Sendung vom 09.11.1996 Günter Gaus im Gespräch mit Katharina Thalbach
KatharinaThalbach, geboren 1954 in Ostberlin, Ziehkind von Helene Weigel, 1976
nach Westberlin gegangen. Sie ist heute eine der berühmtesten
deutschen Schauspielerinnen und Regisseurinnen.
Gaus: Sie waren zwölf Jahre, als 1966 Ihre Mutter, Sabine Thalbach, eine bedeutende, berühmte Schauspielerin in Ostberlin, starb. Daraufhin nahm sich Helene Weigel Ihrer an. Die große Schauspielerin, Helene Weigel, die Witwe Bert Brechts, war damals die Prinzipalin seines Theaters, des Berliner Ensembles. Sie haben Abitur gemacht, aber vor allem waren Sie, Katharina Thalbach, Schauspielelevin bei der Weigel. Sie haben einmal gesagt, sie sei streng gewesen. Erzählen Sie: Wie war das, Ziehkind der berühmten Helene Weigel zu sein?
Thalbach: Ziehkind ist vielleicht ein bisschen übertrieben, der private Kontakt war ja eher geringer. Aber ich glaube, sie hat mir einfach die Chance gegeben zu überleben. Es war eine schwierige Zeit für mich. Ich war zwölf Jahre alt und habe allein mit meiner Mutter gelebt. Als sie starb, fühlte ich mich wie „Hänschen allein auf der Welt“. Ich wollte vorher nie etwas mit der Schauspielerei zu tun haben. Auf einmal dachte ich: Na ja, vielleicht ist es für mich doch ein höherer Auftrag, etwas weitermachen zu können, was meine Mutter – sie war 34, als sie starb – ein bisschen früh beenden musste. Die Weigel hat mir dazu die Chance gegeben. Ich hatte das Gefühl, das wird jetzt mein Zuhause, wo ich keines mehr hatte. Das klingt sehr kitschig, aber es war wirklich so. Das ist das, was ich ihr am meisten danke. Dann hat sie mir natürlich ziemlich unsentimental diesen Beruf beigebracht, der auch ein Beruf war. Die Strenge lag in erster Linie darin, dass sie mitleidlos war. Bei den ersten Proben – ich spielte eine Hure in der Dreigroschenoper, war 13 und hatte noch ein absolutes Piepsstimmchen – wurde ich erbarmungslos angeschrieen: Lauter, lauter! Das ging so lange, bis ich mit Tränen von der Bühne zur Sprecherziehung geschickt wurde. Das hat sie durchgezogen. Sie hat mir immer wieder Chancen gegeben, aber diese sehr erbarmungslos.
Gaus: Aufgewachsen mit der Mutter. Dann stirbt die Mutter, Sie sind zwölf, der Helene Weigel überantwortet, aber Abiturientin, also Schülerin an der Oberschule. Was ist Ihnen – wir kommen auf Einzelheiten später –, was ist Ihnen an DDR-Herkunft geblieben? Seither sind Sie eine ganz und gar oder nicht ganz und gar, aber doch wesentlich vom Westen bestimmte Schauspielerin und Regisseurin geworden. [...]
Gaus: Sie waren zwölf Jahre, als 1966 Ihre Mutter, Sabine Thalbach, eine bedeutende, berühmte Schauspielerin in Ostberlin, starb. Daraufhin nahm sich Helene Weigel Ihrer an. Die große Schauspielerin, Helene Weigel, die Witwe Bert Brechts, war damals die Prinzipalin seines Theaters, des Berliner Ensembles. Sie haben Abitur gemacht, aber vor allem waren Sie, Katharina Thalbach, Schauspielelevin bei der Weigel. Sie haben einmal gesagt, sie sei streng gewesen. Erzählen Sie: Wie war das, Ziehkind der berühmten Helene Weigel zu sein?
