Hildebrandt: Das ist unsere Idee der Demokratie gewesen. Wir wollten es so. Wir wollten die Polizeigewalt nicht. Wir wollten schon die Freiheit, wir wollten aber die Denunziation nicht. Wir wollten, dass zum Beispiel jemand verstanden werden muss, der Zorn hat auf eine Gesellschaft, die sich falsch entwickelt. Wir wollten, dass die Leute das verstehen. Das wollte auch Heinrich Böll.
Gaus: Waren Sie und Ihresgleichen in einer anderen Weise Traumtänzer als Ulrike Meinhoff? War es so, dass die eigentlichen Machthaber, sowohl Dieter Hildebrandt als auch Ulrike Meinhoff, gut abwettern konnten und mit beiden fertiggeworden sind?
Hildebrandt: Das hat mich aber damals schon nicht mehr überrascht.
Gaus: Aber Sie haben immer weitergemacht?
Hildebrandt: Ja.
Gaus: Wie weit sind Sie rückblickend ein Schmuckstück gewesen, das sich die, die wirklich das Sagen im Lande hatten, leisteten, weil es wie jedes Schmuckstück schmückt, und weil ein Staat, der sich ein solch freches Kabarett leistet, doch ein sehr viel freiheitlicherer ist als der nebenan, der andere deutsche Staat? Wieweit haben Sie eine Alibifunktion im Leben gehabt?
Hildebrandt: Das war sicherlich so, dass man sich uns gehalten hat und sagte: Lass sie machen, viel anrichten können sie sowieso nicht. Und dass wir im Fernsehbild erscheinen durften und dürfen, ist von dieser Denkungsart ausgegangen. Es geht noch heute davon aus. Auf der anderen Seite würde ich dieses Forum nie aufgeben, weil in der Zwischenzeit natürlich auch Irritationen zu erreichen sind, Irritationen zu gewissen politischen Entwicklungen. Man kann auf etwas aufmerksam machen. Ich wäre unbescheiden, wenn ich meinte, ich könnte eine solche Alibifunktion ablehnen, dieses Forum vergeben, einfach weggeben. Das würden mir eine ganze Reihe von Menschen übel nehmen, die darauf hoffen, dass ich wenigstens ihre Gedanken irgendwann mal formuliere. [...]
Gaus: Ist also am Ende Bitterkeit und Resignation die Bilanz, die Dieter Hildebrandt zieht?
Hildebrandt: Nein.
Gaus: Warum nicht?
Hildebrandt: Ich bin Schlesier. Die Schlesier nehmen sehr viel auf. Wie Gerhart Hauptmann schon sagte: Ein Schlesier entscheidet nu ja, nu ja, nu nee, nu nee. Ich bin jederzeit bereit, etwas als Niederlage anzunehmen und sie sofort wieder zu verarbeiten, um einen neuen Ansatz zu machen. Ich gebe nicht auf. [...]
Es gibt ohne die Sozialdemokraten keine Möglichkeit, diese Demokratie weiterzuführen. Sie müsste sich nur darauf besinnen, dass sie die Partei ist, die nach 1945 ihren Namen nicht ändern musste. [...]
Gaus: Was erwarten Sie, wenn jetzt durch den Sparzwang der Abstand zwischen Arm und Reich erheblich größer wird, als wir ihn gewohnt sind? Was erwarten Sie dann von den Menschen, was erwarten Sie dann von den Sozialdemokraten? Was erhoffen Sie, und was glauben Sie, was kommt?
Hildebrandt: Ich erwarte von den Sozialdemokraten, dass sie das genau – wie Sie es sagen – vorausgesehen haben. Ich erwarte, dass sie Vorarbeit leisten, dass ihre Partei genau die sein muss, wo die Menschen, die darüber nachdenken und zu Schlüssen kommen, natürlich wieder hin müssen, auch ihre Stimme denen wieder geben müssen. Das ist die einzige Rettung für sie. Es gibt von anderen Seiten keine – wie ich Ihnen schon sagte. Alles merkwürdige Zusammenballungen. Die Grünen hatten mal eine Chance, auch als Alternativpartei. Sie haben sie nicht genutzt. [...]
Gaus: Erlauben Sie mir eine letzte Frage, Herr Hildebrandt. Was hat Sie davor bewahrt, ein Zyniker zu werden?
Hildebrandt: Ich habe Respekt vor Menschen. Ich kann mit einer Pointe Menschen nicht in einen Zusammenhang reißen, in dem sie würdelos sind. Das ist – glaube ich – der Grund."
Hildebrandt: Ich habe Respekt vor Menschen. Ich kann mit einer Pointe Menschen nicht in einen Zusammenhang reißen, in dem sie würdelos sind. Das ist – glaube ich – der Grund."
Stand vom 13.06.1996
mehr dazu
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen