Montag, 31. August 2020

Robert Francis Kennedy junior am 29.8.20 auf der Kundgebung an der Siegessäule

15.30 Uhr: Auf der Kundgebung an der Siegessäule sprach der US-Rechtsanwalt, Umweltaktivist und Impfgegner Robert Francis Kennedy junior, Neffe des US-Präsidenten John F. Kennedy. Er wandte sich in seinem Redebeitrag gegen den Aufbau des 5G-Mobilfunknetzes, warnte vor einem Überwachungsstaat und attackierte in diesem Zusammenhang unter anderem Microsoft-Gründer Bill Gates.
(FR 31.8.20)

Marina Weisband: Kopieren erlaubt

Mit ihrem Verlag handelte sie aus, dass ihr Buch "Wir nennen es Politik" von Privatleuten ins Netz gestellt werden konnte, ohne dass der Verlag dagegen einschritt. 

SPON vom 24.9.2012: Kopieren erlaubt.

Dieser Artikel als pdf  
Auf dieser Seite befindet sich auch der Artikel "Genosse Nazi"
"Der SED hatten sich weit mehr ehemalige Nationalsozialisten angeschlossen als bisher bekannt. 1954 waren 27 Prozent aller Mitglieder der DDR-Regierungspartei zuvor in der NSDAP und deren Gliederungen. Das hat der Historiker Jan Foitzik herausgefunden*. Bereits von 1946 an habe die SED demnach Ex-Nazis aufgenommen – als erste deutsche Partei nach dem Krieg. [...] (pdf-Version)

mehr zu Marina Weisband:
Wikipediaartikel
ihr Blog marinaweisband.de
ihr aktueller Twitter-Account (@afelia)
W. Weisband:  MÜTTER UNTER CORONA – EINE STIMME, DIE FEHLT

Artikel zu Weisband auf diesem Blog
Artikel zu Weisband auf dem Fonty-Blog

Sonntag, 30. August 2020

Langobarden und Franken

"Die Langobarden ([...]auch Winniler) waren ein Teilstamm der Stammesgruppe der Sueben, eng mit den Semnonen verwandt, und damit ein elbgermanischer Stamm, der ursprünglich an der unteren Elbe siedelte." 
(Wikipedia)

"Die Langobarden wohnten schon früh westlich der Unterelbe. Ihre von der Sage behauptete Abstammung aus Skandinavien wird heute zwar von vielen Forschern abgelehnt, scheint aber doch erwiesen zu sein. Sie dürften ihren Ausgang von der schwedischen Insel Gotland genommen haben. Darüber, ob sie/ den West- oder Ostgermanen zuzurechnen sind, herrscht keine Einigkeit, denn die älteste langobardische Geschichte ist derart sagenüberwuchert, dass sich hier nur wenig Sicheres feststellen lässt. Es war wohl so, dass die ursprünglichen Ostgermanen durch ihre Niederlassung an der Nieder Elbe Westgermanen geworden sind. Ein Teil des Stammes blieb lang in den alten Wohnsitzen. Der Bardengau und Bardowiek in der nächsten Nähe von Lüneburg erinnern an sie. S.258/59[...] Im Jahr 567 schlug Alboin die Gepiden so vernichtend, dass sie aus der Geschichte verschwanden. Er hat seinen Gegner, König Kunimund im Handgemenge erschlagen und darauf dessen schöne Tochter Rosamunde geheiratet." (S.260) Aus dem Kopf des Erschlagenen ließ er [...] eine Trinkschale formen. Bei einem wilden Gelage ließ er diese seiner Gemahlin reichen und forderte sie auf, fröhlich 'mit ihrem / Vater' zu trinken. Die empörte Frau aber forderte, getrieben von der Blutrache für ihren Vater, den Waffenträger Helmichis, ihren Geliebten, auf, den König meuchlings zu ermorden (572). 
Nach der Tat entflohen beide nach Ravenna zu den Byzantinern. Als Rosamunde hier den Werbungen des Longinus, der als Nachfolger des Narses Exarch von Italien war, nachgab und Helmichis durch einen Gifttrunk aus dem Leben schaffen wollte, wurde sie gezwungen, den Rest des Giftbechers zu lehren.
Da die Tat von der Königin Rosamunde, einer gepidischen Prinzessin, ausgegangen ist, lässt sich hier vielleicht die Vermutung wagen, es könnte sich bei Alboins Ermordung um einen rächenden Rückschlag der gepidischen Gruppe gehandelt haben.(S.261/62)
"Es kann auch nicht geleugnet werden, dass die Langobarden weit härter und ungesitteter auftraten als die Goten. Nur der Langobarde hatte öffentliche Rechte, der Römer hatte keinen Zutritt zumHeher oder zu Beamtenstellen. (S. 263) (Emil Nack: Die Germanen, 1958)

"568 drangen die Langobarden, nachdem sich Alboin mit den Awaren unter Chagan Baian verständigt hatte, in das von den Oströmern gerade erst befriedete Italien ein. Dabei handelte es sich nicht nur um einen Feldzug, sondern um die Verlegung nahezu der gesamten langobardischen Bevölkerung. Grund war angeblich ein Hilferuf des Narses, des oströmischen Statthalters Italiens; in Wirklichkeit wollte Alboin wohl vor dem awarischen Druck ausweichen. Mit Alboin zogen Teile zahlreicher anderer Völkerschaften, darunter auch Romanen, Gepiden und Sachsen, während Teile der Langobarden sich an dem Zug nicht beteiligten.
In kürzester Zeit eroberten die Langobarden den nördlichen und mittleren Teil des von den vorangegangenen Gotenkriegen Justinians verwüsteten Italiens, außer RomRavenna und den Seestädten.[2] In Cividale del Friuli setzte Alboin seinen Neffen Gisulf I. als dux ein; 569 fiel Verona und die Langobarden stießen bis nach Trient vor; 569 fiel auch Mailand. Anfang 572 nahmen sie Pavia nach angeblich dreijähriger Belagerung ein. Die Stadt entwickelte sich im Laufe der Zeit zum wichtigsten Hauptort des Langobardenreiches.
Alboin hatte noch vor seiner Thronbesteigung Chlodoswinth, eine Tochter des Frankenkönigs Chlothar I., geheiratet, die aber wohl bereits (vor) 567 gestorben war. Seine nächste Ehe schloss er mit Rosamunde, der Tochter des von ihm erschlagenen Gepidenkönigs Kunimunds. 572 (oder vielleicht erst 573) fiel Alboin einer Verschwörung zum Opfer und wurde ermordet. In manchen Quellen wird diese Verschwörung legendenhaft ausgeschmückt und Alboins Frau Rosamunde als ihre Anstifterin genannt, weil Alboin sie angeblich gezwungen habe, aus dem Schädel ihres Vaters zu trinken.[3]
Wichtigste Quelle ist die (nicht immer zuverlässige) Historia Langobardorum des Paulus Diaconus." (Wikipedia: Alboin)

Die Franken (sinngemäß „die Mutigen, Kühnen“) waren einer der germanischen Großstämme. Sie formierten sich im 3. Jahrhundert im Umfeld des von den Römern besetzten Teiles Germaniens durch Bündnisse mehrerer Kleinstämme.

Die Franken (lateinisch Franci) wurden in zeitgenössischen Quellen erstmals im Jahre 291 in einem Panegyricus auf die Kaiser Diokletian und Maximian erwähnt. Um 360/61 berichtete der spätantike römische Historiker Aurelius Victor in seinen Kaiserviten, dass die Völker der Franken (Francorum gentes) bereits Ende der 250er Jahre Gallien verwüstet hätten.[1] Salische Franken (auch Salier genannt) und Rheinfranken expandierten zunächst räumlich getrennt – die Salier über Toxandrien nach Gallien, die Rheinfranken über den Mittelrhein und das Moselgebiet nach Süden und in die ehemals linksrheinische römische Provinz Gallia Belgica. Fränkische Krieger dienten dem Kaiser im 4. und 5. Jahrhundert als foederati, bevor sie im Übergang von der Spätantike ins Frühmittelalter das bedeutendste germanisch-romanische Nachfolgereich im Westen gründeten, wo der letzte weströmische Kaiser 476 abgesetzt worden war.[2] Der Merowinger Chlodwig I. vereinigte in den Jahren um 500 erstmals die Teilverbände der Salfranken und Rheinfranken und schuf das Fränkische Reich, das unter dem Karolinger Karl dem Großen seine größte Ausdehnung erfuhr.