Thalbach: Ziehkind ist vielleicht ein bisschen übertrieben, der private Kontakt war ja eher geringer. Aber ich glaube, sie hat mir einfach die Chance gegeben zu überleben. Es war eine schwierige Zeit für mich. Ich war zwölf Jahre alt und habe allein mit meiner Mutter gelebt. Als sie starb, fühlte ich mich wie „Hänschen allein auf der Welt“. Ich wollte vorher nie etwas mit der Schauspielerei zu tun haben. Auf einmal dachte ich: Na ja, vielleicht ist es für mich doch ein höherer Auftrag, etwas weitermachen zu können, was meine Mutter – sie war 34, als sie starb – ein bisschen früh beenden musste. Die Weigel hat mir dazu die Chance gegeben. Ich hatte das Gefühl, das wird jetzt mein Zuhause, wo ich keines mehr hatte. Das klingt sehr kitschig, aber es war wirklich so. Das ist das, was ich ihr am meisten danke. Dann hat sie mir natürlich ziemlich unsentimental diesen Beruf beigebracht, der auch ein Beruf war. Die Strenge lag in erster Linie darin, dass sie mitleidlos war. Bei den ersten Proben – ich spielte eine Hure in der Dreigroschenoper, war 13 und hatte noch ein absolutes Piepsstimmchen – wurde ich erbarmungslos angeschrieen: Lauter, lauter! Das ging so lange, bis ich mit Tränen von der Bühne zur Sprecherziehung geschickt wurde. Das hat sie durchgezogen. Sie hat mir immer wieder Chancen gegeben, aber diese sehr erbarmungslos.
Gaus: Aufgewachsen mit der Mutter. Dann stirbt die Mutter, Sie sind zwölf, der Helene Weigel überantwortet, aber Abiturientin, also Schülerin an der Oberschule. Was ist Ihnen – wir kommen auf Einzelheiten später –, was ist Ihnen an DDR-Herkunft geblieben? Seither sind Sie eine ganz und gar oder nicht ganz und gar, aber doch wesentlich vom Westen bestimmte Schauspielerin und Regisseurin geworden. [...]
Gaus: Steckte
in dem Wunsch, es selber zu machen, auch Frustration über
Regisseure, die Sie erlebt hatten?
Thalbach: Ja, sicher auch, aber nicht so extrem. Ich hatte ein bisschen die Schnauze voll, immer nur über Regisseure zu meckern. Ich dachte mir: Moment, du musst es ja erst einmal besser machen können. Dann machte ich das Meckern doch lieber produktiv, und probierte es selber aus.
Gaus: Manche Schauspieler, manche Schauspielerinnen klagen, wir hätten heute ein Regietheater, eine Despotie der Regisseure, in der den Stücken und Schauspielern Gewalt angetan werde. Was sagen Sie zu solchen Beschwerden, und wie verpflichtend ist Ihnen Werktreue?
Thalbach: Ich habe eher das Gefühl, dass im Augenblick die Schauspieler im Theater und auch im Film wieder wichtiger werden. Es gibt wieder Stars. Da ist der Vorwurf nicht mehr ganz so berechtigt. Der traf vor zehn Jahren zu. Meine Erfahrung ist da auch nicht so extrem, dass ich nur über die Regisseure meckern musste. Was die Werktreue betrifft: Ich halte mich immer für relativ werktreu. Manchmal vielleicht sogar viel zu viel, dass ich denke, man müsste viel innovativer mit Stücken umgehen, wie es viele Regisseure machen. Ich halte mich da für sehr altmodisch. [...]
Thalbach: Ja, sicher auch, aber nicht so extrem. Ich hatte ein bisschen die Schnauze voll, immer nur über Regisseure zu meckern. Ich dachte mir: Moment, du musst es ja erst einmal besser machen können. Dann machte ich das Meckern doch lieber produktiv, und probierte es selber aus.
Gaus: Manche Schauspieler, manche Schauspielerinnen klagen, wir hätten heute ein Regietheater, eine Despotie der Regisseure, in der den Stücken und Schauspielern Gewalt angetan werde. Was sagen Sie zu solchen Beschwerden, und wie verpflichtend ist Ihnen Werktreue?
