Freitag, 30. Juli 2021

Roger von Wendover über Kaiser Friedrich II.

 Roger von Wendover: Flores Historiarum Eine Weltgeschichte kompiliert aus vielen Autoren.

Wertvoll ist sein eigener zeitgenössischer Bericht von 1215-1235.

Textauszug
"In diesem Jahre kamen im Monat Februar zwei Tempelritter, von Kaiser Friedrich geschickt, mit anderen Rittern und Gesandten zum König [Heinrich III.] von England nach Westminster und brachten einen mit einer goldenen Bulle versehenes Schreiben, in dem der Kaiser Isabella, die Schwester des Königs, zur Ehe verlangte. [...] als nun die Gesandten um die Erlaubnis baten, die Prinzessin zu sehen, schickte der König vertrauenswürdige Boten in den Turm von London zu seiner Schwester, die dort unter wachsamer Obhut gehalten wurde. Diese führten sie ehrfurchtsvoll nach Westminster und stellten in Gegenwart des Königs die schöne Prinzessin, die einundzwanzig Jahre zählte, in blühender Jugend erstrahlte und mit königlichen Gewändern sowie durch entsprechende Sitten geschmückt war, den kaiserlichen Gesandten vor. Nachdem sich diese einige Zeit an ihrem Anblick erquickt und sie des kaiserlichen Bettes in allem für würdig erachtet hatten, bekräftigten sie im Namen des Kaisers den Ehebund durch einen Eid und boten ihr seitens des Kaisers den Verlobungsring. Nachdem sie ihr diesen an den Finger gesteckt hatten, begrüßten sie sie als Kaiserin des römischen Reiches mit dem gemeinsamen Rufe: "Es lebe die Kaiserin! sie lebe!"

Als nun die Gesandten darauf in aller Eile das, was geschehen war, dem Kaiser durch treue Vermittler mitgeteilt hatten, schickte dieser nach dem Osterfest [8. 4.] den Erzbischof [Heinrich] von Köln und den Herzog [Heinrich II von Brabant] von Löwen in Begleitung vieler Edlen nach England, die ihm die Kaiserin in ehrenvolle Weise zuführen sollten, damit das bereits geschlossene Ehebündnis durch die fleischliche Erkennung vollzogen werde." (Lebendiges Mittelalter, hg. von Brigitte Hellmann, dtv 1995, S. 74)
Zu der Zeit, als die Kaiserin nach Köln kam, war der Kaiser in kriegerische Unternehmungen gegen seinen Sohn [Heinrich (VII.), den König von Deutschland] verwickelt. Der Vater hatte aber einen so zahlreiches Heer gegen den Sohn zusammengebracht, dass er zu gleicher Zeit zehn Burgen belagern konnte.[...] Sobald der Kaiser also jenen in strenge Haft gebracht hatte, schickte er nach der Kaiserin, auf dass sie zu ihm komme, nachdem sie sechs Wochen in Köln zugebracht hatte. Der Erzbischof [Heinrich] von Köln, der Bischof [Wilhelm] von Exeter und die übrigen zur Begleitung der Kaiserin Abgeordneten machten sich mit ihr auf dem Weg und brachten sie nach einer Reise von sieben Tagen mit allen hochzeitlichem Prunk und Jubel zum Kaiser. [...] Gefiel sie ihm schon bei dem leiblichen Anblick, so noch viel mehr in den Freuden des Ehebettes, wo er sie als reine Jungfrau erkannte, und als er ihren Charakter kennen lernte und sie hervorragend und mit der Gabe anmutiger Beredsamkeit ausgestattet fand. [...] 

In der ersten Nacht aber, in der der Kaiser mit ihr schlief, wollte er sie nicht fleischlich erkennen, bevor ihm nicht die geeignete Stunde von den Astrologen angezeigt wäre. Nachdem aber der Beischlaf in der frühen Morgen Stunde vollzogen worden war, gab er sie als Schwangere unter sorgfältige Obhut mit den Worten: "Gib weislich acht auf dich, denn du hast einen Knaben empfangen!" Und dasselbe meldete er als eine Tatsache dem König von England, ihrem Bruder, durch den Bischof von Exeter und den Magister Johann von St. Aegidius, einen Predigerbruder. Und so geschah es, denn sie gebar einen Sohn namens Heinrich." (S. 77/78) [freilich erst drei Jahre später]

"Nachdem dann also fast alle Leute beiderlei Geschlechts, die am Hofe der Kaiserin in ihrer Heimat erzogen und ausgebildet worden waren, nach England zurückgeschickt worden waren, übergab der Kaiser die Kaiserin mehreren maurischen Eunuchen und ähnlichen alten Ungetümen zur Obhut." (Lebendiges Mittelalter, S.79)

Zu diesen Vorgängen schreibt die Wikipedia aus moderner Sicht:

"An der Beilegung des Konfliktes war der Hochmeister des Deutschen Ordens, Hermann von Salza, maßgeblich beteiligt. Er bewog den Sohn dazu, sich dem Vater zu unterwerfen. Heinrich erschien im Juli 1235 in der Königspfalz Wimpfen (nördlich von Heilbronn) und verzichtete als Zeichen seiner Unterordnung auf jede öffentliche Demonstration seines königlichen Ranges. Heinrich erwartete von der Unterwerfung nicht nur die kaiserliche Gnade wiederzuerlangen, sondern auch seinen königlichen honor (Ehre) zu wahren. In Wimpfen bemühte sich Heinrich vergeblich um die Huld Friedrichs. Friedrich ließ seinen Sohn vielmehr nach Worms kommen, also in die Stadt, die Heinrich kurz zuvor den härtesten Widerstand geleistet hatte. Heinrich erschien im Juli in Worms vor seinem Vater und unterwarf sich ihm in Anwesenheit der versammelten Großen, um seine gratia (Gnade) wiederzugewinnen. Friedrich ließ ihn lange ausgestreckt in demütigender Haltung auf dem Boden liegen. Erst auf Fürsprache der Fürsten durfte sich Heinrich erheben. Nach dem Unterwerfungsritual (deditio) erhielt er jedoch keine Gnade, sondern verlor Amt und Würden. In den kommenden sieben Jahren wurde er in verschiedenen süditalienischen Kerkern untergebracht, im Februar 1242 starb er als Gefangener. Nach einer netzwerktheoretischen Analyse von Robert Gramsch (2013) hat Friedrich II. nicht aus Rücksicht auf die Fürsten und zur Wiederherstellung der Ordnung im Reich seinen Sohn abgesetzt und bis zum Lebensende einkerkern lassen, sondern er wollte die gesamte Herrschaftsgewalt auf sich vereinen. Heinrich sei nicht am Dissens der Fürsten gescheitert, vielmehr habe er eine erfolgreiche Balancepolitik zwischen den einzelnen Reichsfürsten und fürstlichen Gruppierungen praktiziert.[76]