Franken und die einheimische Bevölkerung vermischten sich im Laufe der Zeit sprachlich und kulturell. Im Westen dominierte die galloromanische Volkssprache, im Osten die fränkische Sprache, dazwischen bildete sich bis zum 9. Jahrhundert eine Sprachgrenze aus. Der Großteil der Salfranken verschmolz später im Volk der Franzosen und Wallonen. Die Salfranken an der IJssel und am Niederrhein sowie die Mosel- und Rheinfranken behielten ihre fränkischen Mundarten bis in die Neuzeit bei und gingen in den Völkern der Deutschen, NiederländerLothringer, Luxemburger und Flamen auf." (Wikipedia)


Franken
"Die Symbiose der beiden Völker hat schon in zwei Generationen zur Bildung einer germanischen-römischen Aristokratie geführt, in der fränkische Edelinge neben den Nachkommen der alten senatorischen Familien standen und hohe Beamte neben Bischöfe traten. Die Angehörigen dieses Adels sind im Besitz großer Landgüter, die mit Sklaven und halbfreien Bauern betrieben werden und in jeder Hinsicht Nachbildungen jener geschlossenen Hauswirtschaft sind, die sich auf dem Boden des römischen Reiches entwickelt hat. Das bewährte römische System der Nutzung von Großgrundbesitz hat sich behauptet und die Wirtschaft des Frankenreiches weitgehend bestimmt." (Joseph Vogt: Die Spätantike 1965, S. 484/85)


Bericht und Kommentar zu der Demonstration am 29.8. in Berlin

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ach-so-ja-nazis-sind-auch-da-a-7805e693-69e2-4f7e-be82-af54a01f4435

Auf Twitter geht es weniger sachlich zu.
Ebenso nicht im Kommentar in der FAZ: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/die-corona-demos-in-berlin-zeigten-keine-schoenen-bilder-16929142.html FAZ 30.8.2020

Von Argumenten, die bei der Kundgebung vorgetragen wurden, ist im vorliegenden Bericht nicht die Rede. Bleibt abzuwarten, ob das nachgeholt wird.

Mittwoch, 26. August 2020

Welche Veranstaltungen führen häufiger zu Superspreader-Events?

"[...]Jedenfalls wurde nach den Demonstrationen gegen Corona-Beschränkungen in den vergangenen Wochen, bei denen oft Tausende Menschen ohne Abstand und Masken durch die Straßen marschierten, keine überdurchschnittlich erhöhte Infektionszahl festgestellt.
In einer Umgebung, die eine Massenübertragung begünstigt, kann ein Ereignis laut RKI zwar zum "Superspreading-Event" werden. Bei einer Demonstration ist das aber offenbar nicht zwingend der Fall: Zwar treffen hier viele Menschen aufeinander, allerdings ist die Konzentration der ansteckenden Viruspartikel an der frischen Luft geringer als in schlecht gelüfteten, kleinen Räumen wie dem Berliner Club "Trompete". Dort steckte Mitte März ein mit dem Coronavirus Infizierter mehr als ein Dutzend weitere Gäste an.
Gefahr besteht vor allem dann, wenn eine überdurchschnittlich ansteckende Person, die das Virus bereits in sich trägt – ein sogenannter Superspreader – auf mehrere andere Menschen trifft. Ob eine Person jedoch ein Superspreader ist, ist meist nicht bekannt. Welches Ereignis zum Superspreading-Event wird, lässt sich also nur im Nachhinein feststellen. Carolin Rückl"
(Corona-Lexikon, ZEIT 26.8.20)

Ein erfundener Massenmörder

Bruno Lüdke war schwachsinnig. Ein gefundenes Opfer:

"Der Nazi-Karrierist Franz wittert, dass er hier den Fall seines Lebens inszenieren kann. In enger Zusammenarbeit mit Arthur Nebe, dem Chef der Deutschen Kriminalpolizei, erschafft er das Monster Bruno Lüdke. Am Ende beichtet Lüdke 84 angebliche Morde, für 53 Morde und drei Mordversuche machen Franz und seine Komplizen ihn verantwortlich."
https://www.zeit.de/2020/36/mario-adorf-bruno-luedke-serienmoerder-film-nationalsozialismus/komplettansicht

Dienstag, 25. August 2020

Was Frauen gegenwärtig tun müssen, um ihren Lebensstandard zu halten

"Wollen Frauen ihren Lebensstandard halten, wenn sie in Rente gehen, müssten sie dafür im Schnitt bereits jetzt deutlich mehr Geld auf dem Konto haben als Männer gleichen Alters. Denn sie verdienen während ihres gesamten Lebens nicht nur weniger als Männer, sondern leben im Schnitt auch noch länger. Sie müssen im Ruhestand also mit weniger Einkommen eine längere Zeit füllen."
(https://www.t-online.de/finanzen/geld-vorsorge/id_88450330/rentenluecke-darum-sollten-frauen-viel-mehr-geld-sparen-als-maenner.html)

Links vom 25.8.

Artikel aus der Frankfurter Rundschau vom 25.8.2020

https://www.fr.de/politik/testpflicht-auf-dem-pruefstand-90029599.html


https://www.fr.de/kultur/musik/britischer-streit-moment-der-uneinigkeit-90029461.html

Entzündungshemmer wie Cortison könnten Corona-Risiko senken:  
https://www.fr.de/wissen/entzuendungshemmer-senken-das-infektionsrisiko-90029362.html  

https://www.fr.de/wissen/das-risiko-ist-beim-singen-nicht-hoeher-als-beim-sprechen-90029361.html

https://www.fr.de/zukunft/storys/verkehr/ich-lege-mich-mit-der-autoindustrie-an-damit-unsere-staedte-lebenswerter-werden-90029706.html

Ein älterer Artikel (16.8.) über eine Zeltstadt vor dem Bundestag
https://www.berlinstory-news.de/die-rechte-zeltstadt-vor-dem-bundestag/

Montag, 24. August 2020

Weshalb ist Trump trotz alledem erfolgreich?

https://twitter.com/dana1981/status/1297991728054431745

30% der Republikaner, die ihren Job unter Trump verloren haben, sind der Meinung, dass es ihnen besser gehe als im Vorjahr.
Dagegen sind nur knapp 10% der Demokraten, die ihren Job behalten haben, auch der Meinung, dass es ihnen besser gehe als im Vorjahr.

Über ein entsprechendes Phänomen habe ich mich schon bei Konservativen, die aufgrund Thatchers Politik arbeitslos wurden, gewundert.

It's stupid, it's not the economy.

Jugendliche spielen auf TikTok Holocaust-Opfer

https://schulesocialmedia.com/2020/08/24/jugendliche-spielen-auf-tiktok-holocaust-opfer-eine-einordnung/

Was ist denn das für Schokolade?

https://twitter.com/GebbiGibson/status/1297970954992259074/photo/1

https://tonyschocolonely.com/us/en/frequently-asked-questions

Arbeitssituation im Pflegebereich

In der Pflege bleibt die Lage auf dem Arbeitsmarkt trotz Fachkräftemangels Medienberichten zufolge prekär: Die Arbeitslosigkeit unter Pflegekräften ist im laufenden Jahr deutlich gestiegen. Unter deutschen Altenpflegern nahm die Zahl der Arbeitslosen von 21.872 auf 27.711 um 27 Prozent zu, unter ausländischen um 37 Prozent von 7.355 auf 10.070.
Im Bereich der Krankenpflege stieg die Zahl der arbeitslos gemeldeten deutschen Fachkräfte um 23 Pro­zent von 7.260 auf 8.955, die der ausländischen Pfleger um 28 Prozent von 3.037 auf 3.889.
(Ärzteblatt.de 24.8.2020)


Dagegen war in einer Statistik der Arbeitsagentur von Mai 2020 noch von einem Rückgang der Arbeitslosigkeit die Rede.
https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Berufe/Generische-Publikationen/Altenpflege.pdf?__blob=publication File

Aber ein gewisser Verkehrsminister ist immer noch nicht arbeitslos.