Thalbach: Ich habe eher das Gefühl, dass im Augenblick die Schauspieler im Theater und auch im Film wieder wichtiger werden. Es gibt wieder Stars. Da ist der Vorwurf nicht mehr ganz so berechtigt. Der traf vor zehn Jahren zu. Meine Erfahrung ist da auch nicht so extrem, dass ich nur über die Regisseure meckern musste. Was die Werktreue betrifft: Ich halte mich immer für relativ werktreu. Manchmal vielleicht sogar viel zu viel, dass ich denke, man müsste viel innovativer mit Stücken umgehen, wie es viele Regisseure machen. Ich halte mich da für sehr altmodisch. [...]
Gaus: Vor
einiger Zeit haben Sie gesagt, Sie seien im Augenblick – aber wie
eigentlich doch alle – orientierungslos. Und Sie hielten für
möglich, dass in „zehn, zwanzig Jahren der Sozialismus wieder Fuß
fassen“ werde. Drückt das eine Hoffnung aus?
Thalbach: Klar drückt das eine Hoffnung aus. Ich meine, die Welt, so wie sie ist, ist ja nicht unbedingt so attraktiv. Bis auf einige Ausnahmen. Der Wunsch nach einer gerechteren Welt ist etwas älter als der Sozialismus. Wie immer er sich äußert, ob nun mit dem Namen Sozialismus oder nicht, er ist präsent und wird sich durchsetzen. Ich habe gerade im „Stern“ einen Bericht über die brasilianischen Landarbeiter gelesen, die wie im Mittelalter einen Bauernkrieg für ihre Interessen führen. Ich finde es hoffnungsvoll. Vielleicht bin ich wirklich eine Träumerin und Utopistin, aber wenn ich mir diese Hoffnung nicht mehr vorstellen kann, dann fehlt mir auch der Grund, Kunst zu machen. Dann muss ich mir ein ganz, ganz stilles Plätzchen suchen und noch ein paar Blumen anpflanzen und mich aus dieser Welt verabschieden. Ohne diesen Traum von einer gerechteren, besseren Welt fände ich sie furchtbar.
Gaus: Wenn Sie sagen: orientierungslos – was bedeutet das für Sie?
Thalbach: Ich kann es nur im Zusammenhang mit Arbeit sagen: Wo sind die Verbündeten, wo sind die Richtungen? Wo sind die Organisationsformen. Angesichts von immer größer werdendem Geldmangel, von immer schnellerem Erfolg-haben-müssen, angesichts von immer weniger Möglichkeiten für Kontinuität und für Suche, auch von Möglichkeiten, Risiken einzugehen, kann man leicht die Orientierung verlieren. Verbündete und eine Form von Sicherheit zu finden, das gibt Orientierung.
Thalbach: Klar drückt das eine Hoffnung aus. Ich meine, die Welt, so wie sie ist, ist ja nicht unbedingt so attraktiv. Bis auf einige Ausnahmen. Der Wunsch nach einer gerechteren Welt ist etwas älter als der Sozialismus. Wie immer er sich äußert, ob nun mit dem Namen Sozialismus oder nicht, er ist präsent und wird sich durchsetzen. Ich habe gerade im „Stern“ einen Bericht über die brasilianischen Landarbeiter gelesen, die wie im Mittelalter einen Bauernkrieg für ihre Interessen führen. Ich finde es hoffnungsvoll. Vielleicht bin ich wirklich eine Träumerin und Utopistin, aber wenn ich mir diese Hoffnung nicht mehr vorstellen kann, dann fehlt mir auch der Grund, Kunst zu machen. Dann muss ich mir ein ganz, ganz stilles Plätzchen suchen und noch ein paar Blumen anpflanzen und mich aus dieser Welt verabschieden. Ohne diesen Traum von einer gerechteren, besseren Welt fände ich sie furchtbar.
Gaus: Wenn Sie sagen: orientierungslos – was bedeutet das für Sie?
Thalbach: Ich kann es nur im Zusammenhang mit Arbeit sagen: Wo sind die Verbündeten, wo sind die Richtungen? Wo sind die Organisationsformen. Angesichts von immer größer werdendem Geldmangel, von immer schnellerem Erfolg-haben-müssen, angesichts von immer weniger Möglichkeiten für Kontinuität und für Suche, auch von Möglichkeiten, Risiken einzugehen, kann man leicht die Orientierung verlieren. Verbündete und eine Form von Sicherheit zu finden, das gibt Orientierung.
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