Heinrich war als römisch-deutscher König mit den nördlich der Alpen herrschenden Traditionen des Konfliktverhaltens aufgewachsen; Friedrichs harte, unbeugsame Haltung hingegen entsprach der Mentalität im normannischen Königreich. Im Reich nördlich der Alpen wurden seit der Ottonenzeit Streitigkeiten mit rituellen Unterwerfungen gütlich beigelegt.[77] Im Königreich Sizilien ging es weniger um Ausgleich mit den Adligen, sondern der Herrscher musste unnachgiebig seinen uneingeschränkten Machtanspruch durchsetzen. Nach dieser Sichtweise führte nur erbarmungslose Härte zu Frieden und Stabilität.[78] Die kaiserliche Strenge versuchte Matthäus Paris damit zu rechtfertigen, dass der Sohn in dieser Situation die Ermordung des Vaters geplant habe.[79]

Ebenfalls in Worms fand einige Tage nach Unterwerfung des Sohnes am 15. Juli Friedrichs Hochzeit mit Isabella, der Schwester des englischen Königs Heinrich III., statt. Seine zweite Frau Isabella von Brienne war 1228 verstorben. An den prächtigen Hochzeitsfeierlichkeiten in Worms nahmen vier Könige, elf Herzöge und dreißig Grafen und Markgrafen teil.[80] [...] 

Friedrich hatte mit mindestens 13 Frauen wenigstens 20 Kinder. [...] Die dritte eheliche Verbindung ging der mittlerweile vierzigjährige Friedrich 1235 in Worms mit der einundzwanzigjährigen Isabella von Plantagenet ein. Sie war die Schwester König Heinrichs III. von England und Tochter des verstorbenen englischen Königs Johann Ohneland. Isabella brachte zahlreiche Reichtümer in die Ehe ein. Die Mitgift belief sich auf die enorme Summe von etwa sieben Tonnen Silber.[119] Nach der Hochzeit verschwand Isabella aus der Öffentlichkeit. Matthäus Paris behauptet, Friedrich habe „die Kaiserin mehreren maurischen Eunuchen und ähnlichen alten Ungetümen zur Obhut“ gegeben.[120] Mit Isabella hatte Friedrich etwa Ende 1236 eine Tochter namens Margarete und einen Sohn, den im Februar 1238 geborenen Heinrich (auch Carlotto oder Zarlotto genannt). Isabella verstarb möglicherweise an einer Fehlgeburt am 1. Dezember 1241 nach sechsjähriger Ehe in Foggia. Das Mitte der 1240er Jahre geplante Heiratsprojekt mit Gertrud von Österreich, mit dem sich der Kaiser die Unterstützung eines wichtigen Fürsten sichern wollte, scheiterte wohl an Friedrichs Exkommunikation.[121] Ebenso blieb der Plan einer Ehe mit Jutta von Sachsen unausgeführt. Diese eheliche Verbindung hätte Friedrichs Stellung im Norden des Reiches erheblich gestärkt. Im Jahr 1245 oder vielleicht erst 1248 heiratete Friedrich seine langjährige Geliebte Bianca Lancia, um die Anzahl seiner legitimen Nachkommen und möglichen Nachfolger zu erhöhen.[122]"

(Friedrich II.)

 

Donnerstag, 29. Juli 2021

Behandlung von Monarchisten in der Folge des 20.7.1944

"Nach dem Attentat auf Adolf Hitler durch den deutschen Widerstand vom 20. Juli 1944, wurde bei der Wehrmacht nach Mitwissern und deren Familien gesucht, welche zur christlich-konservativen „Reaktion“ gezählt wurden und gegen den Nationalsozialismus eingestellt waren. Rupprecht, der sich ab 1940 ständig im Exil in Italien aufhielt, galt als Sammelpunkt bayrischer Monarchisten und geriet so ins Visier der Gestapo. Nach längerer Überwachung konnte er abtauchen. Theodor Christian Freiherr von Fraunberg, sein ehemaliger Adjutant, versteckte ihn bei sich in Florenz vor den Nationalsozialisten, so dass er nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 einer Verhaftung entging. Seine Frau und Kinder kamen bis Kriegsende ins Konzentrationslager, zunächst nach Dachau, dann nach Flossenbürg. Zunächst wegen der zunehmenden Bombenangriffe nach Seefeld in Tirol evakuiert, wurde seine Frau Antonia im Januar 1945 nach Jena gebracht und unter dem Decknamen „Albertine Bingen“ in einer Klinik gefangen gehalten. Hier stieß Ende April 1945 eine luxemburgische Rot-Kreuz-Kommission auf die nur noch 72 Pfund wiegende Prinzessin. Alle Mitglieder der Familie überlebten jedoch die Gefangenschaft." (Wikipedia)

mehr dazu:

https://www.br.de/nachrichten/kultur/die-wittelsbacher-im-konzentrationslager-geiseln-adolf-hitlers,SV7YjFK

Dienstag, 27. Juli 2021

Unfall im Chemiepark Leverkusen

Explosion im Chempark noch 40 Kilometer entfernt gemessen Mindestens zwei Personen sind tot, mehrere Menschen werden vermisst: In einem Chemieunternehmen in Nordrhein-Westfalen hat sich eine verheerende Explosion ereignet. Was bisher bekannt ist. 27.07.2021, 16.21 Uhr

Feuerwehr und Rettungskräfte sind im Großeinsatz, dunkle Rauchwolken steigen über dem Chempark Leverkusen auf: Videos und Fotos dokumentieren die tödliche Explosion, die sich am Morgen in Nordrhein-Westfalen ereignet hat. Das ganze Ausmaß des Unglücks ist noch nicht abzusehen. Der Überblick.