Zur Geschichte der Postkarte

Postkarte (Wikipedia):
"1760 führte das private Stadtpostunternehmen Petite Poste (Kleine Post) in Paris offen lesbare Mitteilungen ein, 1784 führte die privat betriebene Kleine Post in Wien Karten mit offen versandten Mitteilungen ein. In beiden Fällen sind jedoch keine Exemplare erhalten.[3][4][5] 1840 erschien in England die erste Briefmarke und verbreitete sich bald über den Globus. Das war eine Voraussetzung für die Postkarten und das Postwesen in der heutigen Form."

https://www.fr.de/kultur/es-gab-heisse-diskussionen-zum-beispiel-duerfen-frauen-postkarten-schreiben-90028937.html :
"Es gab heiße Diskussionen. Eine Frage war zum Beispiel: Dürfen Frauen Postkarten schreiben? Denn Frauen mussten ja auf ihr gutes Benehmen achten und ihre Briefe sollten privat bleiben. Oder: Was passiert, wenn ich als hochgestellter Mensch eine Postkarte schreibe und Dienstleute sie lesen können? Und: Eine kurze Nachricht ist gewünscht, aber verunstaltet man dabei vielleicht die Sprache? All das wurde diskutiert, als die ersten gedruckten Postkarten, noch als Korrespondenzkarten, in Umlauf kamen."

Sonntag, 23. August 2020

Visegrád-Gruppe und Austerlitz-Format in der EU

https://de.wikipedia.org/wiki/Visegr%C3%A1d-Gruppe

Für die innere Entwicklung der EU ist die Visegrád-Gruppe wohl wichtiger, als ich sie bisher genommen habe. Insbesondere scheint mir beachtenswert, dass sie ihre Entstehung der Zusammenarbeit von Lech Wałęsa, Václav Havel und József Antall verdankt. Von heute aus scheint das eher verwunderlich. 

Wahlrechtsreform: Lammert fordert Bewegung von Union und SPD

https://www.fr.de/politik/dutzende-extremismus-verdachtsfaelle-bei-polizei-zr-1-zr-13865165.html

Zur Entwicklung des Flüchtlingsproblems von 2015 bis 2020

Juli 2015 hat Angela Merkel einer Geflüchteten palästinensischen Ursprungs erklärt,  "dass in den palästinensischen Lagern im Libanon noch Abertausende Flüchtlinge sitzen. Deutschland könne es nicht schaffen, allen Flüchtlingen im Nahen Osten oder denen in Afrika zuzurufen: 'Ihr könnt alle kommen.' " (Hannoversche Allgemeine 16.7.2015Daraufhin  gab es unter dem Hashtah #merkelstreichelt eine große Empörungswelle über ihre Reaktion. 
Am 31.8.2015 sagt Angela Merkel über die Bewältigung des Flüchtlingsproblems: "Wir schaffen das." Am 4.9.15 entscheidet sie, Flüchtlinge aufzunehmen, die sich aus Budapest aufmachen, um zu Fuß nach Österreich zu laufen. Sie sollen ausnahmsweise die Grenze passieren dürfen. 
Am 3.6.2019 erheben Menschenrechtsanwälte beim Internationalen Strafgerichtshof in Klage gegen Angela Merkel und andere Politiker, ihre Politik Bewältigung des Flüchtlingsproblems sei ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Die Klage wird am 12.10.19 angenommen. 
Am 23. 7. 2020 erklärt Merkels Kabinettsmitglied Bundesminister Seehofer: "Der Zustand ungeordneter Migration muss beendet werden."
Was ist da vor sich gegangen?

Eine Antwort darauf hat Caterina Lobenstein am 20. August 2020 in dem ZEIT-Artikel An der Grenze in 110 Nachrichten gegeben. Daraus zitiere ich im Folgenden einzelne Nachrichten. Die Zitate sollen dazu anregen, den vollständigen Text zu lesen
Im Fall, dass der Eindruck entsteht, dass das nicht gelingt, werde ich sie wieder löschen.
(Sobald die Textauszüge in ein neues Jahr springen, wird die Jahreszahl fett gedruckt.)

"Vor fünf Jahren entschied Angela Merkel, mehrere Hunderttausend Flüchtlinge ins Land zu lassen. Und heute? Eine Geschichte in 110 Nachrichten"

"Spätsommer 2015: In Syrien ist seit vier Jahren Krieg. Der "Islamische Staat" rückt vor, das Assad-Regime bombardiert aus der Luft, selbst Kinder werden an die Front geschickt. In den Flüchtlingslagern der Nachbarstaaten Jordanien und Libanon gehen die Nahrungsmittel aus.
Auch in Afghanistan fliehen die Menschen vor Terror und Krieg, ebenso im Irak und in Nigeria. Und vielerorts treibt die Armut die Menschen aus ihrer Heimat. In dieser Situation entscheidet Angela Merkel, mehrere Hunderttausend Flüchtlinge und Migranten ins Land zu lassen. Fortan gilt sie weltweit als Fürsprecherin der Menschlichkeit, als "Flüchtlingskanzlerin".
Tatsächlich werden die Grenzen der Menschlichkeit bald enger gezogen. In Deutschland und Europa beginnt damals ein Drama um Öffnung und Abschottung, das bis heute andauert. Es treten auf: Flüchtlinge und Schlepper, Grenzpolizisten und Seenotretter, Nationalisten und Humanisten, Demokraten und Autokraten. Die folgenden Seiten erzählen diese Geschichte anhand von Nachrichten aus den vergangenen fünf Jahren. Die meisten Ereignisse haben sich zugetragen, als das Land längst wieder über andere Themen sprach.
[...]
31. August 2015 Angela Merkel hält ihre Sommerpressekonferenz. Sie sagt zum ersten Mal den Satz, der später berühmt und berüchtigt werden wird: "Wir schaffen das." [...]
19. März 2016 Im Norden Syriens sind mehr als 100.000 Menschen auf der Flucht Richtung Türkei, werden aber nicht ins Land hineingelassen. Nach dem Deal mit der EU hat die Türkei, in der bereits rund drei Millionen syrische Flüchtlinge leben, ihre Grenze weitgehend verriegelt. Betonmauern versperren den Weg, drei Meter hoch, Hunderte Kilometer lang. Soldaten patrouillieren mit Gewehren, moderne Sensoren registrieren selbst kleinste Bewegungen. Den Grenzwall, den Merkel nie wollte, hat Erdoğan für sie errichtet.
21. März 2016 In Idomeni, wo sich mittlerweile mehr als 10.000 Menschen stauen, versucht ein Mann sich anzuzünden.
22. März 2016 In Brüssel sprengen sich drei IS-Terroristen in die Luft. Sie töten 32 Menschen, mehr als 300 werden verletzt.
4. April 2016 Auf den griechischen Inseln, die kein Flüchtling mehr Richtung europäisches Festland verlassen darf, werden einige Syrer in die Türkei abgeschoben. Eigentlich sieht der EU-Türkei-Deal vor, dass alle zurückgeschickt werden. Dieser Plan aber geht nicht auf. Unter anderem, weil Griechenlands Behörden überlastet und viele Gerichte der Auffassung sind, die Türkei sei für Flüchtlinge kein sicherer Ort. In den Lagern auf Lesbos, Samos und den anderen Ägäis-Inseln stauen sich fortan Tausende Menschen.
12. April 2016 In Italien kommen an einem einzigen Tag mehr als 2200 Flüchtlinge an. Während die Fluchtroute über die Ägäis und den Balkan nun weitgehend versperrt ist, kommen über das zentrale Mittelmeer zwischen Libyen und Italien jeden Monat weiterhin Zehntausende Menschen. Insgesamt erreichen 2016 mehr als 180.000 Bootsflüchtlinge das Land, sie kommen vor allem aus Eritrea, dem Sudan und Westafrika.
6. November 2017 Im Mittelmeer filmen Aktivisten der Organisation Seawatch ein Rettungsmanöver der libyschen Küstenwache. Auf dem Video sieht man, wie Gerettete an Bord des libyschen Schiffs mit Seilen verprügelt werden. Und wie die Libyer mit hoher Geschwindigkeit losfahren, obwohl noch ein Mensch an der Außenleiter hängt. Ein Helikopter des italienischen Militärs beobachtet sie dabei. Als die Italiener den Mann an der Leiter entdecken, rufen sie über Funk: "Libysche Küstenwache, stoppen Sie den Motor! Hier spricht der italienische Marinehelikopter! Sie haben eine Person an der Leiter. Wir fordern Sie auf, zu stoppen! Jetzt! Jetzt! Jetzt!" Die Libyer fahren unbeirrt weiter.
14. November 2017 Der amerikanische Nachrichtensender CNN veröffentlicht erstmals Filmmaterial, das die Existenz der Sklavenmärkte in Libyen belegen soll. Das Video zeigt eine nächtliche Auktion in einem Hinterhof. Dort wird unter anderem ein Mann aus Nigeria als "großer, starker Junge für die Feldarbeit" angepriesen. Anschließend wird er versteigert, für umgerechnet 800 Dollar.
21. November 2017 In Serbien wird das sechsjährige afghanische Mädchen Madina Hussini von einem Zug erfasst und getötet. Das Mädchen und seine Familie hatten versucht, über die grüne Grenze nach Kroatien zu kommen, um dort um Asyl zu bitten. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurden sie jedoch von kroatischen Polizisten unrechtmäßig zurück nach Serbien geschickt. Die Polizisten hätten sie angewiesen, den Bahngleisen zu folgen. Die Polizei bestreitet das.
31. Dezember 2017 Angela Merkel hält ihre Neujahrsansprache. Die Flüchtlinge kommen darin nicht mehr vor.
24. April 2018 Geberkonferenz für Syrien in Brüssel. Von der Summe, die Hilfsorganisationen benötigen, um Kriegsgeschädigte und Binnenflüchtlinge zu versorgen, ist erst ein knappes Viertel zugesagt. Bundesaußenminister Heiko Maas verspricht eine Milliarde Euro, zusätzlich zu laufenden Verpflichtungen. Laut den Vereinten Nationen sind in Syrien mehr als 13 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen.
25. Juni 2018 Auf dem Dresdner Neumarkt spricht Pegida-Mitgründer Siegfried Däbritz vor seinen Anhängern über das deutsche Rettungsschiff Lifeline, das zur selben Zeit mit 234 Flüchtlingen an Bord ziellos auf dem Mittelmeer treibt, weil kein europäischer Staat es einlaufen lassen will. Die Pegida-Demonstranten skandieren: "Absaufen! Absaufen!"
28. Juni 2018 Die libysche Küstenwache bekommt eine eigene Seenotrettungszone zugeteilt. Von nun an koordiniert nicht mehr Italien, sondern Libyen die Rettungseinsätze im Mittelmeer. Der Rückführung der schiffbrüchigen Flüchtlinge nach Libyen steht nichts mehr im Weg – das Ziel der europäischen Abkommen mit Libyen ist erfüllt. Nur die zivilen Retter beharren darauf, die Menschen nach Europa zu bringen. Sie werden von der italienischen Regierung nun immer öfter behindert: Strafverfahren werden verhängt, Schiffe beschlagnahmt, Kapitäne verklagt. Und: Die Italiener und andere EU-Mittelmeeranrainer verbieten den zivilen Rettern, ihre Häfen anzusteuern.
10. Juli 2018 In München startet ein Abschiebeflug nach Kabul, an Bord 69 abgelehnte afghanische Asylbewerber. Horst Seehofer hat an diesem Tag Geburtstag. Er sagt: "Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir so nicht bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden." Einer der Abgeschobenen wird sich nach seiner Ankunft in Kabul erhängen.
20. November 2018 Italienische Behörden kündigen an, das zivile Rettungsschiff Aquarius zu beschlagnahmen – wegen angeblicher Fehler bei der Entsorgung von Bordabfällen.
6. Dezember 2018 Das Rettungsschiff Aquarius beendet seinen Einsatz im Mittelmeer. Der politische Druck sei zu groß geworden, sagen die Betreiber.
10. Februar 2019 Im Hafen von Palma de Mallorca steht ein Mann vor einem Schiff mit dunkelblauem Rumpf und weint: der Vater von Alan Kurdi, der mittlerweile im Irak lebt. Er hatte auf dem Mittelmeer seine Frau und seine beiden Söhne verloren. Jetzt ist er angereist, um ein ziviles Rettungsschiff zu taufen: auf den Namen seines Sohnes.
3. Juni 2019 Die Menschenrechtsanwälte Omer Shatz und Juan Branco reichen beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag Klage gegen europäische Politiker und Beamte ein, darunter Angela Merkel. Shatz, der an den Universitäten Sciences Po und Yale lehrt, sagt, die Toten im Mittelmeer seien "fester Bestandteil des Plans, die Migrationsströme aus Afrika einzudämmen. Diese Politik wurde in den letzten fünf Jahren vorsätzlich entworfen und umgesetzt. Sie ist keine Tragödie: Sie ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit." Die Chefanklägerin des Gerichtshofes, Fatou Bensouda, untersucht bereits seit 2017 mutmaßliche Verbrechen, die in den libyschen Lagern begangen wurden. Mit ihrer Klage wollen die beiden Anwälte bewirken, dass die Untersuchungen auf europäische Politiker ausgeweitet werden, die für die Kooperation mit Libyen verantwortlich sind.
12. Juni 2019 Vor der libyschen Küste rettet das Schiff Seawatch 53 Menschen. Am Steuer steht eine 31-jährige deutsche Kapitänin namens Carola Rackete. Nachdem sie 17 Tage vergeblich einen europäischen Hafen gesucht hatte, um die Menschen an Land zu lassen, fährt sie gegen den Willen der italienischen Regierung in den Hafen von Lampedusa ein. Als sie von Bord geht, wird sie festgenommen. Wenig später kommt sie frei.
2. Juli 2019 In Tadschura, einem Stadtteil von Tripolis, wird ein Lager für Flüchtlinge und Migranten bombardiert. Etwa 60 Insassen sterben.
23. August 2019 An der belgischen Küste wird die Leiche eines 48-jährigen Mannes aus dem Irak angespült. Er wollte durch den Ärmelkanal nach Großbritannien schwimmen – mit einer selbst gebastelten Schwimmweste aus leeren Plastikflaschen. Laut Medienberichten soll der Mann zuvor vergeblich versucht haben, in Deutschland Schutz zu bekommen.
12. Oktober 2019 Der internationale Gerichtshof in Den Haag nimmt die Klage gegen Angela Merkel und weitere europäische Politiker und Beamte an.
30. Oktober 2019 Der italienische Außenminister Luigi Di Maio spricht im italienischen Parlament. Er sagt, die Zahl der Bootsflüchtlinge aus Libyen sei innerhalb von zwei Jahren von 170.000 auf 2000 gefallen: "Das Abkommen funktioniert." Auch die Zahl der Toten im zentralen Mittelmeer ist gesunken, von knapp 2900 im Jahr 2017 auf 750 im Jahr 2019.
30. Januar 2020 Griechenland kündigt an, einen schwimmenden Zaun im Mittelmeer zu installieren, um Flüchtlinge abzuhalten. Im Lager Moria auf Lesbos hausen mittlerweile mehr als 20.000 Asylbewerber. Für sie alle stellt die griechische Regierung nur zwei Ärzte bereit. Insgesamt stecken auf den griechischen Inseln 40.000 Schutzsuchende fest. Einige deutsche Politiker fordern, zumindest minderjährige Bewohner zu evakuieren. Zwei Monate später wird in Hannover ein Flugzeug landen – mit 47 jungen Flüchtlingen aus Griechenland an Bord.
19. Februar 2020 Schwere Kämpfe und Luftangriffe in Idlib lösen eine Massenflucht aus. Seit Dezember 2019 wurden im Nordwesten Syriens rund 900.000 Menschen vertrieben.
23. Juli 2020 Bundesinnenminister Horst Seehofer trifft sich mit europäischen Amtskollegen in Wien. "Die Migration auf der Westbalkanroute steigt", sagt er. "Der Zustand ungeordneter Migration muss beendet werden."

