicht bei einer neuen Kommunikation anders ansetzen kann. Freilich geht man damit die Gefahr ein, von denen missverstanden zu werden, die die Diskurssituation nicht verstehen. Ich besinne mich, dass ich in den 68er Jahren ein Vokabular verwendet habe, das mir inzwischen selbst ziemlich fremd geworden ist. (Fontanefan)

Donnerstag, 14. Dezember 2023

Bewerbungen nach der X-Y-Z-Formel

 Die "X-Y-Z-Formel bringt auf den Punkt, was Dich von der Konkurrenz abhebt, indem Du Dich auf das konzentrierst, was Du in Deiner Karriere bereits erreicht hast. Gemäß X-Y-Z-Formel werden diese Erfolge aber nicht nur genannt, sondern durch Zahlen, Daten, Fakten und Beispiele belegt: Was hast Du bereits „erfüllt (X), gemessen mit (Y), durch Ausführung von (Z)“? So lautet die zentrale Fragestellung, wenn Du in Deinem Lebenslauf die X-Y-Z-Formel anwenden möchtest. Wie diese Formulierungen in der Praxis aussehen könnten, diesbezüglich nennt Google selbst auf YouTube einige Beispiele – und viele weitere sind im Internet zu finden: 

  • Schreibe beispielsweise nicht nur, dass Du eine Auszeichnung erhalten hast, sondern auch wofür, unter wie vielen Teilnehmern Du ausgesucht wurdest und weshalb,
  • oder schreibe nicht nur, dass Du den wirtschaftlichen Erfolg Deines Arbeitgebers steigern konntest, sondern nenne konkrete (Prozent-) Zahlen und einen kurzen Abriss, wie Dir das gelang.

Wichtig ist, dass Du diese Informationen kurz und knapp in ein bis zwei Sätzen verpackst [...]"(Quelle)

Asylgesuch, Asylantrag, Aufenthaltsgestaltung

Asylgesuch ist ein allgemeinerer Ausdruck, der auch für andere Rechtsordnungen verwendet werden kann. Ein  Asylantrag leitet ein rechtlich geordnetes Verfahren ein, das in Deutschland festgelegte Voraussetzungen erfüllen muss (Art. 16a GG) und bis jetzt noch ein Recht auf Aufenthaltsgestaltung einschließt.

Dienstag, 12. Dezember 2023

Der Außenminister des Iran erklärt, die Hamas habe ihre Waffen in der Ukraine besorgt

"[...] Die im Libanon ansässige schiitische Organisation Hisbollah und die im Gazastreifen ansässige radikale palästinensische Bewegung Hamas können sich in der Ukraine durch illegale Käufe problemlos mit den von ihnen benötigten Waffen versorgen, sagte der iranische Außenminister Hossein Amir Abdollahian auf dem internationalen Doha Forum am Montag (11. Dezember) in Katar. [...]

Die israelische Tageszeitung Jerusalem Post bezeichnete die Aussagen Abdollahians am Dienstag (12. Dezember) als „kalkuliert“. Er hätte versucht, die Ukraine als einen Schwarzmarkt für Waffen darzustellen, um dem Westen und der Ukraine zu schaden, und Russland einen Gefallen zu tun: „Das Ziel war, mehrere Dinge gleichzeitig zu erreichen: die Kritik am Iran abzulenken, die Kritik an der Hamas und der Hisbollah abzulenken, die Beziehungen zwischen dem Iran und Russland zu stärken und die Ukraine in einem öffentlichen Forum in Doha zu kritisieren. [...]" (FR 12.12.23)

Mir scheint die Aussage des Ministers völlig unglaubwürdig. Seit wann sollte die Ukraine einen Überschuss an Waffen haben. Aber ich halte sie fest, falls ähnliche Meldungen kommen sollten.