Was ist passiert? Gegen 9.30 kam es im Leverkusener Chempark zu einer Explosion. Sie ereignete sich nach Angaben der Betreiberfirma Currenta im Tanklager des Entsorgungszentrums im Stadtteil Bürrig. Danach kam es zu einem Brand in dem Tanklager, der gegen Mittag gelöscht wurde. Betroffen waren laut Chempark-Leiter Lars Friedrich drei Tanks mit organischen Lösungsmitteln. Sie alle seien »komplett oder in Teilen zerstört«. Es bildete sich eine starke Rauchwolke, die weit über die Stadt hinwegzog.

 Auch bei einem zweiten Tank habe Explosionsgefahr bestanden, berichtete die Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf Angaben des nordrhein-westfälischen Innenministers Herbert Reul (CDU). Der Tank habe 100.000 Liter hochentzündliche, giftige Abfallstoffe enthalten, sagte der Politiker demnach bei einem Termin in Kreuzau in der Eifel. Die Feuerwehr habe die Gefahr aber bannen können.

Mindestens zwei Mitarbeiter starben laut Currenta, mehrere weitere werden noch vermisst. Vor dem Fund der zweiten Leiche hieß es, es gebe noch vier Vermisste. Laut Polizei Köln wurden mindestens 31 Menschen verletzt, fünf von ihnen würden intensivmedizinisch versorgt. (Spiegel Panorama 27.7.21)

"Die Impfdebatte entgleist"

 Jens Berger von den Nachdenkseiten leistet einen Beitrag zur Impfdebatte: "Die Impfdebatte entgleist"

Zu Recht weist er auf die Verhältnismäßigkeit hin, die immer zu beachten ist, wenn es um mögliche Einschränkungen von Grundrechten geht. 

"Darf der Staat die Grundrechte einschränken, um die Gesundheit seiner Bürger zu schützen? Er darf. Aber nur dann, wenn die Verhältnismäßigkeit gegeben ist, es ein übergeordnetes Interesse gibt und keine sanfteren Alternativen zur Verfügung stehen."

Gegen Schluss freilich entgleist seine Argumentation:

"Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben bewusst einen Verfassungsrahmen formuliert, der nicht nur in Schönwetterzeiten, sondern gerade eben in Krisen dem Staat verbindliche Grenzen setzen sollte. Heute müssten sie in ihren Gräbern rotieren. Politiker, die bereits eine mittelschwere Erkältungskrankheit als Vorwand nutzen, um Grundrechte nach eigenem Gusto im Namen eines kollektiven höheren Ziels zu entziehen und zuzuteilen, haben offenbar nicht einmal im Ansatz verstanden, was Grundrechte überhaupt sind. Da kann einem nur angst und bange werden. Was passiert, wenn wir wirklich mal mit einer Krise konfrontiert werden?"

 Lockdown in armen Ländern: »Je gerettetem Erwachsenen würden 1,7 Kinder sterben« Spiegel online 27.7.21

"[...] Sehr vereinfacht ist es so: Ein Lockdown führt recht sicher in eine ökonomische Rezession. Wir sehen anhand von Daten aus dem vergangenen Jahr bereits, dass Lockdown-Staaten Verluste von bis zu 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verzeichnen. Das bedeutet, die Einkommen der Haushalte verringern sich. In den ärmsten Ländern haben die Menschen keine Ersparnisse, um das auszugleichen. Die Regierung hat ebenfalls nicht die Mittel. [...]

Die reichsten Länder haben eine deutlich ältere Bevölkerung mit vielen Menschen im Alter von über 65 Jahren, die sehr vulnerabel gegenüber dem Virus sind. In den ärmsten Ländern ist nur ein geringer Anteil der Bevölkerung so alt. Stattdessen gibt es sehr viele junge Menschen unter 15 Jahren und Kinder unter fünf Jahren. Sie sind wenig gefährdet durch das Virus, aber sehr vulnerabel gegenüber den Risiken einer Wirtschaftskrise. [...]"

Aphorismen

 Leben ist ein vorübergehender Zustand. (Gabriele von Arnim)

Sonntag, 25. Juli 2021

Die erschöpfte Demokratie von Ulrike Guérot

[...] Früher, im Sommer, weit zurück in den 1980er Jahren, als ich in den Sommerferien Praktika bei Zeitungen gemacht habe, sprach man immer von der „Saure-Gurken-Zeit.“ Es war nichts los, was einer Berichterstattung würdig war. Die Bewohner der Bundesrepublik tummelten sich am Strand, Kinder tranken Fanta auf Ferienfreizeiten, der Sommer dehnte sich bis hin zur Langeweile. [...]

Heute jagt ein politischer Superlativ den nächsten und die Demokratie verliert ihre Gemächlichkeit. Die Bürger*innen, die all diese politischen GAUs diskutieren, aushandeln und verarbeiten müssen, kommen nicht mehr zur Ruhe: 2021 ist bereits der zweite Pandemie-Sommer, der jetzt zusätzlich zum Hochwasser-Sommer geworden ist. [...]

Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Klimakrise, Brexit, Populismus, Krise der Rechtsstaatlichkeit, Fliehkräfte in der EU, Pandemie: das alles und noch viel mehr in einem Jahrzehnt schafft ein politisches System, das nicht mehr zur Ruhe kommt, das keine Behäbigkeit mehr kennt, keine Normalität. Wie lange hält eine Demokratie den permanenten politischen Ausnahmezustand aus?"

(Die erschöpfte Demokratie von Ulrike Guérot Deutschlandfunk 23.7.21)

Auswirkungen des Klimawandels in Deutschland

 Karte: https://www.instagram.com/p/CRZG4Y0scc9/

So müssen sich Städte auf den Klimawandel vorbereiten Quarks 19.7.21

Sacha Lobo: mRNA-Technologie Die neue Weltmacht der Bio-Plattformen

 https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/mrna-technologie-die-neue-weltmacht-der-bio-plattformen-a-c87fa211-1897-47cf-8a1b-cd9ded973e6f

"[...] Das Plattform-Prinzip ist das machtvollste Modell des 21. Jahrhunderts, ökonomisch, in der Kommunikation, gesellschaftlich. Plattformen sind eine Mischung aus technischem Betriebssystem eines Marktes, kommunikativem Marktplatz und wirtschaftlichem Ökosystem. Zentral für Plattformen ist, dass sie mit hoher Geschwindigkeit oder sogar in Echtzeit Datenströme verarbeiten können, um ihre Leistung zu verbessern. Das Plattform-Prinzip führt damit zu einem lernfähigen, weil datengetriebenen System, weshalb seine Macht mit dem Siegeszug der künstlichen Intelligenz (KI) noch zunehmen wird. Plattformen und KI sind füreinander geschaffen und sie sind, was den schieren Fortschritt angeht, ein unglaublicher Segen. Leider folgt insbesondere aus demokratischer Sicht ein großes »Aber«.

Weltraumwetter, Sonnenwind - Einfluss auf Kommunikation und Stromnetze auf der Erde

Auswirkungen:

"[...] Sonneneruptionen verstärken den Fluss hochenergetischer Teilchen zur Erde. Dadurch können auch elektronische Bauteile auf der Erdoberfläche gestört werden. Die Ausschussrate bei der Anfertigung von empfindlichen Halbleiterelementen während der Magnetstürme ist erheblich höher.[9] Durch den Aufprall eines CMEs auf die Erdmagnetosphäre kommt es zur Ausbildung von erdmagnetischen Stürmen. Diese sind mit einer raschen Änderung der Richtung und Stärke des Magnetfelds am Boden verbunden. Daraufhin können in ausgedehnten elektrischen Leitern wie z. B. Hochspannungsleitungen oder in Pipelines hohe Ströme induziert werden. Die Störung industrieller Produktionen, wie beispielsweise der Computerchip-Herstellung, Zusammenbrüche von Hochspannungsnetzen und Korrosionen in Öl-Pipelines offenbaren erhebliche Korrelationen zwischen Sonnenaktivität und Auftreten dieser wirtschaftlichen Ausfälle.[10]

Das Weltraumwetter kann moderne Kommunikationssysteme durch eine direkte (Zer-)Störung der elektronischen Geräte an Bord der dafür genutzten Satelliten beeinträchtigen. Satellitenkommunikation, -navigation und -orientierung werden dabei sowohl durch Teilchenströme als auch durch schwankende Magnetfelder erheblich eingeschränkt. Auch können Sonnenstürme Bauteile von Satelliten beschädigen, zerstören oder zu Systemabstürzen führen. Es wird erwartet, dass dies besonders bei Satelliten auftreten dürfte, deren Elektronikkomponenten nicht weltraumgehärtet sind und welche, um wenig Energie zu verbrauchen, mit geringer Spannung arbeiten[11]. Dies hat gravierende Auswirkungen auf Telefon, Fernsehen, Wettervorhersage und vor allem Datenübertragungen und Satellitennavigation. Infolge hochenergetischer Strahlung oder Partikel kommt es auch zu einer Verschlechterung der Bedingungen für die Signalausbreitung in der Ionosphäre. Normalerweise wirkt die Ionosphäre für hochfrequente Signale (3–30 MHz) und darunter wie ein Spiegel. Diese Reflexionseigenschaften ändern sich im Rahmen intensiver Weltraumeinflüsse jedoch so erheblich, dass es zu unerwünschten Signalüberlagerungen kommen kann. Im Bereich der oberen Atmosphäre und Ionosphäre entstehen unterbrochene oder fehlgeleitete Funkwellenausbreitungen. So kam es beispielsweise am 29. Oktober 2003 in Deutschland zu einer Störung von GPS-Referenzdiensten. Auch der Satellitenpositionierungsdienst ASCOS der E.ON Ruhrgas erlitt einen mehrstündigen Ausfall.[12] Ebenfalls durch die Veränderung des irdischen Magnetfeldes kam es 1989 in Québec (Kanada) zu einem neunstündigen Stromausfall. Ursache waren geomagnetisch induzierte Ströme in den Überlandleitungen und Ausfälle von Leistungstransformatoren.[13]

Neben diesen technischen Ausfällen stellen die von Flares und CMEs erzeugten energiereichen Protonen und Elektronen jedoch auch eine Gefahr für Lebewesen dar. Insbesondere Astronauten und Flugzeugpersonal sowie Flugreisende sind aufgrund der Höhe, in der sie sich aufhalten, einer verstärkten Strahlung ausgesetzt. Teilchenkonzentrationen, wie sie nach einem großen Flare im Oktober 1989 gemessen wurden, erweisen sich auch für Astronauten in Schutzkleidung als tödlich.[6] Dieser Aspekt spielt vor allem bei langen Weltraumfahrten oder bei Arbeiten außerhalb des Raumfahrzeuges eine bedeutende Rolle. Einzelne, besonders energiereiche Teilchen erreichen gelegentlich sogar den Erdboden und tragen so zur natürlichen Strahlenbelastung bei. Indirekt – durch die dadurch entstehenden Mutationen – hat das Weltraumwetter auch einen Einfluss auf die Evolution der Lebewesen.[14] Stärkere geomagnetische Stürme äußern sich z. B. auch in einem Schwanken der Kompassnadel und führen zu Irritationen bei Tieren, die sich vom Magnetfeld der Erde leiten lassen [...]" (Weltraumwetter)


Weltraumwetter allgemein

"Der Begriff Weltraumwetter ist analog zu irdischen atmosphärischen Wetterphänomenen definiert und beschreibt Veränderungen des interplanetaren und interstellaren Mediums, die speziell im erdnahen Bereich der Magnetosphäre (bis 50.000 km Abstand zur Erde) wahrgenommen werden. Hauptsächliche Ursachen sind der Sonnenwind und die galaktische kosmische Strahlung der Milchstraße. Durch diese Einflüsse wird der Van-Allen-Strahlungsgürtel beeinflusst und es gelangen in unregelmäßigen Abständen verstärkt Materie, Teilchen- und Strahlungsströme in das Umfeld der Erde. Diese beeinflussen damit die irdische Magnetosphäre, Ionosphäre und Erdatmosphäre.

Aufgrund der umfassenden Auswirkungen auf das irdische Leben stellt das Weltraumwetter ein wichtiges Forschungsgebiet dar. Ziel ist es, die zu Grunde liegenden physikalischen Mechanismen zu verstehen, um derartige Ereignisse vorherzusagen oder zumindest rechtzeitig erkennen zu können, damit dann möglicherweise geeignete Schutzmaßnahmen getroffen werden können. [...]"

(Weltraumwetter)


"[...] Der Sonnenfleckenzyklus hat eine durchschnittliche Periode von 11,1 Jahren, kann aber im Laufe eines Jahrhunderts zwischen 9 und 14 Jahren liegen.[1] Die Sonne befindet sich seit dem Jahreswechsel 2019/2020 im 25. Sonnenfleckenzyklus.[2][3] Die mittlere monatliche Zahl der Sonnenflecken schwankt von 0 bis 20 im Sonnenfleckenminimum und zwischen 80 und 300 im Maximum. Das bisher höchste bekannte Maximum war 1957/59 mit einem Monatsmittel der Sonnenflecken-Relativzahl von 285.[4] Im Maximum 2013/14 lagen die mittleren monatlichen Fleckenzahlen meist zwischen 80 und 120.[5] Mitte 2016 beobachtete man Tageswerte von Null bis etwa 60 und Monatsmittel unter 40. Damit hat die Aktivität seit Herbst 2015 um knapp die Hälfte abgenommen.

Zum Wechselspiel der Sonnenflecken kommen noch unregelmäßige Plasma- und Strahlungsausbrüche (Flares), Änderungen im Sonnenwind, vereinzelte geomagnetische Stürme und Protonenschauer, und die riesigen Gasfontänen der Protuberanzen.

Obwohl die Sonnenflecken eine um 1000–1600° niedrigere Temperatur als die übrige Sonnenoberfläche (5500 °C) haben, strahlt die Sonne während des Aktivitätsmaximums mit einer geringfügig höheren Leistung als im Sonnenfleckenminimum. Dazu tragen vor allem die Sonnenfackeln (heißere Gebiete mit etwa 7000°) bei. Die Sonnenaktivität ist verantwortlich für Ereignisse des Weltraumwetters und wirkt sich direkt auf Satelliten, aber auch auf technische Einrichtungen auf der Erde aus. [...]" (Sonnenaktivität)

1968 in Frankreich und anderswo

Richard Vinen:1968. Der lange Protest (Original: "The Long '68: Radical Protest and its Enemies") 

Ich muss feststellen, dass ich zuvor nur sehr vage Vorstellungen von den Vorgängen hatte. Die Flucht de Gaulles hatte ich mit viel länger vorgestellt. Zwei Aussagen scheinen mir bemerkenswert:

"Kurioserweise verstärkten die wenigen Stunden körperlicher Abwesenheit de Gaulles Präsenz. Zum ersten Mal seit Anfang Mai stand er im Zentrum der Aufmerksamkeit. [...] Dieses Mal sprach er im Radio, nicht im Fernsehen, was sich als kluge Entscheidung erwies. Auf dem Bildschirm war de Gaulle unattraktiv [...] Die körperlose Stimme aus dem Radio hatte kein Alter. Sie erinnerte an die berühmte Ansprache vom 18. Juni 1940, als de Gaulle die Franzosen zum erst/en Mal aufgerufen hatte, Widerstand gegen die Deutschen zu leisten." (S.189/90)
Verstärkte Wirkung durch Weglassen/Aussparen.

Eine Parallele von Mendès France und de Gaulle: Mendès France beendete den Indochinakrieg (1954) (und trug bei zur Dekolonisation Marokkos und Tunesiens, ebenfalls 1954), de Gaulle den Algerienkrieg (1958).

Christina von Hodenberg: Das andere Achtundsechzig

"[...] Zuletzt befasst sich Christina von Hodenberg mit "Varianten sexueller Befreiung" (151) und hält fest, dass es "alles andere als klar" (156) sei, wie sich die propagierte sexuelle Revolution auf das reale Sexualverhalten der breiten Bevölkerung auswirkte. Die Verfasserin weist zu Recht darauf hin, dass der "Kampf um die moralische Sauberkeit" (161) in der kirchlichen und konservativen Presse zwar schon lange vor 1968 verloren worden sei, dass aber die linke Politisierung der sexuellen Revolution ebenso wenig "repräsentativ für das Denken und die Praxis der Masse" (168) gewesen sei. Die allmähliche Veränderung sexueller Normen und Praktiken sei als "ein langfristiger Prozess der Liberalisierung" (183) zu verstehen, der sich - mit gelegentlichen Schüben der Beschleunigung - durch das gesamte 20. Jahrhundert zog. Aus diesem Grund - das wird durch die Interviews belegt - stießen die Töchter bei ihren Müttern 1968 auf viel Verständnis, während für die "Generation der über 60jährigen" "vorehelicher Sex noch immer prinzipiell verwerflich" (180) war.

Das Buch von Christina von Hodenberg ist als interessanter Vorschlag zu begrüßen, sich dem magischen Jahr 1968 als einer Chiffre für markante politische, gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen zu nähern. Die Heranziehung neuer Quellen mit bisher wenig beachteten Stimmen außerhalb des männlichen akademischen Nachwuchses bietet wichtige ergänzende Perspektiven auf das Geschehen fernab medial etablierter Narrative, ohne dass allerdings die Geschichte der Jugendrevolte völlig umgeschrieben werden muss." (Axel Schildt)

"[...] Hodenbergs Befunde: Frauen haben 68 wesentlich getragen, einen Generationenkonflikt gab es nicht, die Elterngeneration trug viele Anliegen der Kinder mit, die sexuelle Liberalisierung begann schon Anfang der 60er! [...]"

Samstag, 24. Juli 2021

Vergeudung von Grundwasser?

https://www.hessenwasser.de/home.html ("Wasserversorgung für die Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main")

https://www.hessenwasser-infrastruktur.de/ 

Landwirtschaftsprojekte zur Bewässerung

Avocado

"Am Anbau wird die schlechte Ökobilanz kritisiert. Begründet wird dies in erster Linie mit dem hohen Wasserverbrauch, der sich in Regionen mit geringen Wasservorräten schädlich auswirkt. Zur Produktion von 1 kg Avocados werden im weltweiten Durchschnitt rund 1000 Liter Wasser verbraucht (zum Vergleich: etwa 180 Liter Wasser für 1 kg Tomaten).[47] Für die Erzeugung einer einzigen Avocado sind in Chile im Schnitt 70 Liter Wasser nötig, in einigen Regionen sogar über 300 Liter. Der enorme Wasserverbrauch des Avocado-Anbaus hat in der chilenischen Provinz Petorca zum Austrocknen ganzer Flüsse geführt.[48] Der Staat vergibt dort die Nutzungsrechte für Wasser an Dritte.[49] Der Transport zu den importierenden Ländern verschlechtert die Ökobilanz zusätzlich, unter anderem weil für die Kühlung (konstant 6 °C) viel Energie verbraucht wird. Die empfindliche Avocado benötigt auch viel Verpackungsmaterial." (Wikipedia)

Mittwoch, 21. Juli 2021

Billionen gegen den Klimaschutz?

 "Klimaschutz hat bei den Regierungen keine Priorität, allen Beteuerungen zum Trotz. Die Internationale Energieagentur (IEA) prognostiziert, dass die globalen Treibhausgas-Emissionen im Jahr 2023 ein neues Rekordniveau erreichen und in den Folgejahren weiter steigen werden. Der Grund dafür: Die weltweiten Hilfspakete und Konjunkturprogramme zur wirtschaftlichen Erholung von der Corona-Pandemie fließen nur zu einem Bruchteil in saubere Energie. Das Klimaziel des Paris-Vertrags, die Erderwärmung möglichst bei 1,5 Grad zu stoppen, gerät damit zunehmend außer Reichweite. [...]

IEA-Chef Fatih Birol kommentierte: „Seit dem Ausbruch der Covid-19-Krise haben viele Regierungen zwar darüber gesprochen, wie wichtig es ist, für eine sauberere Zukunft aufzurüsten, aber viele von ihnen haben ihren Worten noch keine Taten folgen lassen.“' 

Laut der IEA-Analyse ist die Situation in den Entwicklungsländern besonders schlecht. 

Birol: „Viele Länder – besonders jene, in denen der Bedarf am größten ist – verpassen auch die Vorteile, die gut geplante Investitionen in saubere Energie mit sich bringen, wie ein stärkeres Wirtschaftswachstum, neue Arbeitsplätze und die Entwicklung der Energieindustrien der Zukunft.“

 Der IEA-Chef forderte die Regierungen auf, durch Umschichtung der Corona-Gelder schnell umzusteuern. Aber auch nach der Krise müssten die Investitionen in saubere Energien „in viel größere Höhen“ geführt werden. Der Pfad, um die Welt zu Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu bringen, sei zwar schmal, aber immer noch erreichbar. Allerdings nur, so Birol, „wenn wir jetzt handeln“.

(Emissionen steigen weiter: Neuer Zündstoff für die Klimakrise von Joachim Wille FR 21.7.21)

Dienstag, 20. Juli 2021

Zu den Klimaschutzzielen der Parteien

 Claudia Kemfert, Leiterin der Energieabteilung beim Institut für Wirtschaftsforschung und Co-Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung über Konzepte der Parteien im Zusammenhang mit Klimaschutz:

"Die Grünen haben ein detailliertes und ehrliches Programm für Klimaschutz in allen Bereichen, auch die Linken setzen hier Schwerpunkte, fokussiert auf den Aspekt der sozialen Gerechtigkeit. Die SPD hat eben so viele gute Ansätze, verkennt aber die großen wirtschaftlichen Chancen beim Ausbau erneuerbarer Energien. Die CDU bekennt sich zum Klimaschutz, bleibt aber vage und ungenau. Die FDP bekennt sich zum 1,5-Grad-Ziel, verlagert die Klimaschutz-Anstrengungen aber in die weite Welt, was eine Umsetzung unwahrscheinlich macht und der deutschen Wirtschaft wenig hilft."
"Es ist alles machbar, man muss es nur anpacken" (Interview mit Claudia Kemfert), FR 20.7.21

Corona: Kein Schutz für die Ärmsten

 Kein Schutz für die Ärmsten von Pamela Dörhöfer FR 19.7.21

Corona-Infektionen in Afrika steigen immer stärker an. Alle Vorhersagen, der Kontinent würde verschont, waren Wunschdenken. Und nun stocken auch die Routine-Impfungen.