Im Jahr 2015 sind 1.065.000 Asylbewerber in die EU gelangt. Fünf Jahre später waren es in den ersten sieben Monaten des Jahres 2020 nur noch 41.129.
Seit 2015 haben laut offiziellen Angaben 15.602 Menschen ihr Leben im Mittelmeer verloren.
Die Zahl der Flüchtlinge weltweit ist seit dem Sommer 2015 gestiegen: Damals waren 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Heute sind es fast 80 Millionen."

https://www.zeit.de/2020/35/fluechtlinge-fluechtlingskrise-2015-europaeische-union-grenzen/komplettansicht

Sieh auch:
5 Jahre nach: "Wir schaffen das!" Eine Zwischenbilanz von Arnfried Schenk, ZEIT 19.8.2020

Experte warnt vor Massenflucht FR 23.8.2020

Flüchtlinge (ZUM-wiki-Artikel, aktueller Stand. Die Erstfassung stammt vom 5.8.2009)

Experte warnt vor „Massenflucht“ aus Afrika

"Immer mehr Menschen machen sich aus Afrika auf den Weg nach Europa, warnt ein Experte - und sagt, was die Politik jetzt tun muss, um eine Massenflucht zu verhindern.


  • Ein Afrika-Experte warnt vor einer Massenflucht vom afrikanischen Kontinent.
  • Die Corona-Krise befeuere die Situation, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht.
  • Sein Appell an europäische Regierungen, lautet zusammengefasst: Hört auf, mit korrupten Regierungen zusammenzuarbeiten. [...]

  • Wie die Organisation Medico International beschreibt, sind es auch in der Corona-Krise vor allem die Bürger in afrikanischen Ländern, die sich für ihre Länder engagieren und dabei wichtige Erfolge im Kampf gegen die Pandemie* erringen. So sind etwa in Südafrika Gesundheitsarbeiter*innen, die sich unter Einsatz ihres Lebens für die Gesundheit aller einsetzen, während es die Politik versäume, dauerhafte Antworten auf die Krise zu finden - eine Krise, die schon vor Corona Normalzustand war. Lokale Initiativen, Bildung und Frauen zu unterstützen, muss ein Ansatz sein, so Asserate - doch das geht dem Experten nicht weit genug. [...]

    Vor allem müsse Europa darauf setzen, dass Afrika endlich gut regiert werde, so Asserate: „Viel zu oft erreichen die Entwicklungsgelder nicht diejenigen, für die sie bestimmt sind. In den Händen der herrschenden Kleptokraten wird das Geld zum Instrument des Machterhalts und liefert das Schmiermittel für die grassierende Korruption.“ Viele der Regierenden würden zudem den aktuellen Ausnahmezustand nutzen, um ihren Machterhalt zu sichern.
    Europa müsse eine Zusammenarbeit mit Regierungen beenden, die sich nicht um das Wohl ihrer Landsleute scherten, Menschenrechte mit Füßen träten und vor allem auf das eigene Wohl bedacht seien - ohne Politik vorzuschreiben. Letztendlich seien es die Afrikaner selbst, die die Veränderung herbeiführen müssten. Doch die bräuchten Unterstützung im Kampf für die eigenen Rechte."

    https://www.fr.de/politik/afrika-massenflucht-corona-krise-europa-politik-korruption-diktatur-fluechtlinge-fluechtlingswelle-migration-zr-90028638.html

    Sieh auch:
    https://fontanefansschnipsel.blogspot.com/2020/08/zur-entwicklung-des-fluchtlingsproblems.html

    Freitag, 21. August 2020

    Von Derrida zu Spivak, von Differenz zu Identität

    Andreas Bernard: Wen kümmert's, wer spricht?
    "Heute reden viele Linke über Identität, als sei sie naturgegeben und unverrückbar. Oder sie ignorieren den historischen Kontext von Kunstwerken. Dabei haben frühe kritische Denker gegen solche Haltungen gekämpft. Was ist da passiert? [...]

    Eine der meistdiskutierten Thesen von Michel Foucault und Roland Barthes war ja die Rede vom "Tod des Autors"*; ihre wissensgeschichtlich und literaturtheoretisch ausgearbeitete Kritik des souveränen Subjekts spitzte sich am Ende der Sechzigerjahre in zwei berühmt gewordenen Aufsätzen zu. Die Eingangssätze von Was ist ein Autor?, in denen Foucault Samuel Beckett zitiert, lauten: "›Wen kümmert’s, wer spricht?‹ In dieser Gleichgültigkeit äußert sich das wohl grundlegendste ethische Prinzip zeitgenössischen Schreibens." Genau diese Position greift die indischstämmige Literaturwissenschaftlerin Gayatri Spivak in ihrem Essay, der als ein Gründungsmanifest "postkolonialer" Theoriebildung gilt, vehement an. [...]
    Die Überzeugungskraft, die Spivaks Reflexion über den "Ort des Forschers" vor allem in den letzten fünfzehn Jahren auf kulturtheoretische Perspektiven und Sprechweisen ausgeübt hat, wird bei der Lektüre ihres Essays unmittelbar verständlich. Tatsächlich scheint eine Kluft zu bestehen zwischen den Texten der Pariser Theoretiker, die historischen Rändern und Außenseitern gewidmet sind, und der elitären Linearität ihrer eigenen Karrieren, von der École normale supérieure zum Collège de France. Für eine ganze Generation an Theorieinteressierten muss es ein augenöffnender Moment gewesen sein: Spivak richtete jene Sensibilität für das Aufspüren von verborgenen Leerstellen des Diskurses, die man von Foucault und Derrida gelernt hatte, nun plötzlich auf einen von diesen Autoren selbst ausgesparten blinden Fleck – auf die Position der Sprecher, auf die begünstigenden oder hemmenden Effekte, die ihre Herkunft oder ihr Geschlecht auf das Gesagte hatten. [...]

    Spivaks und Butlers Veröffentlichungen, die zu Urtexten neuer Wissenschaftsdisziplinen und Studiengänge auf der ganzen Welt geworden sind, bezeichnen einen erkenntnistheoretischen Bruch. Denn die beiden stellen ihre theoretischen Positionen zwar in den Kontext der "poststrukturalistisch" genannten Analysen, untersuchen Konstruktionsweisen des vermeintlich Naturgegebenen und Selbstverständlichen. Aber gleichzeitig führen sie einen Fluchtpunkt des Denkens ein, der einem zentralen Begriff der Dekonstruktion und Diskursanalyse genau entgegengesetzt ist. Derrida oder Deleuze stellten ihre Untersuchungen ins Zeichen der "Differenz". In den aufkommenden gender studies und postcolonial studies wird ab den Neunzigerjahren "Identität" zur Leitkategorie. Aus Spivaks titelgebender Frage, ob "die Subalternen sprechen können", ergibt sich diese Fokussierung zwangsläufig, denn nur wer männlich, weiß und etabliert ist, kann die Identitätskategorien von Geschlecht, Ethnie und Sozialstatus in seiner Redeperspektive ignorieren. [...]

    Die aktuelle kulturkritische Verschiebung äußert sich also in einer Umleitung der Relativierungsenergie: Unentwegt befragt werden inzwischen nicht mehr die erkenntnisstiftenden Fundamente der behandelten Texte, sondern die identitätsstiftenden Fundamente der beteiligten Sprecher. Und vielleicht wird der Unmut, den die postkolonialen Redeweisen gerade bei den frühesten Exegeten der Dekonstruktion auslösen, genau durch die Erfahrung einer Rollenumkehr verstärkt. Noch in den frühen Neunzigerjahren konnten die biederen Gewissheiten der literarischen Hermeneutik mit ein paar Bemerkungen zum medialen Apriori oder zum unendlichen Aufschub der Signifikanten provoziert werden. Heute sind es die lieb gewonnenen Fundamente einer Diskursanalyse, welche die eigene Sprecherposition immer ausgeklammert hat, die durch das Augenmerk auf impliziten Privilegien der Rede zu bröckeln beginnen. [...]
    Auch wenn die gegenwärtigen Konfrontationen also von der schlichten Kränkung zugespitzt werden, dass eine Theorieavantgarde die vorige ablöst, lassen sich doch einige grundlegende Veränderungen beobachten, die sich in den vergangenen Jahren in den kulturkritischen Denkweisen ergeben haben. Diese Veränderungen betreffen vor allem die Rolle der Geschichte und den Status von Wahrheit. Ein Argumentationsgestus, der im Namen der gender und postcolonial studies häufig sichtbar wird, ist die Auffassung, dass die Kulturerzeugnisse aus den unterschiedlichsten Epochen mit den ethischen Maßstäben der Gegenwart bewertet werden müssen. Als sexistisch oder rassistisch ausgemachte Gehalte von Kunstgebilden scheinen die Jahrhunderte unverwandelt zu überdauern.
    Der Fokus der Theoriebildung auf dem Begriff der "Identität" in der Folge Spivaks und Butlers ist also mit einem nachlassenden Interesse an der Geschichtlichkeit von Erkenntnis einhergegangen. [...]
    Inzwischen hat der überwältigende kulturelle und politische Erfolg der gender studies dazu geführt, dass Hermaphroditismus und Transsexualität glücklicherweise immer seltener pathologisiert werden. Zum anderen aber hat er die Existenzform des Dazwischen, die in Foucaults und Butlers Studien eher als latent leidvolle Position aufgefasst wurde, in eine Feier der Transition verwandelt. Der Einsatz der Vorsilbe trans* heute, die immer weiter ausdifferenzierte, regelmäßig um neue Initialen ergänzte LGBTIQ-Community sollen vor allem Stolz und Empowerment repräsentieren. Die Erfahrung der Nicht-Identität ist zumindest in den öffentlichen Debatten in den Hintergrund gerückt. Wenn man die theoriegeschichtliche Herkunft der gender studies bedenkt, lässt sich also der Eindruck einer merkwürdigen Reessentialisierung der Geschlechtsidentität nicht verwischen. Erfüllte Individualität scheint heute gleichbedeutend mit der selbsttätigen, im vielfältigen Spektrum des Möglichen getroffenen Wahl des Geschlechts zu sein. Man könnte von einer neoliberalen Ideologie der Diversity sprechen.
     [...] Entscheidend ist, dass eine Kritik dieser Ideologie nichts mit dem Wunsch nach der Wiederherstellung normativer Ordnungen zu tun hat. Eher geht es um das Gegenteil: um den Eindruck, dass gerade von politisch verantwortungsvoller, theoretisch informierter Seite neue Naturalisierungen geschaffen werden, die Naturalisierung des Vielfältigen und Heterogenen, die historische und ästhetische Prozesse bei der Fahndung nach unliebsamen Inhalten ignoriert und ihre Forderungen ausgerechnet mit Methoden der polizeilichen Autorität durchsetzen will.
    Im Angesicht der aktuellen Verbots- und Tilgungsoffensiven lohnt es sich daher vielleicht, an eine kulturtheoretische Herangehensweise zu erinnern, die man als Ethik der Interpretation bezeichnen könnte. Roland Barthes’ Reflexionen über die Produktionsbedingungen von Sinn gehören diesem Denkstil ebenso an wie Adornos dialektische Hypothese, dass literarische Gesellschaftskritik nur als Versenkung in Fragen der Form möglich sei, oder jener Hinweis Foucaults, dass die Gleichgültigkeit der Autorenposition das "grundlegendste ethische Prinzip zeitgenössischen Schreibens" bilde. Das Augenmerk auf den Zeichen ist keine intellektuelle Fingerübung, keine gesellschaftliche Indifferenz, sondern die unhintergehbare Voraussetzung für Fragen der Ethik und Politik. Wo dieses Augenmerk ignoriert wird, wo es um die reine Destillation von Inhalten geht, über die Zeiten und Kulturen hinweg, beginnt das Reich der Ideologie.

    * https://www.zeit.de/2000/36/Wen_kuemmert's_wer_spricht_/komplettansicht

    Donnerstag, 20. August 2020

    Nariman Hammouti: Ich diene Deutschland

     

    "Klappentext" der Bundeszentrale für politische Bildung:

    "Was bedeutet es, als Frau und Muslima in der Bundeswehr zu dienen? Nariman Hammouti schildert ihre persönliche Laufbahn als Soldatin – und macht so nicht nur auf die wichtigen Aufgaben der deutschen Parlamentsarmee aufmerksam, sondern gibt auch Einblicke in aktuell anstehende Reformprozesse.

    Das Bild der Bundeswehr ist nicht ungetrübt – Vorfälle rechtsnationaler Gewalt wie auch Modernisierungsschwierigkeiten der Truppe haben dazu beigetragen. Doch dies ist nicht das vollständige Bild und lässt vergessen, welch wichtige Funktion die Bundeswehr erfüllt und welche Opfer ihre Soldatinnen und Soldaten erbringen, von langen Arbeitszeiten und riskanten Auslandseinsätzen bis hin zum Einsatz ihres Lebens. 
    Nariman Hammouti gibt sehr persönliche Einblicke in Laufbahnen und Strukturen der Bundeswehr und in anstehende und laufende Reformprozesse. Sie selbst ist deutsche Soldatin und Muslima aus einer marokkanischen Familie und muss sich oft für beides innerhalb und außerhalb der Bundeswehr rechtfertigen. Doch ihre Laufbahn sei, wie sie sagt, die höchste Form der Integration: Sie sei stolz auf ihren Beruf und bereit, für Deutschland zu sterben."

    Montag, 17. August 2020

    SPD nach Scholz-Nominierung im Umfragehoch

    SPD im Umfragehoch nach Scholz-Nominierung FR 16.8.20
    "[...] Nach der Nominierung von Scholz habe die SPD um drei Prozentpunkte zugelegt, wie aus dem Sonntagstrend des Meinungsforschungsinstituts Kantar für die "Bild am Sonntag" hervorging. Demnach kommen die Sozialdemokraten in dieser Woche auf 18 Prozent (15 Prozent) und liegen damit wieder vor den Grünen mit 16 Prozent (18 Prozent). Die Union verliert ebenfalls zwei Punkte und kommt in dieser Woche auf 36 Prozent. Die Umfragewerte von FDP (6 Prozent), Linke (8 Prozent) und AfD (11 Prozent) blieben zur Vorwoche unverändert.
    Knapp jeder dritte Befragte (29 Prozent) hält laut einer weiteren Umfrage für die "Bild am Sonntag" Scholz als geeignet für Kanzleramt. Besser schnitt nur Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ab, den demnach 38 Prozent für geeignet halten. Klar dahinter liegen die CDU-Politiker Friedrich Merz (19 Prozent), Jens Spahn (18 Prozent) und Armin Laschet (13 Prozent). Mehr Zuspruch als Laschet erhielt auch Grünen-Chef Robert Habeck mit 18 Prozent. Der Grünen-Chefin Annalena Baerbock würden derzeit 9 Prozent das Kanzleramt zutrauen. [...]"