Namibia/Südafrika/Tunesien/Uganda/Sambia - Während in europäischen Ländern über sinkende Impfbereitschaft, eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen und das Impfen von Kindern diskutiert wird, sieht die gesundheitliche Situation in anderen Regionen der Erde ungleich dramatischer aus. So berichtet die Weltgesundheitsorganisation WHO, dass die Zahl der Coronatoten in Afrika binnen einer Woche von 4384 auf 6273 pro Woche (Stand 11. Juli) und somit um mehr als 40 Prozent gestiegen ist. [...] 

Im Vergleich zu 2019 sollen 3,5 Millionen mehr Kinder die erste Dosis der Diphtherie-, der Tetanus- und der Keuchhusten-Impfung und drei Millionen mehr die erste Masern-Impfung nicht erhalten haben. Auch die Zahl der Mädchen, die zum Schutz vor Gebärmutterhalskrebs eine Impfung gegen das humane Papillomavirus bekommen haben, sei zurückgegangen.

 Das seien „alarmierende Zahlen“, die zeigten, dass die Pandemie jahrelange Fortschritte bei Routine-Impfungen zunichte mache, sagt Seth Berkley von der internationalen Impfallianz Gavi.

 Millionen Kinder würden so gefährlichen, vermeidbaren Krankheiten ausgesetzt. Unter der Entwicklung zu leiden hätten – wieder einmal – die „Schwächsten“, sagt Unicef-Exekutivdirektorin Henrietta Fore. Sie weist darauf hin, das es schon vor der Pandemie Anzeichen dafür gegeben habe, dass „im Kampf um die Immunisierung“ von Kindern gegen vermeidbare Krankheiten „Boden verloren“ ginge. Als Beispiel führt Henriette Fore einen Masernausbruch vor zwei Jahren an. „Die Pandemie hat die schlimme Situation noch verschlimmert.“

Bereits seit mehreren Jahren geraten die weltweit Kinder-Impfraten gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Masern und Polio ins Stocken – Krankheiten, an denen einst viele Menschen gestorben sind oder lebenslange Folgen davongetragen haben, vor denen eine Impfung aber sicheren Schutz bieten kann. 

Freitag, 9. Juli 2021

Christian Wolff

Menschen brauchen keine Religion und keine Gesetze – „Sie sehen selbst, was gut ist“

FR 8.7.2021

"Vor 300 Jahren: Christian Wolff zeigt in seiner China-Rede auf, dass Menschen weder Religion noch sonstige „Oberherrn“ brauchen, um moralisch richtig zu handeln. Heiner Roetz über eine der seltenen Sternstunden einer zukunftsweisenden kosmopolitischen Philosophie.

Wenn in der Philosophie ein Datum zu begehen ist, dann handelt es sich in der Regel um den Geburts- oder Todestag eines ihrer großen Vertreter. Selten nur geht es um Ereignisse anderer Art. Zu diesen ist zweifellos die Rede Christian Wolffs (1679–1754), des Prorektors der Universität Halle, vom 12. Juli 1721, anlässlich der Amtsübergabe an seinen Nachfolger Lange zu zählen. Wolff wählte ein Thema, das einem schwelenden Streit zwischen ihm und den Hallenser Pietisten ein neues Kapitel hinzufügte: Er sprach über die „philosophia practica“ der Chinesen.

Wolff suchte gegen den „Eifer der Lutheraner und Catholicken“ nach einer Philosophie, die die Wahrheit des Glaubens auf Rationalität zurückführt, was ihn in einen Konflikt mit auf der Unergründlichkeit der Offenbarung beharrenden Theologen bringen musste. Im pietistischen Halle war er in der Höhle des Löwen, und seine Gegner, denen er die Studenten abspenstig machte, sannen darauf, sich des lästigen und gefährlichen Konkurrenten zu entledigen. Die China-Rede brachte dann das Fass zum Überlaufen. Was Wolff vorzutragen hatte, so der Zeitzeuge Gottsched, wirkte wie „Feuerfunken, die in einen fertigen Zunder fielen“. Die Rede „machete das größte Lärmen, das zu unsern Zeiten irgend eine andere gemachet haben kann“.

Was hatte Wolff gesagt, das landesweit für Empörung sorgte? Er hatte die Ethik des Konfuzius als Beleg zitiert, dass Moral ohne Religion möglich sei und dies als Bestätigung seiner eigenen Philosophie präsentiert, hatte sich also gegen die herrschende Theologie mit einer heidnischen Lehre verbündet.* [...] 

 Für Wolffs Gegner war das Maß voll, und sie erwirkten beim preußischen König, dass er „beyh Hängen“ das Land binnen 48 Stunden zu verlassen hatte. Er fand Aufnahme an der Universität Marburg. Überall traten nun seine Widersacher auf. Aber auch seine Anhänger schliefen nicht, so dass sich die Stimmung schließlich drehte. Wolff konnte 1740 die Arbeit in Halle wieder aufnehmen. Die 1737 in Berlin gegründete „Gesellschaft der Wahrheitsliebenden“ (Societas Aletophilorum) ließ zu seiner Rehabilitierung eine Münze schlagen, die Minerva zeigt, auf dem Helm ein Januskopf mit den Gesichtern von Leibniz und Wolff, und die Aufschrift „sapere aude“, „erkühne dich, vernünftig zu sein“. Wolff war zu einer Ikone der Aufklärung geworden. [...]" (zur Fortsetzung)