    Immunität gegen COVID-19

    "[...] Aber generell bleiben die Erkenntnisse, die momentan aus der Immunologie bezogen auf Sars-CoV-2 kommen, ermutigend. In der oben erwähnten “Cell”-Studie wurde auch Blut untersucht, das gesunden Erwachsenen vor dem Ausbruch von Sars-CoV-2 in den Jahren 2015 bis 2018 entnommen worden war. 60 Prozent der Proben enthielten T-Helferzellen, die Sars-CoV-2 -Fragmente erkannten. Die oben genannte Berliner Studie bestätigte diese Ergebnisse. Sie könnten bedeuten, dass ein bedeutender Teil der Bevölkerung zumindest zum Teil vor Sars-CoV-2 geschützt ist, weil diese Menschen mit bei uns heimischen Corona-Erkältungsviren in ihrem Leben infiziert waren und daraufhin eine wirkungsvolle Immunantwort ausgebildet haben. [...]"

    https://www.rnd.de/gesundheit/was-passiert-bei-einer-corona-infektion-in-der-zelle-BFUAMMKO6RC2HOXGFNM6IT4S5Q.html

    Volkskorrespondenten

    "Der ideologischen Infiltration der Redaktionen diente die nach sowjetischem Vorbild aufgebaute Volkskorrespondenten-Bewegung, die 1948 von den SED-Landesleitungen initiiert wurde und 1963 etwa 17 000 Personen umfasste. Sie berichteten als eine Art Vertrauenspersonen aus ihren Betrieben und Wohnvierteln." ( Kurt Koszyk in: J. Wilke (Hrsg.): Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1999, S.48)

    Sonntag, 16. August 2020

    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens – Die Zeit der Gegenwart

    "Mehr als alles andere aber schwächte den Westen und damit auch seine Führungsmacht die Infragestellung jener transatlantischen Wertegemeinschaft, die Amerikaner und Europäer in der Vergangenheit so oft beschworen hatten. (Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens – Die Zeit der Gegenwart, 2015, S. 236) 


    "Im gleichen Monat gründeten Gewerkschaftler, linke Sozialdemokraten und Angehörige linker Splittergruppen eine neue Partei, die Wahlaternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG)." (Seite 245)
    Wolfgang Clement, seit 2005 Minister für Wirtschaft und Arbeit, setzte jedoch im Zusammenspiel mit dem Kanzler, ein höheres Defizit und damit eine höhere Neuverschuldung durch, wobei die Beteiligten die Verletzung eines der Maastricht-Kriterien, nämlich die abermalige Überschreitung der Defizitgrenze von 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes, bewusst in Kauf nahmen. [...] Den Bruch dieser Zusage vollzog die Bundesregierung in enger Abstimmung mit der französischen Regierung, der ebenfalls an einer Aufweichung der im Vertragswerk von Maastricht festgelegten Restriktionen lag. Schon 2003 hatten Berlin und Paris gemeinsam verhindert, dass die Kommission die Eurostaaten, die die Dreiprozentmarke überschritten hatten, durch einen "Blauen Brief" zur Haushaltsdisziplin ermahnte. Die beiden größten Volkswirtschaften der EU setzen damit ein Beispiel, dass Schule machen sollte. [...]
    Die finanzpolitische Kehrtwende zeitigte nicht die Wirkungen, die sich Rot-Grün erhofft hatte. Am 22. Mai erlitten die beiden Düsseldorfer Koalitionspartteien, die SPD und die Grünen, bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen eine schwere Niederlage: Sie verloren ihre parlamentarische Mehrheit an CDU und FDP. Damit gab es in ganz Deutschland keine rot–grüne Landesregierung mehr. So wie Schröder die Lage beurteilte, war es für die SPD geradezu eine politische Überlebensfrage, nach dem Verlust ihres "Stammlandes" an Rhein und Ruhr wieder in die politische Offensive zu gehen. Noch am gleichen Abend kündigte der Kanzler daher in Absprache mit Müntefering an, er strebe nunmehr Neuwahlen an. Die "unechte" Vertrauensfrage, über die der Bundestag am 1. Juli abzustimmen hatte, führte zum gewünschten Ergebnis: dank 148 Enthaltungen aus den Reihen der Koalition wurde der Antrag abgelehnt." (Seite 246)
    So kam es Im Sepember zu einer vorzeitigen Neuwahl des Bundestages.

    "Am Abend des Wahltages, des 18. September, lagen die Unionsparteien mit 35,2 % nur knapp vor der SPD, die auf 34,2 % kam. Die FDP erhielt 9,8, die linke 8,7, Bündnis 90/die Grünen 8,1 %.
    Eine Mehrheit gab es weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün. Rot-Rot-Grün war eine ebenso undenkbare Konstellation wie eine "Ampel" aus SPD, FDP und Grünen. Es blieb nur eine große Koalition aus Union und Sozialdemokraten, wie es sie schon einmal in den Jahren 1966-1969 in der "alten" Bundesrepublik gegeben hatte." (Seite 247)
    "Von den inneren Reformen von Rot-Grün prägten sich den Zeitgenossen der Ausstieg aus der Kernenergie, die Ökosteuer, das neue Staatsbürgerschaftsrecht und die eingetragene Lebenspartnerschaft am stärksten ein. Unter Rot-Grün hatte Deutschland, um nicht allzu weit hinter die Pionierländer, die USA und Großbritannien, zurückzufallen, die Liberalisierung der Finanzmärkte vorangetrieben, indem es durch das Investment-modernisierungsgesetz vom September 2003 relativ restriktive Voraussetzungen für die Zulassung von Hedgefonds schuf." (Seite 248)

    "Es sollten noch mehrere Jahre vergehen, bis in Deutschland die Einsicht reifte, dass die Reformen von 2003 Deutschland wirtschaftlich gestärkt und seinen Sozialstaat gefestigt hatte. Deutschland war aus Traditionen ausgebrochen, die sich als fesselnd erwiesen hatten. So reformbedürftig das Reformwerk in mancher Hinsicht auch war, in der Summe legte es den Grund dafür, dass Deutschland die Erschütterungen im Zeichen der Weltwirtschaftskrise von 2008 besser überstand als die meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union." (S.249)



    "Wenn die Europäische Union so etwas wie ein "Wir-Gefühl" entwickeln wollte, musste sie die kommunistische Diktaturerfahrung als Teil ihres gemeinsamen Erbes begreifen, ohne dass sie die unterschiedlichen Erscheinungsformen von totalitärer Herrschaft, der nationalsozialistischen beziehungsweise faschistischen und der kommunistischen, gleichsetzte." (Seite 279)

    "Ihren Anspruch, ein Bündnis freiheitlicher Demokratien zu sein, interpretierte die NATO sehr pragmatisch: Das autoritär regierte Portugal war ein Gründungsmitglied; die undemokratischen Strukturen der Türkei standen ihrer Aufnahme im Jahr 1952 nicht im Weg." (S.599)

    Früher sprach man von Realpolitik, in der Politikwissenschaft spricht man von Realismus. Winkler beschreibt die NATO von 1952 als pragmatisch.
    Winkler hat freilich weit mehr zu sagen. 

    "Was die Demokratien angeht, [...] Schon im persischen Großreich gab es über Jahrhunderte hinweg einen gewählten Rat, eine Volksversammlung und Richter, die auf Vorschlag des Rats von der Volksversammlung gewählt wurden. Auch im Hinblick auf eine andere vermeintliche Errungenschaft des Westens, die Toleranz, sind Zweifel angebracht. [...] indischen Kaiser Aschoka, der schon im 3. Jahrhundert vor Christus für Toleranz eintrat. [...] Der alte Okzident brauchte lange, nämlich bis zur Aufklärung, bis er in der Toleranz eine Bedingung geistiger Freiheit erkannte und anerkannte." (S.606)

    Rezensionen des Bandes bei Perlentaucher


    Wikipedia Heinrich August Winkler:
    "Angesichts der Coronakrise im Frühjahr 2020 hält es Winkler für illusorisch zu meinen, die Folgelasten seien allein durch neue Schulden zu meistern. Deutschland werde um eine „Umverteilung großen Stils“, einen Lastenausgleich zwischen den von den materiellen Folgen weniger Betroffenen und den in ihrer beruflichen Existenz Gefährdeten, nicht herumkommen. Diese Umverteilung werde den historischen Lastenausgleich zugunsten der Heimatvertriebenen und Ausgebombten nach dem Zweiten Weltkrieg weit übertreffen."
    (Heinrich August Winkler: Plädoyer für einen neuen Lastenausgleich. Wir brauchen einen Corona-Soli. In: Der Tagesspiegel, 29. März 2020, S. 19.)

    Verschwörungstheorien so oder so gesehen

    [...] Man sieht daran, dass es unklug ist, in unsicheren Zeiten, in denen Misstrauen gegen das Regierungshandeln blüht, dieses sogleich als irrational abzutun. Es ist sogar besonders fatal, weil genau dies die Praxis von Diktaturen oder allgemein korrupten Regierungen war – nämlich ihre Gegner als Wirrköpfe, wenn nicht Paranoiker zu bezeichnen. Galt nicht auch der KPdSU jeder, der an der "wissenschaftlichen Weltanschauung" des Marxismus-Leninismus zweifelte, als verrückt? Und wie war das mit der CIA, der man alle möglichen dunklen Machenschaften in Lateinamerika andichtete, bis sich herausstellte, dass es sich gar nicht um Dichtung, sondern um tatsächliche Beteiligung an den meisten Staatsstreichen rechtsgerichteter Militärs handelte?
    Das heißt, dass manches, was lange als Verschwörungstheorie galt, tatsächlich nur allzu lange im Status einer Hypothese verharrte – weil die Möglichkeit zur Überprüfung (zur Akteneinsicht) fehlte. Die Wahrheitsfrage ist, anders als man meinen möchte, deshalb gar nicht so unerheblich für die Entscheidung, ob ein Verdacht berechtigt oder nur wahnhafte Konstruktion ist. Im Übrigen immunisieren sich auch keineswegs alle wirklich verrückten Verschwörungstheorien durch ihre logische Struktur gegen eine Überprüfung. Viele enthalten Tatsachenbehauptungen, die als Irrtum oder Lüge schon enttarnt wurden, ohne dass dies allerdings ihre Anhänger irritiert hätte. Empirisch sehr wohl (und leicht) widerlegbar ist zum Beispiel die aktuell umlaufende Wahnidee, Bill Gates benutze die Corona-Epidemie, um die Weltherrschaft zu erringen und eugenische Maßnahmen in der Nachfolge von Nazis zu ergreifen, die in den USA überlebt haben sollen. Unerreichbarkeit für rationale Einwände ist hier keine Eigenschaft der Theorie, sondern eine Eigenschaft der Menschen, die an sie glauben wollen [...]"
    https://www.zeit.de/2020/34/verschwoerungstheorien-coronavirus-wissenschaft-hypothese

    Treffende Überlegungen, so lange er sich im politischen Bereich bewegt. Sobald in sich auf das Feld der Falsifizierung von Hypothesen begibt, greift Jens Jessen leider voll daneben.

    Samstag, 15. August 2020

    Bemerkenswerte Diskussionen in der CDU

    https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kramp-karrenbauer-rief-soeder-zu-zurueckhaltung-auf-16905007.html

    Meine persönliche Ansicht ist, dass es unter den CSU-Vertretern, die in Bonn aktiv werden, ungewöhnlich viele Versager gibt. Das gilt nicht nur für Kanzlerkandidaten.

    Digitale Ethik

    https://twitter.com/phwampfler/status/1293314680258265090

    Kathrin Passig über Twitter und anderes

    @kathrinpassig schreibt in der FR (15./16.8.20, S.10) treffend u differenziert über die Schwierigkeiten, Netzwerke endgültig zu verlassen. Kurzformel "Je Türknall, desto wiederkomm" und lässt offen, ob sie die erfunden hat.

    mehr von ihr (Interview im Tagesspiegel):
    https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/interview-mit-netzexpertin-kathrin-passig-meistens-brauche-ich-eine-halbe-stunde-pro-tweet/9250450-all.html (25.12.2013)

    "[...] Am 8. Juni twitterten Sie: „233 Tweets über die Unbegreiflichkeit von Interlaken verfasst und wieder gelöscht, Kapitulation und Abreise.“

    Ich habe lange versucht, etwas über Interlaken zu sagen. Erst als ich im Zug war, habe ich getwittert.
    Katharsis bedeutet: Es geht Ihnen nach dem Scheintwittern besser. Doch es ist unbefriedigend, einen Text vor der Veröffentlichung zu löschen.

    Muss nicht sein. Ich finde es sogar etwas besser.[...]
    Ich habe schon öfter davon profitiert, eine Frau zu sein – und in dem Moment, wo es zu den eigenen Ungunsten ausschlägt, soll ich „Aufschrei“ rufen? [...]
    Seit seinen Anfangszeiten tut das Netz genau das: Es belegt, dass Phänomene, die bisher als Einzelfälle galten, im Prinzip schon Alltag und Norm sind. [...]
    Uns hat Ihr Tweet zum Tod Ihres guten Freundes Wolfgang Herrndorf sehr berührt.

    Wolfgang war’s wichtig, dass es nicht in allen Nachrufen heißt, er sei dem Krebs erlegen. Das hätte sofort in seinem Blog stehen müssen, oder im Wikipedia-Eintrag.
    * Sein Blog war überlastet, und den Wikipedia-Eintrag dürfen nur schon länger angemeldete Nutzer bearbeiten. Im engeren Kreis haben wir in einem Chat überlegt, was jetzt zu tun ist, und ich dachte: Na gut, dann halt Twitter. So werden diese Informationen schnell und breit gestreut.
    Daran gab es viel Kritik.

    Ja, einerseits gilt Twitter vielen als frivol und unseriös – ein alberner Vorwurf, Twitter ist ja nicht dem Veröffentlichen von Katzenscherzen vorbehalten. Andererseits beschwerten sich manche, der Tweet sei zu detailreich gewesen: „Aber der Werther-Effekt!“ Da hätte Wolfgang zwar nur drüber gelacht und gesagt: „Die sollen erst mal sehen, wo die ’ne Waffe herkriegen.“ Aber wenn ich gewusst hätte, dass es tatsächlich eine Übereinkunft unter Journalisten gibt, bei Suiziden Ort und Todesart nicht zu nennen, hätte ich das auch nicht getan. Die Details waren ja nicht so wichtig. [...]" <Hervorhebung Fontanefan>
    *Gegenwärtig heißt es dort: "Herrndorf tötete sich am 26. August 2013 in Berlin selbst.[2][15]" 
    Man beachte besonders die Einzelbelege: [2][15].
    Ein Retweet von Passig: https://twitter.com/ryanjgallag/status/1293922509415473152

    Twitterjargon:
    Die Wörter DRUKO und DRÜKO sind DEUTSCHER TWITTER-JARGON, u. von den Erfindern negativ besetzt, werden aber auch neutral gemeint verwendet. #Druko = #DrunterKommentar = #ReplyTweet #Drüko = #DrüberKommentar = #ReTweet mit Kommentar