 * "Wolff studierte die chinesischen Klassiker in der Übersetzung von Noël bis zu seinem Tod im Jahr 1754.  Sein ganzes Werk ist durchdrungen von Zitaten und Anspielungen auf diese Lektüre, die als Zeugnis der fruchtbarsten Begegnung zwischen westlicher und chinesischer Philosophie gelten kann." (Wikipedia)

Joseph Banks

Joseph Banks

"[...] Seit 1773 war er der inoffizielle Direktor der Königlichen Gärten in Kew, die unter seinem Einfluss einen Aufschwung erfuhren. 1774 wurde er in die Society of Dilettanti aufgenommen. Er war Gründungsmitglied und zeitlebens die treibende Kraft hinter der African Association. 1779 wurde er zum auswärtigen Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften gewählt.[6] Nach seiner Wahl zum Präsidenten der Royal Society wurde ihm am 24. März 1781 der erbliche Adelstitel eines Baronet, of Revesby Abbey in the County of Lincoln, verliehen. 1795 wurde er als Knight Companion in den Bathorden aufgenommen und wurde 1815 Knight Grand Cross des Bathordens. Im März 1779 heiratete er Dorothea Hugessen (1758–1828). Sie hatten keine Kinder.

Als der am längsten amtierende Präsident der Royal Society von 1778 bis 1820 stand er in Kontakt mit führenden Forschern seiner Zeit. Er initiierte die Brotfrucht-Expedition der Bounty unter Leitung von Lieutenant William Bligh. Bligh fuhr als Offizier auf der Resolution bei Cooks dritter Weltumseglung.

Mit dem deutschen Naturforscher und Reiseschriftsteller Georg Forster, der Cook auf seiner zweiten Pazifikreise begleitet hatte, stand er jahrelang im Briefwechsel. 1785 wurde Banks zum Ehrenmitglied der Kgl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften ernannt.[7] 1787 wurde er gewähltes Mitglied der American Philosophical Society. [...]" (Joseph Banks)

Martin Davies: Die Pflanzenmalerin (kostenlos online lesen)

Donnerstag, 8. Juli 2021

Wahlkampfauftakt

 Was mich am Wahlkampfauftakt gestört hat, war weniger die Kampagne gegen Annalena Baerbock als die Art, wie sie in den seriösen Medien aufgegriffen worden ist.

In der heutigen Ausgabe vom 8.7.21 hat die ZEIT mit Interviews mit den Kanzlerkandidaten und führenden Parteipolitikern gegengesteuert. Zu hoffen ist, dass auch bei ernster zu nehmenden Angriffen auf Personen die Sachfragen wieder in den Mittelpunkt gestellt werden. 

Optimismus hat freilich in letzter Zeit nicht viel Nahrung erhalten. 

Die - aus meiner Sicht - decouvrierenden Interviews sind leider noch nicht außerhalb einer Bezahlschranke zu lesen. Wohl aber gibt es Informationen zu Stefan Weber zu lesen, der entscheidend die Plagiatsvorwürfe ins Gespräch gebracht hat. 

Das ist immerhin ein Beitrag zur Versachlichung der Debatte, den ich jetzt schon verstellen kann:

"[...] Am 5. Juli schreibt er [Weber] um 22 Uhr in einem Blogeintrag von 43         "verifizierten Plagiatsfragmenten" und 22 "plagiierten Autorinnen und Autoren". Die Textstellen seien zum Beispiel von Baerbocks Parteikollegen Jürgen Trittin, der Wissenschaftlerin Maja Göpel oder dem Politologen Michael T. Klare. [...]

2007, elf Jahre nach seiner Dissertation, hat sein Doktorvater, Peter A. Bruck, einen Beitrag in der österreichischen Zeitung Der Standard geschrieben, darin bezeichnet er Weber als "Medien-Halali", der sich vom Spürhund zum Jäger und vom Jäger zum Richter gewandelt habe. Was sagt Bruck heute, 14 Jahre später? 

"Stefan Weber leistet in Sachen Plagiat Wichtiges, er ist kompetent und insistent", beginnt Bruck, als man ihn anruft. "Aber es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen akademischen Qualifikationsschriften und politischen Sachbüchern. Es sind andere Textsorten, die einer anderen Beurteilung bedürfen. Zusätzlich muss es in einer digitalisierten Welt unbedingt auch einen Diskurs darüber geben, wie Textbearbeitungen künftig zu beurteilen sind." Richten würde Weber aber immer noch. Im Falle Baerbock habe er eine Kanzlerkandidatin für einige Wählerinnen und Wähler möglicherweise unglaubwürdig gemacht. Und wer wisse überhaupt, ob nicht Baerbock bei Jürgen Trittin das herausgenommen habe, was er von ihr irgendwann einmal hörte oder mit ihr besprach? 

Und was sagt Weber? Er lenkt ab und sagt: "Sie müssen über den Peter Bruck zuerst wissen, wir verstehen uns super, aber der wäre ein wunderbarer Sektenführer." Und sagt dann erst, als man noch mal nachfragt, dass er natürlich keine wissenschaftlichen Standards an ein Sachbuch anlege. "Ich sage nur: Wenn ein Akademiker ein Sachbuch schreibt, kann er doch nicht so dreist abschreiben wie die Frau Baerbock." [...]"

Meine persönliche Meinung: Wenn ein Politiker in einem Buch für den Wahlkampf  Parteifreunde und wissenschaftliche Autoritäten heranzieht, um seine politischen Ziele zu rechtfertigen, halte ich das für normal. Dass die Ghostwriter, Lektoren und insbesondere die Parteizentrale nicht darauf geachtet haben, dass halbwegs sauber zitiert wird, ist unprofessionell. Freilich, mit der Digitalisierung sind offenbar weder Verlage noch Parteizentralen auf einer Höhe. Das hat sich seit der Politikerrede von "Datenautobahnen" nicht entscheidend geändert.